Gegen Stuttgart ist Intelligenz gefragt
So, alle angeschnallt und tief durchgeatmet, wir tauchen ganz tief ein in die Materie des Spiels aller Spiele, der Fußlümmelei, der Jagd nach dem runden Leder. Und da geht es nicht mehr so gemütlich zu wie früher. Moderner Fußball, das ist eine hochkomplexe Wissenschaft. In den Vereinen, da wird mit modernster Technik analysiert, da werden Faktoren einbezogen, an die der Durchschnittsfan nicht mal denkt, da wird die Auswirkung der Ernährung auf den Metabolismus bis ins Kleinste vorhergesagt und auf den Spielplan abgestimmt. Also, so denkt man sich das zumindest. Tatsächlich geht es vielleicht doch ein ganz kleines bisschen profaner zu. Der VfB Stuttgart hat sich bei der Teilnahme an der Championsleague von einer KI beraten lassen, wie Trainer Hoeneß nach dem Ausscheiden am Mittwoch verriet. Zehn Punkte würden zu 99 Prozent zum Weiterkommen reichen, hatte man vorher unter Zuhilfenahme komplexer Algorithmen und geheimster Technologie ermittelt, und sich darauf verlassen. Bestimmt wurden Geheimverträge mit nVidia oder, noch besser, mit DeepSeek abgeschlossen, und unter Zuhilfenahme einer speziellen Fußballdatenbank mit den genauen Spielverläufen aller Partien im Europapokal seit 1970 diese äußerst komplexe Berechnung erledigen lassen. Habe ich mir so vorgestellt in der Hochtechnologiewelt des Fußballs. Und da waren zehn Punkte die sichere Bank des kleinen CL-Teilnehmers. Die 40 Punkte des Europapokals. Aber, naja, dann ist man ganz überraschend und entgegen jeder KI-Logik doch mit exakt zehn Punkten am Schnitt gescheitert. Sebastian Hoeneß zeigte sich verstimmt, dass das jetzt einfach nicht gestimmt hatte, was die KI bestimmt hatte, und zwar so sehr, dass er ihr sogar unterstellte, sie werde etwas schnippisch behaupten, trotzdem richtig gelegen zu haben, schließlich gebe es ja noch ein Prozent Restungewissheit in der KI-Aussage.
Ich habe auch einmal in die kostenfrei und ohne Anmeldung zu erreichende Seite ChatGPT die Frage eingegeben, wie viele Punkte es denn so braucht bei einer 32er Liga mit 8 Spielen für Platz 24. Und was war die Antwort? “Mit 7 bis 9 Punkten solltest du eine realistische Chance auf Platz 24 haben. Mit 10 Punkten oder mehr bist du sehr wahrscheinlich sicher.” Da vermute ich also: Das sind also die Tools der Championsleagueteilnehmer. Naja. Dabei hätte der VfB mit den 28,37 Mio. EUR, die er laut kicker.de im Wettbewerb verdient hat, sich vielleicht auch etwas mehr Expertise gönnen können. Apropos: Diese 28,37 Mio. EUR sind natürlich Gelder, die die Borussia nicht mehr einnimmt, und deshalb kann man auf dem Transfermarkt auch nichts machen, wie Gerado Seoane in der donnerstäglichen Pressekonferenz noch einmal bekräftigte. Franck Honorats Ausfall, der sich nach seiner Auskunft wohl noch mindestens in den März hinzieht, wird jedenfalls intern aufgefangen werden müssen, und damit haben wir auch zugleich die wichtigste Personalie für Samstag auf der Pfanne. Vorher noch die anderen: Itakura sollte nach überstandener Erkrankung wieder in die Startelf zurückkehren und Friedrich für ihn weichen müssen. Friedrich scheint sich zu einem Tony Jantschke 2.0 zu entwickeln: spielt selten, aber auf ihn ist eigentlich immer Verlass, wenn er doch mal rein muss. Allerdings wird sich Friedrich anders als Jantschke mit dieser Rolle wohl kaum noch ein paar Jährchen zufriedengeben wollen. Plea ist immer noch verletzt und wird wohl wieder von Stöger vertreten, zumindest wenn Seoane wegen der Vakanz auf der rechten Außenbahn durch Honorats Absenz nicht das ganz große Rad anwirft. Čvančara hatte ihn zuletzt vertreten und laut Seones Einschätzung dabei eine ganz passable Leistung geboten; eine Einschätzung, die er vielleicht mit irgendeiner KI, aber eher nicht mit der Mehrheit der Spielbeobachter vom Samstag teilt. Allerdings hob er auch hervor, dass Ngoumou ganz gut ins Spiel gefunden habe nach seiner Einwechslung. Aber eben jener Ngoumou wurde ja bereits zuvor aus der sportlichen Leitung als erster Vertreter Honorats betitelt. Außerdem brachte Seoane aber auch noch Borges Sanches ins Spiel (also den Namen auf der Pressekonferenz) und Robin Hack könne ja auch auf rechts spielen. Bleibt zu hoffen, dass am Ende nicht Hack auf rechts und Ngoumou auf links landet, aber auch die schlechteste KI würde die Wahrscheinlichkeit für dieses Ergebnis der Denksportaufgabe nicht bei 0 ansetzen. Leider.
Borussia wird auf einen Gegner treffen, der am Mittwoch mit vielen Hoffnungen in den letzten Spieltag gestartet war, dann aber doch ganz schön vermöbelt wurde. Ex-Dortmunder Dembélé schenkte dem VfB gleich drei Tore ein, nämlich seine Saisontreffer 2, 3 und 4 im Wettbewerb. Und trug damit zu dem äußerst bizarren Schauspiel bei, dass einem am Mittwochabend geboten wurde. Um die 28,37 Mio. EUR tut es einem schon leid, aber ansonsten war man ganz froh, dass man dieser albernen Veranstaltung nicht beiwohnen musste, vor allem nicht dem heillos überforderten übertragenden Sender, der regelmäßig den Tabellenstand nicht richtig zu deuten wusste, und beispielsweise von “nur noch “ sieben noch zu schießenden Toren durch den FC Bayern fabulierte und dabei vergaß, dass Dortmund zu diesem Zeitpunkt wie am Ende auch noch vor den Bayern stand. Als Stuttgart zwischenzeitlich trotz dräuender Niederlage in den Playoffs stand, bekam es auch keiner mit. Und zwischendurch erschrak man immer wieder zu Tode, wenn in Barcelona irgendetwas Belangloses passierte und Oliver Forster ins Mikro brüllte, als sei soeben eine Cesna mit Matthias Rust an Bord auf dem Rasen des Olimpic Lluis Companys gelandet und der Pilot habe vor aller Augen mit Schlittschuhen einen zweieinhalbfachen Toeloop in einem Kleid von Katarina Witt vollführt. Kurzum: Natürlich sind wir auch neidisch, aber so sehr dann doch nicht.
Da trifft die Borussia also auf einen Gegner, dem deutlich die Grenzen aufgezeigt wurden, aber wie immer weiß man nicht, ob das ein Vor- oder Nachteil für den Gast sein wird. ”Brachial” und “brutal” nannte B-Freund Hoeneß die Niederlage, und Sportvorstand Fabian Wohlgemut zitierte Max Eberl, in dem er sagte, die Mannschaft sei “ein Stück weit überfordert” gewesen. Vielleicht kann das dritte B am Wochenende daran anknüpfen. Borussia steht wie zum Beginn der Hinrunde da, auch da hatte man nach zwei Spielen eine Niederlage und einen Sieg zu Buche stehen. Stuttgart, am dritten Spieltag zu Gast, stand vor dem Auftakt in die Championsleague gegen Real Madrid und hatte bis dato erst einen Punkt geholt. Nun hat man das letzte Spiel im Wettbewerb absolviert und empfängt die Borussia wieder mit zwei Misserfolgen in Serie auf der Habenseite. Für die Borussia begann mit diesem Spiel eine schwierige Saisonphase mit zwei weiteren Niederlagen gegen Eintracht Frankfurt, einer zusätzlichen gegen Augsburg und einem leicht schmeichelhaften Sieg gegen Union Berlin. Wirklich leichter wird das Programm auch mit getauschtem Heimrecht nicht gerade.
Am Samstag in Stuttgart wird uns Robert Hartmann übrigens leider nicht erklären, wie seine Entscheidungen zu Stande gekommen sind, denn Stuttgart ist ebenso wie Mönchengladbach kein Standort für das Experiment Schiedsrichterdurchsage. Da sollen Schiedsrichter über die Stadionanlage dem andächtig lauschenden Publikum die Entscheidungen erklären. Also, zumindest bei strittigen Entscheidungen, denke ich. Ich bin auf den Jargon gespannt: “Nummer 14 Blau hat den Arsch rausgestellt und so Nummer 7 Rot zu Fall gebracht. War aber vor der Linie, deshalb Freistoß und ich mache ihm gelb.” Na, gebt es zu, schon hat jeder den Deniz erkannt. Also, so richtig viel Mehrwert kann man sich davon aber nicht erhoffen, denn auch im bisherigen Saisonverlauf überwiegt die Taktik, nahezu identische Entscheidungen einfach immer ganz neu und ohne Ansehen anderer Entscheidungen zu interpretieren. So war es beim vermeintlichen Handspiel Julian Weigls in Leverkusen, wo die Entfernung und Schussstärke vergleichbar zur Situation mit Guirassy im Borussia Park war (Entscheidung: kein strafwürdiges Handspiel), der Arm allerdings viel näher am Körper war und auch nicht aufs Tor ging (Entscheidung: strafwürdiges Handspiel). “Same, even worse, but different,” würde Herr Stieler da wohl sagen, und er meint mit "different" wahrscheinlich gar nicht die Situation, sondern den betroffenen Verein. Denn auch da hat man vergangenen Wochenende wieder eine Situation bestaunen dürfen, bei der ein Abwehrspieler einem Gegenspieler im Strafraum ohne jede Absicht auf den Fuß trat, während der Ball nicht in der Nähe war. Beim Hoffenheimer Unfall war der Ball sogar in der Spielkontrolle der Hoffenheimer. War zwar ein Unfall, aber zum Bedauern musste man den hier dann trotzdem geben. Und wirklich niemand verwies einmal auf eine in der Sachlage eigentlich identische Szene noch vor wenigen Wochen ebenfalls im Spiel gegen Dortmund. Da fühlt man sich wirklich wie Kathy Bates als die Irre in der Verfilmung von “Misery”, nur das hier exakt das gleiche schon einmal passiert ist und jeder so tut, als wäre das etwas völlig anders. Also gegen Stuttgart muss man dann wieder raten, was angeblich jetzt anders gewesen sein soll, wenn es soweit ist.
Nun ja, hier jedenfalls noch die fast 100 % KI-freien Tipps der Seitenwahl Redaktion. Exzellente Fußballexpertise gepaart mit nahezu unfehlbarer Intuition und unerschütterlichem Optimismus.
SEITENWAHL-Prognose
Claus-Dieter Mayer: Mit etwas Glück und viel Einsatz übersteht die Borussia die frühe Drangphase der schwäbischen Champions-League-Versager und nutzt danach durch Kleindienst und Hack zwei ihrer wenigen Chancen effizient. Am Ende bleibt es bei einem leicht glücklichen 2:1 für den VFL.
Christian Spoo: Stuttgart ist bemüht, den Eindruck aus der Champions-League-Pleite gegen PSG zu zerstreuen. Borussia ist zu zerstreut, um dem genug entgegenzusetzen. 4:0 für den VfB.
Michael Heinen: Borussia ist in Stuttgart bemüht, aber am Ende chancenlos und verliert mit 1:3.
Mike Lukanz: Ich glaube selbst nicht daran, tippe aber mal auf ein 2:2, weil ich von der Redaktion zum Nachbericht verdonnert wurde und keine Lust habe, eine Niederlage zu erklären.
Volkhard Patten: 3:2 für Borussia. Ich möchte mal lesen, wie Mike einen Sieg im Schwabenland erklärt.
Michael Oehm: Ich habe die KI gefragt. Schlau wie ich bin, habe ich gefragt, warum Borussia am Samstag 2:1 gewinnt. Es kamen ein paar halbgare Vorschläge wie “Glück haben” oder “Formtief beim Gegner”. Und dann:
Der Hoeneß hat die doch gekauft.