Taumelnd Richtung Wiedergutmachung
Und dann war er weg. So sehr in Teilen der Anhängerschaft eine Erleichterung nach der Demission von Roland Virkus zu spüren war, Punkte hat es keine gebracht. Borussia ist Tabellenletzter und ist aktuell akut abstiegsbedroht. Es wird dringend Zeit, Punkte zu holen.
Der Blick auf die Tabelle vor dem sechsten Spieltag hat sich erstaunlich schnell geordnet. Die ersten sechs Plätze wären so auch am Ende der Saison keine Überraschung, ebenso die Verteilung im großen, breiten Mittelfeld der Bundesliga. Dass Borussia auf dem 18. und damit letzten Platz liegt, ist damit eben auch nur konsequent nach dem Verlauf der ersten fünf Saisonspiele. Das desaströse Spiel gegen Frankfurt traf Fans, Mannschaft und den gesamten Verein ins Mark. Und natürlich haben die Themen rund um Roland Virkus in den Tagen danach die Schlagzeilen beherrscht, so dass die Tagesaktualität in den Hintergrund rückte. Die heißt nun SC Freiburg, eine der kompliziertesten Aufgaben in der Liga und wahrlich kein Lieblingsgegner Borussias.
Das 4:6 am vergangenen Spieltag war in seiner ganzen Ausprägung so episch, dass es sich fast verbietet, daraus Rückschlüsse für die kommende Partie am Sonntagabend zu ziehen. Eugen Polanski wird weder die Startelf komplett tauschen wollen, noch hätte er dafür überhaupt Alternativen, sofern er nicht seine ehemalige Mannschaft aus der Regionalliga en bloc zum Bundesligadebüt verhelfen wollte.
Tim Kleindienst, Robin Hack, Franck Honorat und Gio Reyna stehen weiterhin nicht zur Verfügung, so dass nicht davon auszugehen ist, dass die Startelf am Sonntag fundamental anders aussehen wird. Tatsächlich könnte es jedoch zur Startelfrückkehr von Florian Neuhaus kommen, der mit seinem Mallorca-Video auch einen nicht kleinen Teil zur Beschädigung Roland Virkus‘ beigetragen hatte, sondern, so fair wollen wir sein, in seinen Einsätzen zuletzt ansprechende bis gute Leistungen gezeigt hat. Jens Castrop wird ebenso wie Machino in der Offensive beginnen, was in Leverkusen ja noch überwiegend gut funktioniert hat.
Spannender könnte es im defensiven Mittelfeld werden. Yannick Engelhardt hat sich erstaunlich schnell in die Startelf gespielt, ging aber gegen Frankfurt ebenso unter wie alle anderen. Dennoch sollte er wieder beginnen dürfen. Auch wenn es für einige wie Blasphemie klingt, aber Rocco Reitz hätte aus meiner Sicht eine Pause verdient. Seit Saisonbeginn in Amt und Würden des Kapitäns, wirkt Reitz überspielt, überdreht und neben der Spur. Das „Kimmich-Syndrom“, so scheint es. Eine Mischung aus Überschätzung der eigenen fußballerischen Klasse sowie des unangebrachten Ehrgeizes und Anspruchs, alles auf dem Platz erfüllen und lösen zu wollen. Reitz war immer dann gut, wenn er sich auf das konzentrieren konnte, was er eben tatsächlich am besten kann: Pressingsituationen kreieren, defensive Zweikämpfe, hohe Laufintensität. Ein Spielmacher oder neudeutsch „Quarterback“ ist er jedoch nicht. Polanski wird Reitz dennoch nicht opfern, eine Duo Engelhardt und Sander könnte in der aktuellen Form jedoch für mehr Stabilität sorgen.
Stabilität strahlt die Abwehrreihe am wenigsten aus, zwölf Gegentore nach fünf Spieltagen sprechen Bände. Aktuell fallen vor allem Fabio Chiarodia und Lukas Ullrich am meisten ab, hier könnten Marvin Friedrich und Luca Netz eine Startelfnominierung verdient haben. Es zeigt sich erneut, dass, und wir werden nicht müde, es immer und immer wieder zu betonen, Borussia es wiederholt verpasst hat, in der Defensive für qualtitative Tiefe wie Breite zu sorgen. Wer in Lainer und Itakura zwei Spieler abgibt, jedoch nur durch einen Spieler in Personalunion (Diks) diese zu ersetzen glaubt, handelt fahrlässig. Wenn dann noch das wenige Geld, das der Verein offenbar zur Verfügung hat, in einen Offensivspieler gesteckt wird (Reyna), der maximal 10 Spiele machen wird, handelt sogar grob fahrlässig. Egal, wer in den kommenden Tagen oder Wochen mit der sportlichen Führung des Vereins betraut wird: in der Winterpause muss dringend die Defensive gestärkt werden.
Zurück zum Sonntag: Es wird interessant zu beobachten, wie Polanski die erste Elf für Sonntag nominiert, denn nach diesem Debakel gegen die Frankfurter Eintracht hat jede Maßnahme nun auch sehr viel erzieherische oder motivatorische Wirkung. Sendet er ein Signal des Vertrauens an die Startelf, die das 0:5 zur Halbzeit zu verantworten hat, oder verpasst er einigen Auserwählten mal eine Denkpause auf der Bank?
Der Gegner aus Freiburg
Gäbe es einen Gegenpol zu Borussia, es wäre der SC Freiburg. Ein seit Jahren seriös geführter, unaufgeregter und konstant erfolgreicher Verein. Nichts und niemand scheint diesen Klub zu erschüttern. Trainer Julian Schuster, der zu Beginn der Saison vom ewigen Christian Streich übernommen hatte, führt den Verein in seiner ersten Saison als Cheftrainer direkt in die Europa League, bis zum letzten Spieltag sogar noch mit Hoffnungen auf die Champions League – mit einem Torverhältnis von -4. Irre.
Dabei kommt die Mannschaft fast schon traditionell ohne sogenannte „Stars“ aus, ebenso kommen einem spontan wenig spektakuläre Siege oder Niederlagen in den Sinn. Abgänge werden geräuschlos kompensiert, das Gerüst um die Ex-Borussen Matthias Ginter und Vincenco Grifo sowie die Dauerbrenner Lucas Höler und Maximilian Eggestein steht seit Jahren und ist entsprechend eingespielt.
Der Saisonstart für die Breisgauer verlief dann doch arg holprig. Zuerst gönnte man dem FC Augsburg um Trainer Sandro Wagner einen überraschenden Auswärtssieg (es sollte glücklicherweise der bis dato letzte für den überdrehten Wagner bleiben), eine Woche später gab es beim Aufsteiger Köln ein 1:4. Auf einmal war der SC Tabellenletzter. Aber Freiburg ist eben Freiburg, da wird niemand nervös, es wird schulterzuckend zur Kenntnis genommen und einfach weitergearbeitet. Es folgten souveräne Siege gegen Stuttgart (3:1), in Bremen (3:0) sowie in der Europa League gegen den FC Basel (2:1). Vor Wochenfrist dann ein sprödes 1:1 gegen Hoffenheim. Sieben Punkte also, Platz 8 in der Bundesliga, Business as usual.
Freiburg spielt das in der Bundesliga bekannte 4-2-3-1-System. Vor Keeper Noah Atubolu, der beim 1:1 in der Europa League in Bologna patzte, sollten Ginter und Anthony Jung die Innenverteidigung bilden. Der schon genannante Eggestein spielt im defensiven Mittelfeld neben dem Ex-Bochumer Patrick Osterhage, Grifo und Niklas Beste kommen über die Flügel. Im Sturmzentrum sollte Junior Adamu beginnen.
Freiburg hat dank Grifo traditionell gefährliche Standards im Reportoire, gehört zu den besten Teams der Liga in den Bereichen „zweite Bälle“ und „Gegenpressing“. Eine Mannschaft, die extrem gut organisiert ist, variabel Gefahr ausstrahlt und tatsächlich niedergekämpft werden muss. Das ist Borussia zuletzt eher selten gelungen, denn die letzten acht Duelle mit dem SC Freiburg konnte Borussia nicht gewinnen, wenngleich die Bilanz im Borussia-Park noch halbwegs versöhnlich aussieht. An ein Heimspiel haben Gladbachs Fans am vergangenen Wochenende jedoch sicherlich häufig gedacht: das 0:6 aus der Saison 2021/22. Da brachte es Borussia sogar fertig, alle sechs Gegentore in einer Halbzeit zu kassieren.
Die Tipps der SEITENWAHL-Redaktion:
Mike Lukanz: Eine Leistung wie gegen Frankfurt wird nicht zwei Mal in Folge zu sehen sein. Dennoch ist auch diesmal der Gegner zu stark für eine taumelnde, geschwächte und verunsicherte Gladbacher Mannschaft. Freiburg nimmt trotz müder Beine nach dem Europa-League-Spiel alle drei Punkte durch ein unspektakuläres 3:1 mit in den Breisgau.
Michael Heinen: Die überfällige Personalentscheidung ändert leider nicht sofort etwas an der kritischen Situation, in der sich Borussia befindet. Auch gegen den SC Freiburg reicht die verfügbare Kaderqualität nicht aus für einen Punktgewinn. Borussia verliert mit 1:2.
Christian Spoo: Die Mannschaft findet wieder zu spät in die Spur. Freiburg gewinnt mit 2:1.
Kevin Schulte: Nach dem Irrsinn gegen Frankfurt gibt es diesmal ein ruhiges 1:1 und das Gefühl, es hätte gegen müde Freiburger auch etwas mehr sein können.
Claus-Dieter Mayer: Borussia ist nicht unbedingt die bessere Mannschaft gegen Freiburg, aber man merkt der Mannschaft in jeder Sekunde an, dass sie die Schmach der Vorwoche wettmachen will. Mit etwas Glück reicht es zum ersten Saisonsieg: 3:1.