2. Fußball-Bundesliga: Ziel "15.30": Görlich will Hertha Lust auf Leistung machen
Herthas neuer Chef Görlich will radikal umdenken. Wie er die Mitglieder für seinen Kurs und das Bundesliga-Ziel "15.30" begeistert.
Die Hertha-Mitgliederversammlung ging schon sechs Stunden lang, als der neue Chef die Anhänger noch einmal ordentlich aufweckte. Geschäftsführer Peter Görlich traf bei der Vorstellung seiner Vision für den Club auf einen etwas ermüdeten Raum, ließ sich davon aber überhaupt nicht stören.
"Es funktioniert nur, wenn wir eine Kultur haben, die einen zentral mentalen Bestandteil hat: Lust auf Leistung. Das ist unser Treiber", sagte der 58-Jährige kämpferisch. Sonst werde man abgehängt. "An der einen oder anderen Stelle werden wir Dinge neu denken, und zwar radikal neu denken." In seinen zweieinhalb Monaten bei der Hertha habe er den Eindruck gewonnen, dass alle dabei mitziehen wollen.
Aktuell hat der Zweitligist nach einem verkorksten Saisonstart vier Siege in Folge geholt und steht nur noch drei Zähler hinter dem Relegationsrang. Eine Serie, die es seit Jahren nicht gab.
Aber das müsse irgendwann wieder Normalität werden, forderte Görlich. "Das bedeutet aber auch für uns alle, als gesamte Hertha-Familie, wir dürfen uns nicht in den Siegen verlieren, aber auch nicht in den Niederlagen verlieren", sagte der Geschäftsführer, der seit Anfang September im Amt ist.
Görlich ist der neue starke Mann bei Hertha
Vier Themenfelder hat der 58-Jährige mit seinen Mitarbeitern ausgemacht, in denen die Berliner Fortschritte machen müssen: Spielerentwicklung und Trainerentwicklung, Scouting-Prozesse, Leistung und Medizin sowie Datenanalyse.
Görlich ist der neue starke Mann im Club, daran ließ er keinen Zweifel. Auf Visionen mit Business-Sprech reagieren viele Hertha-Anhänger spätestens seit Investor Lars Windhorst allergisch und so brauchte der neue Chef etwas, um das Publikum zu überzeugen.
Doch am Ende seiner Ausführungen stand er vor der Zahl "15.30", der traditionellen Anstoßzeit in der Bundesliga am Samstag, und sagte: "Dafür lohnt sich alles, sage ich euch. Das ist unser Ziel. Gemeinsam kriegen wir es hin." Es gab stehend dargebrachte Ovationen.
Die an manchen Stellen etwas eingefahrenen Strukturen bei der Hertha zu modernisieren, haben vor Görlich schon andere versucht - mit überschaubarem Erfolg. Doch der 58-Jährige scheint bemüht, alle im Club mitnehmen zu wollen. So betonte er etwa immer wieder die Bedeutung der eigenen Jugend. Es soll ein Mittelweg zwischen den wohligen Emotionen des Berliner Weges von Kay Bernstein und notwendigen Impulsen von außen werden.
Hertha will in fünf Jahren schuldenfrei sein
Dabei bleiben auch die angespannten Finanzen des Clubs ein wichtiges Thema. Görlichs Kollege in der Geschäftsführung, Ralf Huschen, konnte dazu aber weitere Fortschritte verkünden. Man habe zumindest im operativen Bereich ohne Abschreibungen, Steuern und Zinsen die Wende geschafft, sagte Huschen.
"Wir haben uns das Ziel gesetzt, in fünf Jahren schuldenfrei zu sein", erklärte er. "Wir haben jetzt noch eine Nettoverschuldung von gut 28 Millionen Euro, wie man in der Bilanz sehen kann. Das ist schon noch Arbeit. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir es hinkriegen." Altlasten wie die Exzesse der Windhorst-Jahre und die Nordic-Bond-Anleihe halten den finanziellen Spielraum weiter klein.
Auch das könnte dazu führen, dass für die Berliner bei lukrativen Angeboten für begehrte Spieler wie etwa Juwel Kennet Eichhorn (16) irgendwann eine Schmerzgrenze erreicht ist, wie Görlich einräumte.
Keine Chance für die hybride Abstimmung
Der sportliche Aufschwung kochte die Temperatur schon vor der Versammlung deutlich herunter. "Es hat ein Stück weit Druck genommen", sagte Präsident Fabian Drescher.
Selbst die vorher kontrovers diskutierte Abstimmung über die Einführung einer sogenannten hybriden Versammlung, die Mitgliedern digital aus der Ferne eine Teilnahme ermöglichen würde, bot keinen großen Aufreger. Die Diskussion wurde ruhig und mit Respekt geführt.
"Das zeigt mir mal wieder, dass man hier kontrovers diskutieren kann, aber immer auf Augenhöhe, immer fair und sachlich", sagte Drescher. Der Antrag hatte am Ende keine Chance, bekam nur 179 Ja-Stimmen. Es waren nicht nur die Ultras gegen die hybride Lösung. Das zeigten die Aussprache und das Ergebnis.
Doch die organisierte Fan-Szene darf sich besonders freuen, kann sie doch stets hervorragend in Präsenz für ihre Themen mobilisieren. Einen außergewöhnlichen Einfluss der Ultras auf sein Präsidium wies Drescher in seiner Rede aber eindeutig zurück.
Trotzdem werden Görlich und sein Team den harten Kern des Anhangs mitnehmen müssen bei ihren geplanten Veränderungen. Als der Geschäftsführer sprach, hatten viele der Ultras ihre Plätze ganz vorn im Saal schon verlassen.

