Graue Mäuse, vergilbte Fohlen
"Vergilbtes Weiß" - diese Assoziation kam beim ersten Blick auf das sonst in seiner Schlichheit recht schicke neue Heimtrikot der Fohlen in den Sinn. Und passt irgendwie fast besser auf die aktuelle Lage, als zum 125-jährigen Jubiläum des Vereins. Borussia beschließt die Saison mit einer 0:1-Heimniederlage gegen Wolfsburg und ist nach dem vierten Verfehlen des einstelligen Tabellenplatzes in Serie endgültig zur grauesten aller Mäuse mutiert. Das Spiel selbst vereinte viele der Elemente, die das letzte Fünftel der Saison 2024/25 zu einer nicht nur trostlosen, sondern auch alarmierenden Angelegenheit für alle machen, die es ehrlich mit der Raute halten.
Müder Mythos
"Der Mythos wird lebendig", so wurde das anstehende Jubiläumsspiel gegen den FC Valencia auch während des Heimspiels gegen Wolfsburg mehrfach über die Videowände beworben. Inhalt und Handling des großen Vereinsjubiläums wären ebenso wie der offensichtliche Verlegenheitsgegner aus der persönlichen Vergangenheit des Präsidenten sicherlich auch ein Thema, das sich in das müde Gesamtbild des Vereins im Sommer 2025 einreihen ließe, bleibt hier aber nur eine Randnotiv. Wie sehr aber das Pathos dieser Vermarktung aktuell von dem viel zu oft uninspirierten Gekicke auf dem Rasen entfernt ist, wurde zum Saisonabschluss nochmals überdeutlich. Der viel beschworene und beworbene Mythos Borussia, er verkommt angesichts des ziel- und ambitionslosen Auftretens auf und neben dem Platz zu trostloser Folklore. Wenn Gespräche mit vielen "Mitleidenden" im Stadion ein Maßstab sein können, ist der Großteil der Fohlenanhänger gerade eher dankbar, dass man Mannschaft, Verantwortliche und alles rund um Borussia jetzt einige Monate nicht ständig vor Augen haben muss - und das will rund um einen Traditionsverein schon einiges heißen.
KeinDienst für die Vereinskasse
Schon vor Anpfiff sorgte das kurzfristige Fehlen von Tim Kleindienst für einige Irritationen, nährte gar Gerüchte im Block, er befände sich bereits zum Medizincheck für den vermeintlichen Wechsel zu den Tottenham Hotspurs. Dabei verfolgte der Top-Torjäger die Partie - gut sichtbar für die TV-Kameras - mit verbundenem Knie von der Tribüne aus. Und wird, wie erst nach dem Spiel bekanntgeben wurde, mit einer schweren Meniskusverletzung leider monatelang ausfallen (beste und schnellste Genesung von dieser Stelle!). Ein spekulierter Millionentransfer in zweistelliger Höhe sollte sich damit nun mit größter Wahrscheinlichkeit erledigt haben.
Ein Spiel wie zwei Saisons
So kommen wir zum kurzen und doch schmerzhaften Blick auf die Vorstellung von Borussia an diesem sonnigen Samstag, gegen einen Gegner, der zu Beginn nicht den Eindruck erweckte, hier allzu viel Widerstand gegen eine versöhnlichen Saisonabschluss des Heimteams leisten zu wollen. Die nun eierschalenweiß betuchten Fohlen starteten wie so oft in dieser Saison engagiert in die Partie und hatten in den ersten gut 15 Minuten ordentliche bis gute Gelegenheiten durch Plea (heute Mittelstürmer), Sander und zwei zentrale, aber deutlich verzogene Distanzversuche von Reitz und Weigl. Klare Stockfehler eben dieser beiden sorgten darauhin fast aus dem Nichts für zwei Riesenchancen zur Wolfsburger Führung - die Ballverluste brachten jeweils Nmecha an den Ball, der zunächst für Majer auflegte und in der zweiten Szene unbedrägt aus 11 Metern an Omlin scheiterte.
In der Folge wurde das Spiel offener, Borussia kam noch durch Hack und Sander zu Abschlüssen, stellte das Fußballspielen aber nach einer guten halben Stunde - erneut ein bekanntes Muster - fast vollständig ein und überließ bislang zahnlosen Wölfen den Großteil der Spielanteile. Erst mit dem Halbzeitpfiff kamen die Fohlen noch einmal gefährlich vor das gegnerische Tor: nach starker Honorat-Flanke setzte der freistehende Hack seinen Kopfball am Fünfmeterraum aber zu ungenau über die leere rechte Ecke des Wolfsburger Tores.
Dies sollte die beste (und auch letzte) echte Gladbacher Chance im ganzen Spiel bleiben - aus Borussensicht kam im zweiten Durchgang tatsächlich gar nichts mehr. Denn schon kurz nach Wiederanpfiff gab es (wieder einmal) die kalte Dusche: Lainer konnte einen Flankenlauf von Amoura auf der linken Wolfsburger Angriffseite nicht verhindern, dessen feiner Außenristpass fand im unbedrägten "Borussia-Experten" Lukas Nmecha einen dankbaren Abnehmer. Und (wieder einmal) war die Messe damit so gut wie gelesen: Borussia stand nicht nur in dieser Szene, sondern nahezu die gesamte zweite Hälfte passiv in der eigenen Hälfte, sporadische Versuche über schnelle Vorstöße nach Ballgewinne gelangen spätestens mit der Hereinnahme von Cvancara (unter deutlichen Pfiffen aus der Kurve) gar nicht mehr, Wolfsburg hätte mit etwas mehr Konsequenz noch erhöhen können, wollte aber auch nicht mehr so richtig. So ergab sich Borussia zunehmend dem Schicksal und ließ die fünfte Niederlage in den letzten sieben allesamt sieglosen Spielen einfach geschehen.
Offenbarungseid für "Seoane-Ball"
Man muss es sich auf der trocken geschrienen Zunge zergehen lassen: Borussia stellt sich am letzten Spieltag zuhause gegen ein Retortenteam im Tabellen-Niemandsland bei Rückstand hinten rein, versucht nur mit Kontern und langen Bällen noch zum Ausgleich zu kommen. Ob aus (wie auch immer motivierter) taktischer Vorgabe oder fehlender Abstimmung und Orientierung - am 34. Spieltag die gleichen Fehlermuster zu zeigen wie zu Beginn der vorvergangenen Saison, das ist ein Offenbarungseid für die zweijährige Arbeit eines Trainers mit einer Mannschaft, der vom Geschäftsführer Sport doch tatsächlich weiterhin unentwegt sichtbare Fortschritte und eine positive Entwicklung unterstellt werden.
Es bleibt ein Saisonfazit, das schon in vorherigen Berichten hier bei SEITENWAHL und anderwo in und um die "Borussia-Bubble" durchaus mehrheitsfähig scheint: Borussia hat einige ordentliche Spiele abgeliefert, hat viele Punkte gegen Abstiegskandidaten zuhause behalten und auswärts geholt, sowie kleinere Ausrufezeichen v.a. gegen Bremen und Leipzig gesetzt. Mit Blick auf weite Strecken der ersten und der letzten Saisonphase hat sich jedoch zur Vorsaison kaum etwas geändert. Die Mannschaft lässt immer noch mit die meisten Torchancen der Liga zu, ist nur selten über mehr als 40 Minuten pro Spiel konstant und bricht in immer wieder ähnlichen Spielphasen ein. Fußballerisch ist der wilde Misch-Masch aus "mal Anlaufen, mal Tiefstehen, mal Flanken, mal lange Bälle" total abhängig von Verfügbarkeit und Form einzelner Schlüsselspieler.
So ist es immerhin gelungen, nicht zuletzt aufgrund eines überragenden Moritz Nicolas und dem ein oder anderen Kleindienst-Tor zur richtigen Zeit, einige (Pflicht-)Punkte mehr zu holen als in der vergangenen Saison. Dadurch geriet man mit einer immer noch überdurchschnittlichen Kaderqualität in einer schwachen Bundesliga nie in Gefahr - DER große Fortschritt zur Vorsaison. Es bleibt jedoch das Gefühl, nie auch nur einen Hauch mehr zu erreichen, als es die Summe der Einzelspieler hergibt. Der Trainer hat bei Borussia, wie auf den meisten seiner Stationen, keinen Weg für eine stabile Defensive gefunden. Das In-game Coaching scheint im Wesentlichen daraus zu bestehen, je nach Spielstand entweder möglicht viele Defensiv- oder Offensivspieler in teils positionsfremde Rollen und Räume auf den Platz zu schicken und ansonsten auf den Fußballgott zu hoffen. Mit Ausnahme von Lukas Ullrich bekamen Nachwuchsspieler erneut kaum Chancen, sich nachhaltig zu empfehlen. Die Hierarchie wirkt bis hin zu den letzten Einwechslungen vorgegeben. Die nachhaltige Entwicklung eines Spielssystems, eines Fußballs, für den Borussia Mönchengladbach stehen soll, präsentiert der Trainer auch nach 23 Monaten im Amt nicht.
Grenzen der Partnerschaft
Gerardo Seoane ist zu wünschen, seine eigene Situation und vor allem die Aussicht darauf, was der Verein und er selbst in einer dritten Saison noch wirklich verbessern und aus der Zusammenarbeit gewinnen können, kritisch und ergebnisoffen zu hinterfragen. Es steht ihm selbstverständlich zu, auf sein Arbeitspapier zu verweisen und seine Rechte zu wahren. Doch wenn man schon den sonstigen sportlichen Verantwortlichen nicht mehr zutraut, eine ehrliche, schonungslose Analyse und eine konsequente Entscheidung zu treffen - sei es aus Trägheit, Betriebsblindheit oder schlicht die Angst um den eigenen Job - dann sollte vielleicht der Trainer selbst seinem Team unvoreingenommen den Puls fühlen und die Signale deuten, die aus Auftritten wie der zweiten Halbzeit gegen Wolfsburg sprechen. Von Vereinsseite wiederum müsste eigentlich klar sein, dass es grob fahrlässig wären, einen weiteren kostbaren Transfersommer auf einen Trainer auszurichten, der zuletzt angezählt wirkte und dem es über zwei Jahre nicht gelungen ist, das erhoffte Maximum aus seinen Spielern herauszuholen.
Das Augsburg vom Niederrhein
Wo wir bei Roland Virkus wären: Borussia hat zum 4. Mal in seiner Amtszeit als Geschäftsführer Sport (also in jeder Saison, seit er die Verantwortung für den Profibereich hat) das von ihm selbst gesteckte Saisonziel verfehlt. In den meisten leistungsorientierten Unternehmen und Branchen würde wohl allein diese Tatsache ausreichen, um eine grundlegende Neubewertung und Aufstellung des Verantwortungsbereichs anzustoßen. Und es ist nicht so, dass selbst im "Dorf" Mönchengladbach der Erneuerungsbedarf auf allen Ebenen und Abteilungen des Vereins seit Jahren ein offenes Geheimnis wäre. Er wird jedoch nicht nur intern gebremst durch teilweise über mehr als 3 Jahrzehnte persönlicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Abhängigkeit, sondern auch extern durch den Verweis auf einen ominösen "Entwicklungsprozess", dessen Ausprägung und Zielpunkt von jeher gerade so schwammig gehalten werden, dass noch jedes verfehlte Ziel als Teilerfolg verkauft werden kann. So erneut geschehen auf der diesjährigen Mitgliederversammlung, als schon vor dem Saisonendspurt von sportlich "bereits erreichten" Zielen gesprochen wurde. Seither hat Borussia kein Spiel mehr in der Bundesliga gewonnen und ist fünf Tabellenplätze abgerutscht. Vier Jahre in Folge in der Zweistelligkeit, das spricht für sich -Borussia ist eine sehr graue Maus in einer ohnehin nicht gerade farbenfrohen Liga.
Gaslight Anthem
Noch ist der Borussia-Park jede zweite Woche voll, noch reißen vor allem junge Fans der Borussia selbst die absurdesten Trikotvariationen (hallo, neues Auswärtstrikot!) und Fanartikel aus den Händen, noch stellen sich viele - wenn auch vermehrt achselzuckend - demonstrativ hinter den Verein. Doch das strahlende Weiß, in dem Borussia traditionell seine Heimspiele bestreitet und das immer sinnbildlich für den frischen, positiven Fußball der Fohlen stand, es scheint gerade nicht nur buchstäblich zu vergilben, eine Identität auf dem Platz wird schon länger schmerzlich vermisst. Zugleich ist eine wachsende Bitterkeit unter immer mehr Anhängern spürbar, die Aufbruchstimmung vermissen und sich irritiert zeigen von der PR einer heilen Fohlen-Welt aus Pathos und Tradition ("Wir sind eine Familie"), die einer zunehmenden Wagenburg-Mentalität des Vereins entgegensteht. Kritik, auch sachliche, scheint gemessen an verschiedenen Aussagen aus Aufsichtsrat, Präsidium und Geschäftsführung eher unerwünscht und wird teilweise brüsk zurückgewiesen. Für den jahrelangen sportlichen Stillstand können hingegen viele andere Gründe gefunden werden als das eigene Handeln.
Aktuelle Beispiele? Nach dem schwachen Remis gegen Hoffenheim waren es die Fans, die für ihre wenig enthusiastische Reaktion auf das späte Unentschieden gegen den Abstiegskandidaten kritisiert wurden - schließlich habe der Ex-Hopp-Verein doch viel mehr Geld in seine Mannschaft investiert - eine erstaunliche Argumentation, von der nach Borussias vor allem defensiv desolaten Auftritt beim finanziellen und sportlichen Schlusslicht aus Kiel aber natürlich keine Rede war. Und auch zum Saisonabschluss folgte noch eine krönendes Beispiel im Amateur-Gaslighting: Man habe die "hoch gesetzten" Ziele am Ende leider nicht erreichen können. Dabei erschien die Einstelligkeit nicht nur mit Blick auf den eigenen Kaderwert, das Abschneiden von Vereinen wie Mainz, Freiburg oder Bremen sowie den zwischenzeitlichen 5. Tabellenplatz nur sieben Spieltage vor Saisonende alles andere als überambitioniert. Mehr noch: Virkus selbst hatte noch vor Wochen öffentlich das Erreichen der 50 Punkte, dann sogar Europa als Ziel ausgegeben. Ebenso bedauerlich wie bedenklich, dass Worte und deren Messbarkeit an der Realität bei Borussia aktuell nur noch in einem losen Zusammenhang zu stehen scheinen.
(No) Summer of hope?
So verfestigt sich vor allem ein Eindruck: Es braucht nicht mehr viel, bis die Stimmung rund um den Borussia-Park vollends kippt. Der Verein sollte daher nicht erst auf einen sportlichen Totalabsturz warten, um den früher oder später unvermeidlichen personellen Umbruch auf und neben dem Platz einzuleiten. Und auch wenn aktuell fast jeder Glaube daran fehlt und hier nur die reine Hoffnung spricht: Die lange Sommerpause bietet für Bundesligaklubs immer eine Chance, Entscheidungen und Personalien zu hinterfragen, Offenheit für Veränderung zu zeigen und sich neu aufzustellen. Der ernüchternde und in vielerlei Hinsicht bezeichnende Saisonabschluss sollte dafür noch eine weitere, vielleicht letzte Warnung sein.