Duell der Überraschungs-Teams

Das ist schon eine schwierige Saison. Wie langjährige Leser wissen, besteht die Seitenwahl-Redaktion im Wesentlichen aus einer Gruppe miesepetriger alternder Pessimisten, die eigentlich alles doof finden, seit Allan Simonsen nach Barcelona wechselte und jedes Wochenende nur auf die Bestätigung warten, dass es nun mit dem VFL Borussia Mönchengladbach endgültig den Bach runtergeht. Insofern sind wir voll in unserem Element, wenn das Jahr mit 3 Niederlagen und 0:9 Toren startet, oder unser Verein nach einer roten Karte für den herumirrenden Torwart 0:3 gegen ein Antiteam wie Augsburg verliert. Auf dem Terrain sind wir zu Hause, kennen uns aus, können vortrefflich klagen und auf Anfrage auch formidable Sündenböcke benennen (der mit dem Schnauzbart war es!).

Etwas komplizierter wird es dann aber, wenn die Mannschaft auf einmal 13 Punkte aus 6 Spielen holt und 3-mal in Folge auswärts gewinnt. Ist das noch unsere Borussia? Werden wir nicht irgendwann bitter dafür bezahlen müssen? Da kommt es gerade passend, dass man am Freitag mit dem FSV Mainz auf eine Mannschaft trifft, die noch ein bisschen überraschender als die Borussia ebenfalls für positive Schlagzeilen sorgt. Erinnern wir uns: im Vorjahr lag der FSV nach 21 Spieltagen mit nur einem einzigen Saisonsieg und 12 Punkten eigentlich chancenlos auf einem Abstiegsplatz mit 9 Punkten Abstand auf das rettende Ufer. Dann wurde Bo Henriksen Trainer der Mainzer und holte in 13 Spielen noch 23 Punkte, überholte sogar noch die Gladbacher Borussia und sicherte am Ende auf Rang 13 den Klassenerhalt. Aber nicht nur das: Nach durchwachsenem Saisonstart (nur 2 Siege in den ersten 9 Partien), startete der FSV auch in dieser Spielzeit durch und hat sich inzwischen sogar auf einen Championsleague-Platz geschoben. Die ursprüngliche Einstufung von Henriksen als guten Heiß-Macher und Feuerwehrmann weicht so allmählich der Erkenntnis, dass der Däne wohl auch längerfristig einiges richtig in Mainz macht. Zunächst mal kann der FSV die zweitbeste Abwehr der Liga vorweisen, wobei sich verteidigen in Mainz durch die ganze Mannschaft zieht, die früh, stört und presst und so ziemlich jedem Gegner zuletzt das Leben schwer machte. Unangenehm halt, was unliebsame Erinnerungen an das kürzliche Heimspiel gegen Ausgburg weckt. Während der FCA aber im Prinzip offensiv schwach ist und eigentlich nur gegen Gladbach trifft (22% ihrer Saisontore gegen Borussia, Claude-Maurice persönlich sogar bei 44%), hat der FSV auch im Angriff einiges zu bieten. Jonathan Burkhardt ist trotz immer wieder auftretender Verletzungspausen nach Tim Kleindienst der zurzeit treffsicherste Stürmer in der Bundesliga, im Mittelfeld feiert der Ex Hoffenheimer und Leverkusener Amiri seinen zweiten Frühling und ist Dreh- und Angelpunkt des Mainzer Angriffsspiels.  Wer gesehen hat, wie der FSV am Wochenende in der zweiten Halbzeit RB Leipzig phasenweise an die Wand gespielt hat, weiß, dass da einiges auf die Gladbacher Abwehr zu kommen kann.

Da passt es natürlich weniger gut, dass mit Itakura und Scally gleich zwei Stammkräfte der Borussen-Defensive wegen der fünften gelben Karte gesperrt sind. Immerhin scheint der in Heidenheim angeschlagen ausgewechselte Ullrich wieder rechtzeitig fit zu werden. So werden wohl Lainer und Friedrich in die Stammelf rücken wie wohl auch Omlin im Tor, wobei sein Vertreter Cardoso nach Aussagen Seoanes in der Pressekonferenz immerhin zum Dank für seine solide Leistung in der Vorwoche den Platz auf der Bank einnehmen darf. Ansonsten kann man wohl dieselbe Elf wie in Heidenheim erwarten. Plea scheint dabei beim Trainer wie schon vor seiner Verletzung mehr Vertrauen als Stöger zu genießen und wird nach seiner ordentlichen Leistung bei seinem Comeback in Heidenheim wohl wieder den Vorzug vor dem ehemaligen Bochumer erhalten.

Als Mathematiker mag ich den Begriff des „6-Punkte-Spieles“ nicht so richtig, denn das trifft ja eigentlich auf jedes Spiel zu (hätten wir in Heidenheim verloren, wären wir nur noch 16 Punkte vor denen anstatt 22…wow, das war also ein echtes 6-Punkte-Spiel!), aber am Freitagabend passt es so ein bisschen. Das vordere Mittelfeld der Liga bleibt weiterhin eng zusammen, Platz 4 und 10 trennen nur 5 Punkte. Mit einem Sieg könnte die Borussia direkten Anschluss an die Championsleagueplätze herstellen, bei einer Niederlage kann man auf Platz 10 abrutschen und auf einmal Augsburg im Nacken haben. In beiden Fällen kann es dann aber auch in einer Woche schon wieder gänzlich anders aussehen, wie das halt so ist, wenn die Mannschaften nur durch wenige Punkte getrennt werden. Wir alten Miesepeter von Seitenwahl freuen uns auf jeden Fall, dass es überhaupt die Situation gibt, dass Borussia im letzten Saisondrittel eine Reihe von kleinen Endspielen hat, die zum ersten Mal seit 5 Jahren wieder nach Europa führen könnten. Aber natürlich wissen wir auch, dass Hoffnungen nur dazu existieren, um am Ende enttäuscht zu werden. 

Seitenwahl-Tipps:

Michael Heinen: Borussia liefert den Mainzern einen tollen Fight und verdient sich am Ende - etwas glücklich - ein 1:1.

Mike Lukanz: Borussia ist, immer dann nicht zu punkten, wenn es sogenannte „Big Points“ wären. Burkardt trifft deswegen öfter als Kleindienst, weil bei Borussia die halbe Abwehr fehlen wird: 1:2.

Christian Spoo: Endspiel-Stimmung im Borussia-Park. Die Mannschaft hat plötzlich Druck. Das geht nicht gut aus, Mainz gewinnt verdient und klar mit 3:1. Es ist noch nicht die Zeit für Europa.

Uwe Pirl: Die Mannschaft ist reifer als mancher denkt. Das 4:1 gegen Mainz ist ein großer Schritt Richtung Europa.

Claus-Dieter Mayer: 3:0 ist das neue Standard-Ergebnis der Borussia. Diesmal aber leider wieder für den Gegner, der gegen eine sehr bemühte Borussia das effizientere und abgezocktere Team ist. Borussia bleibt damit schon wieder seit 5 Wochen ohne zwei Siege in Folge!

Michael Oehm: Ich bin mal wieder völlig sinnfrei optimistisch: Borussia hat zuletzt gerade dann überzeugt, wenn man nicht unbedingt auf sie gesetzt hat. Und wer sollte das tun, bei einer Rumpfabwehr ohne Itakura und weiterhin fehlenden Säulen der Mannschaft? 2:1