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seitenwahl 202402072041 BC8T6871Die Saison ist vorbei und alle sind froh. Froh, dem Abstieg oder der Relegation gerade nochmal von der Schippe gesprungen zu sein. Froh, sich nicht noch weitere Wochen unansehnlichen und unmotivierten Fußball im Trikot von Borussia Mönchengladbach anschauen zu müssen. Froh, im Vor- oder Nachbericht zum Spiel nicht schon wieder mehr oder weniger dasselbe über die deprimierenden Darbietungen einer Fohlenelf schreiben zu müssen, die zuletzt eher den Charme von Ackergäulen ausstrahlte. Froh, nicht noch weitere Plätze in der Fernsehgeldtabelle einbüßen zu können. Dass bei Borussia Mönchengladbach – hoffentlich – niemand zufrieden mit der abgelaufenen Saison sein dürfte, versteht sich eigentlich von selbst. Dem entsprechend hat der Verein eine kritische Analyse angekündigt. Wir schließen uns gern an und geben unsere Sicht der Dinge zum Besten.

Borussia Mönchengladbach hat in den letzten Monaten auf sehr verschiedenen Ebenen den Eindruck eines dysfunktionalen Gebildes vermittelt:

seitenwahl 202308261749 IMG 9898Die Gremien

Dass das Präsidium des Vereins überaltert ist und irgendwann einer Erneuerung bedarf, war allgemein bekannt, und zwar nicht erst seit gestern. Die Art und Weise, wie der Wechsel in der unmittelbaren operativen Führung des eingetragenen Vereins umgesetzt wurde, wirft aber Fragen auf. Da ist zunächst der Zeitpunkt. Wenige Wochen vor der Mitgliederversammlung während einer schwierigen sportlichen Phase das Präsidium umzubauen, wirkt als habe man kritischen Diskussionen auf der Mitgliederversammlung aus dem Weg gehen und zugleich einen gewissen vorauseilenden Aktionismus zeigen wollen. Dass jegliche begleitende Kommunikation zu diesem Schritt ausblieb, macht es nicht besser. Da ist aber auch die Zusammensetzung der neuen Vereinsspitze: Mit Hans Meyer, von dem allerdings zuletzt auch sehr wenig zu vernehmen war und dessen operativen Beitrag man schwer einschätzen kann, verließ das einzige Mitglied mit operativ nachgewiesenem Fußballsachverstand das Gremium, von dem so etwas wie kritisches Denken erwartet werden konnte. Ich weiß, Rainer Bonhof war Weltmeister. Rainer Bonhof war aber auch ein sehr erfolgloser Trainer und hat sich in seiner bisherigen Tätigkeit im Präsidium – soweit das nach Außen erkennbar wurde – eher als Grüßonkel betätigt und weniger durch kritische Analysen geglänzt. Die sportliche Kompetenz in der Führung von Borussia Mönchengladbach ist durch die Umbesetzung des Präsidiums jedenfalls nicht größer geworden.

Die Art und Weise, wie Präsidium, Aufsichtsrat und Ehrenrat die Mitgliederversammlung organisiert und abgehalten haben, war ein weiteres schlechtes Zeichen. Dass man aufgrund der Satzungsstruktur nicht mir einer flammenden Anti-Köln-Rede zum Präsidenten gewählt werden kann, hat gute Gründe. Dass aber bereits der Zugang zum Aufsichtsrat durch den Ehrenrat auf mutmaßlich vom Präsidium und/oder Aufsichtsrat vorsortierte Kandidaten eingeschränkt wird, fördert ein Maß an Erstarrung, das sich ein Bundesligaverein nicht leisten kann. Dass die vorab organisierte Ablehnung einzelner Kandidaten auf eine davon komplett überraschte und zunächst hilflos agierende Versammlungsleitung traf, legt nahe, dass man im inneren Kreis des Vereins die Stimmungen im Umfeld nicht mehr wahrnimmt oder jedenfalls nicht einordnen kann.

seitenwahl 202308191513 IMG 8959Das Management

Die sportliche Leitung wird repräsentiert durch den Geschäftsführer Sport, also durch Roland Virkus. Das Organigramm besteht aber nicht nur aus Roland Virkus. Namentlich über Virkus hinaus bekannt sind der als Sportdirektor eingestellte Nils Schmadtke, Steffen Korell als Direktor Scouting sowie Mirko Sandmöller als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums. Idealtypisch würde man sich vorstellen, dass diese Struktur als Team funktioniert und ihre Entscheidungen zusammen mit der kaufmännischen Geschäftsführung in Person von Stephan Schippers auf Basis zum Beispiel vom Scouting sorgfältig zusammengetragener Fakten gemeinsam trifft. Ob das so ist, wissen wir nicht. Zweifel sind mehr als angebracht. Liest man zwischen den Zeilen, ist zum Beispiel die Rolle von Nils Schmadtke völlig unklar. Eingestellt wurde er – so der Wortlaut bei seiner Vorstellung – für Kaderplanung und komplexe Transferangelegenheiten, was eine angesichts seiner Vita nachvollziehbare Stellenbeschreibung war. Gesehen hat man Nils Schmadtke auf der Trainerbank in Spielen und als interessierten Zuschauer bei Trainingseinheiten. Zuletzt war zu lesen, mit der Kaderplanung habe er nichts mehr zu tun, sogar über sein bevorstehendes Aus wurde geraunt. Zudem machen Gerüchte die Runde, dass es wenig Kommunikation zwischen sportlicher Leitung und Scoutingabteilung gäbe. Das wäre, sollte es zutreffen, besorgniserregend.

Auch die nach außen fast schon offensiv zur Schau gestellte Handlungsunfähigkeit des Vereins („Wir können erst Verpflichtungen tätigen, wenn es Verkäufe gab!“) wirkt verheerend. Sie zerstört die Verhandlungsposition sowohl gegenüber potenziellen Käufern abwanderungswilliger Spieler als auch gegenüber interessierten Spielern, die sich mit einem Wechsel nach Gladbach beschäftigen. Denn wer sagt anderen Vereinen ab, wenn in Gladbach – wie mehrfach geschehen: Pacho, Röhl – anschließend eine monatelange Hängepartie droht?  Bei allem Verständnis, ja bei aller Unterstützung für die proklamierte kaufmännische Solidität – diese Haltung führt den Verein in einen Teufelskreis.  

Die Zweifel an der persönlichen Qualifikation von Roland Virkus für seine derzeit bekleidete Position wurden von anderen SEITENWAHL-Kollegen hinreichend formuliert. Ihm ist zugutezuhalten, dass er die Aufgabe in einer nicht einfachen Situation übernommen hat, als der Verein mutmaßlich bereits mehrere Absagen für die Nachfolge des aus dem Ruder gelaufenen Vorgängers gefangen hatte. Ihm ist auch zugutezuhalten, dass der ihm hinterlassene Scherbenhaufen ziemlich groß war. Trotzdem hat Virkus nunmehr 4 Transferperioden Zeit gehabt, um den Umbruch von Borussia Mönchengladbach zu organisieren. Das Ergebnis ist bisher ein steter Niedergang. In der Winterpause der abgelaufenen Saison trotz der unübersehbaren Probleme sowohl auf den defensiven Außenbahnen als auch im defensiven Mittelfeld völlig untätig geblieben zu sein, muss man juristisch wohl als grobe Fahrlässigkeit bezeichnen, die dem Verein beinahe auf die Füße gefallen wäre. Auch wenn wir natürlich nicht wissen, welchen Plan Virkus im Rahmen der Saisonanalyse entwickeln und vorlegen wird - nichts Erkennbares deutet darauf hin, dass es zeitnah besser werden könnte.

Nichts Erkennbares: Das liegt auch an der individuellen Kommunikationsschwäche von Virkus und der des Vereins insgesamt. Dass er eher die Attitüde eines Busfahrers ausstrahlt und für die heutige Medienwelt nicht geschaffen scheint, dafür kann Virkus nichts. Unverständlich ist aber, dass weder er selbst noch der Verein in diesem Punkt gegensteuern. Man könnte Markus Aretz wieder mehr in die erste Reihe stellen. Man könnte Nils Schmadtke eine Plattform geben. Man könnte Christoph Kramer zum Pressesprecher befördern und damit einen Kaderplatz in der Mannschaft freimachen. Aber nichts davon geschieht, stattdessen lässt man zunehmend Gerardo Seoane mit der Außendarstellung der sportlichen Situation allein.   

seitenwahl 202308051529 IMG 2454Der Trainer

Anders als Roland Virkus hat Gerardo Seoane seine grundsätzliche Befähigung für seinen Job bereits nachgewiesen. Seoane war als Trainer dreimal Schweizer Meister und er erreichte mit Leverkusen die Champions League, ehe er dort nach einem zugegebenermaßen desolaten Saisonstart gehen musste. Gerardo Seoane unterscheidet sich insofern wohltuend von seinen beiden Vorgängern, als er – anders als Hütter – die Situation annimmt und nicht über ausgebliebene Transfers lamentiert sowie – anders als Farke – die Situation realistisch einschätzt und nicht schönzureden versucht. Pluspunkte sammelt der Trainer auch damit, dass er jungen Spielern wie z.B. Reitz und partiell Chiarodia, aber auch vergleichsweise unerfahrenen Leuten wie Hack Vertrauen schenkte und damit gut gefahren ist.    

Trotzdem muss auch er sich natürlich die sportliche Situation ankreiden lassen. Aus einer Riege von Nationalspielern und Ex-Nationalspielern wie Lainer, Itakura, Wöber, Elvedi und Weigl, dazu Talenten wie Netz, Scally und Reitz plus gestandenen Spielern wie Friedrich keine funktionierende Defensive formen zu können, ist ein dicker Minuspunkt. Gleiches gilt für manchen Einsatz einiger Spieler auf offensichtlich unpassenden Positionen. Das betrifft insbesondere Ngoumou, der linke Außenbahn offensichtlich nicht kann, und Honorat, dessen Stärken verschenkt werden, wenn er als Schienenspieler die Linie rauf und runter rennen muss.

Auch wenn das sportliche Ergebnis der abgelaufenen Saison ernüchternd ist, spricht viel dafür, mit Seoane weiterzumachen, sofern er im Rahmen der Saisonanalyse ein Bewusstsein für die Probleme der Mannschaft zeigt – was ich angesichts seines problembewussten Auftretens nach außen für wahrscheinlich halte, er heißt ja nicht Rose – und daraus Maßnahmen ableitet, wie diese zu beheben sind.

Bei der Beurteilung der Trainerleistung ist auch zu berücksichtigen, dass Seoane der dritte Trainer mit dem dritten Spielansatz in drei Jahren ist, der in Mönchengladbach nicht die Ergebnisse erreicht, die angesichts der Qualität der Einzelspieler zu erwarten wären.

seitenwahl 202308111759 IMG 4217Die Mannschaft

Womit wir beim letzten Punkt wären, auf dem Platz, wo ja bekanntlich immer die Wahrheit liegen soll. Seit langem bekannt ist, dass die Mannschaft in den letzten Jahren viel Substanz verloren hat, bedauerlicherweise in großen Teilen ablösefrei.

Erst in dieser Saison deutlich auch nach außen sichtbar geworden ist, wie unrund die Mannschaft in mehrerlei Hinsicht zusammengestellt ist.

Da ist zunächst eine gravierende Diskrepanz zwischen Offensive und Defensive, allerdings komplett anders, als das vor der Saison erwartet wurde: Da galten Cvancara und Honorat als Wundertüten, Ngoumou als gescheitert und Hack als von vornherein nicht ernstzunehmender Zweitligaabsteiger. Dem entsprechend richteten sich die Befürchtungen vor allem darauf, ob die Abgänge von Stindl. Hofmann und Thuram kompensiert werden könnten. Wer war nochmal Hofmann? Offensichtlich ist dieser Teil der Kompensation gelungen, was auch statistisch durch die Anzahl der geschossenen Tore nachgewiesen wird.

Defensiv dagegen wähnte man sich durch die Riege der im Trainerkapitel genannten Einzelspieler gut aufgestellt. Was für ein Irrtum!

Fehler Nummer 1: Es gab in Mönchengladbach mit Ausnahme des nicht mehr fitten Jantschke keinen defensiv orientieren Außenverteidiger. Netz, Scally, Ulrich und in Teilen auch Lainer sind Spieler mit einer im Grundsatz offensiven Orientierung, die sich wahlweise eher als Links- oder Rechtsaußen (Netz, Scally) oder aber als dampfmachender Schienenspieler (Lainer) verstehen. In einer Formation mit Viererkette hinter Ngoumou, Hack oder Honorat kommt es aber in erster Linie auf die defensiven Qualitäten an.   

Fehler Nr. 2: Im zentralen defensiven Mittelfeld gibt es keinen defensiv denkenden Strategen. Weigl, der offensichtlich für diese Rolle ausersehen war, ist es nicht bzw. war allein damit überfordert. Reitz – eine der positiven Überraschungen der Saison – ist gegen den Ball bissig und torgefährlich, aber auch aufgrund seiner Jugend und Unerfahrenheit (noch) nicht in der Position, eine solche Rolle auszufüllen. Koné hat überragende Anlagen, war aber leider oft verletzt und macht den Eindruck, dass er weder taktische Disziplin noch das Abspielen im richtigen Moment zu lernen bereit oder in der Lage ist. Stattdessen bringt er seine Mitspieler regelmäßig mit Ballverlusten nach erratisch wirkenden Dribblings in Schwierigkeiten. Neuhaus ist ein wenig wetterfester Zehner, Kramer offensichtlich im Stadium des „nur noch anwesend Seins“ angekommen.

Zu diesen beiden Versäumnissen in der Zusammenstellung der Mannschaft kommt als Fehler Nr. 3 ein gravierender Mangel an Charakter hinzu: Es gibt schlicht und einfach niemanden in der Mannschaft, der in sich die fußballerischen und charakterlichen Fähigkeiten sowie das Standing vereint, um das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und die Mannschaft zu führen. Nico Elvedi zum Beispiel ist in Normalform ein solider Verteidiger, der seinen Aufgaben nachkommt. Er ist aber kein Stranzl, der eine Abwehr führt und wird das auch nicht mehr werden. Im Gegenteil, ohne einen Führungsspieler Typ Stranzl an seiner Seite kommt ihm die notwendige Struktur und damit die Normalform abhanden. Nico Elvedi ist – aufgrund der zahlreichen individuellen und im Grunde nicht wirklich erklärlichen Aussetzer in der Rückrunde – aber nur das plastischste Beispiel für diese Diagnose, die man im Grunde für jeden einzelnen Spieler des Defensivverbundes wiederholen könnte. Auch dieser Mangel an Charakter, an Resilienz ist im Grunde mehr ein Fehler der sportlichen Leitung als einer, den man der Mannschaft vorwerfen könnte. Die haben sich ja nicht selbst in dieser Konstellation zusammengestellt.

Trotzdem muss sich jeder einzelne Spieler fragen lassen, ob er in der abgelaufenen Saison wirklich alles gegeben hat.  Gerade die Körpersprache der Spieler auf dem Platz legt nahe, dass das nicht der Fall ist. Wer nicht versteht, was damit gemeint ist, möge sich zum Vergleich Spiele des SC Freiburg anschauen und die Körpersprache von Spielern wie Günther, Höfler oder Höler beobachten, die von ihrer individuellen Qualität her sicher nicht besser sind als die Gladbacher. Ob es in der Mannschaft ein Motivationsproblem gab, ob einzelne Spieler keine Lust mehr hatten, ob irgendwelche Zerwürfnisse die Struktur zerstörten oder ob Angst und die Negativspirale zu einer psychischen Blockade führten, ist von außen nicht zu diagnostizieren und damit auch nicht seriös zu kommentieren. Fakt ist, auch an dieser Baustelle muss gearbeitet werden.

Ein Berg von Problemen

In der Gesamtschau lässt sich festhalten, dass der Verein derzeit mit einem Berg an Problemen, mit einer Vielzahl von Baustellen konfrontiert ist. Die Analyse der abgelaufenen Saison darf nicht zu einem fröhlichen „Weiter so!“ führen. An vielen Stellen müssen Veränderungen vorgenommen werden. Veränderungen im Mindset des Vereins, bei denen ein Auswechseln einzelner handelnder Personen zwar eine denkbare Variante sein kann, für sich allein aber zu kurz greift. Veränderungen, für die vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch einmal ein begrenztes wirtschaftliches Risiko eingegangen werden muss, ohne den grundsätzlichen Pfad wirtschaftlicher Vernunft zu verlassen. Veränderungen bzw. Erkenntnisse, die aber auch sinnvoll nach Außen kommuniziert werden müssen, damit das Umfeld Verständnis für die Vorgänge im Verein entwickeln kann.

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