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SAP: Schweres Erbe für neuen Betriebsratschef

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		SAP:  Schweres Erbe für neuen Betriebsratschef

Von Barbara Klauß

Walldorf. Vor gut einem Jahr setzte ein spektakulärer Prozess vor dem Heidelberger Landgericht eine Lawine in Gang, die über die Arbeitnehmervertretung und den Aufsichtsrat des größten europäischen Softwarekonzerns, die Walldorfer SAP, hinweg rollte. Zwei hochrangige Betriebsratsmitglieder verließen schließlich das Unternehmen, nachdem schwere Vorwürfe gegen sie erhoben worden waren, und schieden aus dem Aufsichtsrat aus.

Noch immer steht der Verdacht im Raum, dass sich einer der beiden Männer ein Mandat als Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium des Konzerns erkauft hat. Arbeits-, Amts- und Landgerichte in Mannheim und Heidelberg beschäftigten sich mit den Vorgängen. Nicht nur der Ruf des Dax-Konzerns habe gelitten, wie es aus dem Umfeld des Unternehmens heißt. Auch das Ansehen des Betriebsrats der SAP SE, der ohnehin nicht unumstritten ist, trug Kratzer davon. Nun bemühen sich dessen Mitglieder, Vertrauen zurück zu gewinnen. Wie soll es weiter gehen? Und wie konnte es so weit kommen?

> "Gräben beseitigen": In Folge der Skandale rund um den Betriebsrat trat dessen Vorsitzender im Juni von seinem Amt zurück, kurz darauf erhielt er eine außerordentliche Kündigung. Im Juli rückte Klaus Merx an die Spitze des Gremiums, das er bereits von 2015 bis 2018 geführt hatte. Er wolle den Betriebsrat wieder in ruhigere Bahnen lenken und dazu beitragen, die tiefen Gräben zu beseitigen, erklärte er damals.

"Ich bin zuversichtlich, dass es uns in den vergangenen Monaten gelungen ist, unseren Ruf wieder ein Stück weit zu verbessern", sagt Merx nun. Inzwischen stehen bei der Arbeit des Gremiums seiner Ansicht nach die inhaltlichen Differenzen zwischen den 43 Betriebsratsmitgliedern im Vordergrund. Auseinandersetzungen gebe es vor allem um Dinge wie die Struktur des Gehaltssystems oder die Flexibilisierung der Arbeitswelt. "Dass der Betriebsrat als reine Machtoption oder als Sprungbrett in den Aufsichtsrat betrachtet wird – dieses Thema haben wir deutlich zurückgedrängt", meint Merx.

> Arbeitgeber wirbt für Arbeitnehmervertretung: Doch bleibt die Frage nach der Zukunft des Gremiums. Im Frühjahr stehen Wahlen an. Man müsse jetzt schauen, "dass sich genügend kompetente und engagierte Kollegen zur Wahl aufstellen", hatte Merx im Juli gesagt. Ein hochrangiger SAP-Manager erklärte damals, etliche Beschäftigte rümpften angesichts des vielen Zwists die Nase und sagten: "Lasst mich doch in Ruhe mit diesem Chaos-Haufen".

Dennoch zeigt sich der derzeitige Betriebsratsvorsitzende heute überzeugt, dass es genug Bewerber geben wird; er rechnet mit mehr als zehn Listen. Derzeit machten die meisten bereits Werbung für ihre Kandidaten, sagt er.

Zudem greift der Arbeitgeber der Arbeitnehmervertretung unter die Arme: In einem Schreiben an die mehr als 20.000 Beschäftigten warb der Personalchef der SAP in Deutschland, Cawa Younosi, Anfang der Woche unter der Überschrift "Betriebsrat gesucht" darum, sich für die Wahl aufstellen zu lassen. Ihm sei an einem "guten Betriebsrat" gelegen, der die gesamte Vielfalt der Belegschaft repräsentiere, schrieb er. "Nutzt die Chance, es anders zu machen, wenn Ihr gegebenenfalls selbst mal nicht ganz zufrieden mit der Arbeit des Betriebsrats wart." Die Gewerkschaft IG Metall begrüßte die Offensive: "Es ist wichtig, dass das Vertrauen in die Arbeitnehmervertretung wieder wachsen kann", teilte Gewerkschaftssekretär Türker Baloglu am Mittwoch mit.

Merx wird nicht mehr kandidieren. Nach 16 Jahren wolle er noch einmal zurückkehren in seinen angestammten Beruf als Software-Ingenieur, sagt er. Die Querelen in dieser Amtszeit hätten auch dazu beigetragen, dass er keine Ambitionen mehr auf eine fünfte habe. Wichtig ist ihm dennoch zu betonen: "Es waren zwei Kollegen, die sich falsch verhalten und uns dadurch sicherlich einen Rufschaden zugefügt haben." Das aber dürfe die sinnvolle Arbeit der nun wieder 43 Betriebsratsmitglieder nicht in Frage stellen.

> "Falsches Verhalten" zweier Kollegen: Hintergrund der Querelen ist der Vorwurf, dass der Betriebsrat M. (Namen geändert), der zwischenzeitlich Vorsitzender des Konzernbetriebsrats war, sich ein Mandat als Arbeitnehmervertreter im SAP-Aufsichtsrat erkauft haben soll. Bekannt wurde das im November 2020 durch einen ungewöhnlichen Zivilprozess vor dem Heidelberger Landgericht.

Verhandelt wurde über einen Vertrag aus dem Jahr 2012: Darin soll T., damals Mitglied im Aufsichtsrat der SAP, M. versprochen haben, ihm im selben Jahr beim Einzug ins Kontrollgremium zu helfen. T.s Schilderung zufolge wirkte er auf Wahlmänner ein, nicht für deren eigene, sondern für M.s Wahlliste zu stimmen. Gegenleistung sollte demnach die Hälfte von M.s Aufsichtsratsvergütung sein. Dieses Geld – einen mittleren sechsstelligen Betrag – wollte T. nun einklagen. M. jedoch bestritt, dass es eine solche Vereinbarung je gegeben habe und die Unterschrift unter dem Vertrag von ihm stamme. Nach der Wahl, die tatsächlich anders ausging als erwartet, zog M. in den Aufsichtsrat ein.

Das Heidelberger Landgericht wies die Klage im Mai ab. Eine solche Vereinbarung sei grundsätzlich nichtig, da sie gegen das Mitbestimmungsgesetz verstoße, erklärten die Richter. Gleichwohl wiesen sie darauf hin, dass sie, einem Gutachten folgend, die Unterschrift auf dem Vertrag für echt hielten. Ende Juni endete der Prozess endgültig, da sowohl Klage als auch Widerklage zurück genommen wurden.

Zu dem Verfahren äußert SAP sich nicht. Es handle sich um eine privatrechtliche Angelegenheit, heißt es.

> Ruf nach Konsequenzen: Zunächst hatte der Prozess also keine Folgen für den Beklagten. Ein Teil seiner Betriebsratskollegen forderte jedoch Konsequenzen. Kurz darauf begannen – wohl ausgelöst durch Hinweise von Whistleblowern – interne Untersuchungen gegen M. Der Verdacht: Er sollte in erheblichem Ausmaß Urlaub genommen, diesen aber nicht beantragt und so über die Jahre Hunderte Urlaubstage angesammelt haben.

Für die Untersuchung forderte SAP Daten des Betriebsrats an, die M.s Anwesenheit bei Sitzungen sowie seine Urlaubsmeldungen dokumentieren sollten. Dabei kam es zu Auffälligkeiten: Mehrere E-Mails, die M. belastet hätten, verschwanden aus einem Postfach; aus einer Absage wurde der Hinweis "wegen Urlaubs" entfernt. Die Ermittlungen ergaben schließlich, dass der damalige Betriebsratsvorsitzende die Daten manipuliert hatte – mutmaßlich, um seinem Kollegen zu helfen. Er selbst war über die Liste in den Betriebsrat eingezogen, die von M. geleitet wurde.

> Rücktritt und Kündigung: Beide Männer sind seit dem Sommer nicht mehr im Unternehmen. Mit M. einigte man sich "einvernehmlich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses", wie ein Sprecher mitteilte. Er legte alle Ämter im Konzern nieder und ist seither nicht mehr in Erscheinung getreten. Zu den Details vereinbarten die Beteiligten Stillschweigen.

Dem ehemaligen Vorsitzenden der Arbeitnehmervertretung wurde im Juli außerordentlich gekündigt – mit Zustimmung des Betriebsrats. Aufgrund der Manipulation der Daten, die der Mann schließlich eingeräumt hatte, betrachtete SAP eine weitere Zusammenarbeit als nicht zumutbar. Gegen die Kündigung klagte der Mann, musste in der vergangenen Woche jedoch eine Niederlage hinnehmen, als das Arbeitsgericht Mannheim sie für rechtswirksam erklärte. Noch ist gegen das Urteil Berufung möglich.

Auch sein Mandat im SAP-Aufsichtsrat will er nicht kampflos aufgeben. Zwar wurde er im Oktober vom Amtsgericht Mannheim auf Antrag des Kontrollgremiums abberufen, hat gegen diesen Beschluss jedoch Beschwerde eingelegt.

> "Sammelbecken für Selbstdarsteller": Die Ereignisse der vergangenen Monate sind nicht die ersten Skandale im SAP-Betriebsrat. Er steht schon lange im Ruf, auch ein Sammelbecken für zahlreiche Selbstdarsteller und Selbstverwirklicher zu sein, die unterschiedlichen Interessen folgen. Immer wieder brachen Machtkämpfe auf, die zum Teil vor Gericht ausgetragen wurden. Mehr als ein halbes Dutzend verschiedener Vorsitzender gab es in den vergangenen 15 Jahren, begleitet von wechselnden Koalitionen aus Listen mit Namen wie "Stark", "Mut", "Kompetenz gewinnt" oder "Upgrade me".

Schon die Geschichte des Gremiums ist ungewöhnlich: Jahrelang war SAP der einzige Dax-Konzern, in dem es keinen Betriebsrat gab. Mit Händen und Füßen wehrten sich Vorstandssprecher wie Henning Kagermann oder Mitgründer Dietmar Hopp lange Zeit gegen eine vermeintliche Fremdsteuerung des Konzerns. 2006 schrieb Hopp an die Mitarbeiter: "Ein von der IG Metall bestimmter Betriebsrat wird die Erfolgsgeschichte von SAP in Gefahr bringen."

Auch mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter lehnten die Gründung eines Betriebsrats zunächst ab. So konnte die erste Mitarbeitervertretung in Walldorf im Jahr 2006 erst gewählt werden, nachdem drei der Gewerkschaften IG Metall nahestehende Mitarbeiter die Einsetzung eines Wahlvorstands gerichtlich beantragt – also erzwungen – hatten.

Auch wenn die Akzeptanz dem Gremium gewachsen ist – bis heute sehen nicht alle Mitarbeiter das Gremium positiv. Bei der Betriebsratswahl 2018 lag die Wahlbeteiligung bei 46 Prozent. Etliche der Beschäftigten sind der Meinung, dass eine klassische Arbeitnehmervertretung in einem Konzern wie SAP überhaupt nicht nötig sei. Mit den Arbeitsbedingungen in dem Unternehmen, das ein hohes Interesse an der Zufriedenheit seiner Mitarbeiter hat, sind viele der meist gut verdienenden Beschäftigten zufrieden. Zudem geht ein Teil der gut ausgebildeten und hoch qualifizierten Mitarbeiter davon aus, ihre eigenen Interessen selbst am besten vertreten zu können.

> "Reinigendes Gewitter": Nach den Rücktritten im Gremium Anfang Juli sprach Andreas Hahn, Mitglied im Vorstand der Verdi-Gruppe bei SAP, von einem "reinigenden Gewitter". Nun gelte es, das Vertrauen der Belegschaft zurückzugewinnen. "Die Vorgänge bei SAP bringen die betriebliche Mitbestimmung in Misskredit und dürfen sich nicht wiederholen", erklärte Türker Baloglu von der IG Metall in Heidelberg und drängte auf mehr Einfluss: "Eine starke Gewerkschaft würde dieses Treiben beenden."

Das schlechte Bild, das viele Beschäftigte vom Betriebsrat der SAP SE haben, empfindet ein ranghoher Manager des Unternehmens jedoch als nicht gerechtfertigt. Man erlebe schon seit längerem eine große Diskrepanz zwischen dem, was in dem Gremium passiere, und der Wahrnehmung durch die Belegschaft, sagte er im Sommer.

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