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Gewichtheben: "Es bleibt ein Skandal"

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Von Roland Karle

Heidelberg/Speyer. Nach Peking, London und Rio hofft Jürgen Spieß, dass er in Tokio seine vierten Olympischen Spielen erleben wird. In der 94-Kilo-Klasse ist die Konkurrenz groß. Der bald 36-Jährige, der bei der SG Heidelberg-Kirchheim mit dem Gewichtheben begann, schätzt seine Chancen selbst auf 30 zu 70. Heute Abend beim Bundesliga-Spitzenduell seines AV Speyer in Obrigheim (Beginn 19.30 Uhr) will er Kraft und Selbstvertrauen für das "Projekt Olympia" tanken.

Jürgen Spieß, mit fast 36 kämpfen Sie um ein Ticket für Tokio. Was treibt Sie an?

Olympia ist etwas Besonderes: die Athleten aus den verschiedensten Sportarten, der Geist und die Atmosphäre dort. In Tokio dabei zu sein, wäre ein toller Abschluss meiner Karriere.

Würden Sie darauf wetten, dass Jürgen Spieß 2020 bei Olympia dabei ist?

Ich glaube, für mich gäbe es im Wettbüro eine ziemlich hohe Quote. Gefühlt stehen meine Chancen bei etwa 30 zu 70. Im Qualifikationszeitraum, der sich über drei Phasen erstreckt, habe ich leider einige Punkte liegen lassen. Das ist auch der Doppelbelastung durch meine zweieinhalbjährige Ausbildung zum Polizeimeister geschuldet, die ich im August 2019 abgeschlossen habe. Wichtig ist, dass ich mich noch fit und stark genug fühle, um einen Startplatz zu erkämpfen. Wenn das anders wäre, würde ich das Projekt Olympia 2020 abbrechen.

Sie beziehen immer wieder klar und deutlich Position zum Thema Doping, wie zuletzt in der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping – der Herr der Heber" von Hajo Seppelt. Haben Sie sich trotz allem mit den Umständen abgefunden?

Nein, denn das ist und bleibt ein Skandal. Wenn ich daran denke, wie Athleten aus den einschlägig bekannten Nationalverbänden Doping betreiben und nach Wettkämpfen ganz locker und unverblümt darüber reden, das ist unfassbar.

Seit einiger Zeit werden bereits genommene Dopingproben nochmals mit aktuellen Untersuchungsmethoden überprüft. Das hat dazu geführt, dass gedopte Athleten disqualifiziert wurden, und Sie sind vorgerückt.

Das ist einerseits schön, weil zumindest der nachgewiesene Betrug dadurch nicht ungesühnt bleibt. Andererseits ist es ein wenig skurril, wenn man Jahre später einen Brief und eine Urkunde erhält, die einem ein besseres Abschneiden bestätigen. Tatsächlich wurden drei Athleten, die bei Olympia 2008 in der Klasse bis 94 Kilo vor mir platziert waren, bei Nachproben des Dopings überführt und disqualifiziert, sodass ich vom neunten auf den sechsten Rang vorgerückt bin. 2012 in London wäre ich nun Siebter statt Neunter. Die Nachtests für Rio, wo ich Zehnter wurde, stehen noch aus.

Sie können gut mit Frust umgehen, oder?

Ich habe mich entschieden, trotz allem in diesem ungerechten Spiel mitzumachen, weil ich leidenschaftlicher Gewichtheber bin. Aber es gibt Ereignisse, die einen fast verzweifeln lassen. Bei der EM 2017 in Split zum Beispiel wurde ich Fünfter. Alle meine Konkurrenten von Rang eins bis vier sind später wegen Dopings gesperrt worden. Aber weil die Kontrollen bei der EM unauffällig waren, nützt mir das nichts.

In der deutschen Bundesliga dürfen zwei der sechs Plätze in einer Mannschaft mit ausländischen Hebern besetzt werden. Halten Sie das für sinnvoll?

Ich will niemanden unter Generalverdacht stellen, zumal es neben Deutschland weitere Nationen gibt, die ernsthaft Doping bekämpfen. In der Bundesliga heben allerdings auch Athleten aus Ländern, in denen das Gegenteil passiert. Das heißt: Unsere Vereine verpflichten und bezahlen diese Heber, wodurch sie das ganze schiefe System auch noch unterstützen.

Was sollten der Verband und die Vereine also tun?

Darüber nachdenken, ob das eine zukunftsfähige Lösung ist. Wenn in der Bundesliga nur einheimische Athleten starten würden, wäre das sicher auch ein größerer Anreiz für den eigenen Nachwuchs. Der österreichische Gewichtheber-Verband praktiziert das meines Wissens so.

Heute Abend treten Sie mit dem AV Speyer in Obrigheim an. Ein Wettkampf, dem Sie nach so vielen Jahren im Gewichtheben noch entgegenfiebern?

Ich hebe seit mehr als zehn Jahren für den AV Speyer, bin Kapitän der Mannschaft und fühle mich dem Verein verbunden. Da ist es selbstverständlich, dass ich in einem solchen Duell alles raushaue.

Wenn Sie heute Ihre Karriere beenden würden, was wäre Ihr Fazit?

Ich bin schon jetzt, egal wie die Qualifikation für Tokio ausgeht, mit meiner internationalen Laufbahn sehr zufrieden. Vor allem, wenn ich bedenke, dass ich mich stets zum letztmöglichen Zeitpunkt für die drei Olympischen Spiele qualifiziert habe. Das waren extrem spannungsgeladene Wettkämpfe, in denen der letzte Versuch darüber entschied, ob ich es schaffe oder nicht.

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