„Eine gute Markenbildung ist die Kür, sondern eine Überlebensstrategie des Sports.“ – Interview mit Marco Kehrenberg
„Eine gute Markenbildung ist die Kür, sondern eine Überlebensstrategie des Sports.“ – Interview mit Marco Kehrenberg
29. April 2025| Marc Fasthoff
Marco Kehrenberg hat früher in der niederländischen Eredivisie – der 1. Liga der Niederlande – Handball gespielt und ist heute als Experte für strategisches Sportmarketing tätig. Er war für verschiedene Projekten rund um Markenstrategie, Sponsoring, Content, Medien und Sichtbarkeit im Sport tätig und will mit der Plattform SPORT IQ Spielern ibei ihrem Markenaufbau unterstützen. Im Interview erklärt Kehrenberg, welchen Mehrwert es für Sportler, aber auch Trainer und Schiedsrichter gibt, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen – und warum es der Sportart Handball in seiner Gesamtheit helfen würde.
„Eine gute Markenbildung ist die Kür, sondern eine Überlebensstrategie des Sports.“
Marco Kehrenberg hat früher in der niederländischen Eredivisie – der 1. Liga der Niederlande – Handball gespielt und ist heute als Experte für strategisches Sportmarketing tätig. Er war für verschiedene Projekten rund um Markenstrategie, Sponsoring, Content, Medien und Sichtbarkeit im Sport tätig und will mit der Plattform SPORT IQ Spielern ibei ihrem Markenaufbau unterstützen. Im Interview erklärt Kehrenberg, welchen Mehrwert es für Sportler, aber auch Trainer und Schiedsrichter gibt, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen – und warum es der Sportart Handball in seiner Gesamtheit helfen würde.
Herr Kehrenberg, warum lohnt es sich, sich als Spieler oder Trainer mit der eigenen Marke zu beschäftigen?
Eine gute Marke kann persönliche Vorteile bringen, aber es hilft – größer betrachtet – auch dem Handballsport an sich, wenn ich mit meiner Marke Aufmerksamkeit auf die Sportart ziehe. Auf persönlicher Ebene kann eine gute Marke den Unterschied machen, ob jemand eine Vertragsverlängerung bekommt oder nicht, ob er oder sie einen neuen Verein oder eigene Sponsoren findet oder ein Abschiedsspiel erhält.
Und inwiefern hilft die Marke eines Spielers oder Trainer dem Handballsport?
Wir leben in einer Aufmerksamkeitsökonomie und Handball steht nicht nur in Konkurrenz zu anderen Sportarten, sondern auch zu anderen Unterhaltungsangeboten. Ich habe den Eindruck, dass wir als Handball aktuell zurückliegen – und dann müssten wir im Vergleich eigentlich mehr machen, um den Rückstand aufzuholen, aber das machen wir nicht. Der Fußball und alle neuen Sportformate machen mehr. Am meisten wundert mich, dass wir unsere stärksten Assets – die Spieler – gar nicht einsetzen. Es herrscht größtenteils Funkstille, obwohl sich unsere Sportart immer für ihre Charaktere rühmt.
Machen wir einen Schritt zurück: Was verstehst man überhaupt darunter, als Spieler oder Trainer eine Marke zu sein?
Es geht um Authentizität; darum, die eigenen Werte, die eigenen Prinzipien ebenso optimal wie authentisch nach Außen zu kommunizieren und dafür nicht nur wahrgenommen, sondern auch geschätzt werden. Es geht darum, seine eigene Geschichte zu finden, die man erzählen will.
Wenn wir im Handball immer unsere echten Charaktere betonen, die es in anderen Sportarten nicht gibt, bedeutet aber auch, dass wir dabei Ecken und Kanten zulassen müssen. Ein Beispiel: Silvio Heinevetter hat in seiner Karriere Aktionen gehabt, wo er über die Stränge geschlagen ist, aber das ist ein Teil dessen, was ihn ausmacht – und damit ein Teil seiner Marke, und ein Teil dessen, was auf die Zuschauer und Sponsoren wirkt und was die Aufmerksamkeit der Menschen in den Handball zieht.
Bei welchen Spielern oder Trainern hat genau das – sich als Marke zu platzieren – aus Ihrer Sicht geklappt?
Eins der prominenten Beispiele ist sicherlich Pascal Hens. Er hat es sogar über seine Frisur geschafft, ein Merkmal zu schaffen, das auf seine Marke einzahlt. Mit ihm verbindet man unmittelbar den Irokesenschnitt. Er ist mit seiner Marke sogar aus dem Handball herausgewachsen und hat neue Zielmärkte erschlossen. Das zeigt die Power, die dahinterstecken kann. Es ist natürlich nicht nur der Irokesenschnitt; die ganze Art der Kommunikation war und ist geschickt gemacht.
Im Vorgespräch erwähnten Sie zudem Misha Kaufmann…
Absolut. Misha Kaufmann hat für sich verschiedene Wegen gefunden, nach Außen zu kommunizieren, was ihn ausmacht. Unter Handballkennern gilt er als jemand, der auch mit unüblichen Lösungen auf dem Spielfeld agiert – man denke alleine an den vierten Rückraumspieler, der Aufmerksamkeit zieht und ihn als Experte positioniert. Und das lebt er weiter, indem er auf seinem Instagram-Kanal anderen Trainern Tipps und Tricks vermittelt, zeigt, wie er seine Übungen aufbaut und jeden Monat ein Q&A veranstaltet, wo man ihm Fragen stellen kann.
Mittlerweile hat er rund 30.000 Follower bei Instagram, was deutlich mehr ist als die 17.000 Follower seines aktueller Arbeitergebers ThSV Eisenach sind. Das zeigt, wie viel Sehnsucht es bei Handballfans nach dieser Art von Inhalt und nach Persönlichkeiten gibt, die bereit sind, sich durch Aussagen und ihr Handeln aus der Masse herauszuheben. Menschen folgen nun einmal lieber Menschen und so schafft es Misha Kaufmann ein deutlich größeres Publikum zu erreichen als sein Verein.
Das dürfte aus Vereinssicht vielleicht gar nicht so optimal sein …
Im Gegenteil: Wenn Spieler und Trainer sich kommunikativ so gut entwickeln, dann profitieren am Ende der ganze Verein und der ganze Sport, denn mehr Sichtbarkeit bedeutet mehr Aufmerksamkeit, mehr Fans, mehr Sponsoren. Dafür brauchen diese Personen eine gewisse Art von Rückendeckung; sie dürfen keine Angst vor Fehlern haben. Wenn ein Misha Kaufmann, ein Pascal Hens oder ein Silvio Heinevetter immer den Kopf eingezogen hätten, wären sie nicht da, wo sie heute sind. Christian Zeitz oder Mimi Kraus wären weitere Beispiele für Spieler, die es geschafft hat, sich eine Marke aufzubauen – und als Trainer darf man natürlich den Handball-Professor Rolf Brack nicht vergessen.
All diese Beispiele sind Nationalspieler und Bundesligatrainer. Ist dieses Niveau notwendig, um sich eine Marke aufzubauen?
Die sportliche Leistung hat gar nicht so viel damit zu tun, wie du auf den sozialen Medien wahrgenommen wirst – und teilweise ist das sogar gar nicht das, was gefragt ist. Ein Beispiel: Ein großer Sportartikelhersteller suchte letztes Jahr Markenbotschafter, aber sie wollten ganz bewusst keinen Nationalspieler. Die Voraussetzung waren nur, dass dieser Handballer 10.000 Menschen auf Instagram erreichen kann. Diese Marke erreicht nicht jeder Nationalspieler; dafür eine Zweitligaspielerin wie Josefin Schneiders.
Was folgt daraus?
Es braucht gerade die Breite im Handball, um viel mehr Menschen mit unserer Sportart zu erreichen. Das ein Nationalspieler natürlich viel bessere Voraussetzungen hat, weil er im Spotlight steht, ist klar, aber Josefin Schneiders oder Matteo Menges zeigen, das die Türen offen stehen. Denn Nationalspieler oder Nationaltrainer zu sein, reicht nicht aus – wenn du überhaupt etwas machst, zeigen sich hingegen schnell Effekte.
Moritz Ende hat über zwei Monaten bewusst mehr gemacht und dadurch knapp 5.000 Follower dazu gewonnen – damit liegt er schon auf dem Niveau des ein oder anderen Nationalspielers. Sein Beispiel zeigt, dass solche Inhalte konsumiert werden wollen. Man muss sich trauen – und dann kann man auch aufgrund des mangels an Konkurrenz sehr schnell in Reichweiten vorstoßen, die bei einem durchschnittlichen Nationalspieler liegen. Das wäre im Fußball undenkbar, im Handball ist es jedoch größtenteils ein unbestelltes Feld.
Ein Beispiel aus dem Fußball: Der junge Schiedsrichter Pascal Martin hat sich als QUALLE eine Marke aufgebaut und erreicht mehr Menschen als die Spitzenschiedsrichter.
Genau, das gleiche Prinzip gilt auch für Schiedsrichter. Es sollte sich aktuell jeder im Handball fragen, was er persönlich zum Wachstum unserer Sportart beitragen kann. Nur Dyn, die HBL und der DHB werden unseren Sport nicht auf das nächste Level heben. Es reicht einfach nicht mehr, nur dabei zu sein, jeder muss aktiv werden! Wenn ich von Wachstum rede, meine ich übrigens nicht ausschließlich wirtschaftliche Kennzahlen, sondern es kann auch ein Ziel sein, die Anzahl der Mitglieder, der Spieler, Trainer oder Schiedsrichter, zu erhöhen.
Gerade Schiedsrichter und Trainer im Ehrenamt werden im Handball verzweifelt gesucht …
Es werden seit Jahren enorme Programme aufgefahren, um neue Trainer oder Schiedsrichter zu gewinnen, aber es würde mehr helfen, wenn es einen Trainer oder einen Schiedsrichter gäbe, der authentisch kommuniziert, wie er seinen Weg gegangen ist und welche Vor- und Nachteile sein Amt hat. Jens Vortmann ist beispielsweise eine unglaubliche Chance für das deutsche Schiedsrichterwesen: Ein bekannter Akteur, von seinen Mitspielern und Fans geschätzt, steigt jetzt dort ein! Jens Vortmann kann der Leuchtturm des Schiedsrichterwesens werden, wenn er sich eine gute Kommunikationsstrategie überlegen und umsetzen würde, wie er den Weg zum Bundesligaschiedsrichter bestreiten will. Aber dann lese ich in einem Interview, dass er erstmal gucken will, wie es läuft. So wird das Potenzial dieser Story verschenkt.
Wie meinen Sie das?
Das ist eine Sache, an der wir generell in unserem Sport arbeiten müssen: Die Protagonisten müssten sich große Ziele stecken und bereit sein, die Menschen mitzunehmen. Das ist ein Storytelling, was funktioniert. Sie müssten sich ihrer Rolle bewusst werden, das reflektieren und schauen, wie sie ihre Geschichte erzählen können, damit es den Sport weiterbringt. Es reicht nicht, wenn alle den Kopf einziehen und sich darauf verlassen, dass Verband, Liga oder ein Medium wie Dyn es schon richten wird.
Sie sprechen sehr viel von Followern und Sozialen Medien. Geht es heute nur noch so? Oder, anders gefragt: Kann man sich eine Marke ohne Soziale Medien aufbauen?
Es geht nicht nur um riesige Followerschaft, man kann auch auf eine andere Art und Weise Botschafter für seinen Sport sein. Andrea Petkovic aus dem Tennis beispielsweise kommt mir nicht als Erstes in den Sinn, wenn ich an eine große Followerschaft bei Instagram denke, aber sie hat ihre eigenen Kanäle gefunden. Sie hat schon während ihrer aktiven Karriere Kolumnen für Tageszeitungen geschrieben – und das nicht nur zu Tennisthemen, sondern auch zu Popkultur und Gesellschaft. So hat sie sich eine gewisse Reputation erarbeitet, was wiederum dazu geführt hat, dass sie schon während ihrer Karriere als Expertin angefragt wurde. Ein anderes Beispiel ist der Fußballer Christoph Kramer, der seit Wochen mit seinem Debütroman oben in der Bestsellerliste steht. Sportler sind eben nicht nur Sportler! Wir sollten durchaus alle Akteure im Handball ermutigen, auch neue Wege zu gehen und sich nicht nur das klassische Instagram-, Facebook- oder Tiktokprofil anzulegen, sondern zu schauen, was geht.
Was würden Sie sagen, wenn von Vereinen oder Verbänden die Sorge geäußert wird, dass so ein Markenaufbau eine Ablenkung vom eigentlichen Ziel – dem sportlichen Erfolg als Spieler, Trainer oder Schiedsrichter – ist?
So eine Haltung ist zu kurzfristig gedacht. Ich würde mir vielmehr wünschen, dass wir Spieler und Trainer ermutigen, sich auszuprobieren und jedes zarte Kommunikationspflänzchen zu unterstützen, denn letztendlich profitieren eben alle im Handball davon, wenn Spieler, Trainer oder Schiedsrichter eine Marke aufbauen, denn es hilft – ich sagte es bereits – mehr Sichtbarkeit zu generieren und dadurch neue Sponsoren in die Sportart zu ziehen. Und nur so gelingt es, Vereine wachsen zu lassen, die langfristige sportliche Entwicklung zu verbessern und den Sport voranzutreiben.
Wir müssen verstehen, dass eine gute Kommunikation und Markenbildung nicht die Kür sind, die man macht, wenn man Zeit neben dem Handball findet, sondern durchaus eine Überlebensstrategie des Sports. Die Baller League und die Icon League basieren nicht auf dem sportlichen Geschehen, sondern es sind Kommunikationskanäle, die genutzt werden, um an die junge Zielgruppe heranzukommen. Sie haben, obwohl oder gerade weil es nicht primär um den Sport geht, ein Vielfaches der Reichweite, die die sportlich hochwertige DAIKIN HBL bekommt. Wir können eigentlich nur neidvoll auf diese Wachstumszahlen schauen. Wenn wir uns im Handball nur auf das Sportliche konzentrieren, wird das noch einige Zeit gutgehen, aber so entwickelt man keine Sportart und auch keinen einzelnen Verein langfristig weiter.
Dass sich Vereine als Marke sehen, ist durchgedrungen, wie man beispielsweise bei den Galliern von der Alb sieht. Was wäre der erste Schritt, den Sie für Spieler oder Trainer empfehlen können, die eine Marke aufbauen wollen?
Ein Blick zuerst auf die Vereine: Bei Vereinen hat es sich tatsächlich schon vor einem guten Jahrzehnt etabliert, das jeder einen Markennamen zum Leben erwecken will. Das hat mehr oder weniger gut funktioniert. Inzwischen fragen sich die Vereine im nächsten Schritt, wofür sie aktuell stehen und wofür sie in der Zukunft stehen wollen. Die Füchse Berlin haben sich beispielsweise auf die Fahnen geschrieben, der nachhaltigste Handballverein der Welt werden zu wollen und sie sind sehr gut damit gefahren, weil sie damit neue Sponsoren angezogen haben, die sich für genau das Thema interessieren. Das gilt ähnlich für Spieler.
Inwiefern?
Vereinfacht gesagt: Du ziehst in der Regel das Publikum an, das zu deiner Geschichte passt. Dazu gehört aber im ersten Schritt, dass du dir selbst erstmal im Klaren sein musst, was deine Werte und Prinzipien sind und was deine Story ist, die du den Leuten dort draußen vermitteln möchte. Dafür ist viel Reflexion notwendig, weil ein Verständnis für die eigene Rolle unabdingbar ist. Genau an diesem Punkt setzt mein neues Projekt SPORT IQ an, wo ich solche Fragen mit Spielern durchgehe. Was bin ich für ein Mensch? Wie positioniere ich mich? Wie kommuniziere ich entsprechend zu meinen Werten und Prinzipien; ohne, dass ich mich verstellen muss oder nach außen ein gekünsteltes Bild vermittele?
Und für Trainer?
Dort sehe ich das genauso. Im Fußball gelingt es im Trainerbereich bereits viel besser, sich eine Marke aufzubauen. Felix Magath wurde beim VfL Wolfsburg zu Quälix; das vermittelte sofort ein bestimmtes Gefühl und damit war er sehr erfolgreich, weil die Menschen mit ihm sofort etwas verbunden haben. Irgendwann hat es sich allerdings abgenutzt, was zeigt, dass du dich aktiv um deine Marke kümmern musst. Es reicht nicht, sich einmal ein bestimmtes Image zu erarbeiten, um jahrzehntelang erfolgreich zu sein.
Da Trainer in der Regel deutlich länger im Geschäft sind als Spieler, ist es für sie umso wichtiger. Es ist ein aktives Geschehen, die Marke zu formen, zu beleben und weiterzuentwickeln. Da gibt es im Handball nicht so viele Charaktere, denen das gelungen ist. Stefan Kretzschmar ist sicherlich einer, der es geschafft hat, ansonsten fallen mir nicht viele gelungene Beispiele ein. Ich kann mich nur wiederholen: Wir brauchen im Handball mehr Charaktere, die bereit sind, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sich in der Öffentlichkeit zu positionieren.
Einem Misha Kaufmann wird es definitiv geholfen haben, dass er nicht als der normale Trainer wahrgenommen wurde, sondern neue Dinge ausprobiert hat. Andere Trainer sind ebenso lange in der Bundesliga wie er, aber bei ihnen fällt mir nicht viel ein, wofür sie stehen – und ich habe nicht den Eindruck, dass die Fans auf die Barrikaden gehen würden, wenn diese Trainer sich mit Verein verkrachen. Das ist nur möglich, wenn du es schaffst, als jemand wahrgenommen zu werden, der authentisch ist.