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„Wenn du einen faulen Apfel hast, kann dir alles um die Ohren fliegen.“ – Interview mit Heike Ahlgrimm

„Wenn du einen faulen Apfel hast, kann dir alles um die Ohren fliegen.“ – Interview mit Heike Ahlgrimm

Februar 5, 2025| Marc Fasthoff

Heike Ahlgrimm ist seit knapp zehn Jahren Cheftrainerin der HSG Bensheim/Auerbach. Die 49-Jährige führte die Flames 2017 zunächst in die 1. Bundesliga, bevor 2023 mit der Qualifikation für das Finale des DHB-Pokals und 2024 mit der Deutschen Vize-Meisterschaft neue Meilensteine gesetzt wurde. Ein Faktor für die Erfolge: Eine gute Chemie im Team. Worauf muss man als Trainer bei der Mannschaftszusammenstellung achten und welche Erfahrungen sie gemacht hat, verrät Ahlgrimm im Interview.

Ob in der Bundesliga oder der Oberliga: Jeder Trainer steht vor der Aufgabe, ein funktionierendes Team zusammenzustellen. Was ist aus deiner Erfahrung der erste Schritt?

Du musst gucken, ob die Spielerin ins Team passt – nicht nur spielerisch, sondern auch charakterlich, menschlich und finanziell. Ich habe mich in vielen Situationen gegen eine wirklich gute Spielerin entschieden, weil ich nicht der Meinung war, dass sie charakterlich oder menschlich gut in die Mannschaft passen würde. Das ist für mich extrem wichtig. Wir haben auch immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass es finanziell passt, denn wenn man das bestehende Gehaltsgefüge für eine Spielerin sprengt, kann es einem leicht um die Ohren fliegen.

Wie ist das Verhältnis zwischen Rationalität und Bauchgefühl bei solchen Entscheidungen?

Das kann ich nicht beziffern, aber bei mir spielt das Bauchgefühl schon eine große Rolle. Das Gute ist, dass man sich oft vorher kennt – wir haben Spielerinnen verpflichtet, gegen die wir vorher schon gespielt haben oder aus anderen Begegnungen in der Handball-Familie kennt. Es gibt natürlich auch viel Hörensagen, da hilft es, eigene Eindrücke zu haben.

Woran machst du fest, ob eine Spielerin in die Mannschaft passt?

Sie braucht einen guten Charakter. Plump ausgedrückt: Ich brauche keine Egoistin, sondern eine mannschaftsdienliche Spielerin. Ich brauche eine Spielerin, die alles für den Handball investiert. Ich brauche eine Spielerin, die unbedingt will! Das ist mir ganz wichtig; eine Spielerin muss wirklich zu uns wollen. Das sucht man zumindest; ob man es kriegt, ist etwas anderes (schmunzelt). Und natürlich guckt man als Trainer auch, ob eine Spielerin taktisch ins System passt – wir suchen zum Beispiel gerne abwehrstarke Spielerinnen, die ins Tempospiel gehen können.

Wenn du sagst, es brauche grundsätzlich einen guten Charakter, gibt es ja trotzdem unterschiedliche Typen. Worauf ist bei der Zusammenstellung zu achten?

Das ist nicht immer einfach, das stimmt. Eine Mannschaft braucht natürlich Führungsspieler und auch für einen Trainer ist es wichtig, zwei, drei Leute im Team zu haben, die vorweg gehen können und ihre Meinung sagen. Du brauchst aber natürlich auch nicht zehn Alphatiere, sondern ebenso Spielerinnen, die charakterlich „neutral“ sind und es wird auch immer Spielerinnen geben, die nur mitlaufen. Das ist auch okay und darauf muss man natürlich achten, dass die Zusammenstellung auch unter diesem Gesichtspunkt passt.

Kommunizierst du potenziellen Neuzugängen schon vor dem Wechsel, in welcher Rolle du sie siehst – oder findet sich das innerhalb des Team?

Das kommt darauf an. Als Trainer kommt man natürlich vor dem Wechsel immer miteinander ins Gespräch, ich sage sportlich, was ich erwarte und wie ich sie sehe, aber es gibt immer Unterschiede. Manchmal muss man gar nicht viel reden, weil es klar ist – bei einer so erfahrenen Spielerin wie Kim Irion war es keine Frage, welche Rolle sie einnehmen wird. Bei jungen Spielerinnen ist es jedoch wichtig, dass sie klar wissen, wo ich sie sehe und welche Rolle sie spielen sollen. Das ist allerdings nicht immer planbar.

Inwiefern?

Ich hatte Spielerinnen, die in der ersten Saison als Nummer Drei auf einer Position eingeplant waren, aber dann bereits schnell eine viel größere Rolle einnehmen. Das entwickelt sich; man weiß gerade bei jungen Spielerinnen nie, welche Fortschritte sie machen, wie sie erwachsen werden und sich in die Mannschaft einfügen. Eigentlich ist es oft einfach: Wer Leistung bringt, steigt innerhalb der Mannschaft im Standing und wird dann automatisch einbezogen.

Wie wichtig ist ein Probetraining, bevor man sich für oder gegen den Wechsel bzw. die Verpflichtung entscheidet?

Wenn wir die Spielerin beispielsweise aus der Liga kennen, ist ein Probetraining keine Pflicht, aber bei Spielerinnen, die aus dem Ausland oder auch der 2. oder 3. Liga kommen, machen wir das schon. Es gibt auch Erstliga-Spielerinnen, die von sich aus um ein Probetraining bitten, weil sie gucken wollen, welches Gefühl sie haben, wie mein Training ist oder wie die Mädels sie aufnehmen.

Dass neue Spieler in eine Mannschaft kommen, gibt es sowohl in der Bundesliga als auch im Amateurhandball in jedem Jahr. Wie kann man als Trainer diesen Prozess der Integration bzw. Mannschaftsfindung begleiten.

Das ist eine Situation, die nicht immer einfach ist, weil sich durch Abgänge und neue Spielerinnen immer etwas in der Mannschaft verschiebt. Wir legen daher in der Vorbereitung einen großen Wert auf die Teamfindung. Es ergibt sich automatisch viel, wenn man im Trainingslager oder auf Turnieren ist, weil man gemeinsam unterwegs ist und Zeit miteinander verbringt. Auch Teamevents gehören dazu. Jede, die neu uns kommt, gestaltet einen Abend selbst, zu dem sie die Mannschaft einlädt. Manchmal schreiben wir bei Aufwärmspielen Plus und Minus auf und dann müssen diejenigen, die verlieren, ein Kabinenfest für die ganze Mannschaft geben. So beschäftigen sich die Mädels miteinander, das klappt gut.

Welche Möglichkeiten hat der Trainer außerdem?

Ich teile beim Trainingslager hin und wieder die Zimmer ein – zum Beispiel positionsmäßig, damit sich auch Spielerinnen miteinander beschäftigen, die vielleicht sonst nicht so viel zu tun haben. Früher habe ich im Jugendbereich sogar eingeteilt, wer im Bus wo sitzt, damit nicht immer die gleichen Spielerinnen zusammenhocken. Dass es sich mischt, ist in gewisser Weise auch deine Verantwortung als Trainer. Da lege ich viel Wert drauf.

Wie viel Zeit braucht eine Mannschaft, um sich nach einer Neugestaltung zu finden?

Wenn viele Spielerinnen schon länger dabei sind und das Team immer nur mit zwei, drei Spielerinnen punktuell ergänzt wird, kann es relativ schnell gehen. Bei mehreren Wechseln kann es auch länger dauern. Mein Richtwert: Ich sage, dass eine neue Spielerin circa ein halbes Jahr braucht, um spielerisch bei uns anzukommen. Menschlich ist etwas anderes, aber spielerisch sieht man immer wieder und in jedem Verein, dass Neuzugänge einfach Zeit brauchen.

Inwiefern liegt das an dem spielerischen Niveau? Sprich: Geht es in der Bezirksliga schneller als in der Bundesliga?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber, dass es keinen großen Unterschied macht, denn man muss in jeder Liga erst einmal lernen, wo die neue Mitspielerin hinläuft. Das mag in der Bezirksliga vielleicht nicht so ins Detail gehen, aber dafür ist der Trainingsumfang ja auch anders. Und bis ein blindes Verständnis besteht, dauert es noch länger. Kim Irion ist seit anderthalb Jahren bei uns und jetzt kommen ihre blinden Pässe auf Isabell Hurst an. Am Anfang wurden die Bälle hin und wieder nicht gefangen. So etwas zu perfektionieren, dauert auch auf unserem Niveau.

Inwiefern hilft dir deine Erfahrung aus deiner Spielerzeit; dass du also weißt, wie es für ein Team ist, sich zu finden?

Wenn man länger Trainer ist, weiß man generell, was funktioniert, aber der Handball entwickelt sich, unsere Sportart entwickelt sich. Man muss immer wieder auch über den Tellerrand schauen, denn das, was letztes Jahr funktioniert hat, greift vielleicht im nächsten Jahr schon nicht mehr. Dann gilt es zu gucken, was man verändern muss, um den richtigen Weg zu finden. Klappt das eine nicht, muss man das nächste ausprobieren – und das geht nur mit Erfahrung.

Was wäre in diesem Punkt dein Tipp für Trainerkollegen?

Immer weitermachen! Das klingt banal, aber letztendlich ist es der entscheidende Punkt. Es gibt immer wieder Rückschläge; es werden immer wieder Dinge nicht mehr funktionieren, aber dann muss weiter arbeiten, damit es wieder besser wird. Manchmal ist man dann als Trainer auch überfragt, man findet einfach keinen Grund und weiß nicht weiter, aber man muss weitermachen und positiv bleiben. Auch bei uns geht es aktuell hoch und runter; wir kriegen eine Klatsche in der Bundesliga und gewinnen wenige Tage später im Europapokal – und ich weiß einfach nicht, woran es liegt.

Wie gehst du damit um?

Ich beobachte, ich höre zu und ich versuche, auch viel in den Dialog zu gehen und die Spielerinnen einzubeziehen. Ich frage: Was braucht ihr als Mannschaft? Was braucht ihr, damit es funktioniert? Für solche Situationen sind ein Kapitän und eine Mannschaftsrat sehr sinnvoll; egal, in welcher Liga. Wenn es Probleme gibt, können natürlich alle Spielerinnen zu mir kommen, aber ich kann nicht immer mit allen 16 Spielerinnen sprechen. Daher ist eine Vertretung wichtig, die im Namen des Teams sprechen kann. Und manchmal muss man einfach weitermachen, denn es gibt Situationen, für die es keine Begründung gibt.

Das dürfte nicht einfach sein …

Definitiv nicht. Man muss es aushalten können, dass es nicht auf jedes Problem eine Antwort gibt. Ich habe inzwischen gelernt, dass in solchen Situationen manchmal weniger mehr bringt. Früher habe ich trainiert, trainiert, trainiert, damit es wieder besser wird, inzwischen gebe ich den Mädels aber auch mal zwei Tage frei. Manchmal hilft das, damit der Kopf danach wieder frei ist.

Wann sollte ein Trainer eingreifen, wenn er merkt, dass die Mannschaft sich trotz aller Bemühungen nicht findet oder es im Team einfach nicht funktioniert?

Das hängt von der Situation ab. Man kann gucken, ob man mit Teamevents noch etwas bewegen kann, mit Einzel- oder Teamgesprächen oder durch die Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer. Es ist natürlich für viele Vereine auch eine finanzielle Frage, was für Möglichkeiten es gibt. Manchmal muss man da auch einfach durch, denn es muss nicht jeder mit allen befreundet sein. Wir haben nicht 16 Freundinnen, es gibt Reibungspunkte, aber solange sie auf dem Feld es ordentlich machen, ist es okay. Und man hat nun einmal auch 16 unterschiedliche Charaktere in der Mannschaft, die 16 unterschiedliche Rucksäcke mitbringen. Das muss einem bewusst sein. Wenn es aber partout nicht funktioniert, wenn du einen faulen Apfel in der Mannschaft hast, kann dir alles um die Ohren fliegen. Da musst du eine Entscheidung treffen und eventuell muss man sich dann auch wieder trennen.

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