Der Kreis schließt sich
Es war ein denkwürdiger Tag in der Borussen-Geschichte, dieser 6. April 2025. Eine Woche zuvor war die Elf von Gerardo Seoane durch einen 1:0-Erfolg über RB Leipzig auf den 5. Tabellenplatz geklettert – mit Tuchfühlung zu den Champions-League-Rängen. Träume von Europa waren angesichts des machbar scheinenden Restprogramms nicht übertrieben. Insbesondere Königstransfer Kleindienst belebte den Angriff und selbst die notorisch unterperformende Defensive sah mit 40 Gegentoren aus 27 Partien noch halbwegs ordentlich aus.
Es folgte jener ominöse Sonntagnachmittag im April, an dem Borussia ans Millerntor reisen musste. Der abstiegsbedrohte Aufsteiger startete überraschend forsch in die Partie. Kurz vor dem Halbzeitpfiff schien die Partie dann aber ihren erwarteten Gang zu nehmen. Ko Itakura brachte die Fohlenelf nach Ecke Honorat in Führung. Doch die Kiezkicker gaben sich nicht auf und drängten in Halbzeit zwei vehement auf den Ausgleich. In Minute 85 wurden sie dafür belohnt und hätten sich in der Folgezeit sogar noch fast den Siegtreffer verdient. Am Ende blieb es für Borussia bei einem schmeichelhaften 1:1.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand, dass es der Anfang einer katastrophalen Serie von (mindestens) 15 sieglosen Ligaspielen in Folge sein würde. Der Traum von Europa zerplatzte binnen weniger Wochen. Die in dieser Zeit zunehmend erkennbaren Schwächen im Kader wurden in der Sommerpause weitgehend ignoriert, Trainer und Sportdirektor folgerichtig – wenngleich viel zu spät – ausgetauscht.
Anstatt um Europa zu kämpfen, steht die Mannschaft nun vor ihrer nächsten Reise ans Millerntor am Tabellenende und muss ernsthaft um den Ligaerhalt bangen. Nach dem 3:1-Erfolg unter der Woche im Pokal besteht die große Hoffnung darin, dass sich der unselige Kreis schließt und Borussias Negativserie genau an jenem Ort endet, wo sie vor einem halben Jahr begann.
Die Vorzeichen hierfür sind so schlecht nicht. Die letzten fünf Spiele hat Borussia gegen den FC St. Pauli nicht verloren. Die letzte Niederlage datiert aus Februar 2011. Zudem befinden sich auch die Hanseaten in einer heftigen Krise. Mit sieben Punkten aus den ersten drei Spielen starteten sie stark in die Saison. Seitdem setzte es aber fünf Niederlagen in Folge mit einer Ausbeute von 1:10-Toren. Tiefpunkt war das 0:3 im letzten Liga-Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim. Gegen eben jenen Gegner schöpfte die Mannschaft aber unter der Woche wieder etwas Selbstbewusstsein. Mit 8:7 setzte sich St. Pauli im Elfmeterschießen des Pokals durch. Genau wie Borussia hofft man, dass der Pokalerfolg die Wende zum Besseren eingeleitet haben wird. Spoiler: Maximal für einen der beiden Kontrahenten wird sich dies am kommenden Samstag bewahrheiten können.
Eugen Polanski wird weiterhin auf seine Topstürmer Kleindienst und Hack sowie auf den rotgesperrten Castrop verzichten müssen. Es ist wahrscheinlich, dass er das zuletzt siegreiche Team in gleicher Besetzung auf den Platz schicken wird. Also auch mit den bei den Fans umstrittenen Stöger und Machino, für die sich mit Mohya, Neuhaus und Reyna diverse Alternativen anbieten würden. Bei aller berechtigter Kritik an einzelnen Spielern wäre es dringend geboten, so schnell wie möglich eine Stammelf zu entwickeln, die sich einspielen kann und dann nur noch sporadisch verändert werden sollte.
Beim FC St. Pauli ist schwieriger vorherzusehen, welche Elf Alexander Blessin aufbieten wird. Im Pokal rotierte er kräftig durch. Angesichts des dortigen Erfolges wird seine Startelf aber vermutlich ebenfalls nicht wesentlich anders aussehen als am Dienstag.
Die auffälligsten Akteure beim Aufsteiger sind zwei Neuzugänge. Joel Chima Fujita kam vom VV St. Truiden und hat sich bereits gut in die Bundesliga eingefunden. Der japanische Nationalspieler mit nigerianischen Wurzeln bildet zusammen mit dem Amerikaner James Sands die Doppelsechs.
Gefährlichster Torschütze ist der vom FC Burnley ausgeliehene Andreas Hountondji mit bislang drei Saisontoren. Diese fielen allerdings an den ersten drei Spieltagen. Seitdem sind seine Leistungen ähnlich wie die der gesamten Mannschaft eher enttäuschend bis mangelhaft.
Aufpassen muss Borussia erneut auf den Torschützen vom vergangenen April. Oladapo Afolayan war in den vergangenen Monaten eigentlich nur noch als Ergänzungsspieler eingeplant, stand dann aber Dienstag doch wieder in der Startelf des Pokals und wusste dort zu überzeugen.
Die Aufstellung beider Mannschaften dürfte am kommenden Samstag allerdings weniger entscheidend sein als die Einstellung. St. Pauli ist traditionell für Kampf und Einsatzbereitschaft bekannt. Borussia wird dieselben Tugenden zu 100 % aufbringen müssen, um sich im Hexenkessel des Millerntors behaupten zu können. Nicht nur für Eugen Polanski wird dies eine richtungweisende Partie. Mit einem Sieg könnte Borussia den Anschluss an die Nichtabstiegsplätze wiederherstellen und sich rechtzeitig vor dem Derby zurück in die Spur bringen. Eine erneute Niederlage dagegen würde den Aufschwung aus dem Pokal direkt wieder verpuffen lassen und den Abstand auf den direkten Konkurrenten noch weiter anwachsen lassen. Diese prekäre Ausgangslage spricht dafür, dass es in jedem Fall erneut ein denkwürdiger Nachmittag für die (jüngere) Borussen-Geschichte werden wird.
SEITENWAHL-TIPPS
Michael Heinen: "Zwei kriselnde Mannschaften, die in der Liga seit Wochen sieglos sind, sich aber zuletzt im Pokal durchsetzen konnten. Das 1:1 wird beide Mannschaften am Ende nicht wirklich weiterbringen."
Christian Spoo: "Die Erleichterung nach dem Pokalspiel währt nur kurz. Nach der 0:1-Niederlage am Allerheiligengeistfeld müssen wir feststellen, dass wir zwar eine Runde, ansonsten aber keinen Schritt weiter sind."
Mike Lukanz: „Dem gesamten Verein Borussia Mönchengladbach war die Erleichterung nach dem Sieg über den KSC anzumerken. Entsprechend gelöster und vielleicht sogar selbstbewusst tritt die Mannschaft in Hamburg an. Gleiches gilt aber auch für den FC St. Pauli, die ebenfalls unter der Woche einen Sieg im Pokal feiern konnten. Es ist halt immer noch Borussia, es ist auswärts. Dennoch wirkt das 2:2 wie ein Schritt nach vorne. Der so dringend benötigte Sieg muss also im Derby erzielt werden.“ 

