Der Zug hat keine Bremsen
Borussia wartet weiter auf den ersten Saisonsieg. Die 1:3-Niederlage bei Union Berlin bietet einige Antworten auf die Frage, warum das so ist. Keine dieser Antworten kann denen, die es mit Borussia Mönchengladbach halten, gefallen. Vielmehr stellt sich nach diesem keinesfalls katastrophalen aber genauso wenig guten Spiel die Frage: Gegen wen soll der erste Saisonsieg denn gelingen?
Union Berlin spielte exakt so, wie Eugen Polanski vorhergesagt hatte. Dafür musste der Bisaufweiterestrainer keine seherischen Fähigkeiten bemühen. Union Berlin macht Union-Berlin-Dinge: Aggressives Pressen, robuste Zweikampfführung bis an die Grenze des Erlaubten und gelegentlich darüber hinaus, hundertprozentiger Einsatz vom An- bis zum Abpfiff. Das hatte Polanski seiner Mannschaft nach eigener Aussage exakt so mit auf den Weg gegeben. Das Resultat und der Spielverlauf zeigen: Die Mannschaft mag es vernommen haben, sie hatte aber zu wenige Mittel, um darauf angemessen zu reagieren. Union Berlin führte schon, da stand Borussia quasi noch gar nicht auf dem Platz. Ein absurdes Missverständnis zwischen Scally und Nicolas führte zu einer Ecke. Der überraschend in die Startelf beförderte Friedrich und Elvedi konnten nach deren Ausführung Doekhi nicht am Kopfball hindern, trotz ihrer Körpergröße hatten die Verteidiger der puren Wucht, die der Berliner Angreifer in seinen Sprung legte, nichts entgegensetzen. Auch beim zweiten Tor von Union sah Borussias Defensive hilflos aus. Einem haarsträubenden Ballverlust von Neuhaus im Aufbau folgte ein energisches Solo von Ansah, der Scally und Elvedi einfach stehen ließ, beide scheuten das direkte Eingreifen, doch Ansah traf nur den Pfosten. Den Abpraller konnte erneut Doekhi problemlos verwerten, weil Friedrich die Szene offenbar bereits abgehakt hatte und den Berliner widerstandslos an den Ball kommen ließ. Zwei gravierende Abwehrschnitzer, zwei Gegentore.
Nun ist es wie erwähnt nicht so, als hätte die Mannschaft sich kampflos ergeben. Direkt nach dem 1:0 wäre dem besten Gladbacher an diesem Abend, Jens Castrop, um ein Haar der Ausgleich gelungen. Im Aufbau kombinierte Borussia mitunter recht ansehnlich. Das Mittel, lange Bälle Richtung Tabakovic zu schlagen, erwies sich dagegen als stumpfe Waffe. Zu aufmerksam die Union-Defensive, zu ungenau die Anspiele. Standardsituationen waren ebenfalls an diesem Abend kein Erfolgsrezept. Die offensichtlich eingeübten Varianten nach Ecken von Reitz verpufften. Der Anschlusstreffer fiel folglich auch nach einer Kombination. Sehenswert setzte Engelhard Tabakovic am Strafraum in Szene, der Ersatz-Kleindienst vollendete überlegt ins lange Eck. Zur Halbzeit war Borussia wieder dran.
Die zweite Spielhälfte zeigte aber keine hungrigere Mannschaft. Okay, aber niemals zwingend spielte Borussia, Union musste nicht viel mehr tun, als ein bisschen zu Verschieben und die Gladbacher gelegentlich Härte spüren zu lassen. Eine einzige echte Chance erarbeitete sich Borussia, schläfriges Defensivverhalten brachte dann die Entscheidung. Der eingewechselte Reyna ließ Rani Khedira am Strafraum gewähren, zog sogar zurück, so dass der Berliner Ersatzkapitän trocken ins linke untere Eck vollenden konnte.
Was also sind die erwähnten Antworten auf die Frage, warum Borussia erneut ein Spiel gegen ein bestenfalls durchschnittliches Team verloren hat? Das Abwehrverhalten ist schon erwähnt. Der neue Sportkopf Rouven Schröder hat schon bei seiner Antritts-Pressekonferenz das Hauptversäumnis seines unseligen Vorgängers klar benannt: Die Defensive wurde bei der Konstruktion des Kaders sträflich vernachlässigt. Kevin Diks ist ein ordentlicher Verteidiger, aber ein eindeutiges Downgrade im Vergleich zu Ko Itakura. Nico Elvedi ist sehr zuverlässig darin, einer starken Leistung immer wieder ein Spiel folgen zu lassen, bei dem man sich fragt, ob er überhaupt morgens aufgestanden ist. Marvin Friedrich hatte Aktien bei zwei von drei Gegentoren, was man mit mangelnder Spielpraxis erklären mag – aber dass Friedrich diese Praxis bisher nicht bekommen hat, wird Gründe haben. Chiarodia war in Berlin nicht im Kader, aber auch seine bisherigen Auftritte in der laufenden Saison legen nahe, dass er bestenfalls ein Mitläufer sein kann. Der Mangel an echten defensivstarken Außenverteidigern ist auch Eugen Polanski offenbar bekannt, nicht umsonst schickte er erneut eine Dreier-/Fünferabwehr aufs Feld. Joe Scally ist dabei auf rechts ohne Konkurrenz, ein Defizit, das Roland Virkus noch mit angeblich zahlreichen tauglichen polyvalenten Spielern im Kader negierte. Konkret sah der gescheiterte Sportdirektor Jens Castrop auf dieser Position als erste Alternative zu Scally. Den Jens Castrop, der links vorne zeigt, dass er vor allem ein trickreicher Offensivspieler ist.
Von der Defensive abgesehen machten alle Borussen gestern Abend ein ordentliches Spiel. Und das ist dramatisch. Denn es zeigt: Die Mannschaft ist schlicht und einfach nicht besser, als im Moment zu sehen. Keinem Spieler in Mittelfeld und Angriff ist ein Vorwurf zu machen. Sie alle gaben ihr Bestes, aber das Beste ist bestenfalls unterer Bundesliga-Durchschnitt. Bei allen. Der Versuch Polanskis, durch einen Vierfachwechsel das Spiel noch zu wenden, verpuffte ohne großen Effekt. Stöger für Neuhaus hatte eher negative Auswirkungen, Ullrich für Diks war egal, Honorat für Castrop stärkte die rechte Seite augenfällig, schwächte aber gleichzeitig die linke, wobei Castrop vermutlich auch deswegen weichen musste, weil er kurz vor einer gelb-roten Karte stand. Reyna für Engelhardt sollte die Offensive beleben, was aber nicht passierte. Am Ende kam noch Jan Urbich zu seinem zweiten Bundesligaspiel, aber eine knappe Minute später fiel das 3:1 und das Spiel war entschieden. Will sagen: Von der Bank hat Borussia derzeit wenig zuzusetzen.
Zur Trainerfrage ist nach vier Polanski-Spielen wenig zu sagen. Ein sichtbarer Effekt war allenfalls die konzentrierte Defensivleistung gegen Leverkusen und Freiburg. Ein Spiel wie gestern dagegen hätte - von der Aufstellung abgesehen - genau so auch unter Gerardo Seoane ablaufen können. Das einzige, was Hoffnung macht, ist, dass nach wie vor einige wichtige Spieler fehlen. Honorats Comeback war einer der wenigen positiven Aspekte, wenn man kurz verdrängt, dass der Franzose einen äußerst bescheidenen Saisonstart hatte. Und so bleibt nur das Warten und Hoffen auf Hack und Kleindienst. Und auf die Winterpause. Vorerst aber werden wir uns damit abfinden müssen, dass Roland Virkus seinem Nachfolger einen Kader hinterlassen hat, der einfach nicht besser ist, als Platz 15-18. Die Saison ist erst sieben Spieltage alt. Aber es ist kaum vorstellbar, dass Borussia einen Lauf startet. Zittern bis zum Schluss wird uns nur erspart bleiben, wenn die Mannschaft so sang- und klanglos absteigt, wie 2007. Wir bevorzugen dann doch das Zittern bis zum Schluss.