Das Ende der Phrasen
Es gab zu Beginn der Saison bei „Sky“ mal eine schöne Grafik, in der die aktuellen Bundesliga-Trainer mit der längsten Amtszeit gelistet waren. Neben dem ewigen Frank Schmidt lag Gerardo Seoane tatsächlich in den Top 3. Dies hat nun ein Ende gefunden. Borussia braucht einen neuen Trainer.
Das Positive vorweg: Die Verantwortlichen bei Borussia Mönchengladbach haben offensichtlich noch ein Gespür für Situationen. Das 0:4 gegen Werder Bremen war in seiner Deutlichkeit zu erschlagend, gleichwohl nur das Ende einer aus heutiger Sicht dürftigen Gesamtbilanz des Schweizers seit seinem Amtsantritt im Sommer 2023. Zehn Ligaspiele in Folge ohne Sieg waren zu viel, zu groß die Angst, dass Borussia sehenden Auges Richtung Abstieg taumelt in dieser Saison. Zu unbegreiflich, dass die Mannschaft trotz vieler Zugänge und faktisch nur einem verletzten Stammspieler den gleichen blutleeren Spirit versprühte wie zum Ende der Vorsaison.
Seoane hat, bis auf wenige Ausnahmen, in seiner Zeit der Mannschaft keine Handschrift verpassen können. Die fehlenden Punkte sind daher gleichsam eine Konsequenz daraus wie auch ein weiterer Faktor, der zur nun vollzogenen Trennung geführt hat. Der Schweizer war nie wirklich zu greifen, seine Aussagen, Interviews und Pressekonferenzen von einer bemerkenswerten Gleichgültigkeit und Emotionslosigkeit geprägt. Würde man nur die Überschriften der YouTube-Videos zu den Pressekonferenzen auf Borussias Kanal zusammenfügen, es ergäbe ein Lehrbuch an substanzloser Phrasendrescherei: „Wir müssen aktiver werden“, „Wir müssen defensiv stabil verteidigen“, „Es wird auf eine gute Balance zwischen Defensive und Offensive ankommen“; es war stets schwer, dem zu widersprechen, aber hatte so viel Unterhaltungswert wie ein Familienfest des lokalen Möbelhauses einer x-beliebigen deutschen Kleinstadt und so viel Substanz wie ein Monolog von Jens Spahn. Und wer glaubt, dass Seoane nur als purer Langeweile gegenüber Pressevertretern so auftrat, dem sei die „Sky“-Dokumentation anlässlich Borussias 125-Jahr-Feier empfohlen, die seltene Einblicke in die Kabinenansprachen des Trainers gab. Spoiler: Sie waren nicht viel spannender.
Und so wirkten dann auch die Auftritte der Mannschaft. Nicht alle, aber doch die meisten. Vorhersehbarer Fußball, vorhersehbare Aufstellungen und Auswechslungen, irgendwie egaler Fußball. Wenn Borussia gewann, tat sie das selten, weil sie ihre Gegner taktisch überraschte, sondern weil ein Plea oder ein Kleindienst oder ein Hack ihre individuelle Klasse nutzten. Wo sind die Spieler, die nachweislich besser geworden sind unter Seoane? Was waren die Partien, die Seoane durch kluges Coaching gewonnen oder, man mag es nicht denken, sogar umgedreht hat während eines Spiels? Wo waren die Spielzüge, die so einstudiert wirkten, dass sie reproduzierbar waren? Die Defensivprobleme hat er nie in den Griff bekommen, aber daran sind fairerweise auch schon seine Vorgänger im Amt gescheitert. Dennoch, so weit muss man ja gehen, sei Daniel Farke oder Adi Hütter zugutezuhalten, dass unter ihnen hin und wieder so etwas wie eine Spielidee zu erkennen war.
Zugegeben, schon beim Schreiben fühlt es sich müßig an, das alles erneut aufzubereiten. Ebenso müßig ist die Frage, ob diese Kündigung nicht schon früher hätte erfolgen müssen, zum Beispiel nach dem Fast-Abstieg zur Ende der Saison 2023/24 (die Antwort ist „ja“). Das kurze Zwischenhoch vergangene Saison war rückblickend die Ausnahme seiner Amtszeit, keine Trendwende. Nein, es ist keine eingefärbte Brille eines Fans, wenn behauptet wird, dass Seoane aus diesem und den vergangenen Kadern nie das Optimum herausgeholt hat. Dass er noch die gesamte Vorbereitung, wahrscheinlich auch die Transfers und nun die ersten vermeintlich machbaren Spiele in der Verantwortung als Cheftrainer erleben und mitgestalten durfte, ist mehr als ungünstig. Im Sommer waren spannende Trainer auf dem Markt, die auch die Vorbereitung und die Transfers hätten prägen können.
Nun also Eugen Polanski. Interimsmäßig, wie es dann immer so schön heißt. Man darf sehr gespannt sein, was Roland Virkus nun anstellt mit der Suche nach einem Nachfolger. Und vor allem: Darf er das überhaupt noch? Es halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass auch seine Tage im Amt gezählt sind. Seoane war und ist auch Virkus‘ Trainer. Er hat den Schweizer geholt und an ihm festgehalten. So sehr auch der Frust über Virkus zu spüren ist und als das eigentliche Problem an der Hennes-Weisweiler-Allee identifiziert wird, so sehr geht es nun einzig darum, die Saison nicht in einen Abstieg enden zu lassen. Darauf muss jeder Fokus gelegt werden, von allem im Verein.
Aber: Es ist erst der dritte Spieltag, es stehen nun sehr schwere Spiele an, die mit hoher Wahrscheinlichkeit verloren werden. Verbrennt man jetzt schon einen neuen Trainer oder darf sich Polanski die erwarteten Pleiten in Leverkusen und gegen Frankfurt abholen, um dann wieder ins zweite Glied zu rücken? War man intern vorbereitet und hat gegebenfalls schon Namen in der Hinterhand? Natürlich kursierten bereits in den Stunden vor der offiziellen Trennung sämtliche Namen, die gerade irgendwie am Markt verfügbar sind. Der Großteil wird hoffentlich nicht Realität. Oder will jemand ernsthaft den bekennenden Dortmunder Südkurven-Fan Edin Terzic haben?
Daher der Wunsch, jetzt nicht auf einen Feuerwehrmann oder Stabilisator zu setzen, sondern einen Trainer zu finden, der a) Borussias Kader versteht und Ideen für diesen hat und b) der in der Lage ist, eine Handschrift zu entwickeln. Für die Mannschaft, für den Verein und ja, auch für die Fans.
Es ist 2011 schon einmal gut geganen, trotz viel bedrohlicher Lage damals nicht auf einen Feuerwehrmann zu setzen. Es wurde dann auch ein Schweizer. Hoffen wir, dass wir noch einmal ein solches Glück haben.