Die nebensächlichste Nebensache der Welt
Schönes Wetter, es ist Fußball, letzter Spieltag im Borussia-Park – und kaum einen interessiert’s. Wer die Meldungen und Diskussionen rund um Borussia Mönchengladbach im Moment verfolgt, bekommt den Eindruck, es sei schon Sommerpause. Dass noch ein Spiel ansteht, sogar eines, bei dem es nominell um das Erreichen des ausgerufenen Saisonziels geht, spielt kaum eine Rolle.
Medien und Anhänger sind schon voll auf die kommende Saison konzentriert beziehungsweise auf die Frage, wer dann noch im Kader von Borussia steht und wer diesen Kader anleitet. Tatsächlich gibt es kaum Klarheit, viele Fragen und teilweise auch Debatten, die eigentlich (noch) gar nicht geführt werden müssten.
Die lauteste, aufsehenerregendste und gleichzeitig unnötigste ist die um die Zukunft von Trainer Gerardo Seoane und seinem Team. „Fußball-Deutschland“ ist sicher: Den Trainer mit einem 2026 auslaufenden Vertrag in die neue Spielzeit gehen zu lassen, kommt einer Kastration gleich, macht Seoane automatisch zur lahmen Ente. Warum das so ist? Ist halt so. Nun hat Borussia das Fass selbst aufgemacht: Als es in dieser Saison zwischenzeitlich gut lief, dementierte der Verein nicht, dass eine Verlängerung durchaus auf der Tagesordnung stand. Die ist nicht erfolgt, das Team performt seit Wochen unter seinen Möglichkeiten, prompt gibt es eine Trainerdiskussion. Die führen die Beteiligten nicht ganz souverän, das abgebrochene Seoane-Interview bei Sky war ein Indiz dafür, dass das Thema den Trainer nicht ganz kaltlässt. Seine Einlassungen in dieser Woche ließen Raum für Interpretation. „Seoane wohl weg“ mutmaßt ein Mitglied der Seitenwahl-Redaktion angesichts der Floskelkanonade, wonach sich Seoane und Mitschweizer nach Saisonende zusammensetzen, die Situation analysieren und dann mit dem Verein besprechen wollen, „wie man sich für die Zukunft ausrichtet“. Kann sein, kann nicht sein. Deutlich ist bei vielen Gesprächen: Einen dicken Stein hat Seoane bei fast niemandem im Brett, sehnlichst in die Wüste wünscht ihn aber auch nahezu niemand. Unter dem Strich sind sich Seoane und das Borussia-Umfeld auch nach zwei Jahren auf eine merkwürdige Art und Weise egal. Und so würde vermutlich weder ein vorzeitiger Abschied noch ein neuer Vertrag ein „Borussia-Beben“ auslösen, auch wenn die Boulevardpresse das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau so diagnostizieren wird.
Was den Kader für die kommende Saison angeht, ist bemerkenswert viel in der Schwebe. Vor dem letzten Spieltag weiß Borussia bei vielen Spielern nicht, ob sie bleiben oder gehen. Entsprechend kennt der Verein seinen eigenen Bedarf für die kommende Spielzeit nicht. In jedem einzelnen Fall mag es eine schlüssige Begründung geben, warum es ist, wie es ist, aber planvolle Kaderentwicklung sieht anders aus. Borussia kann am Transfermarkt seit einigen Jahren fast nur noch reagieren, statt zu agieren. Spieler werden augenscheinlich weniger verpflichtet, weil man sie braucht, als vielmehr, weil sie halbwegs günstig zu haben sind. Das kann gut gehen – siehe Robin Hack – das kann aber auch für Unwuchten im Kader führen. Dass auf einer ohnehin überbesetzten Position – zentrales Mittelfeld – mit Jens Castrop ein weiterer Spieler dazukommt, ergibt selbst beim möglichen, aber keineswegs sicheren Abgang von Florian Neuhaus für den Außenstehenden nicht direkt einen klaren Sinn.
Vemutlich sehen wir am Samstag im Borussia-Park Ko Itakura und Jonas Omlin zum letzten Mal. Möglicherweise sollten wir auch leise Servus zu Nico Elvedi, Luca Netz, Joe Scally, Stefan Lainer und dem erwähnten Florian Neuhaus sagen. Auszuschließen ist auch nicht, dass wir uns mental von den Publikumslieblingen Alassane Plea, Tim Kleindienst und Rocco Reitz verabschieden müssen. Und selbst Lukas Ullrich ist in dieser Woche in die Speisekammer der Transfer-Gerüchteküche gekommen, angesichts des kolportierten Interesses des Gegners an diesem letzten Spieltag, des VfL Wolfsburg.
Warum allerdings ein Spieler von Mönchengladbach nach Wolfsburg wechseln sollte, ist in der dezeitigen Situation beider Klubs nicht direkt ersichtlich. Als seinerzeit Max Kruse das VfL-Grün wechselte, war noch klar, dass er sich verbessert. Aber jetzt? Davon abgesehen, dass Wolfsburg noch hässlicher und verschlafener ist als Mönchengladbach und nicht mal ein Düsseldorf nebenan hat, in dem bestverdienende Jungmänner Zerstreuung finden, ist auch die sportliche Situation in der Autostadt nicht reizvoller als zwischen niederrheinischen Äckern.
Der VfL Wolfsburg hat die Rückrunde des Grauens hingelegt, 13 Punkte bis hierhin, vorletzter Platz in der Tabelle des Jahres 2025, seit neun Spielen nicht mehr gewonnen. Das Saisonziel lautete „Qualifikation für den internationalen Wettbewerb“, die Latte lag also höher als bei Borussia und wurde deutlich untersprungen, während unser Team die Marke „Einstelligkeit“ durchaus noch erreichen kann. Part eins der Trainerdiskussion hat man in Wolfsburg schon abgehakt und Ralph zurück in sein Hasenhüttl geschickt. Interimscoach Daniel Bauer wird unabhängig vom Ergebnis des letzten Spiels danach wieder die vereinseigene U19 trainieren so dass Teil zwei der Trainerdiskussion in der Sommerpause beantwortet werden wird. Möglicherweise ist ja dann Gerardo Seoane auf dem Markt.
Im letzten Saisonspiel ist der zuletzt rotgesperrte Kapitän Maximilian Arnold wieder dabei, offen ist der Einsatz von Stürmer Jonas Wind, Rechtsverteidiger Kilian Fischer fehlt verletzt. Bei Borussia sind die Einsätze von Nico Elvedi und Tim Kleindienst fraglich. Alassane Plea ist fit genug, um von Beginn an zu spielen.
SEITENWAHL-Prognose
Christian Spoo: Es geht um fast nichts mehr, wir erleben einen unterhaltsamen Sommerkick, bei dem eine Mannschaft mit 5:3 gewinnt. Ich weiß eigentlich nicht, welche, aber weil ich bekanntlich ein unverbesserlicher Optimist bin, sage ich, es ist Borussia.
Michael Heinen: Zum Saisonende gibt es einen versöhnlichen Abschluss. Durch das 3:1 gegen Wolfsburg springt Borussia auf Platz 9 und der familiäre Vereinsfrieden bleibt gesichert. Wer braucht schon lästige Saisonanalysen, die im schlimmsten Fall etwas verändern könnten?
Mike Lukanz: Nein, es wird nicht versöhnlich, aber auch nicht brutal schlimm. Diese Gleichgültigkeit ist es, was mich fertig macht. Das Spiel endet wie die ganze Saison: 1:1.
Claus-Dieter Mayer: Das 1:1 im letzten Saisonspiel gegen Wolfsburg ist genau so trostlos wie das gesamte Finish der Borussia in dieser Spielzeit.
Michael Oehm: In der ganzen Liga ist die Luft schon völlig raus, bei Borussia herrscht Unterdruck. 0:0.
Kevin Schulte: (Fast) komplett egal, deshalb habe ich ausgewürfelt: 3-2 für Borussia.