Plea lässt den Traum von Europa am leben
Man kann Borussia nicht vorwerfen, sie hätte nicht alles Borussische probiert: Freistoß verursacht, Elfmeter verursacht & VAR-Absurditäten erzwungen, der eigene Torwart verletzt und am Ende sogar eine Gelb-Rote Karte eingeholt. Am Ende stehen dennoch drei Auswärtsspunkte und vier geschossene Tore. Nach dem nunmehr vierten (!) Auswärtssieg in Folge bleibt Borussia mit dem 4:2 in Bremen hartnäckig an den europäischen Plätzen dran. Wir sind nachhaltig beeindruckt.
Gute Nachrichten gab es vor dem Spiel: Nicht nur kehrten in Ko Itakura und Joe Scally zwei von vier etatmäßigen Stammspielern in die Abwehrkette nach abgesessener Gelbsperre zurück, auch die langzeitverletzten Leistungsträger Franck Honorat und Rocco Reitz saßen wieder auf der Bank.
Gerardo Seoane entschied sich im wöchentlichen Wechselspiel zwischen Kevin Stöger und Alassane Plea diesmal für den Franzosen auf der offensiven Mittelfeldposition. Eine Entscheidung, die das Spiel entscheiden sollte. Das Spiel war wenige Minuten alt, als Robin Hack im Strafraum von Milos Veljkovic zu Fall gebracht wurde. Den fälligen Strafstoß verwandelte Plea sicher und souverän zum frühen 1:0 für die Elf vom Niederrhein. Kurz vor Ausführung des Strafstoßes war Tim Kleindienst an der Strafraumkante in einer Rangelei verwickelt, infolgedessen sich der Nationalspieler wegen eines Stoßens eine erste reichliche unnötige Gelbe Karte einhandelte, die noch Folgen haben sollte.
In der Folge entwickelte sich eines der typischen Auswärtsspiele der vergangenen Wochen. Borussia agierte ballsicher, konzentriert in der Defensive und mit bemerkenswerter Effizienz bei eigenen Angriffen. Bremen hatte durch Anthony Jung eine erste Torchance, doch der stramme Schuss des Verteidigers touchierte nur die Oberseite der Latte, kurze Zeit später spitzelte Burke den Ball am langen Pfosten vorbei. Und so tat Borussia das, was sie zuvor schon in Heidenheim, Stuttgart und Berlin tat: konsequent und im richtigen Moment die eigenen Chancen nutzen. Eine Flanke von Hack landete halbrechts bei Plea, der technisch anspruchsvoll per Volley ins lange Eck zum 2:0 traf, wenngleich unter Hilfe von Robin Zetterer im Tor der Werderaner, der diesen Ball an guten Tagen sicher hält.
Wenn es eine nennenswerte Schwäche Borussias gibt, dann die, sich nach eigenen Führungen zu früh zurückzuziehen und das Spiel verwalten zu wollen. Bremen entwickelte in den letzten 15 Minuten der ersten Hälfte viel Druck, wenngleich weniger fußballerisch erwachsen und anspruchsvoll wie vor Wochenfrist der FSV Mainz 05 im Borussia-Park. Dennoch, Borussia tat nun alles dafür, das Spiel wieder scharf zu stellen. Hack spielt vor dem eigenen Strafraum einen Knochenbrecherpass (die Amateurfußballer unter uns kennen das), will den Fehler ausbügeln und foult 20 Meter vor dem eigenen Kasten. Jonas Omlin stellt die Mauer absurd schlecht, Romano Schmid nutzt dies technisch fein aus und zirkelt den Ball um die Mauer ins kurze Eck: 1:2. Und nur eine Minute später musste dann das 2:2 fallen, doch Felix Agu schafft es tatsächlich freistehend aus zwei Metern, den Ball neben das Tor zu setzen.
Borussia blieb, ja, jetzt folgt Zynismus, aber konsequent in ihrem Drang, die Führung zu verspielen. Lukas Ullrich schiebt Gegenspieler Kaboré im vollen Lauf und beim Weg aus dem Strafraum heraus (!), so dass dieser zu Boden geht. Freistoß für Werder, so die Entscheidung von Schiedsrichter Timo Gerach. So nicht, dachte sich aber VAR Daniel Schlager, der mit deutscher Präzision die Szene offenbar so oft in Super-Slow-Motion in seinem Keller begutachtete, bis er zum Entschluss kam, dass das Foul von Ullrich an Kaboré noch auf der Strafraumgrenze begann. Man muss schon sehr viel pedantische Energie haben, um in dieser Szene einen Elfmeter erkennen zu wollen und es zeigt einmal mehr, dass es nicht der VAR selbst ist, der für Frust sorgt, sondern die Umsetzung dessen. André Silva war es egal, mit dem Pausenpfiff stand es auf einmal 2:2. Dass Ullrichs Körpereinsatz in dieser ungefährlichen Szene so oder so übertrieben war: geschenkt.
Aber Borussia in der Saison 2024/25 ist eben eine andere Mannschaft. Wir haben es an dieser Stelle schon oft geschrieben: noch in der Vorsaison hätte die Mannschaft dieses Spiel ziemlich sicher noch komplett aus der Hand gegeben, aber diese Truppe ist anders. Das Spiel war wiederangepfiffen, als Robin Hack mit einem genialen Steckpass Plea auf die Reise schickte, der vor Zetterer erneut cool blieb und somit seinen dritten Treffer erzielte. Eine Szene blieb dem Autor dieser Zeilen dann noch in Erinnerung: Kleindienst, im gestrigen Spiel und bis zu diesem 3:2 weitestgehend unglücklich, jubelte mit ausgestreckten drei Fingern mit Plea so, als ob er selbst gerade sein drittes Tor erzielt hätte. Es sind Szenen wie diese, die zeigen, welch Teamplayer ein Kleindienst ist. Nicht wenige Stürmer sind erstmal auf eigenen Erfolg konditioniert, nicht so Kleindienst.
Der Nationalstürmer hatte dann aber noch seine Momente. Nach einer ausgeglichenen Phase mit vielen Wechseln auf beiden Seiten war es Borussias Top-Torjäger, der eine butterweiche Flanke von Plea in schulbuchmäßiger Mittelstürmer-Art zum entscheidenden 4:2 ins Tor verlängerte. Das letzte Kapitel dieses wilden und unterhaltsamen Spiels schrieb Kleindienst selbst, der in der Nachspielzeit (!) beim Stand von 4:2 (!!) in der Hälfte der Bremer (!!!) zu übermotiviert in einen Zweikampf ging. Ja, er trifft den Ball tatsächlich zuerst, dann erst Gegenspieler Pieper. Schiedsrichter Gerach zückte eine dennoch übertrieben harte Gelbe Karte, musste dann noch von den Bremern darauf hingewiesen werden, dass Kleindienst wegen der Rangelei vor dem 1:0 schon verwarnt war. So kam es, wie es kommen musste: Gelb-Rot für Kleindienst, der somit im wichtigen Heimspiel in zwei Wochen gegen den Energydrink-Konzern gesperrt fehlen wird. Fehlen wird dann wohl auch Kapitän und Torwart Jonas Omlin, der zwanzig Minuten vor Ende verletzt ausgewechselt werden musste, so dass Borussias Torwart-Talent Tiago Pereira Cardoso recht unverhofft zu seinem zweiten Bundesligaeinsatz kam.
Mit diesem Sieg setzt sich Borussia weiter in der oberen Tabellenhälfte fest und trotzt den jüngsten Dämpfern mit den beiden deutlichen Heimspielniederlagen gegen Augsburg (0:3) und Mainz (1:3). Die 40 Punkte nach 26 Spieltagen bedeuten dann auch rechnerisch den Klassenerhalt (ja, das darf hier noch erwähnt werden!), zudem sind alle Europapokal-Plätze in greifbarer Nähe und auch aus eigener Kraft erreichbar, da Borussia noch direkte Duelle gegen Leipzig, Dortmund, Freiburg und Wolfsburg haben wird, bei auf dem Papier machbaren Auswärtsspielen in Kiel und St. Pauli.
Borussias wortgewaltiger Sportdirektor Roland Virkus konstatierte nach der Partie zwar präzise, Borussia habe in Bremen „Messerstiche gesetzt“, fügte jedoch noch hinzu, dass „Platz 9 das Saisonziel“ bleibe. In noch acht ausstehenden Partien braucht Borussia für Europa realistischerweise vier bis fünf Siege.
Mal gut, dass es noch vier Auswärtspartien sind.