Postdebakulöse Herkulesaufgabe
Die Weihnachtseuphorie ist verschwunden, Borussia ist vor dem Start der Rückrunde unsanft auf dem Boden der Tatsachen gelandet: Das Ziel „einstelliger Tabellenplatz“ ist tatsächlich das Maximum, das diese Mannschaft erreichen kann – und das auch nur, wenn alles stimmt. Mit Bayer Leverkusen wartet nun zum zweiten Mal innerhalb einer Woche ein echtes Spitzenteam auf Borussia. Nicht nur auf dem Papier ist der Deutsche Meister eine Klasse besser, er ist zurzeit auch in ausgezeichneter Verfassung.
Sieben Siege am Stück hat das Team von Xabi Alonso zuletzt errungen. Die Titelverteidigung hat Leverkusen noch nicht abgehakt – mit Recht. Im neuen Jahr gab es zunächst einen unnötig knappen 3:2-Erfolg beim Ballsportverein Dortmund, dann einen 1:0-Erfolg gegen die derzeit starken Mainzer. Der Leverkusener Kader ist stark genug, dass Alonso einen Star wie Florian Wirtz einfach mal auf der Bank lassen und den langfristigen Ausfall eines Stürmers vom Format Boniface wegstecken kann.
Unverwundbar ist Leverkusen nicht, das wissen wir seit dem ersten Spieltag dieser Saison, als der Meister nur mit tatkräftiger Hilfe von Feld- und Videoschiedsrichter in Mönchengladbach gewann und das Spiel so offen war, dass auch ein Borussen-Sieg im Rahmen des möglichen zu sein schien. Allerdings trat Borussia da in Bestbesetzung an. Das wird diesmal nicht möglich sein und spätestens seit dem Debakel in Wolfsburg wissen wir: Der Gladbacher Kader ist nicht annähernd stark genug, um den Ausfall zweier Schlüsselspieler zu kompensieren. Das Fehlen von Franck Honorat hatte schon gegen Bayern gezeigt: Ohne den schnellen Franzosen ist das Offensivspiel von Borussia nicht einmal die Hälfte wert. Ohne Honorat und Kleindienst ging dann in Wolfsburg nach vorne fast nichts – und wenn, dann eher zufällig. Schon in der engagiert geführten ersten Halbzeit fehlte Borussia nach vorne jede Struktur. In der zweiten ging sie dann auch nach hinten flöten – mit dem bekannten Ergebnis.
Auf Franck Honorat müssen seine Mitspieler, sein Trainer und wir weiter verzichten. Noch immer ist nicht ganz sicher, ob der Fuß des Rechtsaußen gebrochen ist. Man warte auf Bilder, sagte Gerardo Seoane bei der Pressekonferenz vor dem Leverkusen-Spiel. Dagegen ist Tim Kleindienst wieder fit, hat voll trainiert und wird in der Bay-Arena spielen. Auch der zuletzt länger verletzte Nathan Ngoumou ist wieder einsatzfähig. Nicht ausgeschlossen, dass er seinen Landsmann Honorat positionsgetreu zu vertreten versuchen darf.
Im Vergleich zum Wolfsburg-Spiel könnte sich Seoane bei den starken Leverkusenern für die gegen Bayern erprobte Variante mit drei gelernten Sechsern entscheiden – dann würde Philipp Sander wieder ins Team rutschen, zu Lasten von Stöger oder auch Plea, der in diesem Jahr bisher deutlich unter seinen Möglichkeiten geblieben ist.
Den für viele überraschenden Wechsel auf der Linksverteidiger-Position erklärt Seoane im Nachhinein mit dem offenen Konkurrenzkampf zweier etwa gleichstarker Kandidaten. Die starken Auftritte von Lukas Ullrich haben den Trainer offenbar nicht so sehr überzeugt, dass er dieses Duell als entschieden betrachten würde. Ausdrücklich lobte er Netz‘ Leistung gegen Wolfsburg und seinen Beitrag zum Offensivspiel. Es wirkt, als habe der 21-jährige Ex-Herthaner in den Gedanken seines Übungsleiters einen gewissen Bonus gegenüber dem 20-jährigen Ex-Herthaner. Immerhin hatte Sportdirektor Roland Virkus vor einigen Wochen gesagt, Seoane hätte Ullrich niemals spielen lassen, hätte sich Netz nicht verletzt.
Aber egal, wer spielt, entscheidend ist gegen Leverkusen eine wirklich geschlossene Mannschaftsleistung, die defensive Zähigkeit der vergangenen Spiele bis zur Halbzeitpause in Wolfsburg, am besten gepaart mit dem einen oder anderen zielgerichteten Angriffsversuch. Gegen die pfeilschnellen Außenstürmer, den treffsicheren Patrik Schick, gegen die Übersicht und Eleganz von Granit Xhaka wäre dennoch alles andere als eine Niederlage eine wirklich große Überraschung. Ein Auftritt, der die beschämende zweite Halbzeit vom Dienstag vergessen lässt, wäre aber unabhängig vom Ergebnis ein wichtiges Zeichen. Wirklichen Druck hat die Mannschaft erst eine Woche später wieder – im Spiel gegen Bochum.
SEITENWAHL-Prognose
Christian Spoo: Welche Borussia ist die echte? Die, die schon aus der Vorsaison bekannte Truppe, die in Wolfsburg aus der Halbzeitpause kam oder doch die stabilere, die es vor Weihnachten tatsächlich kurzzeitig in die Einstelligkeit geschafft hat? Nach der 0:2-Niederlage in Leverkusen sind wir nicht wirklich schlauer.
Michael Heinen: Borussia verliert auch die dritte Partie des neuen Jahres. Beim 0:3 in Leverkusen ist die Mannschaft chancenlos