Im Zwayfel für die Großen
Eins vorweg: Die bessere Mannschaft hat den Klassiker Borussia Mönchengladbach - Bayern München an diesem kalten Januarabend gewonnen. Die individuell höhere Klasse des Rekordmeisters war über weite Strecken des Spiels klar erkennbar. Hätten die Bayern ihre Chancen konsequenter gesucht und genutzt und hätte Moritz Nicolas nicht eine geradezu atemberaubende Leistung geboten, wäre das Ergebnis womöglich auch klarer ausgefallen als 0:1 aus Borussensicht. Dennoch zeigte das Team von Gerardo Seoane viel Herzblut und war zumindest im zweiten Durchgang bemüht, das Spiel in die Hand zu bekommen. Am Ende hagelte es dennoch Pfiffe und Schmährufe - allerdings weder gegen die Bayern noch gegen Borussia. Vielmehr richtete sich der Zorn des Publikums gegen den unfreiwilligen Hauptdarsteller an diesem Abend. Schiedsrichter Felix Zwayer wurde seinem Ruf, erratisch bis parteiisch zu pfeifen, einmal mehr gerecht.
Dabei war es nicht einmal der entscheidende Elfmeter, der das Gesamtbild der Schiedsrichterleistung an diesem Abend prägt. Diesen Strafstoß kann man geben, man muss ihn allerdings nicht geben. Lukas Ullrich berührt Michael Olise, der Bayern-Angreifer nimmt das Angebot dankend an und lässt sich fallen. "Clever" nennt man das wohl. Felix Zwayer zeigt gefühlt schon auf den Punkt, bevor Olise den Boden berührt. Als habe der Mann in Orange nur darauf gewartet, dem Favoriten die Chance zu eröffnen, das Spiel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Ohne den direkten Pfiff hätte möglicherweise nicht einmal der Video-Assistent eingegriffen, so marginal war die Berührung. Ein "Beinstellen", wie von Zwayer nach dem Spiel behauptet, war es jedenfalls nicht. Dennoch: Eine klare Fehlentscheidung ist in dieser Situation nicht zu konstatieren. Der Pfiff war lediglich die Konsequenz der zwayerschen Linie, und die hieß an diesem Abend: im Zweifel für Bayern München. Ein einziges Mal wich Zwayer von diesem Weg ab: Als Weigl in der ersten Halbzeit aus kürzester Distanz dem im Strafraum liegenden Rocco Reitz an die Hand schoss, blieb der Pfiff aus. Der VAR meldete sich nicht, was nach Ansicht der Bilder auch völlig richtig war. Seine Entscheidung dürfte der Schiedsrichter schnell bereut haben, denn Bayern-Kapitän Joshua Kimmich bearbeitete ihn danach minutenlang verbal. Ansonsten pfiff Zwayer Borussia immer wieder zurück, sah Fouls, wo keine waren und übersah auf der anderen Seite, wenn die Bayern im Zweikampf an die Grenzen des erlaubten gingen. Ob der Ball beim Freistoß ruhte, interessierte den Schiedsrichter auf der einen Seite sehr, auf der anderen überhaupt nicht. Höhepunkt war eine gelbe Karte gegen Julian Weigl nach einer blitzsauberen Klärungsaktion am eigenen Strafraum kurz vor dem Abpfiff. Ohnehin saßen die gelben Karten, wenn es galt, Borussen zu bestrafen, locker und der Halbzeitpfiff mitten im zweiten Angriffsversuch der Hausherren überhaupt, konnte auch als Ansage verstanden werden: Egal was Ihr heute versucht, ich habe etwas dagegen. Korrekt war es dagegen, dass Zwayer in der Schlussphase nicht auf die Schwalbe des eingewechselten Cvancara im Strafraum hereinfiel und leider auch, dass er Stefan Lainers verunglückten Versuch eines weiten Einwurfs in der letzten Minute sanktionierte. Der Österreicher war beim Werfen aufs Spielfeld getreten.
Lag es also am Schiedsrichter, dass Borussia erstmals seit September wieder ein Heimspiel verloren hat? Höchstens zum Teil. Im ersten Durchgang ließ sich die Mannschaft allzu bereitwillig von den Bayern dominieren. Die Abwehrleistung war aller Ehren wert und echte Chancen hatte der Tabellenführer der Bundesliga ganze zwei. Dennoch war augenfällig, dass Borussia keinerlei Entlastung schaffen konnte, für Konter fehlten Tempo und Präzision, das Fehlen von Franck Honorat machte sich immer wieder bemerkbar, über rechts ging überhaupt nichts, Alassane Plea schien nicht zu wissen, welche Rolle ihm an diesem Abend zugedacht war. So gelangte Borussia genau einmal achtelgefährlich in den Bayern-Strafraum, als Kleindienst flankte, in der Mitte deswegen aber Kleindienst fehlte. Alles in Allem zeigte sich Borussia im ersten Durchgang ängstlich. Bloß keine Lücken bieten, bloß keine Unterzahl riskieren. So schien zur Halbzeit klar: Das Optimum in diesem Spiel wäre ein 0:0.
Den mangelnden Mut scheint auch Gerardo Seoane in der Halbzeit angesprochen zu haben, denn nach dem Seitenwechsel wirkte seine Mannschaft deutlich präsenter, traute sich von Beginn an weiter aus der eigenen Hälfte heraus und wäre nach vier Minuten um ein Haar in Führung gegangen. Eine Flanke von Reitz fand die Stirn von Tim Kleindienst, der aus kurzer Distanz den Ball nicht genügend drücken konnte und knapp über die Latte köpfte. Das Spiel im zweiten Durchgang war deutlich offener, Borussia viel aktiver, ohne freilich die ganz großen Gelegenheiten zu kreieren - bis auf einen Kopfball von Nico Elvedi, der sich in den Winkel zu drehen schien, aber dann doch kurz am Pfosten vorbeizog. Der für den indisponierten Plea eingewechselte Stöger hatte noch eine Halbchance per Distanzschuss, mehr Gefahr verbreitete Borussia vor dem Tor von Manuel Neuer nicht. Bayern dagegen hatte gegen Ende mehrere Gelegenheiten, die das X-Goal-Konto vermutlich überfließen lassen. Fahrlässigkeit und Moritz Nicolas, der diverse Großtaten an diesem Abend verbrachte, machten diese Chancen aber zunichte.
Was bleibt: Ein Schiedsrichter, der das Spiel zwar trotz lautstarker Vorwürfe der Kurve nicht "verschoben", durch seine überdeutliche Bevorzugung des Favoriten allerdings durchaus mit beeinflusst hat. Ein wirklich guter FC Bayern, aufmerksam, engagiert, ballsicher, lediglich wenig effizient. Und eine leidenschaftliche Borussia, die sich wacker geschlagen hat, bei der Honorat an allen Ecken und Enden fehlte und die einen Torwart hat, der durchaus einen Platz in den Gedankenspielen des Bundestrainers verdient hätte.