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Heidelberger Philosoph Hans Albert: Ein antiautoritärer Freigeist ohne Standesdünkel

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		Heidelberger Philosoph Hans Albert:  Ein antiautoritärer Freigeist ohne Standesdünkel

Von Philipp Neumayr

Heidelebrg. Das Haus in der Heidelberger Turnerstraße: ein gewöhnliches Mehrfamilienhaus aus der Nachkriegszeit. In den 1960er Jahren wurde der damalige Neubau zum Mittelpunkt der wissenschaftlichen und publizistischen Arbeit Hans Alberts. "Als ich früh am Morgen das Haus in Richtung Universität verließ, konnte ich durch das offene Fenster hören, wie er an der Schreibmaschine arbeitete", erinnert sich Ettore Brissa, ehemaliger Akademischer Direktor der Universität und Alberts Nachbar in der Turnerstraße, in dem Buch "Begegnungen mit Hans Albert".

Am 8. Februar wurde Hans Albert, einer der bedeutendsten lebenden Philosophen des Landes, 100 Jahre alt. "Nur Anschauungen, die kritischen Argumenten ausgesetzt werden, können sich bewähren", lautet einer seiner bekanntesten Sätze. "Der Mensch ist fehlbar in allen Bereichen", lautet ein weiterer. Albert prägte die Philosophie des Kritischen Rationalismus maßgeblich, trat für eine wissenschaftliche Denkweise ein, die sich in ihrer Klarheit, Kritikfähigkeit und Zugänglichkeit von alternativen Denkansätzen unterscheidet. Sein "Traktat der kritischen Vernunft", das er damals, in den 60ern, in der Turnerstraße schrieb, ist heute eines der Standardwerke der Erkenntnistheorie. Für seine wissenschaftlichen Leistungen erhielt er 2008 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Albert wuchs in den 1920er und 30er Jahren in seiner Geburtsstadt Köln auf. Als Kind interessierte er sich vor allem für Geschichte. Insbesondere Oswald Spenglers "Der Untergang des Abendlandes" beeindruckte ihn. Davon inspiriert, träumte er zunächst von einer Offizierslaufbahn. Als 18-Jähriger meldete er sich freiwillig zum Reichsarbeitsdienst. Von dort kam er zur Artillerie, wo er als Soldat unter anderem in der ehemaligen Sowjetunion, in Frankreich und in Griechenland eingesetzt wurde. Albert wurde verwundet und geriet in amerikanische Gefangenschaft.

Nach dem Krieg studierte er Soziologie, Nationalökonomie und Rechtswissenschaften an der Universität Köln, wo er später auch promovierte und sich habilitierte. Stand er zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere noch unter dem Einfluss der Existenzialphilosophie Martin Heideggers, wurde er ab Mitte der fünfziger Jahre zunehmend von den Positionen des Kritischen Rationalismus angezogen. Über die Auseinandersetzung mit dem Wiener Kreis, eine Gruppe Intellektueller, die sich in den 20er und 30er Jahren regelmäßig in Wien traf, stieß Albert auf die Wissenschaftsphilosophie Karl Poppers. Deren Verteidigung und Fortentwicklung sollte zu seinem zentralen Lebensthema werden.

Albert lernte Popper auf den "Alpbacher Hochschulwochen" kennen. Seit 1945 trafen sich in der kleinen Gemeinde in Tirol jeden August Studenten, Wissenschaftler, Politiker und Unternehmer, um aktuelle Fragen der Zeit zu diskutieren und übergreifende Lösungen zu entwickeln. Albert besuchte Alpbach als wissenschaftlicher Assistent erstmals im Jahr 1955 auf Empfehlung des Philosophen Ernst Topitsch. Bis weit in die 2000er hinein kehrte er Jahr für Jahr dorthin zurück. Die Hochschulwochen, die sich heute "Europäisches Forum Alpbach" nennen, prägten ihn mehr als jeder andere Ort.

Alpbach, das war so kurz nach den totalitären Schrecken des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkriegs etwas ungekannt Freiheitliches und Ungezwungenes. Ein Ort mit einem offenen, intellektuellen Klima, an dem nicht nur kontrovers diskutiert und gedacht, sondern auch miteinander Ball gespielt und geschwommen, getrunken, getanzt und gelacht wurde. Hier lernte Albert neben Popper auch andere spätere Weggefährten und Freunde, etwa den früheren Popper-Schüler Paul Feyerabend, kennen – und nicht zuletzt seine Frau Margarete, die er 1957 heiratete und mit der er drei Kinder bekam.

1963 erhielt Hans Albert den Ruf auf einen Lehrstuhl für Soziologie und Wissenschaftslehre der Universität Mannheim, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1989 lehrte. Größere Bekanntheit erlangte Albert bald darauf durch seine Beteiligung am sogenannten Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, eine mehrere Jahre währende Auseinandersetzung über Methoden und Werturteile in den Sozialwissenschaften. Auf der einen Seite dieses Streits standen die Vertreter des Kritischen Rationalismus, allen voran Hans Albert und Karl Popper, auf der anderen Seite Vertreter der Kritischen Theorie wie Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas.

Dass der Name Albert heute nicht denselben Nachhall erzeugt wie der seiner Gegenspieler, liegt auch daran, dass das marxistische Vokabular Adornos und Habermas’ dem linken Zeitgeist eher entsprach. Dabei ging unter, dass Albert in vielen sozial-, sexual- und religionspolitischen Fragen liberaler war als die führenden Vertreter der Kritischen Theorie. Die eigentlich antiautoritäre "68er"-Bewegung sehnte sich zudem nach intellektuellen Vaterfiguren, die den Weg vorgaben – etwas, das Albert nie sein wollte.

Beispielhaft für seine Ablehnung autoritärer Führungspositionen steht Alberts erste Ansprache als wissenschaftlicher Leiter der "Alpbacher Hochschulwochen" im Jahr 1975. Damals sagte er: "In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen." Er sei sicher, dass dies in vollem Umfang auf ihn zutreffe. Seine Fakultätskollegen seien überzeugt, dass er ein "Organisationsidiot" sei. Man würde ihm nie ein Amt anvertrauen, von dessen Verwaltung etwas Wichtiges abhänge – und ihm keine Führungsposition überantworten, in der gearbeitet werden müsse. "Soziologen werden daraus folgern, dass man hier den Bock zum Gärtner gemacht hat. Sie werden es nur so ausdrücken, dass keiner von Ihnen das versteht", sagte Albert, sehr zur Erheiterung seiner Zuhörerschaft.

Es war diese ungezwungene Art, in der sich Albert von vielen anderen geistigen Größen unterschied – auch von seinem Freund und Mentor Karl Popper, der in Diskussionen oft sehr energisch auftrat. "Er war nie autoritär, auch in der Familie nicht", sagt sein jüngster Sohn Gert, der selbst Soziologe ist, über Hans Albert. "Mein Vater", erinnert er sich, "hat sich oft einen Spaß gemacht, beim Abendessen ein Buch von Martin Heidegger aus dem Regal zu ziehen und daraus vorzulesen: besonders markante Stellen, bei denen man sich nur gefragt hat, was das bedeuten soll."

Immer, wenn irgendwo Feste stattfanden, sei sein Vater dabei gewesen. Oft war er der Erste auf der Tanzfläche – und nicht selten auch der Letzte. Das Haus im Hasenleiser, das Albert und seine Familie ab 1971 bewohnten, war "ein offenes Haus". Jeden Sonntag, erzählt Gert Albert, hätten seine Eltern zum Frühstück eingeladen. Unter den regelmäßigen Besuchern waren nicht nur bekannte Namen wie Karl Popper oder Paul Feyerabend, sondern auch Nachwuchswissenschaftler. "Er hat sich immer auch für die Jüngeren interessiert und war ohne jeglichen Professorendünkel. Gegenüber Studierenden und Professoren hat er sich völlig gleich verhalten."

Wenn nicht gerade Besuch da war, tat Albert das, was er am besten konnte. "Entweder hat er gelesen oder er saß an der Schreibmaschine – später dann am Computer – und hat geschrieben", sagt Gert Albert. Mindestens 20.000 Bücher füllen heute schätzungsweise das Haus des 100-Jährigen. "Ich habe selten jemanden erlebt, der durchgehend so viel liest – völlig unabgelenkt von jeglicher Umgebung." Nichts habe seinen Vater in der Konzentration stören können. "Er war immer sehr fokussiert." Auch wenn es um Sport ging. Hans Albert spielte Tennis im Klub Blau-Weiß Leimen, ging regelmäßig schwimmen (zunächst im Leimener Schwimmbad, später dann im Hallenbad Hasenleiser) und mit seiner Frau Margarete tanzen. "Er hat jeden Tag Sport gemacht. Ich glaube, deswegen ist er bis heute noch so guter Gesundheit", sagt sein Sohn Gert.

Was sein Denken betrifft, hielt Albert zeit seines Lebens an einer wissenschaftlich-naturalistischen Weltsicht fest, wonach weder Götter noch andere übersinnliche Kräfte in die Naturgesetze eingreifen. Mit dieser Haltung befand sich der Humanist und Aufklärer Albert in Opposition zu den etablierten Glaubensrichtungen. Der Glaube sei keine Tugend, sondern ein Laster, schrieb er schon in seinem 1968 erschienenen "Traktat der kritischen Vernunft". Anders als die meisten Denker seiner Zeit sparte er nicht mit einer Kritik an den Religionen. Noch 2017, im Alter von 96 Jahren, veröffentlichte Albert das Buch "Zur Analyse und Kritik der Religionen". Beliebt machte er sich damit nicht. Doch war ihm die Freiheit, das zu sagen, was er wollte, stets wichtiger. Auch wissenschaftlichen Weihen maß er wenig Bedeutung bei: Mehrere Rufe anderer Universitäten, unter anderem aus den USA, lehnte er ab.

Und so lebt er seit mittlerweile fast 60 Jahren in Heidelberg, heute im Rohrbacher Hasenleiser, gemeinsam mit seinem mittleren Sohn Kurt. Die meiste Zeit verbringt Albert, natürlich auch der Pandemie geschuldet, inzwischen zu Hause. Obwohl er nicht mehr selbst an der Maschine sitzt und schreibt, werden seine Ideen weiterverfolgt. Im Februar 2020, zu seinem 99. Geburtstag, wurde unter dem Dach der Giordano-Bruno-Stiftung, deren Gründungsbeirat Albert ist, das Hans-Albert-Institut ins Leben gerufen. Es versteht sich als Thinktank zur Förderung kritisch-rationalen Denkens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und nimmt Stellung zu aktuellen Debatten wie der Sterbehilfe oder der Corona-Krise.

Wie Hans Albert selbst über die Krisen und Entwicklungen der Gegenwart denkt? Viel will, viel kann er dazu am Telefon nicht sagen. Nur eines sagt er dann doch: "Ich hoffe, dass alles besser wird."

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