Heidelberg: Eine Institution - die RNZ-Fotografin Dagmar Welker
Von Micha Hörnle
Heidelberg. Das wird manche Ziegelhäuser vielleicht doch überraschen: Dagmar Welker, die viele für den Inbegriff ihres Stadtteils halten, ist eine "Neigeplackte": Sie wurde am 15. Februar 1943, also vorgestern vor 75 Jahren, im westpreußischen Thorn geboren. Als kleines Kind floh sie mit ihrer Mutter vor der anrückenden Roten Armee, um ein Haar wäre man sogar auf das Flüchtlingsschiff "Gustloff" gegangen, das kurz darauf von einem sowjetischen U-Boot torpediert wurde. Die Mutter wollte ins hohenlohische Blaufelden, ihre alte Heimat. Über die dramatische Flucht sprach ihre Mutter nie - bis kurz vor ihrem Tod vor fünf Jahren, "unter Tränen", wie sich Welker erinnert. Später, der Vater kam aus Kriegsgefangenschaft, zog die Familie nach Mannheim, schließlich kaufte sie sich 1955 in Ziegelhausen ein Haus. Der zwölfjährigen Dagmar wurde das mit diesen Worten eröffnet: "Liebe Tochter, wir ziehen jetzt auf ein Dorf!"
Und tatsächlich sollte sie diesem "Dorf", das 1975 Heidelberger Stadtteil wurde, fortan verbunden bleiben. Noch heute, wenn man sie fragt, ob sie sich als Heidelbergerin oder als Ziegelhäuserin fühlt, zögert sie keine Sekunde. Und fast ist es Ehrensache, dass sie vor 43 Jahren natürlich gegen die Eingemeindung war und dem Heidelberger Oberbürgermeister Reinhold Zundel einmal stolz entgegenhielt: "Ich kann Sie gar nicht wählen. Ich bin doch aus Ziegelhausen."
Ihr Weg zur Fotografie führte über eine kleine Kamera, eine "Agfa Clack", die ihr Vater hatte. Hin und wieder machte sie Bilder, dann las sie in der RNZ ein Inserat: Gerhard Ballarin, der freischaffende Fotograf der Stadtredaktion, wollte in den Urlaub fahren und suchte eine Vertretung. Er nahm Welker, und sie hatte gleich große Fälle zu lösen. Am meisten im Gedächtnis ist ihr der mysteriöse Mord an der Taxifahrerin Anneliese Steigleder, die 1963 am ehemaligen Hotel Stiftsmühle mit 14 Messerstichen ermordet wurde; Frau Müller - Welkers Mädchenname - war schneller als die Polizei am Tatort - und irgendwann fragten die Beamten, ob die fixe Frau nicht für sie fotografieren wollte. Da griff der damalige Lokalchef Karl Stauder ein, er ließ sie nicht gehen.
Und so wurde Welker zum 1. Januar 1964 als Bildreporterin bei der RNZ angestellt - damals ein durchaus ungewöhnlicher Job für eine Frau. Zumal sie auch noch in erster Ehe mit einem Hotelier verheiratet war, der den "Ritter" in Neckargemünd führte. Früh am Morgen richtete sie noch die Tische, dann ging es raus, Bilder machen: Welker galt als extrem schnell - und im Notfall auch furchtlos.
Einmal fotografierte sie in einer Altstadt-Ruine einen Leichenfund, als direkt hinter ihr eine Mauer einstürzte - wie sie überhaupt auf die großen Verbrechen oder Katastrophen fast abonniert war: der ungeklärte Tiefgaragenmord (1984), die von einem Spanner ermordete Vanja Elena (2000) und natürlich der Dreifach-Mord in Ziegelhausen (2002). Selbstverständlich waren auch viele Politikgrößen vor ihrer Linse: Helmut Kohl, Willy Brandt oder Kurt Georg Kiesinger. Heinrich Lübke bewahrte sie beherzt davor, bei einem Rundgang über die Bundesgartenschau 1967 in Karlsruhe in einen Teich zu stürzen: Die Fotografen hatten den Bundespräsidenten ständig gebeten, noch einen Schritt zurück zu machen, bis Welker die Gefahr erkannte und einfach nur - und sehr resolut - "Halt!" rief. Wofür sich Lübkes Gattin, die patente Wilhelmine, bei ihr ausdrücklich bedankte.
1970 war Welker Mutter geworden, die erste Ehe zerbrach, aber mit Klaus Welker fand sie den Mann ihres Lebens. Er wurde Tochter Petra nicht nur zum eigentlichen Vater, er hielt auch seiner Dagmar in ihrem stressigen Job den Rücken frei: "Er hat mir viel geholfen", erinnert sie sich, "wenn man den richtigen Partner hat, dann schafft man auch diesen Beruf als Frau." Umso größer war der Schock, als Klaus Welker 1992 mit nur 56 Jahren völlig unerwartet an einem Herzinfarkt starb - nach nur zwölf Jahren Ehe. Noch heute geht ihr der Verlust ihres Mannes nahe, aber eines kann sie nicht: Aufgeben und Sich-gehen-Lassen. Natürlich machte sie bald weiter als Fotografin - und wie eh und je erscheint sie auf jedem Termin wie aus dem Ei gepellt: "Wenn ich aus dem Haus gehe, muss es tipptopp sein." Und damit meint sie übrigens nicht nur sich, sondern auch den Haushalt.
Auch nach zehn Jahren im Ruhestand fotografiert sie immer noch für die RNZ, vor allem auf Fastnachtsveranstaltungen: Denn erstens war ihr Mann Karnevalist, dann begeisterte sich schließlich Tochter Petra fürs Tanzen in der Garde - und mittlerweile ist Welker während der närrischen Tage eine Institution: "Die Vereine freuen sich, wenn ich komme - und mir macht es Spaß." Schon seit Jahrzehnten fotografiert sie zudem die Neujahrsbabys, daran wird sich so schnell nichts ändern: "Ohne Arbeit geht es nicht. So lange es meine Kräfte zulassen, mache ich weiter." Schließlich hat sie mit ihrem Neffen und Patenkind Alexander Müller eine Art Bildreporter-Familienbetrieb, der sie immer noch auf Trab hält. Und wenn "Foto Alex" unterwegs ist, muss eben seine Tante mit der Kamera ran.
Apropos Familie: Ihr ganzer Stolz sind ihre Enkel Ben (5) und Zoe (10), die in Bad Nauheim leben. Zudem hat sie ein stattliches Haus in Ziegelhausen - geplant von Klaus Welker, der Architekt war - und einen großen Garten samt Teich. Mit der Welt und sich ist sie im Reinen: "Ich bin glücklich und zufrieden. Man muss immer freundlich auf die Menschen zugehen und lachen. Das ist das A und O."