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Tour de France 2019: Attacke am Tourmalet oder wie Emanuel Buchmann mein Radsport-Herz eroberte

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Tour de France 2019: Attacke am Tourmalet oder wie Emanuel Buchmann mein Radsport-Herz eroberte

Das Feuer in meinen Radsportaugen flackert wieder. Entfacht hat es der Mann mit der Startnummer 12, dessen Namen ich erst vor ein paar Wochen zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe. Buchmann. Emanuel Buchmann. Wegen ihm saß ich am Wochenende gebannt vor dem Fernseher, rutschte aufgeregt auf dem Sofa hin und her und sprang auf, als er am Col du Tourmalet mutig aus dem Sattel ging. Mit leuchtenden Augen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren. Zum ersten Mal seit den unfassbaren (Doping)-Skandalen und vielen Skandälchen, die den Radsport für mich lange Zeit zur Sportart "non grata" gemacht hatten.

Ich, einst glühender, ja beinahe fanatischer Anhänger meines Namensvetters Ullrich, Bewunderer der heldenhaften Bezwinger von Tourmalet, Galibier, Mont Ventoux und L'Alpe d'Huez. Schon in den 1980er Jahren hockte ich fasziniert vor dem Fernseher, um den Kempen der Straße beim Radfahren zuzuschauen. Als Steppke war die Friedensfahrt meine "Tour de France". Die (damals noch schwarz-weißen) Helden hießen Olaf Ludwig, Uwe Ampler und Jan Svorada und pedalierten binnen zwei Wochen von Berlin über Prag nach Warschau oder umgekehrt. Fein säuberlich schnitt ich jeden Tag die Porträts der Etappensieger aus der Zeitung aus, um sie in mein Friedensfahrt-Heftchen zu kleben. Von wegen Panini-Album.

Tausendmal betrogen, dann ging das Feuer aus

Tour de France 2019 - die wichtigsten InfosEine friedliche Revolution und wenige Jahre später – die TV-Bilder mittlerweile farbig und die Rennmaschinen meiner Helden einige Kilo leichter – war meine Faszination für den Radsport noch weitgehend ungetrübt. Gemeinsam mit halb Deutschland fieberte ich stundenlang mit den Fahrern vom Team Telekom, kaute mir die Fingernägel ab, während sich Ullrich, Armstrong, Virenque, Pantani und die anderen auf den berüchtigten Alpenpässen belauerten und zu unmenschlichen Leistungen anstachelten. Dass sie mein Herz mit unlauteren Mitteln erobert hatten, wusste ich damals nicht. Und als ich es wusste, brauchte ich lange, um es mir einzugestehen. Zu sehr hing ich am Radsport – konnte nicht glauben, dass meine Idole kriminelle Betrüger sein sollten. Doch irgendwann war der Kredit weg und das Feuer erloschen.

Traurig und deprimiert, ließ ich den Radsport links liegen. Fühlte mich betrogen. Weit mehr als zehn Jahre ist das mittlerweile her. Angewidert von tränenreichen Dopinggeständnissen und entlarvten Betrügern, die das alles gar nicht so schlimm fanden, boykottierte ich fortan sämtliche Radrennen. Wer die Tour de France, den Giro d'Italia und die Vuelta a Espana zwischen 2005 und 2017 gewonnen hat? Keine Ahnung. Müsste ich nachlesen.

Die Fußstapfen von Jan Ullrich? Nein, danke!

Bescheiden, fast ein bisschen schüchtern, schilderte Emanuel Buchmann auf dem majestätischen Gipfel des Tourmalet nun den Moment, auf den ich so viele Jahre hatte warten müssen. "Das Tempo war nicht so hoch, da habe ich es einfach mal probiert", erklärte er wenige Minuten nach den knackigen 117 Kilometern seinen Angriff im Schlussanstieg der 14. Etappe. Mich hat er damit vom Hocker gerissen – und zwar im wörtlichen Sinne. Dass es am Ende nicht zum Etappensieg gereicht hat – geschenkt. Buchmann hat mich gepackt. Und was mir den unbekümmerten und eher leisen Oberschwaben im Trikot von Bora-hansgrohe besonders sympathisch macht, ist ein Statement vom Sonntag. "Ich will in keine Fußstapfen treten", sagte er selbstbewusst und angesprochen auf die gefallenen Magenta-Helden vergangener Jahre. Ullrich, Klöden, Jaksche und wie sie alle hießen.

Nein, Buchmann wird die 106. Tour de France wohl nicht gewinnen. Und das ist gut so. Nein, Buchmann wird auch kein zweiter Jan Ullrich – wie einige Medien nach seinen beiden vierten Plätzen in den Pyrenäen aus einem mir schleierhaften Motiv prophezeiten. Die einzige Parallele, die ich bei Buchmann und dem noch immer einzigen deutschen Toursieger finden konnte: Beide fuhren mit 22 Jahren ihre erste Tour de France. Das war es dann aber auch schon. Ullrich wurde 1996 Zweiter, Buchmann beendete seine erste große Schleife 2015 weitgehend unbemerkt auf Platz 85.

Buchmann, Politt, Kämna: Die jungen Wilden

Bei seiner vierten Tour steht Buchmann nun erstmals im Rampenlicht. Die ARD, die seit Jahren hinter einem Ullrich-Erben und neuen deutschen Radsporthelden her lechzt, wittert den nächsten deutschen Toursieger. Aufwändig berichtet der Sender seit zwei Wochen aus Frankreich. Immerhin 1,7 Millionen wollten Buchmanns Ritt durch die Pyrenäen am Sonntag sehen. Beim legendären Sturz Ullrichs im dramatischen Zeitfahren von Nantes stockte 2003 übrigens mehr als neun Millionen Deutschen vor den Fernsehschirmen der Atem. Da ist zweifellos noch Luft nach oben.

Doch Buchmann, Nils Politt – Zweiter bei Paris-Roubaix 2019 –, der junge Tour-Debütant Lennard Kämna und einige andere junge Wilde sind drauf und dran, den Radsport in Deutschland wieder salonfähig zu machen. Daran zu zweifeln, dass sie sich mit purer Muskelkraft und Kondition über die Berge wuchten, ist legitim aber unfair. "Die Fans müssen sich keine Sorgen machen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen", erstickte Buchmann die darauf abzielende Frage eines Journalisten am zweiten Ruhetag der Tour in Nimes unaufgeregt im Keim. Natürlich ist es auch naiv, zu glauben, dass nach den Skandalen um Armstrong, Landis und Konsorten alle schwarzen Schafe aussortiert wurden. Auch wenn bei der Tour seit 2015 kein Positivtest mehr bekannt wurde.

Als Gesamt-Sechster, mit nur 2:14 Minuten Rückstand auf das legendäre Maillot Jaune geht Buchmann am Dienstag in die letzte und entscheidende Woche der Tour de France. Und der 26-Jährige hat es selbst in der Hand, Geschichte zu schreiben. Vor allem aber, die Herzen der Radsportfans in Deutschland wieder zum Flackern zu bringen. Meins ist in Flammen und ich glaube fest daran, dass es dieses Mal nicht so schnell wieder erlischt.

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