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Des Trainers Spielstärke

Frage an Thassilo Haun: Hallo Thassilo! Ich bin seit zwei Jahren Jugendwart in unserem Club und stehe nun vor der Aufgabe, einen neuen Trainer zu verpflichten. Dieser Trainer soll sich um den kompletten Jugendbereich sowie um das gesamte Mannschaftstraining kümmern. So weit, so gut. Unser Vorsitzender hat mir hierbei allerdings die fast unlösbare Vorgabe erteilt, dass unser potentieller neuer Trainer auch ein exzellenter Spieler sein soll. Und mit exzellent meint er wirklich außergewöhnlich. Denn, so unser Vorsitzender, nur wer ein exzellenter Spieler war oder ist, kann auch ein guter Trainer sein. Mir persönlich wird es kaum gelingen, einen solchen Topspieler für unseren kleinen Club (knapp 400 Mitglieder) zu gewinnen. Ich persönlich halte die Aussage unseres Vorsitzenden auch für ziemlich gewagt. Wie stehen Sie zur Korrelation Spieler-Trainer im Vereinssport und wie kann ich diese Aussage widerlegen?

Thassilo Haun
© HAUN | COACHING

Thassilo Haun: Hallo Lars! Vielen Dank für Deine Nachricht! Wie Du Dir vorstellen kannst, begegnen mir solche Aussagen von Vorsitzenden seit den »90er-Jahren«. Soso, nur ehemalige »exzellente« Spieler können also gute Trainer sein. Interessant. Wenn dem so wäre, so hätten wir in den letzten Jahrzehnten vieles nicht gesehen, was uns sportartübergreifend begeistert hat. Hier mal drei in den Augen Deines Vorsitzenden nicht wirklich exzellente Spieler, die als Trainer das Gegenteil bewiesen und das Maximale erreicht haben:

Jürgen Klopp — In seiner aktiven Zeit spielte er für seine Mainzer genau 325 mal und dies ausschließlich in der 2. Bundesliga. Einen großen Titel als Spieler sucht man vergebens. Wie kann es sein, dass ein Spieler, der über die 2. Bundesliga nie hinauskam, dann bei Dortmund erfolgreich den Generationenwechsel schaffte und mit dem FC Liverpool nicht nur die Premierleague, sondern auch noch die Championsleague gewann? Wäre »Dein« Vorsitzender der Vorsitzende bei Borussia Dortmund oder beim FC Liverpool gewesen, hätte er sich also gegen Kloppo entscheiden müssen, da der ja selbst, zumindest offensichtlich, kein exzellenter Spieler war, oder!? Dass Klopp zu Beginn im Sturm, später im Mittelfeld und am Schluss seiner Karriere in der Abwehr spielte, zeigt rückblickend seinen eigenen Reifeprozess und sein (mittlerweile weltweit anerkanntes) Fachwissen rund um Fußball. Ach ja, Klopp stellte sich seinerzeit mal beim HSV vor, wurde dort aber nicht genommen, weil man den Auftritt Klopps mit zerrissener Jeans eines HSV nicht angemessen fand. Die Jeans findet man im Museum des BVB und die Verantwortlichen des HSV mussten sich jahrelang den Vorwurf gefallen lassen, eine große Chance vertan zu haben. Die Jeans war wichtiger als Expertise und Potential eines Jürgen Klopp.

Nicholas James »Nick« Bollettieri — Als junger Mann diente er bei der US Army und wurde bei den Fallschirmjägern bis zum Oberstleutnant befördert. Nach seiner Zeit beim Militär studierte er Recht an der Universität in Miami, war aber nicht in der Lage, das Studium abzuschließen. Im Alter von 25 Jahren begann er als Autodidakt auf öffentlichen Tennisplätzen in New York für 10 Dollar die Stunde mit seiner Art von »Tennistraining«. Wie kann es sein, dass ein Autodidakt im Laufe von mehreren Jahrzehnten mehrere Weltklassespieler entdeckte, formte und zu großen Titeln begleiten konnte? Wie kann es sein, dass genau sein 162.000 Quadratmeter großes Gelände, mittlerweile »IMG Academy«, zum Hotspot wurde, wenn es um den nächsten Grand-Slam-Sieger geht? Wäre Dein Vorsitzender Vater eines talentierten Kindes, so würde er es also ganz sicher nicht zu diesem Autodidakten schicken, der über kein hochklassiges Tennis verfügt und dementsprechend auch keine großen Turniererfolge vorweisen kann. Der kann ja nichts drauf haben. Welch ein fataler Irrtum.

Klaus Hofsäss — Seine Karriere als Trainer begann 1978 als Verbandstrainer von Niedersachsen, drei Jahre später wurde er Bundestrainer. Hofsäss wurde von mehreren Weltklassespielern engagiert (Graf, Becker, Muster, Sánchez Vicario, Kiefer) und führte sie unaufhaltsam an die Spitze. Würde Dein Vorsitzender nun nach einer Art »Legitimation« aufgrund der exzellenten Spielweise von Hofsäss oder nach zahlreichen Erfolgen als Jugendlicher oder Erwachsener suchen, so würde er feststellen, dass es sportlich auch hier möglicherweise nicht allzu viel zu feiern gab. Hofsäss überzeugt über viele Jahrzehnte bis heute und feierte unglaubliche Erfolge. Aber Dein Vorsitzender würde sein Kind auch hier analog seiner eigenen Definition wohl nicht trainieren lassen. Wieder eine verpasste Chance, etwas von einem der Besten zu lernen.

Um was geht es mir: Wer ein guter oder sehr guter Spieler war, kann auch ein guter oder sehr guter Trainer werden. Das eine hat mit dem anderen aber nur bedingt zu tun. Sicher hilft es, wenn man selbst gut oder sehr gut spielen konnte und dies vielleicht noch kann. Aber entscheidend ist es doch, die hochkomplexe Sportart so erklären zu können, dass man versteht, um was es geht. Es geht doch viel mehr um Kommunikation und Empathie, als um ehemalige Ranglistenpositionen und Titel bei irgendwelchen Turnieren. Leider lassen sich viele Eltern und auch viele Ehrenamtler blenden von Titeln und angeblichen Erfolgen als Spieler. So überrascht es nicht, dass viele Trainer aus dem osteuropäischen Raum auf ihren Lebensläufen Schnittstellen zum Davis-Cup Team des Heimatlandes angeben oder Kaderzugehörigkeiten oder Rollen als Sparringspartner. Dies beeindruckt viele, die als Vorsitzender für ihren Verein den vermeintlich besten Trainer suchen.

Ich selbst habe mit Becker, Stich, Steeb, Karbacher, Graf, Kohde-Kilsch und anderen, die man in Deutschland kennt, auf dem Platz als Sparringspartner gestanden. Na und? In meinem Verein steht morgen ein 6‑jähriges Mädchen vor mir und möchte die Vorhand lernen. Und die Hobbyrunde möchte keinen Selbstdarsteller, sondern jemanden, der sich nach dem Training noch auf ein Bierchen dazugesellt. Und die Senioren wollen einen Coach, der sie beim Betreten der Anlage grüßt und sich benehmen kann. Ob ich »früher« als Spieler mal was gerissen habe, ist hier in diesem Moment total unwichtig und nebensächlich.

Damit Du für den Austausch mit Deinem Vorsitzenden gut gerüstet bist, hier noch einige Anmerkungen: In meiner Zeit als Verbandstrainer lernte ich viele hochdekorierte Trainerkolleginnen und ‑kollegen kennen, die einigermaßen blutleer und empathielos auf dem Platz standen und kein gutes Training boten. Umgekehrt lernte ich auch sehr viele Übungsleiter oder Assistenten ohne großen Abschluss kennen, die von der ersten Sekunde an präsent waren, Trainingsteilnehmer begeisterten und Inhalte auf den Punkt brachten, so dass jeder Zuhörer und jeder Trainingsteilnehmer innerhalb von kürzester Zeit eine steile Lernkurve hatte.

Mir war es als angehender hauptberuflicher Trainer in einem Ballungsgebiet wie München von Anfang an wichtig, dass ich meine Berechtigung, als Trainer zu arbeiten, nie ausschließlich auf meine eigene hohe Spielfähigkeit oder irgendwelche Titel stütze. Ich wollte von Anfang an die entsprechenden Ausbildungen und Abschlüsse dazu, damit ich auch losgelöst von Spielstärke und Titeln inhaltlich überzeugen kann. Denn »Blender« gibt es zu Haufe. Sicher hilft es mir, dass ich sowohl mit meiner linken Schlaghand als auch »mit Rechts« alle Schläge demonstrieren kann und dass ich genau weiß, wie es sich anfühlt, Welt- oder Europameister zu werden oder die Nummer eins der Welt. Aber in der täglichen Arbeit auf Vereinsebene ist all das nebensächlich. Ja, es mag ein Türöffner sein und manche Stelle in Vereinen mit 800 bis 1.000 Mitgliedern wünschen eine entsprechende Vita für die leitende Position. Kleinere Vereine mit 200 bis 400 Mitgliedern brauchen all das nicht unbedingt.

Sehr viele sehr gut ausgebildete Trainerinnen und Trainer arbeiten in mittleren und kleineren Vereinen. Denn es gibt nicht so viele adäquate Stellen wie es z.B. A‑Trainer in Deutschland gibt. So einfach ist das. Nicht jeder möchte Verbandstrainer sein, wo er Teil eines komplexen Geflechtes wird und nicht immer so arbeiten darf, wie er oder sie es gerne tun würde. Nicht jeder möchte ausschließlich mit Leistungsspielerinnen und Leistungsspielern sowie den dazugehörenden Eltern zu tun haben. Nicht jeder muss fünf oder sechs Tage pro Woche Training geben, manchen genügen auch drei oder vier Tage.

Ich selbst arbeite in einem kleinen Verein mit gerade einmal 330 Mitgliedern. Hier geht es um Breitensport, hier geht es um Freizeit, hier geht es um das »Bierchen danach« und den Zusammenhalt, gerade in Zeiten von Corona. Dein Vorsitzender soll Dir sagen, warum er Vorsitzender des Vereins ist. Um was geht es ihm und was will er für den Verein erreichen? Prüfe seine Antworten. Wenn diese für Dich nicht schlüssig sind, so könntest Du überlegen, ob Du weiterhin »sein« Jugendwart sein möchtest. Ich persönlich wüsste, was ich zu tun habe. In diesem Sinne alles Gute und bleib gesund! Lass mich wissen, wie die Sache ausgegangen ist! Thassilo.

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