Ganz Unten
Sobald es mal wieder irgendwo auf der Erde rumpelt und pumpelt erinnern uns die Medien gern daran, dass die für Erdbeben zuständige Richterskala nach oben offen ist. Ganz anders ist es bei den Temperaturen, die zumindest nach unten ein absolutes Minimum haben: Weniger als -273,15 Grad Celsius bzw 0 Grad Kelvin ist einfach nicht drin, da steht halt alles still. So ein absoluter Minuspunkt, wie z.B auch die Tageslänge kurz vor Weihnachten, hat sein gutes, denn man kann sich sicher sein, dass es schlimmer nicht mehr werden kann. Diese Art düstere aber auch etwas Hoffnung machende Gewissheit täte im Moment auch vielen Fans der Gladbacher Borussia gut, aber denen ist schon klar, dass es auch als Tabellenletzter immer noch eine Runde schlimmer kommen kann, vor allem wenn man am kommenden Wochenende gegen den bislang alle Pflichtspiele gewinnenden Rekordmeister aus München spielen muss.
Gegen die Bayern zu spielen ist für keinen Bundesligatrainer eine frohlockende Aussicht, vor allem wenn man gerade wie Eugen Polanski erleben muss, dass die Google-Suche nach „ärmste Sau“ auf einmal den eigenen Namen relativ weit oben platziert. Da bekommt der langjährige U23 Trainer endlich die Chance beim Bundesligateam und muss feststellen, dass er eine zwar sicher gewillte und auch nicht völlig untalentierte, aber gänzlich unausgewogen zusammengestellte Truppe übernimmt, bei der es im wahrsten Sinne des Wortes weder hinten noch vorne stimmt. Noch dazu fehlen im eh schon verquer zusammengestellten Kader dann auch noch ein paar Schlüsselspieler wie Kleindienst, Hack oder (bis vor kurzem) Honorat. Und als ob das nicht reichen würde, hat der Spielplan dem Novizen in den ersten 5 Spielen seiner Karriere als Bundesligatrainer gleich 4 Gegner aus der Top 5 der Vorsaison beschert. Was soll man da machen, außer vielleicht mal „ärmste Sau“ in Google einzugeben?
Man kann Polanski nicht vorwerfen, dass er nichts probiert hätte. Der vor der Saison eigentlich schon komplett ausrangierte Neuhaus wurde auf einmal wieder Stammspieler, Rocco Reitz wurde auf der rechten Außenposition ausprobiert, junge Spieler wie Urbich bekamen ihre Chancen, wenn nötig wurden schon mal 4 Spieler simultan ausgetauscht. So sonderlich viel anderes steckt in der Schublade „Reizpunkte setzen“ nicht mehr drin. Dass all das bislang keinen wirklichen Erfolg gebracht hat, liegt wohl wenig an Polanski, teilweise an den Gegnern, aber vor allem daran, dass die Probleme bei der Borussia zu tief sitzen, als dass man dies mit ein paar einfachen Maßnahmen beheben könnte. Immerhin verbessert sich die Personallage allmählich: Machino steht wohl am Samstag wieder zur Verfügung, aber Hoffnung macht vor allen Dingen, dass Franck Honorat wieder eine Startelfoption ist und in der Vorwoche in Berlin, zumindest andeuten konnte, dass mit ihm wieder etwas mehr Druck und Tempo ins Gladbach Offensivspiel zurückkehren. Denn auch wenn zu erwarten ist, dass Eugen Polanski seine sowieso schon defensiv schwache Elf geben Bayern (25 Tore in 7 Spielen) auf eine Abwehrschlacht einstellen wird, muss ein Ziel sein, gelegentlich auch mal selbst nach vorne zu stoßen, um für Entlastung zu sorgen, wobei ein schneller Honorat auf der rechten Außenbahn ein wichtiges Element wäre. Deswegen sähe ich persönlich den Franzosen gern in der Startelf, denn bei 0:3-Rückstand in der 65. Minute wird er kaum noch großen Einfluss auf das Spiel haben können.
Beim Gegner aus München erstaunt es wenig, dass dieser als Spitzenreiter nach Mönchengladbach anreist. Was aber doch etwas überrascht ist, wie souverän das Team bislang sämtliche Pflichtspiele gewonnen hat. Man hat fast vergessen, wie unruhig es im Sommer an der Säbener Straße war. Da war die unglückliche Verabschiedung der Bayern-Legende Thomas Müller noch in den Köpfen, dann verletzte sich Musiala bei der unsäglichen Club-WM, die Transferperiode verlief unglücklich mit dem Höhepunkt des gescheiterten Woltemade-Transfers (ach ja, Florian Wirtz hatte man auch nicht bekommen, das hat man fast schon wieder vergessen). Max Eberl wurde von seinem einstigen Mentor Uli Hoeneβ öffentlich angezählt, es war eigentlich alles vorbereitet für eine rumpelige FC Hollywood Saison mit lustigem Köpfe-Rollen. Aber dann stellte sich heraus, dass Fußball in erster Linie auf dem Platz ausgetragen und entschieden wird, und dass Vincent Kompany in seinen 15 Monaten Amtszeit anscheinend hervorragende Arbeit geleistet hat und das Team auch ohne allzu große Umstrukturierung sehr stimmigen Fußball spielen kann, gegen den eigentlich keine andere Mannschaft in der Liga eine Chance hat. Da hat ein Harry Kane seinen dritten Frühling, Konrad Laimer ist in der Form seines Lebens, eigentlich schon fast vergessene Recken wie Gnabry und Goretzka liefern wieder ab und um es nicht langweilig zu machen, kann Kompany dann in einem CL-Spiel einfach mal einen 17-Jährigen aus dem Hut zaubern, der nach 5 Minuten gleich ein Traumtor macht. Es ist gut möglich, dass der Bayern-Trainer in Gladbach nach dem Championsleague-Spiel am Mittwoch etwas durchrotiert, aber ernsthaft leichter wird das die Aufgabe für die Borussia kaum machen.
Was kann uns also Hoffnung machen für das Spiel am Samstagnachmittag? Um ehrlich zu sein: eigentlich nichts! Ja, da ist Gladbachs Ruf als Angstgegner der Bayern… es ist nur zwei Spielzeiten her, da holte die Borussia unter Daniel Farke noch 4 Punkte in ihren zwei BL-Spielen gegen den Rekordmeister. Wenn ich aber erwähne, dass damals auf Gladbacher Seiten Spieler wie Plea, Hofmann, Stindl, Thuram oder Bensebaini zum Einsatz kamen, scheint das Jahrzehnte lang her zu sein. Letztendlich ist es aber auch egal, denn die Partie gegen die Bayern – und das mag angesichts des Gladbacher Tabellenstands und der Historie dieser Begegnung seltsam klingen – ist das mit Abstand unwichtigste Spiel, welches der Borussia in diesem Kalenderjahr verbleibt. Selbst wenn ein überraschender heroischer Punktegewinn oder gar ein sensationeller Sieg gelänge, gäbe das wohl wenig Aufschluss für den Rest der Saison, denn Spiele gegen Bayern sind immer eine Ausnahme, die wenig weiterführende Erkenntnisse erlaubt. Die Saison unter Farke war nach dem 3:2 Sieg gegen die Münchener genauso träge und ermüdend wie zuvor bzw. wenn überhaupt noch träger und ermüdender. Das geht nicht nur den Gladbachern so: der VFL Bochum stieg in der Vorsaison nach einem grandiosen 3:2 in der Allianz-Arena ziemlich sang und klanglos ab, den HSV hinderte eine demütigende Klatsche in München vor einigen Wochen nicht daran, sich mittlerweile gut in der Liga zu etablieren.
Die wahren Highlightspiele kommen für die Borussia erst in den folgenden Wochen: St. Pauli, Köln, Heidenheim. Das Spiel in Heidenheim findet dabei nach der nächsten Länderspielpause ab und die offensichtliche Frage ist, ob Eugen Polanski dann immer noch BL-Trainer sein wird. Wenn Rouven Schröder vor einigen Tagen bzgl. dieser Position sagte "Grundsätzlich ist die Überzeugung da", schwebte da im Hintergrund ein großes ABER mit. Und es ist ein berechtigtes Aber: Eugen Polanski mag ein begabter Trainer sein und vielleicht langfristig sogar genau der Richtige für den VFL, aber wenn man sieglos am Tabellenende liegt, zählt erstmal nur der kurzfristige Erfolg und der Klassenerhalt. Der erneute bzw. endgültige Trainerwechsel ist die letzte Patrone, die Borussia im Moment noch verschießen kann und es ist sinnvoll, dies nicht vorzeitig zu tun, vor allem während der neue Sportchef sich noch akklimatisieren muss. Sollte man aber bis zur Länderspielpause immer noch sieglos in der Liga sein (das Pokalspiel gegen Karlsruhe wird auch noch seine Rolle spielen), dann wird es wohl unvermeidlich sein, auf der Trainerposition noch einmal zu handeln, so bitter und unfair das auch gegenüber Eugen Polanski sein mag.
Aber wer weiß? Vielleicht erleben wir ihn ja schon am Samstag, den absoluten Tiefpunkt der Saison, die gefühlten -273 Grad Kälte und danach wird alles besser. Punkte kann am Samstag niemand realistisch erwarten, aber es wäre schon hilfreich, wenn es gegen die Bayern nicht ein komplettes Debakel wie gegen Bremen und Frankfurt gäbe, sondern das Team sich einigermaßen anständig aus der Affäre zieht und halbwegs unbeschadet in die wichtigen Spiele danach gehen kann.
Seitenwahl-Tipps:
Claus-Dieter Mayer: Eugen Polanski betonte auf der Pressekonferenz, dass auch Spiele gegen Bayern München bei 0:0 beginnen. Dummerweise enden sie aber selten so, sondern werden auch dann noch weitergeführt, wenn die Bayern nach 20 Minuten mit 1:0 in Führung gegangen sind. Die Borussia hat Glück, dass die Münchener nach dem 3:0 in den Verwaltungsmodus übergehen und in der zweiten Halbzeit (mit „guten Ansätzen“!) kaum noch was passiert.
Michael Heinen: „In den letzten Jahren hat Borussia meist dann gegen die Bayern am besten ausgesehen, wenn es ihnen die wenigsten zugetraut haben. Dies wird sich am Samstag leider nicht fortsetzen. Wie zu erwarten verliert Borussia mit 0:5 gegen die derzeit übermächtigen Bayern.“
Christian Spoo: In den letzten Jahren hat Borussia meist dann gegen die Bayern am besten ausgesehen, wenn es ihnen die wenigsten zugetraut haben. Dies wird sich am Samstag fortsetzen. Unerwartet verliert Borussia nur mit 0:3.“
Mike Lukanz: Tipp: „Borussia wird ihre bislang beste Saisonleistung aufbieten, die Bayern werden hingegen einen gebrauchten Tag erwischen. Daher müssen sich die Münchner mit einem schnöden 2:0 zufriedengeben.“
Uwe Pirl: Borussia verliert 0:5 und Harry Kane kommt seinem Ziel, doppelt soviel Tore zu schießen, wie er Spiele bestreitet, mit einem Hattrick deutlich näher.
Kevin Schulte: "Ein großer Kampf, ein paar Bayern-Aussetzer, hitzige Stimmung und ein Spiel, das erst spät mit 4:2 zugunsten der Bayern entschieden wird. Für die warmen Worte nach Abpfiff können wir uns aber nichts kaufen."

