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Wir sind alle Interimstrainer

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“Wer den Schaden hat, braucht für den Sport nicht mehr zu sorgen“…so (oder ähnlich) lautet ein Sprichwort, dessen Wahrheit auch die Borussia zu Wochenbeginn erfahren durfte. Die blamable Niederlage gegen Bremen und der darauffolgende Rauswurf von Trainer Gerardo Seoane waren eine offene Einladung für Häme von allen Seiten. Und so konnte es sich natürlich irgendein verhinderter Klassenclown nicht verkneifen, den (mehr oder minder) witzigen Kommentar „Leverkusen gegen Gladbach am nächsten Spieltag also das Duell Erster gegen Zweiter“ auf Bluesky zu verbreiten. Die dabei angesprochene Tabelle ist aber leider nicht nach Punkten in der Bundesliga, sondern nach Zeitpunkt des Trainerwechsels erstellt. Dabei hatte man doch selbst erst noch vor gut einer Woche schadenfreudig gen Leverkusen geguckt und sich gefragt, wie kreuzdämlich und unprofessionell die Vereinsführung dort denn nur sein könne, entweder a) die ersten zwei Saisonspiele dermaßen überzubewerten, dass man danach den Trainer entlässt oder aber b) sich schon so komplett bei der Wahl dieses Trainers vertan zu haben. Immerhin hat Erik ten Hag in Manchester ja nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gearbeitet, sondern sein Wirken und seine Persönlichkeit hätten den Herren Rolfes, Carro und Co eigentlich durchaus bekannt sein sollen. Das diebische Lachen über solche Inkompetenz ist einem als Gladbachfan inzwischen aber im Hals stecken geblieben angesichts der Tatsache, dass man in Mönchengladbach seinen Trainer nach 2 Jahren Tätigkeit noch erheblich besser hätte kennen sollen, als die Leverkusener ihren gerade verpflichteten niederländischen Coach. Umso bizarrer erscheint es dann, dass diesem Trainer zunächst noch im Mai das Vertrauen ausgesprochen wird, die Mannschaft auch noch in der nächsten Saison zu betreuen und sogar vor einer Woche von Roland Virkus in der Rheinischen Post für seine Verdienste gelobt wurde mit dem Fazit „Diesen Weg müssen wir weitergehen – mit dem Trainer zusammen.“ Und dann nur wenige Tag später wird der Kommunikator, Analyst, Talentförderer, Entwickler, Teamplayer und (ganz wichtig!) BEKENNER ZUM BORUSSIA-WEG (all dies Attribute, mit denen Virkus den Schweizer auf einer Powerpoint-Folie bei der Jahreshauptversammlung im Vorjahr lobte) einfach so entlassen. 

Man möge mich hier nicht falsch verstehen: Die Entlassung von Seoane war und ist komplett richtig. Der Zeitpunkt aber ist katastrophal gewählt und nicht wirklich nachvollziehbar. Wenn man bis vor dem Spielbeginn gegen Bremen noch komplett vom Trainer überzeugt war, dann ist es charakterloser Populismus 90 katastrophale aber auch sehr unglücklich verlaufene (nach x-Goals war das Spiel ziemlich ausgeglichen) Minuten später seine Meinung auf einmal um 180 Grad zu drehen. Gab es andererseits vorher schon starke Zweifel am Schweizer (in weiten Teilen der Fangemeinde gab es diese schon seit dem Ende der Saison 23/24!), dann hätte man nie mit ihm in die neue Spielzeit gehen dürfen, sondern sich schon im Mai trennen, in Ruhe einen Ersatz suche und diesem die Chance auf eine komplette Vorbereitung mit dem Team geben müssen. Die Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht eine „Niederlage für den gesamten Club“, sondern in allererster Linie das Eingeständnis eines gravierenden Fehlers der Vereinsführung. Das einzig Positive an einem Trainerwechsel nach 3 Spieltagen ist, dass dieser Wechsel in 6 Wochen oder so noch schlechter terminiert gewesen wäre.

So bleiben zumindest noch 31 Spieltage übrig, um das Team wieder zu stabilisieren und zumindest den Worst Case Abstieg zu verhindern. An wie vielen dieser Spieltage Eugen Polanski auf der Trainerbank sitzen darf, ist dabei zunächst unklar. Der bisherige U23-Trainer der Borussia wartet eigentlich schon seit dem Frühjahr 2023 auf diese Chance. Damals begann der Stuhl von Daniel Farke zu wackeln und es gab anhaltende Gerüchte, Polanski könne womöglich übernehmen. Es wäre vermutlich ein einfacherer Einstieg gewesen als jetzt, denn der Spielplan beschert dem Interimstrainer nacheinander die Nummer 2 und 3 der letzten Abschlusstabelle als Gegner und es benötigt nicht viel Fantasie sich vorzustellen, dass Polanski – ohne viel falsch zu machen – zwei empfindliche Niederlagen in seinen beiden ersten Bundesligaspielen als Trainer hinnehmen muss. Immerhin stehen dem Debütanten außer den Langzeitverletzten Kleindienst und Ngoumou alle relevanten Akteure zur Verfügung. Selbst der 16-jährige Jungstar Mohya konnte unter der Woche wieder mittrainieren, wird aber vermutlich am Sonntag nicht im Kader sein. Wie üblich sind bei einem Trainerwechsel nach einer Woche kaum Zeit, ernsthaft neue taktische Varianten einzuüben, sodass die Veränderung eher auf der psychologischen Ebene liegen dürften. Qua seiner dynamischeren Persönlichkeit sollte Polanski nach dem eher drögen und wortkargen Seoane schon in der Lage sein, für einen kleinen Motivationsschub in der Mannschaft sorgen zu können. Ein beliebtes Mittel von Neu-Trainern sind Änderungen in der Startelf, um festgefahrene Strukturen aufzubrechen und den Spielern in der zweiten Reihe ein Signal zu geben, dass sie nun auch eine Chance haben. Yannick Engelhardt könnte ein Akteur sein, der von solcher einer Maßnahme profitiert.

Welche Kniffe taktischer, psychologischer oder personeller Art sich Eugen Polanski auch ausdenken mag, so werden sie wenig daran ändern, dass die Borussia als Außenseiter nach Leverkusen reist. Wie eingangs erwähnt, haben sich die Bayer 04-Verantwortlichen um Simon Rolfes mit ihrer Trainerposse im Sommer auch nicht mit Ruhm bekleckert. Auch sind viele Leistungsträger der letzten beiden Jahre gegangen. Deswegen aber jetzt eine große Krise oder gar einen Absturz der Werkself erkennen zu wollen, wäre naiv: Der Leverkusener Kader ist immer noch gespickt mit hochklassigen Kickern und der Gedanke, was ein Natan Tella in der Form vom Frankfurtspiel in Zusammenarbeit mit einem Knipser wie Patrick Schick mit der anfälligen Gladbacher Abwehr anstellen könnte, ist ähnlich beängstigend wie die Vorstellung Borussia würde in Nähe des eigenen Strafraums leichtsinnig Foulspiele begehen und Grimaldo zum Freistoß antreten. Das Beispiel Leverkusen zeigte auch, dass ein Trainerwechsel zumindest kurzfristig oft wirksam sein kann: Bayer wirkte gegen Frankfurt erheblich engagierter und zielgerichteter als zuvor und zeigte auch in Unterzahl die nötige Resilienz. Letztere bestätigte man beim späten Ausgleich in Kopenhagen in der Championsleague, wobei das Spiel aber auch klarmachte, dass trotz neuen Trainers noch lange nicht alles rund läuft bei Bayer. Mit Andrich und Fernandez werden zwei Leverkusener Stammspieler gegen Gladbach gelb-rot-gesperrt fehlen und auch Tellas Einsatz ist nach Knieproblemen noch fraglich. Abzuwarten bleibt auch ob Hjulmand nach der englischen Woche im größeren Rahmen rotiert oder doch erstmal versuchen wird „sein“ Team zu etablieren und sich einspielen zu lassen

In Mönchengladbach wurde auf der Pressekonferenz vor dem Spiel der nächste Gegner zwar nicht völlig ignoriert, aber das Augenmerk lag in erster Linie auf Eugen Polanski, der diese erste Herausforderung im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit gut meisterte. Die ganze Veranstaltung gab sich größte Mühe eine Feelgood-Atmospäre heraufzubeschwören, bei der der einstige Schützling von Roland Virkus, jetzt neben diesem als Trainer sitzen durfte. Wenn Rosamunde Pilcher Fußball-Romane geschrieben hätte… Polanski spielte dieses Spiel professionell mit und schaffte es auch Fremdschäm-Fragen nach seinem Borussen Herz und seinem Kindheitsverein Concordia Viersen souverän zu moderieren, wirkte aber ansonsten sehr realistisch und fokussiert. Er wolle keinen Polanski sondern Borussia-Fussball spielen, war eine Aussage. Gemeint war wohl weniger, dass er jetzt nächtelang alte Videos von Hennes Weisweiler und Lucien Favre Spielen studiert, sondern eher seine eigenen Konzepte zunächst mal zurückstellt und schauen will, was mit der vorhandenen Mannschaft möglich ist. Wie üblich in solchen Situationen war das ganze natürlich auch ein bisschen Farce. Da sitzen die Verantwortlichen mit dem Interimschef, sprechen diesem ihr vollstes Vertrauen aus, während auf dem Handy vermutlich schon die WhatsApp-Nachrichten von 3 Trainer-Kandidaten eingegangen sind. Die Rosamunde Pilcher – Inszenierung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das eigentliche Skript vorsieht, dass Eugen Polanski sich als Trainer jetzt erstmal die zu erwartenden Niederlagen gegen Leverkusen und Frankfurt abholt und dann brav wieder in die zweite Reihe rückt, während Roland Virkus Mirko Slomka (Name wurde von der Redaktion geändert) als neuen Borussen-Trainer dingfest macht.

Eugen Polanski ist übrigens nicht der erste Gladbacher Trainer, der in Leverkusen sein Debüt gab, auch Friedel Rausch tat dies im Frühjahr 1998 und erreichte immerhin ein 1:1. Das wäre auch am Sonntag kein schlechtes Ergebnis, solange die Parallelen dann dort auch enden. Denn unter den Fans ist die Hoffnung eher, dass Polanski vielleicht der neue Bernd Krauss sein könnte, der 1992 auch zunächst nur als interne Notlösung installiert wurde es dann aber schaffte der Mannschaft eine neue Identität zu geben und für eine kleine Borussia-Renaissance in den 90er Jahren zu sorgen. Bevor man sich in solchen Träumen verliert, sollte aber erstmal von Spiel zu Spiel gedacht werden. Leverkusen ist wie beschrieben ein stark besetzter Verein und gegen Gladbach Favorit, aber hat ein paar Ausfälle und den Championsleague-Auftritt unter der Woche zu verkraften. Auch ist man lang noch nicht das eingespielte Team, dass wir aus den letzten beiden Jahren kennen, sodass Borussia vielleicht gar nicht so chancenlos ist, wie man das glauben könnte. Zumindest haben die Gladbach und ihr Trainer am Sonntag wenig zu verlieren, was helfen mag.

 

Seitenwahl-Prognose:

Claus-Dieter Mayer: Müde Leverkusener haben gegen giftige Gladbacher mehr Mühe als erwartet und Eugen Polanski kann bei seinem Debut immerhin ein 1:1 erzielen, während Edin Terzic den unterschriftsreifen Vertrag erstmal wieder beiseite legt.

Michael Heinen: Trotz Polanski und einer engagierte(re)n Leistung verliert Borussia in Leverkusen mit 0:2.
Mike Lukanz: Borussia wird ein anderes Gesicht zeigen, mithalten, kämpfen. Aber die individuelle Klasse wird nicht reichen. 3:2 für Leverkusen.

Christian Spoo: Borussia gibt sich alle Mühe, zeigt sich gegenüber dem Bremenspiel deutlich verbessert. Ein Tor allerdings gelingt auch in Leverkusen nicht und am Ende sieht das 0:3 aus, wie eine Fortsetzung der Misere.

Michael Oehm: Das ist ein äußerst undankbarer Auftakt für einen neuen Trainer. Wenn es wirklich so etwas wie einen Neutrainer-Effekt gibt: den hat der Gegner auch. Dazu noch dessen unzweifelhaft wesentlich höhere individuelle Qualität. Schon weniger als drei Tore Unterschied wäre unter diesen Umständen ein Erfolg.  Das 4:0 für die Chemie zeigt auf, dass man vor dem Sommer hätte handeln sollen. Und nicht nur auf Trainerebene.

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