Borussen-Check 25/26 - So tippt die Redaktion
Nachdem der Borussen-Check detailliert die Geschehnisse der Sommerpause in den Blick genommen und die aktuelle Stärke bzw. Schwäche des Kaders zu analysieren versucht hat, wagen wir uns jetzt an die Frage, was wir Fans denn tabellarisch von unserem Verein in der anstehenden Saison zu erwarten haben. Die Seitenwahl-Redakteure (Gendern leider unnötig) geben hier mehr oder weniger kurz ihre Einschätzung, man könnte auch sagen ihren Tipp ab. Fürchtet Euch!
Michael Heinen:
Nicht erst seit dem desolaten Pokalauftritt steht zu befürchten: Borussia Mönchengladbach steht vor einer schwierigen Saison. Durch die Abgänge von Ko Itakura und Alassane Plea ist der Kader voraussichtlich schwächer geworden. Machino und Diks sind vielversprechende Transfers, die aber erst noch nachweisen müssen, ob sie bei Borussia funktionieren und erfolgreich in die großen Fußstapfen ihrer Vorgänger treten können.
Die Offensive ist nominell weiterhin ordentlich besetzt und dürfte zum Faustpfand im Kampf um den Klassenerhalt werden. Kleindienst, Machino, Honorat, Hack und Stöger bieten eine Qualität, die sogar für höhere Ambitionen geeignet wäre. Gefährlich wird es aber bei einer größeren Anzahl von Ausfällen, da hinter den genannten Spielern ein erheblicher Qualitätsabfall zu befürchten ist. Haris Tabakovic wirkte im Pokal leider nur wie ein gleichwertiger Cvancara-Ersatz. Auch wenn dies nicht überbewertet und ihm etwas mehr Zeit für die Eingewöhnung geboten werden sollte, hätte ich mich über eine Offensivalternative mit größerer Perspektive und Fantasie gefreut.
Noch mehr freuen würde es mich allerdings, wenn Borussias Management endlich einmal die offensichtlichste aller Baustellen im Kader engagiert angehen würde. Wenn eine Mannschaft regelmäßig seit Jahren um die 60 Gegentore pro Saison kassiert, ist es unverzeihlich, diesen Missstand seit Jahren konsequent zu ignorieren. Hinzu kommt, dass Nico Elvedi in der Vergangenheit stets dazu neigte, nur an der Seite eines (stärkeren) Abwehrchefs zu funktionieren. Zu Beginn seiner Zeit war dies Andreas Christensen. Zuletzt gelang es Ko Itakura, den Schweizer an seiner Seite zumindest ein wenig zu stabilisieren. Ob dies Kevin Diks in gleicher Weise gelingen wird, ist arg optimistisch. Die Achillesferse auf der rechten Seite, wo Joe Scally weitgehend gesetzt zu sein scheint, wurde weiterhin nicht angegangen. Hier bleibt zu hoffen, dass Diks oder Castrop ein Upgrade zum seit Jahren in seinen Leistungen stagnierenden US-Amerikaner bieten können. Mehr als die vage Hoffnung auf die positive Entwicklung einiger Spieler bleibt uns allerdings kaum. Realistisch ist, dass auch diese Saison wieder eine Vielzahl von Gegentoren zu erwarten sein wird. Wenn schon ein Fünftligist in der Lage ist, zweimal gegen Borussia zu treffen und sich darüber hinaus eine Fülle weiterer Chancen zu erarbeiten…
In der Vergangenheit ist es Borussia immer wieder gelungen, außergewöhnliche Spieler wie Andersson, Galasek, Dante, Stranzl oder Christensen zu verpflichten, die ihre Kollegen besser gemacht und die Defensive deutlich stabilisiert haben. Ein oder zwei Spieler dieser Güteklasse wären dringend erforderlich, damit das Ziel von der Einstelligkeit und vielleicht sogar der Blick nach Europa wieder realistisch erscheinen könnten. All diese Spieler haben zudem eines gemein: Sie waren günstig, sodass auch das Argument des fehlenden Geldes ins Leere läuft. Borussia muss endlich wieder ein Management und Scouting leben, das schneller und schlauer ist als die der Konkurrenz. Tatsächlich sind sie hier inzwischen von Vereinen wie Frankfurt, Freiburg oder Mainz abgehängt worden. Anstatt das eigene Scouting wieder zu optimieren, verlässt sich Roland Virkus offensichtlich auf seine eigene Expertise und verpflichtet überwiegend Spieler, für die eine Recherche per kicker und Sportschau ausreicht. Dies kann zu Glücksgriffen wie zuletzt bei Kleindienst und Sander führen, ist aber ein allzu enger Fokus, der langfristig wenig Erfolg verspricht.
Aus all diesen Gründen steht Borussia vor einer schwierigen Saison, bei der – im worst case, z. B. bei einer Vielzahl wichtiger Ausfälle – selbst der Abstieg nicht ausgeschlossen werden kann. Dass es dazu meiner Meinung nach am Ende nicht kommen wird, liegt in erster Linie daran, dass es weiterhin eine Fülle noch schwächerer Mannschaften in der Liga gibt. Mindestens drei aus der Riege Union, St. Pauli, HSV, Hoffenheim und Heidenheim sollte der Verein hinter sich lassen können. Sollte sich bis zum Transferschluss nichts Wesentliches mehr tun, erscheint ein Ergebnis zwischen Platz 11 und 14 realistisch. Müsste ich mich festlegen, würde ich auf den 12. Platz tippen.
Mike Lukanz:
An dieser Stelle will ich, so viel Zeit muss sein, auf die Saisonprognose des Sommer 2024 hinweisen, in der ich ziemlich präzise den 10. Tabellenplatz vorhergesagt hatte. Mein präzises Vorhersagen von Saisonverläufen war bis dahin so stabil wie Borussias Abwehr der vergangenen Jahre.
Womit wir bei der Baustelle wären, die ich bereits in der bereits erwähnten Prognose aus 2024 erwähnte: die Abwehr. Es ist mir unbegreiflich, wie konsequent das eigentliche Problem der vergangenen Jahre auch in diesem Sommer ignoriert wurde. Klar, Stürmer und Offensivspieler verpflichten macht Spaß, bringt gute Publicity und löst in den Köpfen von Fans Phantasien nach Spektakel, Toren und damit Erfolg aus. Aber ich möchte in bester Florian-Neuhaus-Manier noch einmal in Erinnerung rufen: 57, 67, 55, 61, 56. Das sind die Gegentore am Ende der vergangenen fünf Saisons. 296 Gegentore in 170 Meisterschaftsspielen. Das sind 1,7 Gegentore. Pro Spiel. Über fünf verfluchte Jahre hinweg. Verwundert es, dass Borussia immer dann europäisch spielte, wenn sie weniger als 50 Saisontore kassierte? Und haben wir alle vergessen, dass Lucien Favres Magie im Jahr 2011/12 darin bestand, dass Borussia in ebendieser Saison nur 24 (in Worten: vierundzwanzig) Gegentore hinnehmen musste? Allen Borussia-Barcelona-Träumereien zum Trotz war dies das eigentliche Erfolgsrezept vom zerstreuten Professor aus der Schweiz.
Aber in einem Verein, der damit etwas Geld verdient, indem er der Philosophie „Lieber 5:4 als 1:0“ sogar ein eigenes Buch widmet, besteht wenig Hoffnung auf Besserung. Das hat in den 1970er-Jahren funktioniert, als nichts weniger als Weltklassefußballer in den eigenen offensiven Reihen standen und damit zur DNA stilisiert wird. Jetzt haben wir Tim Kleindienst, der verletzt ist. Wir haben Robin Hack und Franck Honorat, die sich jedoch nicht verletzen dürfen, weil wir keine Alternativen im Kader haben. Wir haben Kevin Stöger, der von einem Absteiger kam. Und Schuto Machino, der auch von einem Absteiger kam. Dafür haben wir in Jonas Omlin, Julian Weigl, Florian Neuhaus und Marvin Friedrich vielleicht nicht die teuerste Ersatzbank der Bundesliga, aber für einen Champions-League-Platz in der Katerogie „verbranntes Geld“ sollte es reichen.
Der Kader ist in seiner Gänze zu stark, um tatsächlich als Absteiger gehandelt zu werden. Aber eben zu schwach und wenig homogen besetzt, um an Europa zu schnuppern. Ein Platz 8 oder 9 kann mit einer kleinen Negativserie aber auch schnell zu Platz 14 werden, dann können Saisons auch eine ganz miese Wendung nehmen, weil dann Nervosität und Unruhe steigen. Wenn auf dem Transfermarkt nichts Essentielles mehr geschieht, um die Defensive zu stärken (oder Seoane auf einmal Favre-Ideen kopiert), wird Borussia einmal mehr im grauen Mittelfeld einlaufen. Da wir uns in der Summe der Ab- und Zugänge (Machino & Diks für Plea & Itakura) eher leicht verschlechtert haben, tippe ich Rang 11 als Endplatzierung.
Michael Oehm:
Zwei Baustellen hatte Borussia mit in die Sommerpause genommen. 1. Wichtig: Die Außenbahnen, auf denen Hack und Honorat bei Verletzung oder Auswechslung (auf dieser Position eigentlich ob des Laufpensums spätestens nach 70 Minuten unumgänglich, will man langfristig erfolgreich sein) in der Vorsaison nicht annähernd ersetzt werden konnten. 2. Lebenswichtig: Die Defensive. 57 Gegentore sprechen eine deutliche Sprache. Und der Trend ist nicht Rob aber auch nicht Borussias Friend.
Dann kam die Kleindienst-Verletzung und offensichtlich waren alle Baustellen vergessen. Anders ist es nicht zu erklären, dass die einzige personelle Änderung während der Sommerpause im Bereich der Defensive im Transfer von Itakura in die Niederlande bestand. Jetzt hat man also Diks gegen Itakura getauscht und ist der Ansicht, damit genügend gut aufgestellt zu sein.
Ernstlich: Das ist eine so gravierende Fehleinschätzung und ein so eklatantes Versäumnis, dass es einem wirklich die Sprache verschlägt. Denn darauf zu hoffen, Seoane würde eine defensive Idee mit und in der Mannschaft entwickeln, ist angesichts der Progression in zwei vollen Saisons seines Wirkens in Mönchengladbach schlicht kein erfolgversprechendes Unterfangen.
Natürlich kann das alles „gut“ gehen. Sprich: eine ordentliche Offensive wiegt das defensive Defizit halbwegs auf, wie in der letzten Saison. Es kann aber auch ganz furchtbar in die Hose gehen. Und obwohl ich mir nun wirklich das Gegenteil wünschen würde, halte ich letzteres für das wesentlich wahrscheinlichere Szenario. Der Verein wähnt sich in einer weiteren Übergangssaison. Aus der kann aber auch ganz schnell eine Untergangssaison werden. Alles ab Platz 12 abwärts erscheint realistisch, darüber hinaus wird es wohl nicht gehen können. Wenn man sich in der Bundesliga umschaut, gibt es trotz der klangvolleren Namen als zuletzt dennoch Hoffnung, dass sich mindestens noch drei schwächere Vereine finden, wenn einen allzu großes Verletzungspech nicht ereilt. Entsprechend optimistisch wage ich Platz 14 als Voraussage.
Claus-Dieter Mayer
Vielleicht liegt es am Alter oder auch daran, dass ich gerade einen eher stressigen Sommer mit Umzug hinter mir habe, aber selten hat ein bevorstehender Saisonstart so wenig Emotionen in mir ausgelöst. Vorfreude? Nicht so richtig und warum auch? Am Ende ist ja egal, wie viele Tore Tabakovic oder Machino schießen, unsere Defensive wird schon Wege finden, noch mehr hinten reinzulassen. Angst? Auch nicht wirklich, insgesamt sollte da genug Qualität im Kader stecken, um sich wieder im Liga-Mittelfeld einzureihen. Ist das mein Problem? Verwöhnter Erfolgsfan, dem Platz 10 nicht gut genug ist? Vielleicht, aber wenn man das mit nicht immer erfolgreichem, aber schönem Fußball schafft, der Perspektiven für mehr andeutet, ist auch Platz 10-12 kein Problem. Aber das ist es wohl: Ich sehe diese Perspektive nicht, keinen großen Plan, kein wirkliches Konzept, keine aufregenden Entwicklungen, sondern nur einen etwas verqueren, aber halbwegs bundesligatauglichen Kader. Übergangssaison forever! Aber, liebe Borussia, wie immer gilt, dass ich mich gern eines Besseren belehren lasse, mich sehr gern begeistern lasse und nicht viel brauche, um von Höherem zu träumen. Im Moment erwarte ich aber nur irgendwas zwischen Platz 10-14.
Uwe Pirl
Lieber 5:4 statt 1:0. Das in Jubiläumszeiten zur Charakterisierung von Offensivfußball gern bemühte Credo von Hennes Weisweiler war schon Anfang der 70er Jahre nur die halbe Wahrheit. Denn erst nach Interventionen aus der Mannschaft und der Verpflichtung mehrerer Verteidiger bekam Gladbach die Stabilität, um Titel zu gewinnen. Der Blick auf Borussia 2025 offenbart natürlich nicht die offensive Power der goldenen 70er Jahre, wohl aber unübersehbare Probleme im Defensivverhalten. Insofern verwundert es stark, dass der Verein mit einem personell noch schwierigeren defensiven Setup in die neue Saison geht, als dies letztes Jahr der Fall war: Es gibt keinen defensiv tauglichen Backup für den Linksverteidiger Ullrich. Man tauscht den einzigen stabilen Innenverteidiger (Itakura) gegen einen verletzungsanfälligen Neuzugang, der noch nie Bundesliga gespielt hat. Man lässt (richtigerweise) Lainer gehen, ohne bisher eine Alternative für Scally verpflichtet zu haben. Das macht Sorgen. Klar, man kann hoffen, dass Netz Defensivverhalten lernt, dass Chiarodia durchstartet, dass Diks unverletzt bleibt und Itakura nahtlos ersetzt, dass Friedrich hoch verteidigen lernt, dass Scally stabiler wird und ohne Verletzungen und/oder Sperren durchkommt und dass im Fall der Fälle weder Castrop noch Diks gerade anderweitig gebraucht werden, wenn sie denn doch einmal rechts verteidigen müssen. Für eine defensiv stabile Saison müssten sich aber alle diese Hoffnungen kumulativ erfüllen und noch dazu die Mittelfeldzentrale anders agieren als bisher. Besonders wahrscheinlich ist das nicht und die Beinaheblamage gegen Delmenhorst hat die Wahrscheinlichkeit nicht erhöht. Offensiv ist das Bild auch nicht viel besser. Der teuerste Neuzugang (Machino) noch verletzt. Der Kapitän erst mittelfristig verfügbar. Der ausgeliehene Backup bisher ohne jeden Nachweis seiner Bundesligatauglichkeit und mit einem Hang zum Abseits. Die künstlerische Kreativität von Plea? Völlig unersetzt. Immerhin trifft Hack dieses Mal auch am Anfang der Saison.
Wie man es dreht und wendet: Borussia Mönchengladbach 2025 ist eher schwächer als Borussia Mönchengladbach 2024. Die gute Nachricht: Das trifft auch auf andere Vereine zu: Heidenheim, Union, St. Pauli und Bremen wären da zu nennen. Dazu kommt der kein sehr gutes Bild abgebende HSV, wohingegen Köln klar auf Champions-League-Kurs ist. Läuft halbwegs normal, landet Borussia vor diesen Vereinen, dann ist es wieder irgendein oberer oder unterer Mittelfeldplatz. Läuft es nicht, kann auch akute Abstiegsgefahr entstehen.
Christian Grünewald
Was macht also sonst Hoffnung, wenn selbst in der ersten Pokalrunde beim Fünftligisten Atlas Delmenhorst wieder die alten Probleme erkennbar werden? Welchen Plan hat Gerardo Seoane, dem laut GF Sport und der gesamten Vereinsführung "richtigen Trainer für Borussia Mönchengladbach", der einer vielzitierten kritischen Analyse der Vorsaison Rechnung trägt? Es scheint, keinen wirklich anderen als bisher: die Bälle schnell und gern hoch nach vorn, viele Tore schießen, damit man am Ende eins mehr hat als der Gegner. An eine verbesserte Abwehrleistung mag man ob des Verzichts auf eine Anpassung des Systems personalunabhängig kaum glauben. Oder doch? Ist die Entscheidung für Rocco Reitz als acting Captain, mit Philipp Sander zum Saisonstart an seiner Seite, die Chance auf mehr Stabilität und Mentalität in der großen Schwachstelle Doppelsechs? Darauf sollen wir nun hoffen, und es scheint im Kader zumindest die größte Aussicht auf ordentliches Gelingen.
Und dann bleiben die Einzelspieler: Die erwähnten Reitz und Sander, die offensiv unverzichtbaren Hack und Honorat, der Wunsch, dass Stöger und Elvedi mit ihrer Erfahrung vorangehen, Diks und Machino fit sind und einschlagen, Kleindienst schnell und in guter Verfassung zurückkehrt und Nicolas der gleiche starke Rückhalt bleibt wie vor seiner Verletzung. Dann hat man im Bundesligavergleich sicherlich auf vielen Positionen weiterhin überdurchschnittliche Akteure zur Verfügung. Aber es sind eben sehr viele "Wenns und Danns", und Ausfälle kann sich Borussia angesichts der fehlenden Kadertiefe kaum bis gar nicht erlauben.
So geht unser VfL in eine spannende, vielleicht richtungsweisende Saison 25/26. Es wurde viel gefeiert und gelobt rund um das 125-jährige Gründungsjubiläum des Vereins, aber sportliche Impulse gab es erstaunlich wenige. Geht das "Weiter so" also weiter so irgendwie gut - was einen Platz im gesicherten, idealerweise einstelligen Mittelfeld bedeuten würde - oder wird die auf Kante genäht und uneinsichtig wirkende Saisonplanung Borussia schließlich doch zum Verhängnis? Am Ende sollte die individuelle Grundqualität auch noch dieses Jahr reichen, um nicht ganz abzustürzen - aber davon, dass Borussia in dieser Konstellation noch beginnt ein solides fußballerisches Fundament zu bauen, kann man als Fan wohl weiterhin nur träumen. Platz 10 - 14.