Neuhaus - eine Sommertragödie
Und das soll es jetzt gewesen sein? Borussia verbannt Florian Neuhaus nach der Veröffentlichung des Mallorca-Videos vier Wochen lang zur eigenen U23, außerdem muss der pfiffige Memelieferant (1,2,3,4) eine größere Summe zahlen, die Kollegen von der Rheinischen Post sprechen von einem sechsstelligen Betrag. Ist das schon der Wert eines Dominosteins? Borussia hat sich nach außen in der Neuhaus-Angelegenheit zuverlässig so verhalten, wie wir sie kennen: Hilflos. Lange hat es gedauert, bis der Verein überhaupt sprechfähig war, nachdem das Video zunächst auf X und dann auf so ziemlich allen denkbaren Plattformen die Runde machte. Danach hieß es, man wolle sich Zeit lassen, dann ließ man sich doch keine sondern verhängte eine Sanktion, die Neuhaus vermutlich nicht allzu weh tun wird, und die vor allem das Grundproblem nicht antastet. So sich nicht in den kommenden vier Wochen Erstaunliches tut, bleibt Florian Neuhaus ein - wie jetzt jeder weiß - extrem gut bezahlter Teilzeitprofi, der seine Millionen auf der Ersatzbank verdient. Vielleicht verdient er sie ab August auch auf der Tribüne, die ohnehin nicht sonderlich große Neigung von Gerardo Seoane, Neuhaus Fußball spielen zu lassen, wird durch die Angelegenheit sicher nicht gewachsen sein.
Das wirklich Ärgerliche an der ganzen Geschichte ist, dass sie nur Verlierer produziert hat. Florian Neuhaus hat sich durch sein besoffenes Gelalle keinen Gefallen getan. Sein ohnehin ramponiertes Image hat weiter gelitten, wer in dem einst als hochbegabt geltenden Fußballer einen verzogenen und wenig teamfähigen Schönwetterkicker gesehen hat, der darf sich bestätigt fühlen. Sich über einen Vorgesetzten derart lustig zu machen, vor einem Haufen ebenfalls angetrunkener Fans, das wäre schon in den 80er Jahren keine gute Idee gewesen. Es in einer Zeit zu tun, in der jeder Mensch zu jeder Zeit mit einer Kamera ausgerüstet ist und so ziemlich jeder Moment eines jeden Lebens der Menschen aus den Generationen Y und Z dokumentiert wird, ist es eine Eselei, die man auch mit "ich war halt voll" nicht ansatzweise entschuldigen kann. Neuhaus hat sich verhalten wie ein Idiot und er hat durch seine Äußerung einen zumindest zweifelhaften Charakter offenbart.
Amüsanterweise feiern Neuhaus allerdings auch nicht wenige Fans von Borussia Mönchengladbach in den Sozialen Medien für seinen Auftritt am Ballermann. Er habe doch nur die Wahrheit gesagt, heißt es da gerne. Es ist wohl ein Zeichen der Zeit, dass Auftritte wie dieser vor allem als unterhaltsam wahrgenommen werden. Die erwähnte permanente Dokumentation des Alltags wird bei denen, die nach 1990 geboren wurden, eher gefeiert als hinterfragt. Diejenigen, die angesichts der Strafe jetzt "Free Neuhaus" posten, oder (ausgerechnet) den BILD-Slogan "Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht" (der im Übrigen weder von Albert Einstein noch von Joseph Goebbels stammt), sollten sich hinter die Ohren schreiben, dass normale Arbeitnehmer für so etwas mindestens abgemahnt werden. Egal, wie man zu Florian Neuhaus oder Roland Virkus steht, was der einstige Hoffnungsträger sich geleistet hat, geht nicht. Punkt.
Aber die Worte sind in der Welt, und man kommt nicht umhin, sich mit dem Inhalt des Gesagten auseinanderzusetzen. Dass Florian Neuhaus zu den Besserverdienenden im Kader gehört, hatten wir befürchtet. Dass er gedenkt, seinen Vertrag auszusitzen, hatte der sportlich Unterbeschäftigte erst vor wenigen Tagen geäußert, da war er dem Vernehmen nach sogar nüchtern. Dass Neuhaus selbst weiß, dass Leistung und Lohn in seinem Fall weit auseinanderklaffen, liegt nahe, wenn man sich sein "Don Rollo-Fingerspiel" anschaut. "Guckt Euch den Idioten-Manager an, einem wie mir bläst er die Kohle in den Hintern", dieser Subtext des Mallorca-Videos lässt sich aum ausblenden. Ob auch der Satz "Don Rollo ist der schlechteste Manager der Welt" von Florian Neuhaus gesagt wurde, bleibt offen. Es gibt dazu weder Bestätigung, noch Dementi, weder von Borussia noch vom Spieler selbst.
So oder so gehört auch Roland Virkus zu den Verlierern der ganzen Angelegenheit. Unterstützer hat der Sportdirektor außerhalb der Wagenburg Borussia augenscheinlich kaum noch. Diejenigen, die ihn wegen des einen oder anderen Transfer-Erfolgs einst halb liebevoll, halb spöttisch zum "Don Rollo" erklärt haben, haben sich großenteils abgewandt, "Don Rollo" ist nur noch ein Spottname, und allein das Zustandekommen der alten Memes - der Schnauzbartträger als Koch, als Fuchs, als Bankräuber - legte schon nahe, dass Virkus von Fans und Anhängern von Beginn an kaum wirklich ernst genommen wurde. Sein bodenständig-hemdsärmeliges Auftreten empfinden viele bestenfalls als drollig, schlimmstenfalls als peinlich. Geschichten aus Virkus' Zeit als Jugendkoordinator machen die Runde und stärken nicht eben das Vertrauen in die Fähigkeiten des Sportdirektors als Kaderschmied und Transfertalent. Dass Virkus sich seit dem Ende der vergangenen Saison mit Fan-Schelte, Schön- und Kleinreden hervortut, macht die Zahl derer, die zu seiner Verteidigung herbeispringen, auch nicht größer. Es ist vermutlich unfair, aber der Eindruck, den Borussia in diesem Sommer bisher macht, ist: Alle sitzen auf dem Campingplatz und warten, dass irgendwo durch Zauberhand einer der vielzuvielzitierten Dominosteine umfällt und sich dadurch die leicht unangenehme Situation mit einem teuren, aber nicht zukunftsträchtigen Kader bei leeren Kassen von ganz allein in Wohlgefallen auflöst. Dass Virkus sich jetzt auch noch aus dem eigenen Kader verspotten lassen muss, hat da wirklich noch gefehlt.
Bleibt die Frage, wie es überhaupt zu der Gemengelage mit Neuhaus als hochbezahltem aber offenbar ungeliebtem Kadermitglied kommen konnte. Die Fakten: Neuhaus wäre vor genau einem Jahr vertragslos gewesen und hätte Borussia aller Wahrscheinlichkeit ablösefrei verlassen. Schon 2023 schien es keinen Markt für den Techniker zu geben, zumindest nicht in den Gehalts- und Ablösevorstellungen, die Neuhaus und Borussia seinerzeit vorschwebten. Eine Führungsrolle hatte Neuhaus schon unter Adi Hütter und Daniel Farke nicht gespielt, dennoch wollte man ihm bei Borussia unbedingt genau diese Rolle zutrauen. Die Folge: Ein neuer Vertrag bis 2027, die Rückennummer 10 und 1,2,3,4... Nun war Gerardo Seoane schon als Trainer verpflichtet, als Virkus gemeinsam mit Neuhaus von seinem Schreibtisch aus in die Kameras griente. Wie die Kommunikation im Vorfeld war, ob Seoane gefragt wurde, ob er die Verhältnisse überhaupt beurteilen konnte, darauf wird es vermutlich nie eine befriedigende Antwort geben. Sicher ist nur: Der Trainer Seoane konnte mit dem Spieler Neuhaus von Beginn an nicht viel anfangen. Und spätestens nach dem merkwürdigen Vorfall mit dem gegen den Willen des Trainers ausgeführten (und verwandelten) Elfmeter in Bremen hatte Neuhaus ganz offenbar gar keinen Kredit mehr. Nun werfen durchaus einige Anhänger dem Trainer vor, hier ein fußballerisches Juwel durch seine schweizer Sturheit verkommen zu lassen. Das Juwel allerdings hat schon vor vielen Jahren aufgehört zu glänzen. Gelungene Aktionen von Neuhaus (Der Elfmeter! Die Grätsche!) wurden über Gebühr gefeiert, weil sie das Narrativ vom Gut und Böse in diesem Konflikt nährten. Es ist wie so oft bei Seoane: Der Mann erklärt sich nicht. Mit dieser seiner Art wird er nie ein Fan-Liebling, Spieler wie Florian Neuhaus (und vorher Christoph Kramer) schlagen daraus indirekt Kapital, weil sie in der öffentlichen Wahrnehmung für viele automatisch die Good Guys sind. Dass es durchaus Stimmen gibt, die just die beiden Baller-League-Kumpels schon einige Trainer vor Seoane als "Kabinengift" bezeichnen, möchten wir nicht unerwähnt lassen, wirklich einordnen können wir das mangels Zutritt zur Kabine nicht.
Der eigentliche Verlierer der ganzen Nummer heißt Borussia. Im Sinne von "wir alle", auch wenn man "Borussia" an der Hennes-Weisweiler-Allee anders definiert. Man ist mit einer blöden Geschichte bundesweit im Gespräch, die Autorität des Sportdirektors ist auf Null gestellt und der Verein hat- ob juristisch beraten oder einfach weil man halt Borussia ist - die Gelegenheit verpasst, einen Schlussstrich unter das Dauerthema Florian Neuhaus zu ziehen und den Spieler an die frische Luft zu setzen. Damit hätte die ganze Mallorca-Affäre zumindest ein Gutes gehabt, denn das Sprichwort vom Ende und vom Schrecken, es ist wahr. Stattdessen geht vermutlich alles weiter wie gehabt - und wir warten auf jemanden, der uns beim Domino mitspielen lässt.