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Borussia: Der Jahresrückblick 2024

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Das Jahr 2024 hatte für Fans von Borussia Mönchengladbach so gut wie alle denkbaren Emotionen in petto. Steckte das Team in der Rückrunde der vergangenen Saison zeitweise im Abstiegskampf, sprechen am Jahresende, wo die Hinrunde noch nicht ganz vorbei ist, die ersten schon halblaut vom internationalen Geschäft. Die Leistung der Mannschaft und entsprechend die Stimmung im Umfeld waren starken Schwankungen ausgesetzt. Schön, dass wir das Jahr mit einem guten Gefühl beenden dürfen. In Zahlen gesprochen hat Borussia im zu Ende gehenden Kalenderjahr 41 Punkte in 33 Bundesligaspielen geholt und ist zweimal aus dem DFB-Pokal ausgeschieden. Wäre das Kalenderjahr eine Saison, Borussia wäre zu gut für den Abstieg, aber nicht gut genug für Europa. So ähnlich sehen es auch die Redakteure von Seitenwahl. Hier ist unsere ganz persönliche Rückschau auf 2024:

Volkhard Patten:

24 Punkte aus 15 Spielen – wenn man die nackten Zahlen betrachtet, kann man durchaus mit dem bisherigen Saisonverlauf bis zur Winterpause zufrieden sein. Vor allem wenn man bedenkt, dass man zum gleichen Zeitpunkt der letzten Saison ganze sieben Punkte weniger auf dem Konto hatte. Das ganze Gebilde ist aber durchaus fragil, wie man im Laufe der Saison gesehen hat. Neben starken Auftritten gab es auch immer wieder unerklärliche Wackler. Einiges davon konnte durch mangelndes Spielglück erklärt werden, gerade aber in den letzten Partien hatte Borussia genau dieses Glück auf seiner Seite. Darauf zu bauen wäre aber fahrlässig.

Nach dem durchaus durchwachsenen Saisonstart gelang es Borussias Übungsleiter, die Defensive zu stabilisieren. Vorne ist Tim Kleindienst eine Lebensversicherung. Nachdem Gerardo Seoane auf der linken Seite mehr oder weniger zu seinem Glück gezwungen wurde, ist diese Baustelle erledigt. Eine der Hauptaufgaben des Trainers dürfte sein, auch die rechte Seite defensiv zu stabilisieren. Und Kevin Stöger zu integrieren. 

Spannend wird es zu sehen, ob es Borussia gelingt in den ersten drei Spielen nicht die erwarteten drei Niederlagen zu kassieren, sondern den einen oder anderen unerwarteten Punkt einzufahren. Einerseits ist die Mannschaft gefestigt genug, auch nach drei Niederlagen noch nicht in Panik zu verfallen, andererseits wecken die bis jetzt erzielten 24 Punkte im Umfeld natürlich auch leichte Träume von internationalen Spielen in der nächsten Saison. Man tut aber gut daran, sich diese Gedanken bis zum letzten Spieltag zu verkneifen. Ich erinnere da an Eintracht Frankfurt in der Saison 2010/11, die nach 17 Spieltagen 26 Punkte hatten und das Ziel Europa ausgerufen hatten. Der Rest ist Geschichte …

Christian Spoo:

„Zufälligerweise habe ich gerade den Artikel Wohlfühloase vom Oktober gelesen und frage mich wem so eine Scheiße einfällt . Fans von Borussia können das nicht gewesen sein . Nicht Virkus oder Seoane die alles geben für den Verein sondern solcher Hetzerseiten wie die Ihrige sind die Schande des Vereins und gehören verboten . Das ist eine Absolute Freihheit was da geschrieben wurde . “ (sic)

Diese Zuschrift erreichte die SEITENWAHL-Redaktion zum Fest und wir möchten uns herzlich für jede Form der Rückmeldung bedanken. Schließlich fungieren Einlassungen wie diese als Seismograph für die Stimmung im Umfeld. Und die ist zum Ende des Jahres 2024 ausgezeichnet. Borussia steht da, wo sie nach eigenem Bekunden in dieser Saison hinmöchte – auf einem einstelligen Tabellenplatz. Die Ergebnisse stimmten zuletzt, die Leistungskurve zeigt über mehrere Wochen gesehen nach oben, katastrophale Darbietungen waren zuletzt nicht mehr zu sehen und das letzte Spiel des Jahres wurde trotz eines bestenfalls mäßigen Auftritts gewonnen – auch das ein Zeichen neu gewonnener Stabilität. Dass Borussia zuletzt auch häufig Glück hatte, geschenkt. Das gehört dazu und soll nicht den positiven Eindruck mindern, den das Team zurzeit macht.

Aber wir wären nicht eine Hetzerseite, die verboten gehört, wenn wir die Suppe nicht einmal ordentlich umrührten und dann doch diverse Haare fänden. Da ist zum einen der Spielplan, der das gute Abschneiden von Borussia natürlich begünstigt hat. Man muss gegen jeden Gegner zweimal spielen und natürlich ist nicht auszuschließen, dass alles so weitergeht – wie erfreulich wäre das? Allerdings waren die Gegner, die Borussia geschlagen hat, allesamt Gegner, die Borussia auch schlagen muss, um dem Abstiegskampf zu entgehen. Klar, solche Spiele muss man auch erstmal gewinnen, aber für das Ziel „Einstelligkeit“ braucht man auch mal einen Überraschungssieg. Dass der gelingen kann, wenn alles für Borussia läuft, zeigt das Spiel gegen Leverkusen. Wo leider alles gegen Borussia lief. Auch die Abhängigkeit von einzelnen Spielern könnte im Lauf der Restsaison noch zum Problem werden. Wo stünde Borussia ohne Tim Kleindienst? Der Stürmer darf nicht ausfallen. Punkt. Schön dagegen, dass die Abwehr auch ohne die von uns für notwendig erachtete personelle Verstärkung so stabil steht, wie lange nicht. Als Achillesferse hat sich zuletzt die rechte Abwehrseite erwiesen, aber nicht in einem Maße, als das man sich dort unbedingt unverzüglich verstärken müsste.

Um die Arbeit der Herren, die alles geben für den Verein (s.o.), neu zu bewerten, ist es zu früh. Aus meiner persönlichen Sicht heißt das: Gerardo Seoane sehe ich nach wie vor indifferent. Mir ist es wie schon während und nach der vergangenen und während der Frühphase der laufenden Saison unmöglich, eine Handschrift des Trainers auszumachen. Vielleicht hat er keine, vielleicht kann ich sie nicht lesen. Für mich gab es nie hinreichende Gründe, um über eine Trennung nachzudenken. Wie stark ich aber die momentane Hausse mit der Person Seoane verbunden sehen soll – ich weiß es nicht.

Bei Roland Virkus ist der Badehosen-Transfer bisher ein Volltreffer. Tim Kleindienst gesehen, bearbeitet und überzeugt zu haben, war eine wichtige und gute Sache. Dass Kevin Stöger nach starkem Beginn stark nachgelassen hat, ist Virkus nicht vorzuwerfen. Die Idee war gut. Alles Weitere wird man sehen – wer bleibt, wer kommt zur nächsten Saison. Im Winter muss der Sportdirektor nichts machen, die öffentlich gehandelten Spieler gehören zur Kategorie „kann man machen“ (Vargas) oder „müssen sie wissen“ (Diks). Die Außendarstellung des Sportdirektors gefällt uns weiterhin nicht, aber das ist eine Sache, mit der wir uns wohl abfinden müssen, wie auch mit der Tatsache, dass die Allergie gegen externe Expertise wohl inzwischen zur vielbeschworenen Borussia-DNA gehört. Dass Virkus‘ Vertrag alsbald verlängert werden wird, ist keine Frage mehr. Wir wünschen ihm nichts als Erfolg.

Claus-Dieter Mayer: 

“Eintracht Frankfurt ist das neue Gladbach“ ist so einer dieser Sätze der genauso brechreizerregend wie auch ein bisschen wahr ist. Gemeint ist der eine große traditionelle deutsche Verein zu sein, der sich für längere Zeit in die Phalanx der Topmannschaften hineinschmuggeln kann und regelmäßig um europäische Plätze und gar die Champions-League spielen kann. Als Borussia 2016 sich zum zweiten Mal in Folge für die Champions-League qualifizierte, musste die Eintracht in die Relegation, die man gerade eben so gegen Nürnberg überstand. 8 Jahre später hat die Eintracht Siege im DFB-Pokal und der Europa-League vorzuweisen, spielt regelmäßig oben in der Liga mit und hat mit Marmoush und Etikite in den vergangenen 18 Monaten das vielleicht furioseste Sturmduo der Liga verpflichtet. Borussia hingegen hat in den letzten vier Spielzeiten die Plätze 8,10,10 und 14 belegt und die teuersten Offensiveinkäufe waren Ngoumou und Cvancara. Autsch! So wunderts auch nicht, dass in der letzten Tabelle des Jahres die Eintracht gegenüber der Borussia einen satten Punktevorsprung von…äh…was…nur 3 Punkten??? vorzuweisen hat. Moment mal, ich muss gerade noch mal checken, ob das wirklich stimmt. Hmm ja, scheint so, was soll ich denn jetzt schreiben? 

Tja, so kann es einem gehen, wenn das Narrativ schon vor Saisonbeginn dermaßen offensichtlich erscheint, dass man es eigentlich schon gar nicht mehr für nötig hält noch die Ergebnisse und den Saisonverlauf zu überprüfen, weil man ja eh schon denkt, zu wissen wie es läuft. Aber weder im Fußball noch im echten Leben verlaufen die Dinge immer linear und vorhersagbar: klar und offensichtlich ist alles immer nur im nachhinein! Wir wollen uns hier nicht damit aufhalten zu schauen, inwiefern auch ein bisschen Glück (z.B. in Hoffenheim) und die kleine Ergebniskrise der SGE in den letzten Spielen dazu beigetragen hat, dass die Borussia in Schlageweite der Hessen steht, die Tatsache, dass Borussia zuletzt vor 5 Jahren an einem 15. Spieltag wirklich besser da stand, ist bemerkenswert genug. Sucht man nach Gründen dafür, so liegt das zum einen daran, dass man allmählich die Ergebnisse des schrittweisen Umbruchs erkennt. Psychologische Tests vor 2 Jahren hätten vermutlich ermittelt, dass Gladbachfans das Wort „Kader“ signifikant oft mit dem Wort „Sauhaufen“ assoziieren. Dafür waren die Spieler selbst nur teilweise verantwortlich. Sie hatten sich der Borussia angeschlossen, um dort ihren Durchbruch zu schaffen und dann anderswo den nächsten Schritt zu gehen, aber wegen Corona, Verletzungen und so mancher Fehlentscheidung des Managements (vor allem auch in der Endphase Eberl) mussten die Herren Zakaria, Thuram, Bensebaini usw länger in Mönchengladbach ausharren als gedacht. Das Ergebnis war ein qualitativ hochwertiger Kader, der aber nur gelegentlich (meist wenn es gegen eine Top-Club ging und die Medien-Aufmerksamkeit gesichert war) auch zeigte, was er in sich hatte. Es hat länger gedauert als erwartetet und hat der Borussia auch erheblich weniger finanziell eingebracht als erhofft, aber der personelle Umbruch ist nun im wesentlichen geschafft. Plea und Elvedi sind übrig geblieben, haben aber wohl ihren Frieden damit gemacht, dass eine Karriere bei Borussia auch eine feine Sache ist, wohingegen Florian Neuhaus wohl zur Erkenntnis gekommen ist, dass jegliche Karriere Quatsch ist. Die neuen Leitfiguren hingegen heißen Reitz, Honorat, Hack und Kleindienst und stehen für Schnörkellosigkeit und Aggressivität auf dem Platz. In den vergangenen Monaten hat Gerardo Seoane es geschafft diese vor allem offensiv aktiven Schlüsselspieler in ein Gesamtkonzept einzubinden, dass auch defensiv erheblich stabiler wirkt als in der Vergangenheit: von fast 2 Gegentoren pro Spiel ist der Schnitt in dieser Saison auf 1.33 gesunken, nur Bayern, Leverkusen und Leipzig haben eine bessere Bilanz. Die Borussia im Herbst 2024 verzaubert vielleicht nicht, aber sie spielt strukturierten und effizienten Fußball. Bleiben alle gesund, könnte das eine sehr rund Saison werden. Fällt allerdings eine der Säulen aus, zeigt sich aber auch schnell, dass der Kader der Borussia nicht so breit ist, wie man möchte. Mit Kevin Stöger hat man noch ein offensives Ass im Ärmel, aber schon der Ausfall von Honorat hat das Team arg geschwächt, wie man ohne Tim Kleindienst auskäme, wollen wir lieber gar nicht wissen. Das beruhigende ist, dass die bereits erreichte Punktzahl und die Qualität der Hauptabstiegskandidaten, es fast unmöglich machen, dass die Borussia in dieser Saison noch Sorgen wegen des Klassenerhaltes bekommen sollte, selbst falls das Frühjahr ähnlich katastrophal verlaufen sollte wie das in diesem Jahr. Der im Sommer noch realistisch scheinende freie Fall scheint also vorerst gestoppt. Aber es bleibt noch einiges zu tun, bis wir irgendwann sagen können, dass Gladbach das neue Gladbach ist!

Michael Heinen: 

Der aktuelle Jahreswechsel erinnert an die Situation vor zwei Jahren: Damals stand Borussia nach 15 Spieltagen ebenfalls auf Rang 8 mit nur drei Punkten Rückstand auf den BVB, den sie zum Jahresende soeben mit 4:2 besiegt hatten. Es lebte die Hoffnung auf eine starke Entwicklung und bessere Zukunft unter dem damals noch umjubelten Daniel Farke. Diese wurde aber bereits in den ersten Monaten des neuen Jahres 2023 beerdigt. Im Grunde bereits nach den beiden Niederlagen in den verbleibenden Spielen der Hinrunde. Aus dem "starken Kommunikator" an der Seitenlinie wurde für viele bald ein "peinlicher Dummschwätzer", dem Platz 10 zum Saisonende für eine Weiterbeschäftigung nicht reichte. Was macht Hoffnung, dass der jüngste Aufwärtstrend nachhaltiger sein könnte? 

In den Medien wird dies sehr stark auf den prominentesten Namen verkürzt: Nationalstürmer Tim Kleindienst, der ohne Zweifel ein wesentlicher Grund dafür ist, warum Borussia in dieser Saison besser abliefert als in der Vorsaison. Aber auch die erfreuliche Entwicklung von Rocco Reitz, Moritz Nicolas und Franck Honorat hat daran einen nicht minder großen Anteil. Zusammen mit Itakura bilden die vorgenannten Spieler eine starke Achse, durch die Borussia aktuell zurecht um die europäischen Plätze mitspielen darf.

Kann Borussia ihre Form halten und weiterhin regelmäßig in Bestbesetzung auflaufen, so ist eine Rückkehr ins internationale Geschäft inzwischen keine Utopie mehr. Was zuletzt selbst Heidenheim und Union Berlin gelungen ist, sollte dieser Mannschaft ebenfalls zuzutrauen sein. Dieses Wunschdenken steht aber auf höchst wackligen Beinen: Durch die Hinrunde ist Borussia bislang weitgehend ohne größere Verletzungen gekommen. Ein langfristiger Ausfall von Honorat, Kleindienst oder Itakura wäre nicht zu kompensieren. Denn in der Breite ist Borussia weiterhin nicht so stark aufgestellt, wie es der Geschäftsführer Sport herbeizureden versucht.

Obwohl zuletzt kein Stammspieler in der Offensive fehlte, hießen die ersten Sturmoptionen zumeist Cvancara und Ngoumou, die trotz ihrer hohen Ablösen bislang gnadenlos enttäuscht haben und gegenüber den Startstürmern qualitativ erheblich abfallen. Die bisher starke Defensive besteht weiterhin aus dem gleichen Personal wie in der Vorsaison und ist gerade auf den Außenbahnen weiter anfällig - insbesondere dann, falls Seoane in der Rückrunde doch wieder auf Luca Netz anstelle des deutlich solider auftretenden Lukas Ullrich setzen sollte. Zudem ist es arg optimistisch daran zu glauben, dass Elvedis Formschwankungen der vergangenen Jahre jetzt endlich ein Ende gefunden haben könnten. 

Um die Wahrscheinlichkeit auf eine gleichbleibend starke Rückrunde zu festigen und auf etwaige Verletzungen vorbereitet zu sein, wären personelle Verstärkungen auf der rechten Defensivposition sowie im Angriff sinnvoll. Da dies nicht realistisch ist, wird die Fohlenelf am Ende aller Voraussicht nach irgendwo im gesicherten Mittelfeld eintrudeln - ganz ähnlich also wie schon vor zwei Jahren.       

Mike Lukanz:

Denke ich an Borussia in 2024, fällt mir ein bekannter Status von Facebook ein, dem TikTok der Generation X: Es ist kompliziert. Während ich diese Zeilen schreibe, fehlen Borussia lediglich drei Punkte auf die Champions-League-Ränge und stellt zudem die viertbeste Abwehr der Liga. Das ist absolut großartig. Vor sechs Monaten entging der Verein denkbar knapp dem Abstieg in die 2. Liga, ließ (erwartbar) blamabel die unsagbare große Chance aufs Pokalfinale aus und hatte eine weitere Saison einen Gegentorschnitt von knapp zwei Toren pro Spiel zu verschmerzen. Das war absolut grauenvoll. Ein trüber, emotionaler Nebel hing sogar noch zu Beginn der laufenden Saison tief über der Hennes-Weisweiler-Allee und über allen Köpfen derer, die es mit der Borussia halten. 

Ja, Fußball ist ein Ergebnissport, aber ein wenig unterkomplex wäre es schon, uns nun jubelnd in den Armen zu liegen und Auswärtsfahrten nach Europa zu planen. Die größten Fehler, so heißt es, werden im Erfolg gemacht. Daher blicke ich heute mit differenziertem Blick auf das vergangene Kalenderjahr und hoffe, dass das die handelnden Personen im Verein so handhaben. Lucien Favre war nach seinem Antritt 2011 Ähnliches gelungen, nach der erfolgreichen Relegation gegen den VfL Bochum führte er die nahezu gleiche Mannschaft in der Folgesaison auf Rang vier. Und dennoch: Gerardo Seoane ist nicht Lucien Favre, trotz gleicher Staatsangehörigkeit. Und Roland Virkus ist nicht Max Eberl, trotz gleicher beruflicher Herkunft als Jugendkoordinator im Verein. Es bleibt eine Skepsis ob der handelnden Personen; zu wirr handelt und kommuniziert Virkus, zu wenig Handschrift ließ Seoane seit Amtsantritt auf dem Platz erkennen, zu oft ließ sich die Mannschaft in wichtigen Spielen den Schneid abkaufen. 

Borussia hat in den 15 Partien dieser Hinrunde zwei Dinge ohne Frage besser gemacht als in den Jahren zuvor: die Abwehr stabilisiert und die sogenannten Pflichtaufgaben gewonnen, vor allem zu Hause. Das ist ohne Frage ein Verdienst des Trainers und einer, auch durch gute Transfers begünstigter, neuen Arbeitsbereitschaft des Kaders zu verdanken. Und ist zudem vom Verletzungspech der Leistungsträger verschont geblieben.

Abstiegsgefahr sollte nach menschlichem Ermessen nicht mehr drohen. Drei Auftaktniederlagen im Jahr 2025 (Bayern, Wolfsburg, Leverkusen) sind jedoch durchaus möglich, dazu braucht es dann nur noch einen verletzungsbedingten Ausfall von Spielern wie Kleindienst, Honorat oder Itakura. Das Gebilde Borussia zum Ende des Jahres 2024 ist und bleibt wacklig. Ich freue mich über den Status quo, ohne Frage, aber vergessen sind die vergangenen drei Spielzeiten voller Phlegma und zermürbender Trägheit nicht.

Uwe Pirl:

Natürlich überwiegt beim Blick auf die letzten Ergebnisse und den aktuellen Tabellenstand von Borussia Mönchengladbach zunächst einmal die Zufriedenheit über die Entwicklung des Teams im 2. Halbjahr 2024. Zufrieden darf man sein mit der Eindämmung der Gegentorflut. Zufrieden darf man sein mit den Neuverpflichtungen Kleindienst, Sander, Stöger. Zufrieden darf man auch sein damit, wie sich die Leistungen einiger etablierter Spieler entwickelt haben, ich denke da insbesondere an Moritz Nicolas, Ko Itakura, Rocco Reitz und auch daran, dass Alassane Plea uns gerade mal wieder zeigt, warum man mal viel Geld für ihn bezahlt und gute Angebote abgelehnt hat.

Alles paletti also in Gladbach? Bei weitem nicht. Bei aller Freude über die Momentaufnahme zu Jahreswechsel darf man nicht vergessen, wie viele Ergebnisse in der Saison am seidenen Faden hingen: Das erwürgte 1:0 gegen Union Berlin in der letzten Minute. Die mit viel Glück überstandene Heidenheimer Schlussoffensive beim 3:2-Sieg im Borussia-Park. Die groteske Hoffenheimer Chancenverwertung im letzten Spiel vor der Winterpause. 7-9 Punkte weniger und Borussia Mönchengladbach wäre auf Augenhöhe mit Hoffenheim und St. Pauli im Abstiegskampf. Der Grat ist schmal in der Bundesliga zwischen Relegation und oberem Mittelfeld – das sollte man in der Rückrunde, die weniger Heimspiele gegen Teams aus der unteren Hälfte und damit weniger Pflichtsiege bereithält, stets im Hinterkopf haben. Offene Baustellen bleiben genug: Mindestens die Rechtsverteidigerposition ist nach wie vor eine ins Auge springende Schwachstelle, links ist es mit Ullrich etwas besser geworden. Auch ist unter dem momentan extrem pragmatisch agierenden Gerardo Seoane nach wie vor nicht klar, für welche Art Fußball Borussia Mönchengladbach stehen möchte. Ein plastisches Beispiel hierfür waren die Einwechslungen in Hoffenheim: Sechserkette statt Konterspiel war hier offensichtlich die Devise, das Halten des Ergebnisses um jeden Preis. Auch das Agieren auf dem Transfermarkt zeigt keine Tendenz, wohin sich Borussia Mönchengladbach entwickeln möchte. Die – wie gesagt erfolgreichen – Verpflichtungen von Kleindienst, Sander und Stöger vor der Saison zeigen eine eher opportunistische Handschrift und wirken nicht wie das Produkt eines ausgefeilten Scouting oder einer mittel- bis langfristig orientierten Kaderplanung. Das Fehlen einer defensiven Ergänzung hätte bei ein bisschen mehr Verletzungspech oder Formschwäche voll nach hinten losgehen können.

Deshalb halte ich das aktuelle Bild zwar für eine schöne Momentaufnahme, gleichzeitig die Situation aber für sehr fragil. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Borussia Mönchengladbach auf keinen Fall mehr in Abstiegsgefahr geraten wird. Das leichte Grummeln im Magen bleibt aber bestehen.  Die Bedenken bzgl. eines Absturzes in der Rückrunde sind größer als die Euphorie über die Nähe zu den attraktiven Tabellenplätzen.  

Michael Oehm: 

Jetzt ist schon auf vielerlei Weisen versucht worden, das Geschehene einzuordnen, und doch stehen wir da wie der Heinrich 1808, sind so klug als wie zuvor, aber dafür immerhin mit mehr Toren. Und deshalb können wir so ein bisschen den Blick in die Glaskugel wagen, und uns dabei am Personal entlanghangeln. Es ist das große Verdienst des Personals auf dem Platz in dieser Hinrunde, dass nach menschlichem Ermessen ein sofortiger Absturz in die Zweitklassigkeit, der vor Beginn der Spielrunde durchaus ein ernstzunehmendes Szenario darstellte, wohl abgewendet scheint. Die Fantasie, dass es sogar für noch mehr als den derzeitigen Platz 8 reichen könnte, fehlt mir aber letztlich auch. Das ist eigentlich eine luxuriöse Situation, böte sie einem doch die Gelegenheit, eine Struktur im Kader zu entwickeln und personelle Planungen darauf auszulegen. Was das jedoch für eine Struktur sein könnte, für welchen Fußball Borussia Mönchengladbach in der näheren Zukunft stehen soll und wird, es lässt sich immer noch nicht erkennen. Zumindest nach außen signalisiert der Verein ein gerüttelt Maß an Zufriedenheit. In einem kurz vor Weihnachten lancierten “Roland, wo erwisch ich Dich gerade?”-Interview auf der vereinseigenen Homepage durfte Gladbachs Sportdirektor den “tollen Charakter” der Mannschaft loben, der von einem Zusammenwachsen zeuge, weil die Mannschaft – passend zur Jahreszeit – gegen Hoffenheim ganz christlich viel gelitten habe. Das stimmt aber nur bedingt, weil man bestimmt auch auf dem Platz ganz prima aushalten konnte, dass die Hoffenheimer Offensive im Minutentakt Großchancen in kläglichster Manier verballerte.  

Virkus lässt in dem Interview offen, ob man noch einmal auf dem Transfermarkt tätig wird, es klingt aber so, als habe man das auch nur wenig in der eigenen Hand. Etwas ominös wird von unzufriedenen Spielern gesprochen, bei denen man eine Leihe prüfen könnte, und außerdem davon, dass man eine gute Breite im Kader habe. Das klingt ganz anders als im Sommer, wo man angeblich Handlungsbedarf in der Defensive erkannt hatte, aber die Mittel fehlten. So richtig schlau wird man aus dem Gesagten also nicht. Da blicken der geneigte Leser und ich dann mal selbst auf den Kader und überlegen, was sich tun könnte und wird. 

Ganz hinten hat man eigentlich kein Problem und damit das erste Problem. Moritz Nicholas steigert sich zusehends und war gegen Hoffenheim sogar Matchwinner. Leidtragender dieser Steigerung ist der eigentliche Kapitän der Mannschaft, Jonas Omlin, der für viel Geld als Nachfolger Yann Sommers geholt worden war. Jonas Omlin wird Anfang Januar 31 Jahre alt, er hat ein gültiges Arbeitspapier bis 2027, es ist schlicht unvorstellbar, dass er sich jetzt zweieinhalb Jahre auf die Bank setzt und seine Fußballkarriere quasi beendet. Es ist aber auch kaum vorstellbar, dass ein Verein eine Summe auch nur in der Nähe der 9 Millionen Euro Ablöse bietet, die Borussia vor zwei Jahren für ihn bezahlt hat.  

In der Abwehr wird sich dem Vernehmen nach nur etwas tun, wenn sich etwas tut. Sprich: Wenn ein hohes Angebot für Itakura oder ein mittleres Angebot für Elvedi reinflattern würde, könnte sich etwas tun. Die beiden zeigten sich zuletzt als Stützen und Elvedi hat Friedrich schneller wieder auf die Bank verdrängt, als diesem lieb sein dürfte. Aber eben dieses Standing zeigt auch, warum zumindest Elvedi vermutlich weiterhin einen Wechsel mit wenig Verve anstrengen wird. Einzig Ko Itakura wäre daher wohl ein realistischer Kandidat für einen Abgang noch im Winter, aber schon im Sommer hatte man sich an der Stelle ja gesträubt. Das bedeutet, dass man vermutlich mit dem Personal auch in die zweite Halbserie gehen wird. Es ist eine Wette auf die Zukunft, die man da eingeht, denn bisher hatte man Glück (Itakura hat alle Strapazen bislang gut überstanden) oder wurde zu seinem Glück gezwungen (Ullrich). Apropos: Ob Lukas auch zukünftig statt Luca auflaufen wird, das scheint in der Anhängerschaft und in weiten Teilen der Medienwelt eine eindeutig zu beantwortende Frage. Ob das der Hauptverantwortliche für Aufstellungsfragen auch so eindeutig sieht, da bin ich mir gar nicht mehr so sicher.  

Denn bei der Dreierkonstellation auf der Sechser-Position hat er auch mit schöner Regelmäßigkeit überrascht, zuletzt in Hoffenheim, als bei der so ziemlich einzigen Mannschaft der Bundesliga, bei der Borussia in der Lage ist, mehr Körperlichkeit auf den Platz zu bringen als der Gegner, ausgerechnet Rocco Reitz auf der Bank bleiben musste. Dennoch scheint das defensive Mittelfeld gut und ausgewogen besetzt, ich frage mich immer noch, warum ausgerechnet hier die Stelle war, für die Roland Virkus nach Konés Abgang einen weiteren Neuzugang im Sommer erwogen hat.  Im Mittelfeld heißt der große Verlierer einmal mehr Florian Neuhaus. Da wird die Borussia allerspätestens im Sommer dann wohl endgültig ein Spieler verlassen, der einst nicht nur Bundesligapotential angedeutet hatte, aber dessen Schaffen wohl ein nicht eingelöstes Versprechen bleiben wird. Da stellt er sich in eine Reihe mit Thomas Broich und Marko Marin, bei deren Anfängen in Gladbach man sich auch eine andere Karriere hat vorstellen können. Aber hier sollten beide Seiten einsehen, dass schon die letzte Vertragsverlängerung keine gute Idee war.  

Kevin Stöger sollte man natürlich noch nicht abschreiben, aber es verwundert schon, wie schnell der anfänglich als Unterschiedsspieler Gefeierte auf einmal von der Bildfläche verschwand und danach bei seinen Kurzeinsätzen zumeist glücklos wirkte. Einmal kehrte er noch – schon damals überraschend - in die Startelf zurück, überzeugte dabei sogar, nur um seitdem fast gar keine Rolle mehr zu spielen. Stöger steht im Schatten des noch einmal zu großer Form auflaufenden Alassane Plea, bei dem man allerdings auch nur auf die Uhr schaut, wann die saisonübliche Verletzung kommt. Wobei es schon eine schöne Vorstellung wäre, könnte er gegen Ende seiner Karriere noch einmal zeigen, welches Potential er gehabt hätte, wäre er davon einmal dauerhaft verschont geblieben. Aber für den Fall, dass uns und ihm das nicht vergönnt bleibt, bleibt zu hoffen, dass der natürliche Ersatz im Kader, eben jener Kevin Stöger, dann den Motor mit möglichst wenig Gestotter ans Laufen kriegt.  

Wer in diesem Kader ganz sicher nicht ausfallen darf, ist hingegen Tim Kleindienst. Natürlich wird der jetzt im Boulevard in alle möglichen Mannschaften geschrieben (“Irrer Coup: Soll er Mohamed Salah ersetzen???”, “Kein Kane, kann’s Tim?”), aber ein Abgang im Sommer steht wohl weniger zu befürchten. Allerdings wäre gerade bei seinem Einsatz auch in der Defensivarbeit eine Muskelverletzung sicherlich nicht außergewöhnlich, und angesichts der jüngsten Leistungsnachweise von Tomáš Čvančara und Nathan Ngoumou wäre einem da deutlich weniger wohl. Zu Gute halten muss man beiden, dass sie bei ihren Einsätzen seltenst auf der angestammten Position auflaufen dürfen. Das tut aber auch Not, denn das muss man sich auch mal klarmachen: Mit Omlin und jenen beiden wurden in den letzten Jahren fast 30 Millionen Euro für Spieler ausgegeben, die in ihrer zweiten bzw. dritten Saison wenige bis keine Chancen auf einen Startelfeinsatz haben. 

Was bleibt also als Fazit? Während wir an der Baustelle Borussia 2025 mit “Weitergehen, hier gibt’s nicht zu sehen!” vorbeigeführt werden, wüssten wir schon ganz gerne, ob man sich nicht doch in einigen Gewerken eine erkennbare Strategie überlegen möchte. Und ob es nicht eine ganz gute Idee wäre, proaktiv zu handeln statt nur reagieren zu wollen. Denn nur das Hoffen auf Beständigkeit erscheint ein bisschen wenig als Strategie. Wie gesagt, jetzt hat man Zeit und Luft dazu. Wer weiß, wie das in Zukunft aussieht?

Die Kollegen Christian Grünewald und Kevin Schulte fehlen entschuldigt. 

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