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"Ich bin für die Zensur": Was man in Heidelberg noch sagen darf

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Von Julia Lauer

Heidelberg. In den Supermarkt kommen sie alle: die Alten und die Jungen, die Erfolgreichen und die weniger Erfolgreichen. Diejenigen, die die Meinungsfreiheit für sicher halten, und diejenigen, die den Glauben an sie verloren haben. An diesem Mainachmittag verstaut zum Beispiel eine 35-jährige Ärztin ihre Einkäufe auf dem Lidl-Parkplatz in der Heinrich-Fuchs-Straße in einem gepflegten Familienwagen. Sie sagt: "Ich habe das Gefühl, alles sagen zu können. Ich fühle mich nicht eingeschränkt."

Und da ist andererseits eine 56 Jahre alte Montagehelferin, ihre wenigen Einkäufe trägt sie in der Hand. Sie sagt: "Äußern kann man Meinungen vielleicht noch, aber viele haben Angst, das zu tun. Denn wenn sich Meinungen gegen die Regierung richten, werden sie nicht gerne gehört. Und bald wird es passieren: Dann knallt es."

Am Ende dieser Befragung an drei verschiedenen Schauplätzen in Rohrbach, Kirchheim und in der Weststadt wird es sieben zu fünf stehen. Diejenigen, die die Meinungsfreiheit als eingeschränkt oder zumindest als gefährdet wahrnehmen, sind in der Mehrheit. Sicher, eine Umfrage dieser Größenordnung vermittelt nur ein bruchstückhaftes Bild. Aber nicht nur in Heidelberg hat ein Standpunkt, der lange zur politischen Rechten gehörte, längst die Mitte der Gesellschaft erreicht.

Eine Allensbach-Umfrage förderte vor zwei Jahren zutage, dass annähernd zwei von drei Menschen in Deutschland der Ansicht sind, sehr aufpassen zu müssen, "zu welchen Themen man sich wie äußert" – schließlich gebe es viele ungeschriebene Gesetze, welche Meinungen akzeptabel sind. Damals werteten die Befragten Flüchtlinge, Rechtsextremismus oder das Judentum als besonders heikle Themen.

Mittlerweile könnte man diese Liste wohl noch um Corona ergänzen. In mehreren Lebensbereichen sei bei Meinungsäußerungen Vorsicht geboten, sagt die Montagehelferin auf dem Parkplatz. "Aber gerade bei Corona ist das sehr präsent." Querdenker seien zwar mitunter etwas extrem, machten aber auf Fehleinschätzungen von Politikern aufmerksam. Erstklässler etwa, die eine Maske tragen müssten, würden davon krank, ist sie überzeugt. Nur: Keiner wolle hören, was die Querdenker sagen. Deshalb knalle es irgendwann. "Wenn ich meinen Lebensmut nicht aus meinem Glauben ziehen könnte, würde ich unterm Bett bleiben vor lauter Angst."

Wurde die Meinungsfreiheit in Corona-Zeiten also abgeschafft? "Ich bin dankbar darüber, dass wir hier Meinungsfreiheit haben", erzählt ein 21-jähriger Student. "Mein Vater stammt aus Ex-Jugoslawien, dort lagen die Dinge anders." Auch er beobachtet, dass manche Menschen gegenwärtig nicht ernst genommen würden. Zum Beispiel, wenn sie nach den psychischen oder wirtschaftlichen Auswirkungen der Maßnahmen fragten.

Als es an diesem Nachmittag um die Meinungsfreiheit geht, kommen die Menschen immer wieder auf Corona zu sprechen. Aber wenn man die Meinung nicht frei äußern kann: Wer ist es, der einen daran hindert? Ein 78 Jahre alter Mann, den der Einkauf vom Emmertsgrund nach Rohrbach führte, sagt, er vertraue den Impfstoffen nicht, wolle sie sich nicht spritzen lassen. Er würde das gerne öfter sagen, aber diese Meinung werde unterdrückt: "von meinem privaten Umfeld".

Nicht immer wird klar, wo genau der Schuh drückt. So sagt eine Frau Ende 40: "Man darf eh nichts machen, auch nichts sagen." Bei der Frage danach, wo denn nun die Grenzen einer vertretbaren Meinung liegen, bleibt sie vage. Das Gefühl, bei der Meinung eingeschränkt zu sein, scheint irgendwie diffus mit den Maßnahmen zusammenzuhängen. Eine 60-Jährige sagt, die Meinung sei nicht mehr frei, denn Corona unterbinde das normale Leben, viele Anliegen der Menschen lägen auf Eis.

Aber hat das wirklich mit Meinungsfreiheit zu tun? "Facebook-Kommentare werden schon gelöscht, wenn sie nicht gerne gesehen sind", verteidigt sie ihren Standpunkt. Aber dann sagt die Frau, die ihrer eigenen Schilderung nach aufgrund von Drogenproblemen keinen Beruf erlernte: "Wahrscheinlich kann man die Meinung schon sagen, nur interessiert sie einfach keinen. Denn wir sind die kleinen Leute."

Die Pandemie ist das zentrale Thema des Nachmittags, aber es ist nicht das einzige."Vor allem Politiker sind in ihrer Meinung nicht frei, man denke an die Parteidisziplin", sagt ein 65 Jahre Rohrbacher, der Geschichte studierte und später Verkehrskaufmann wurde. Dass man schnell ins Abseits gestellt oder ignoriert werde, wenn man eine unpopuläre Anschauung vertritt, hat er aber auch selbst schon erlebt: beim Thema Diversität. "Wenn man selbst tolerant ist, wird man schnell mit dem Verdacht konfrontiert, schwul zu sein", erklärt er. Dass man seine Meinung nicht immer frei äußere, will er dennoch nicht nur auf das Umfeld schieben: Man sei auch selbst verantwortlich. "Man will schließlich nicht enttäuschen." Die Meinung zu sagen, kostet manchmal eben auch Mut.

Aber auch Missverständnisse gibt es. "Als ich gesagt habe: Ich engagiere nie wieder einen Brasilianer, wurde ich als Rassist abgestempelt", ärgert sich ein 70-Jähriger, der Berufsmusiker war und nun mit einem Cappuccino auf dem Wilhelmsplatz in der Weststadt sitzt. Dabei habe er im Grunde nichts gegen Brasilianer, beteuert er, er habe einfach nur schlechte Erfahrungen mit ihnen als Musikerkollegen gemacht. Und sein Bekannter ergänzt: "Wenn Politiker Bodyguards brauchen, stimmt doch etwas mit der Gesellschaft nicht." Vor allem im Internet seien heutzutage eben auch Deppen unterwegs, die keine andere Ansicht als die eigene gelten ließen. Das fordere die Meinungsfreiheit natürlich heraus. Und die Lösung für das Dilemma? "Ich bin für die Zensur", sagt er.

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