Downhill World Cup 2025 – Loudenvielle: Was war los bei Henri Kiefer?
Am Sonntag erlebte Henri Kiefer in Loudenvielle einen Rennlauf zum Vergessen: Noch im Starthäuschen hatte der junge Canyon-Fahrer gravierende Probleme mit seinem Bike – am Ende kam er abgeschlagen als Letzter ins Ziel. Was war los? Wir klären auf.
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An sich war alles angerichtet für den Auftritt auf der ganz großen Bühne: Nachdem Henri Kiefer in Bielsko-Biala trotz starker Leistung die Quali fürs Finale knapp verpasst hatte, konnte er beim zweiten Rennen des Jahres in Loudenvielle bereits im ersten Quali-Lauf auf einen grandiosen siebten Platz fahren. Damit war er unter anderem schneller unterwegs als seine beiden Team-Kollegen Troy Brosnan und Luca Shaw – eine fantastische Leistung des jungen Saarländers, der seit diesem Jahr im großen Canyon Factory-Team fährt.
Platz 7 in der Quali, Defekt im Starthäuschen
Als Henri Kiefer dann als siebtletzter Fahrer des Männer-Finales im Starthäuschen stand, hätte man während der Übertragung schon ahnen können, dass der berühmte Wurm drin ist: Fälschlicherweise wurde das Fahrer-Intro von Loris Vergier abgespielt. Das deutlich größere Drama folgte dann allerdings wenige Sekunden später, denn der Rennlauf von Henri Kiefer begann mit einem lauten Knall, der irgendwo aus dem Antrieb seines Canyon Senders kam.
Statt aus dem Starthäuschen auf die Strecke zu schießen, rollte Henri Kiefer nur einige Zentimeter nach vorn und schaute anschließend ungläubig auf sein Arbeitsgerät. Dabei hat er auch gut sichtbar für alle Zuschauerinnen und Zuschauer die Startschranke ausgelöst. Im Starthäuschen herrschte insgesamt Verwirrung und nach wenigen Sekunden wurde die Startschranke von der UCI-Kommissärin zurückgeklappt, während rund um Henri Kiefer hektisches Treiben vor sich ging.
Was war passiert? Während im Live-Stream zunächst spekuliert wurde, dass sich beim Antritt der Freilauf seiner Hinterrad-Nabe verabschiedet haben könnte, konnten wir auf Nachfrage in Erfahrung bringen, dass Henri Kiefer beim kraftvollen Antritt einen Zahn seines Kettenblatts verbogen hat. Wie genau das passiert ist, ist nicht klar – möglicherweise ist die Kette schief gelaufen, eventuell hat das verbaute OChain-System auch für einen ungünstigen Kraftfluss gesorgt. Auf jeden Fall war der Defekt anders als zunächst vermutet, eher dem vorderen Bereich des Antriebs zuzuordnen.
Improvisierte Reparatur-Session vor laufenden Kameras
Das Unglück nahm dann seinen Lauf, denn statt ohne richtigen Vortrieb loszurollen, blieb Henri Kiefer im Starthäuschen stehen, während sein Mechaniker versuchte, das Bike irgendwie wieder auf Vordermann zu bringen. Die UCI-Kommissärin, die vorne an der Startschranke stand, klappte diese wieder zurück in ihre Ausgangsposition. Ein zweiter UCI-Kommissar, der ebenfalls im Starthäuschen anwesend war, konnte lediglich Französisch. Die mehrfache Nachfrage von Henri Kiefer, ob die Zeit denn nun schon laufen würde oder er sozusagen bei 0 starten kann, wenn das Rad repariert ist, konnte nicht eindeutig beantwortet werden. Als dann noch Henris Mechaniker versuchte, das Rad zu reparieren, indem er einen Regenschirm ins Kettenblatt rammte, war selbst die Verwirrung verwirrt.
Die Kommissare konnten mir keine Antwort geben und die Schranke ist direkt wieder zugeklappt worden. Ich dachte: Okay, wenn die Schranke wieder zugeklappt wird, habe ich vielleicht noch eine Chance. Ich habe nachgefragt, nachgefragt, nachgefragt, aber keine richtige Antwort bekommen. Und in diesem Stressmoment weißt du auch nicht, was gerade abgeht. Insgesamt war die Situation einfach doof gelaufen – ich bin dann ja auch in meinen Run gestartet und habe ultra gepusht, was auch komplett böse hätte ausgehen können. Am Ende musste ich feststellen, dass sich das überhaupt nicht gelohnt hat.
Nach dem relativ absurden mehrminütigen Schauspiel war der Fehler dann zumindest rudimentär behoben, sodass Henri Kiefer erneut durch die geschlossene Schranke in seinen Rennlauf startete. Am Ende blieb die Uhr bei einer Zeit von 3:19.486 und einem Rückstand von rund 6 Sekunden auf den späteren Sieger Jackson Goldstone stehen. In Anbetracht der Umstände war das eine wirklich starke Zeit, die immerhin zu einem Top 20-Resultat gereicht hätte, wenngleich Henri Kiefer langsamer als in seinem Quali-Run war. Der Antrieb lief aber definitiv nicht sauber, was auch eine Kamera-Einstellung nach der Zieldurchfahrt belegen konnte.
Starker Lauf, aber ärgerliche Zeit
Wenige Minuten später wurde in der Kommentatoren-Kabine einerseits verkündet, dass Henri Kiefer entgegen erster Spekulationen nicht disqualifiziert werden würde – aber die Zeit bereits gestartet war, als er beim ersten Mal und somit vor der Reparatur-Session durch die Startschranke gefahren war. Am Ende blieb auf der offiziellen Ergebnis-Liste dann eine Zeit von 7:06.649, was gleichbedeutend mit Platz 27 war. Für das Ergebnis hat Henri Kiefer immerhin noch 36 Punkte für die Gesamtwertung bekommen.
Im Nachgang wurde unter anderem auf Instagram kontrovers diskutiert, ob Henri Kiefer hätte disqualifiziert werden müssen – schließlich habe er externe Hilfe durch seinen Mechaniker in Anspruch nehmen müssen. Tatsächlich gibt es im aktuellen Regelwerk der UCI keine Angaben zur sogenannten Technical Assistance bei Downhill-Rennen, während dieser Aspekt für Enduro- und XC-Rennen klar geregelt wird. Ganz grundsätzlich macht Technical Assistance, also der Eingriff durch eine externe Person beispielsweise, um das Bike zu reparieren, bei Downhill-Rennen grundsätzlich auch keinen Sinn, da niemand auf die Idee kommen würde, während des Runs etwa die Reifen zu wechseln.
Hätte Henri Kiefer in Loudenvielle disqualifiziert werden müssen?
Aus unserer Sicht hätte Henri Kiefer für die Reparatur durch seinen Mechaniker also nicht disqualifiziert werden müssen, da das Regelwerk hierzu für die Downhill-Disziplin keine Angaben macht. Um auf Nummer Sicher zu gehen, könnte die UCI aber beispielsweise in der nächsten Revision einen Paragrafen einführen, dass technische Assistenz während des Rennlaufs zur direkten Disqualifizierung führt.
Unserer Einschätzung nach ebenfalls korrekt abgelaufen ist, dass die Zeitnahme in dem Moment gestartet ist, als Henri Kiefer zum ersten Mal die Startschranke durchquert hat. Allen Fahrerinnen und Fahrern sind ziemlich exakte Startzeiten zugewiesen, die man auch dringend einhalten sollte. So wurde Stan Nisbet, der erste Fahrer im Junioren-Finale, beispielsweise noch vorm Start disqualifiziert, weil er seine Startzeit knapp verpasst hatte. Weil die Zeitnahme beim ersten Durchqueren der Startschranke gestartet war, hat Henri Kiefer also auch nicht seine Startzeit verpasst.
Dass der Defekt direkt im Starthäuschen passiert ist und vor laufenden Kameras niemand wusste, was gerade eigentlich passiert, war natürlich eine äußerst ungünstige Verkettung unglücklicher Umstände. Auch für Henri Kiefer selbst, der uns gegenüber gesagt hat, dass er natürlich sofort aus dem Starthäuschen rausgerollt wäre, wenn er denn gewusst hätte, dass die Zeit bereits gestartet war. Da die UCI-Kommissärin nur wenige Sekunden nach seinem Malheur die Startschranke wieder zurückgeklappt hat und seine Nachfragen nicht beantworten konnte, muss die Situation für den jungen Fahrer maximal undurchsichtig gewesen sein. Natürlich sollte auch das Team die Regeln kennen, aber für alle Beteiligten war die Situation im Starthäuschen wohl extrem stressig und unangenehm.
36 Punkte für die Gesamtwertung
Am Ende kann sich Henri Kiefer nun zumindest über wertvolle Punkte für die Gesamtwertung freuen, wenngleich nicht jeder damit einverstanden sein wird, dass der Canyon-Fahrer überhaupt Punkte für die Gesamtwertung bekommen hat. Gleichzeitig hätte sich Henri Kiefer wohl gefreut, wenn er in seinem vermeintlich verzögerten Rennlauf nicht volles Risiko hätte gehen müssen, sondern stattdessen einfach entspannt ins Tal gerollt wäre – am Ergebnis hätte dies nämlich nichts geändert.
Unterm Strich muss man jedoch vor allem festhalten, dass Henri am Wochenende beeindruckend gefahren ist und während der Quali in einem extrem stark besetzten Canyon Factory-Team der schnellste Fahrer war. Der Defekt und das anschließende Chaos sollten nicht überschatten, dass der Junioren-Weltmeister von 2023 auf bestem Wege ist, sich in der erweiterten Weltspitze zu etablieren. Die Art und Weise, mit der Henri auf der Rennstrecke mit den Problemen umgegangen ist, verdient ebenfalls größten Respekt. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ihm ein ähnliches Problem nochmal widerfährt, dürfte so ziemlich gegen 0 gehen.
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