Pakistan per Bike – Teil 1: „It’s possible, inschallah!“
Radeln in Pakistan? Jetzt magst du dich vielleicht fragen, ob das denn nötig sei. Also warum man so etwas tut. Mei, gefährlich ist das doch – und unnötig sowieso. In den Alpen kann man doch viel besser Radfahren. Und außerdem gibts da nicht mal Kaiserschmarren. Berechtigte Einwände. Eindeutig. Und dennoch: Wir sind trotzdem nach Pakistan. Mit unseren Mountainbikes. Davon wird dir nun im Folgenden berichtet.
Kurzinfo Pakistan
Pakistan liegt geografisch gesehen zwischen Indien und Afghanistan und grenzt im Norden an China an. Das Land hat zudem eine bewegte Geschichte: Schon immer folgte hier ein Eroberungszug auf den nächsten, was für eine Durchmischung der Ethnien und einen regen Wechsel der Glaubensrichtungen sorgte. Ab 1858 geriet Pakistan dann zusammen mit dem heutigen Indien unter die Kolonialmacht England – Britisch-Indien war geboren und hatte ein paar Jahrzehnte Bestand.
Zumindest bis 1947, als nach dem Irrsinn des Zweiten Weltkrieges die bisherige Weltordnung arg durcheinander geraten war und infolgedessen viele Kolonien früher oder später ihre Unabhängigkeit wieder erhielten oder sich diese erkämpften. So auch Pakistan und Indien, die nach einem recht abrupten Rückzug Englands quasi über Nacht als zwei unabhängige Staaten dastanden. Indien als überwiegend hinduistischer Staat, Pakistan als muslimischer.
Diese Trennung ging wahrlich nicht besonders friedlich vonstatten – metzelten sich denn nach dem Abzug der Engländer die Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften gegenseitig nur so dahin. Fluchtbewegungen ungezählter Menschen quer über den Kontinent waren die Folge, um in das jeweilige Gebiet ihres Glaubens zu gelangen. Dieser Konflikt ist in das kollektive Gedächtnis der Menschen eingegangen und zieht sich bis heute in die Länge. Mehrere Kriege zwischen Pakistan und Indien waren die Folge. Im Sommer 2019, unserer Reisezeit, hatte sich die Lage insbesondere in der Kaschmir-Region wieder stark zugespitzt.
Diese Sache mit den Vorurteilen …
Was ein Standard-Westeuropäer wie ich heute von Pakistan mitbekommt? Terror, Taliban, Islamismus und Kaschmirkonflikt. Quasi sau gefährlich. Liest man doch ständig in der Zeitung. Jetzt würde ich mich zwar als recht weltoffenen Menschen bezeichnen, dennoch bin natürlich auch ich ein Kind meiner Umwelt und gerade durch die Medien stark geprägt. Besonders eingebrannt hat sich mir das Vorkommnis, als in meiner Zeit als Lehrer in einer Vorbereitungsklasse für Flüchtlingskinder ein Afghane ständig auf einen kleinen Pakistani einschlug. Auf die Frage, warum er das mache, kam nur die Antwort, dass alle Pakistani Taliban sein.
So hüpfen mir als allererstes nicht gerade besonders positive Bilder durch die Denkzentrale, als eines schönen Abends das Telefon klingelt und Gerhard mich fragt, ob ich nicht zufällig Bock hätte, drei Wochen in Pakistan zu biken. Kurzes Stutzen, und auch wenn eine Google-Recherche auf die Schnelle gar nicht so Lust auf das Land macht: Nach Rücksprache mit der Freundin ist klar – ich bin dabei!
Hello, how are you?
Kurzer Zeitsprung von neun Monaten und guten 5.000 Kilometern: August 2019, ich stehe als gefühlt einziger blonder Mensch plötzlich tatsächlich in Islamabad. Wenig später treffe ich nach etwas Herumirren auch meine beiden Mitstreiter: Gerhard Czerner, den Kopf hinter unserer Mission, und Martin Bissig, der uns mit Kamera und seinem professionellen Auge begleiten wird.
Interessant beim Reisen sind ja gerade die ersten Eindrücke. Hier in Pakistan, vor allem: staubig und grau. Dazu ein Haufen Männer, die mit ihren braunen, wettergegerbten Gesichtern, langen Bärten und Gewändern so aussehen, dass leider mir eingebrannte Klischees direkt bestimmte Bilder in meinem Kopf aufploppen lassen. Doch dann, siehe da: Aus den finsteren, verwitterten Gesichtern schält sich sogleich ein breites Grinsen, überall werden einem die Hände gereicht und man wird ausgefragt, woher man kommt, wohin es geht und natürlich: „Hello, how are you?“ Aus den scheinbaren Hollywood-Terrorristen werden plötzlich freundliche Menschen wie du und ich.
Als wir dann etwas später im nördlich gelegenen Skardu unsere Bikes auspacken und auf Erkundungstour aufbrechen, ist es dann mit der Zurückhaltung völlig geschehen. Wir sind die einzigen mit Mountainbikes hier – ja, mit Fahrrädern im Allgemeinen sogar. Wir sind die Attraktion schlechthin, werden fotografiert, machen tausende Selfies mit Wildfremden und werden von ebendiesen zum Tee eingeladen. Fahrrad als Türöffner, könnte man sagen.
Wir sind seit einem Tag hier, schon hat sich das bisherige Bild im Kopf umgeformt und so sind Pakistan und Islam nun schon ganz anders konnotiert.
Einziger Wermutstropfen: Unser Hotel ist aus unserer Kehrwoche-verwöhnten Perspektive wahrlich keine Perle der Sauberkeit. Direkt über einer Dieselzapfsäule gelegen, sieht man schon nach kurzer Zeit im Zimmer Sterne und bevor man sich ins Bett legt, muss man gebrauchte Taschentücher daraus entfernen. Zudem kracht mir auf dem Klo im wahrsten Sinne die Schüssel unterm Hintern weg. Bei Martin dient eine Plastikflasche als Türklinke und in seinem Bett ist mehr Getier als im gesamten Stadtwald Freiburgs. Naja, egal, ab morgen geht es in die Berge – endlich raus.
Possible, inschallah!
Mit Ishaq haben wir dafür einen originalen Balti als Guide zur Seite. Mit seinen bald 60 Jahren (so genau weiß er sein Alter nicht) sieht er aus, wie man ihn sich vorstellt. Wenn er nicht gerade auf Expedition ist, jagt er im Gebirge Steinböcke oder baut an seinem Haus. Er redet ein lustiges Englisch und ist schnell mit unserem etwas kindischen und Ironie-lastigen Humor vertraut – besser noch: Er scheint genau über diesen ebenfalls zu verfügen.
Ishaq von opossum – Mehr Mountainbike-Videos
Jetzt musst du wissen, dass bisher noch gar nicht so viele Mountainbiker im Karakorum unterwegs waren. Was bei Gerhard letztendlich zu einem mehr als zweijährigen Planungsprozess führte. Seine Anfragen an Adventure Tours Pakistan (ATP), immerhin eine der renommiertesten Agenturen für Trekking und Expeditionen im Land, sorgten für einige Befremdung und recht großes Unverständnis. Was wollt ihr da machen? Mit einem Bicycle?
Auch der Austausch mit westlichen Bergsteigerkollegen, die schon vor Ort waren, war nicht so richtig besonders hilfreich. Von „Alles einfach da, ist voll die Autobahn“ bis hin zu „Wir mussten uns komplett vom Pass abseilen“ ist alles dabei. Selbst in Skardu sind wir also noch keinen Deut schlauer, was die Machbarkeit unseres Planes angeht.
Ein Rumäne im Hotel zeigt sich selbstbewusst und meint, mindestens 80 % der Tour seien für ihn easy fahrbar. Er ist kein Mountainbiker, so viel sei noch gesagt. Ein Pakistani wiederum erzählt, dass er gerade bis zu Hüfte eingeschneit gewesen sei – Todesurteil für jegliches Radfahren. Diametraler könnten die Angaben folglich nicht sein.
Also fragen wir doch einfach mal unseren Guide:
„Ishaq, can we make it up to the pass with the bicycles?“
„Yes, easy. With good mindset. Possible. Inschallah.“
„Ok perfect. So its not too hard?“
„Oh yes really hard. Dangerous. Rocks falling when too woom.“
„Oha. But when what? Whom?“
„Too woom.“
„To whom? What does this mean?“
„A lot of hot. Sun shining!“
„Ahhh when it get‘s too warm. Got it. So you think we can ride on our bikes after the pass?“
“Yes, possible. Inschallah. But not easy, it’s mountain adventure. No city.”
Gut, danke fürs Gespräch. Jetzt endlich bin ich viel schlauer. Nicht.
Freilich musst du jetzt wissen, dass für einen Pakistani die richtigen Berge erst ab 8.000 Metern Höhe beginnen. Auf die 7.000er sind sie auch noch stolz. Alles darunter jedoch ist nur „nothing“. Gut für uns, denn sonst hätte wahrscheinlich unsere Agentur die Idee, auf den Gorondoro La mit dem Fahrrad zu kraxeln, als völlig schwachsinnig abgetan. So aber ist es einfach nur „possible, inschallah“ – ist ja nur ein popliger Pass, der nicht mal 7.000 Meter hoch ist.
Dennoch: Inschallah – so Gott will. Vorsichtshalber noch schnell etwas Verantwortung abschieben, sollte es doch nicht klappen. Wobei hier mit mehr Ernst zu sagen ist, dass inschallah ein übliches Anhängsel bei jeglicher Konversation in muslimischen Ländern ist. Ein Pakistani sagt nicht „see you tomorrow“, sondern eben „see you tomorrow, inschallah“. Und gerade eher streng gläubige Muslime wie Ishaq meinen dies auch wirklich so. Nicht alles liegt in unseren Händen und Allah wird uns nur gnädig sein, wenn wir uns gottgefällig verhalten.
Jetzt frage ich natürlich, wie man sich gottgefällig verhält. Das Wichtigste sei ganz klar das Beten, meint unser Guide, der übrigens der islamischen Strömung des Sufismus angehört. Also Beten. Und zwar besonders nachts, da ja Mohammed des Nachts auch nicht geschlafen, sondern gebetet habe. Püha, denke ich mir da. Ein guter Mensch müsse man zudem sein. Ok, das sollte ich hinbekommen. Und „Good mindset“ müsse man haben. Öhm, joah, haben wir glaube ich. Easy, meint Ishaq. Wir müssten uns da gar keine Sorgen machen. Wir hätten eine richtig gute Einstellung und er würde das Beten übernehmen. Hervorragend, dann kann ja quasi gar nichts mehr schiefgehen. Also vermutlich. Inschallah.
Ab ins Karakorum
Eingezwängt in einem klapprigen Pickup düsen wir tiefer ins Gebirge hinein. Wobei düsen hier eher Euphemismus. Da der Weg eher aus Schlaglöchern denn aus Straße besteht, kommen wir gar nicht so schnell voran. Nur ein Bruchteil der pakistanischen Straßen überhaupt ist asphaltiert.