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Kommerzialisierung | Wie die Werbung den Sport zerstört hat

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Unser Autor ist ein begeisterter Sportfan. Aber von Sportübertragungen hat er genug: Längst regiert bei Handball, Boxen oder Biathlon der Kapitalismus – selbst bei Olympia ist das nur scheinbar besser
Wie die Werbung den Sport zerstört hat

Wie prangert man an, was als selbstverständlich gilt? Ich will es versuchen. Ich bin ein leidenschaftlicher Sportfan. Fast alle Sportarten erreichen mich. Die Spannung beim Gewinnen springt auf mich über, die Anteilnahme mit dem Verlierer natürlich auch. Eigentlich bin ich prinzipiell bei dem, der als schwächer eingeschätzt wird.

Ich fiebere förmlich mit ihm, wenn es aussieht, als könne er gewinnen. Fußball, Handball, Boxen, Formel 1, jetzt im Winter Skispingen, Biathlon und Eishockey. Eiskunstlauf weniger. Da wirkt das Pflichtprogramm bei meinen Eltern nach. Wenn ich tagsüber den Kanal noch nicht voll genug habe, darf es auch nachts eine halbe Stunde Billard in irgendeinem Sportkanal sein. Der Sport und die Sportübertragung dürfen auf mich als Anhänger zählen. Aber vielleicht bald nicht mehr. Seit aus Werbung im Sport in meinen Augen Sport in der Werbung geworden ist, bin ich zum Äußersten entschlossen: Ohne mich!

Die Würde des Menschen

Ich ahne, dass ich dabei ein Minderheitenvotum in Anspruch nehme. Seit ich beim Nachschlagen einer orthografischen Auskunft beim digitalen Duden mehr Werbung auszuhalten habe als beim Bogenschießen, weiß ich, dass ich nichts mehr zurückdrehen kann. Aber das ist mir egal. Ich will nicht auch noch vom Sport als Käufer behandelt werden. Ich weiß, dass ich es bin, aber man darf es mir nicht ständig vorführen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch im Kapitalismus. Aber was ist der Überfall auf eine Bank gegen die Gründung einer Bank, was ist Würde im Angesicht der Ökonomisierung aller Lebensbereiche, also auch des Sports? Wer mich ständig zum Käufer macht, beschädigt meine Würde, denn er sagt mir, dass ich als Mensch weniger zähle, denn als Käufer. Die Sportler, die diesen Griff nach ihrer Würde zulassen, weil er selbstverständlich geworden ist, beschädigen sich ebenfalls. Sie lassen sich zur Litfaßsäule machen.

Kennen Sie die Bilder: Da wirft sich die Sportlerin, der Sportler auf die Matte am Schießstand, schwingt das Gewehr vom Rücken in die Hände, richtet, den fliegenden Atem allmählich verlangsamend, alles ein und unsere Augen bekommen Zeit, um ein Dutzend (!) bunte Werbebuttons einzusaugen: von der Mütze über die Halskrause bis zu den Handschuhen und natürlich zum Gewehr ist der Mensch verpachtet an Sponsoren.

Nicht nur ein deutsches Thema

Und im Handball, dessen Europameisterschaft natürlich Medien-Hochzeit war, stand ein würdiger Mann (über sechzig Jahre alt!) wie der Bundestrainer Alfred Gislason vor der Kamera zum Interview. Auch bei ihm weiß ich gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll: in sein Gesicht oder auf das Lidl-Logo auf seiner Jacke oder das von der DKB-Bank oder auf den Schriftzug Autohero. Das Logo, das die Zugehörigkeit zur deutschen Nationalmannschaft ausweist, geht bei mir unter. Es ist gegen das Blaugelb von Lidlblau eindeutig zu blass.

Ich sehe, dass es nicht nur ein deutsches Thema ist – der Kapitalismus regiert nicht nur hier –, sondern beim Spiel der Unseren gegen Spanien auch ein spanisches. Da entdecke ich Avis auf der Trainingsjacke, die Bank Santander, der Immobilienmacher Sacyr, komischerweise lese ich den Schriftzug des Versicherers Helvetia (gibt’s wohl auch in Spanien). Rückseitig ist auf der Jacke alles überfüllt mit Werbebuttons, dass ich sehr froh bin, als sie sie endlich ausziehen.

Es soll noch mehr Menschen wie mich geben, die aus Überzeugung keine Werbung im Fernsehen sehen wollen. Wir benutzen Werbeblocker (weshalb wir an manche Inhalte schon gar nicht mehr herankommen) oder wir lassen durch ein Programm dafür sorgen, dass Werbung bei Aufzeichnungen von TV-Sendungen übersprungen wird. Beim Sport bin ich der Werbung ausgeliefert. Bandenwerbung, Trikotwerbung, Einblendungen. Es scheint nach dem Motto zu laufen: All you can eat! Das nicht bestellte und ungefragt gelieferte Werbepaket verdirbt mir den Sport. Ich weiß, ich bin die Minderheit und ahne, dass Sie mir meine Erregung ausreden mit dem Argument: Nicht so empfindlich, das ist doch schon ewig so. Das Selbstverständliche eben. Wie es dennoch anprangern?

Symbiotisches Verhältnis

Ich leiste mir meine Empfindlichkeit. Ich will mehr sein als ein potentieller Käufer, den die werbetreibende Wirtschaft bespielt. Ich kenne in wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Werbung im Sport die Eingangssätze, die so oder ähnlich lauten: Sport und Werbung stehen in einem symbiotischen Verhältnis zueinander: Sie instrumentalisieren sich gegenseitig zu beidseitigem Nutzen. Während der Sport mit den Einnahmen aus dem Sponsoring die Existenz der Sportakteure, Vereine und Verbände sichert, profitiert die werbetreibende Wirtschaft von der hohen Aufmerksamkeit, die den medialen Sportübertragungen von den Zuschauern entgegengebracht wird. Alles paletti.

Wir sind soweit, dass am Ende alles auf die Sportler geschoben wird. Sie hätten doch den größten Nutzen! Sie sind doch die Bedürftigen! Sie brauchen das Geld, um bessere Sportgeräte zu kaufen, ihr Training im Hochgebirge zu bezahlen – falls beides nicht das Leistungszentrum übernimmt. Sie brauchen das Geld für den Ausgleich von unbezahlten Freistellungen, wenn den nicht Bundeswehr oder Polizei für ihre Sportsfrauen und -männer übernehmen. Zivile Sportler brauchen Geld für Fahrten zum Trainingsort oder zum Arzt.

Ich glaube, dass es weniger diese Sonderkosten sind, als der Druck, den die schamlosen Fußballer Millionen machen. Zwanzig im Jahr für die Besten verderben die Preise. Man ist höchstens zehn Jahre Topsportler, der in Sportübertragungen auftaucht und seine Werbung in die Kamera halten kann. Da möchten doch ein paar Tausender auf dem Konto zurückbleiben, wenn man nicht mehr kriechen kann.

Passt die Werbebotschaft zur Sportart?

Als Sportler wird man unschuldig geboren, erst der Ausschluss von öffentlichen Geldern beim Weg an die Leistungsspitze machen ihn schuldig. In diese Lage bringt ihn sehenden Auges das deutsche Innenministerium (das ist doch für die finanzielle Förderung des Sports zuständig, oder?). Wie kann es sein, dass eine Handball-Nationalmannschaft auf dem Trikot der Spieler das Deutschlandlogo mit vier anderen teilen muss? Wenigstens in der Nationalmannschaft ist Sport doch keine Privatangelegenheit, oder?

Es gibt Grund zur Hoffnung. Die werbetreibende Wirtschaft übertreibt so schrecklich, dass sie sich selbst um den Erfolg bringt. Es gibt den Begriff Passung. Der meint, dass die Werbebotschaft zur Sportart passen muss. Wann tut sie das mal? Kennen Sie nicht die Boxveranstaltungen im TV, bei denen der Ringboden und die Polsterung der Ecken mit dem Namen eines Hundefutters namens Rinti gepflastert sind?

Biathlon scheint in Deutschland nur noch für die Automarke BMW stattzufinden. Künftig könnten die Sportlerin oder der Sportler mit dem neusten BMW-Modell am Schießstand vorfahren, dann ginge ihr Atem vor dem ersten Schuss wesentlich ruhiger. Nicht wenige Sportübertragungen beginnen mit einer Bierwerbung, dem offensichtlich nahrhaftesten Getränk für Sportliebhaber. Taktvoll wird angemerkt, dass es eine alkoholfreie Variante von Hasseröder gibt. Wenn die Handballer auf den Schultern links und rechts den Schriftzug NIGRIN tragen, dann passt das Produkt nicht zum Handball, aber zu Autohero, denn NIGRIN ist ein Autopflegemittel. Und der Marktführer bei Sportwetten Tipico darf bei fast jeder Fußballübertragung zur Spielsucht verführen.

Von Tipico profitiert wahrscheinlich nie ein Sportler, sondern nur der übertragende Sender. Wenn die Passung fehlt – und sie fehlt fast immer –, stößt mich die Werbung ab. Das sollten die Werbenden wissen. Das Logo eines Sportartikelherstellers passt durchaus und eine Trikotwerbung je Fussballmannschaft macht mich auch nicht unwillig (Betonung liegt auf eine).
Ich mache jetzt mal den Hajo Seppelt des Freitag. Mir geht es nicht um Doping und nicht um Handgeld für Amateurfußballer, wie in Seppels neuester Dokumentation.

Wie viele Millarden?

Meine Enthüllung ist die über die Grenze des Anstands gewachsene Werbebegehrlichkeit von Großunternehmen, dass sie meine Sportbegeisterung erstickt. Waren es 2009 noch 4,2 Milliarden Euro, die von Unternehmen für Sportsponsoring ausgegeben wurden, möchte ich nicht wissen, wie viele Milliarden es zehn Jahre später sind. Dazu sind keine Zahlen zu finden. Wenn die Topathleten jetzt sagen: Mensch, Du hast keine Ahnung, wie sehr wir auf das Sponsorengeld angewiesen sind, dann kann ich mich nur damit verteidigen, dass ich sage: Okay, für euch ist es selbstverständlich, aber ihr verliert mich als Fan. Bitte sagt eurem Verband, er möge der Regierung den Marsch blasen.

Wenn Deutschland will, dass Medaillen zum Stolz auf Deutschland beitragen, dann kostest das genau jenes Geld, was ihr von den Sponsoren bekommen hättet. Dann muss man nur genauer die Steuerzahlungen des beim Sponsoring ach so großzügigen Unternehmens unter die Lupe nehmen (vielleicht gibt es Sponsoring zum ermäßigten Steuertarif, oder?). Das ungezügelte Schneller-Höher-Weiter ist schon beim Sport fragwürdig, aber bei der Werbung im Sport darf es nicht gelten. Zumal die Kommunikationsabteilungen bedenken sollten, dass es nicht nur Sieger gibt. Ihre Logos prangen auch auf dem Trikot des Verlierers oder an der Stadionbande der geschlagenen Mannschaft. Soll ich die Brause des Verlierers trinken?

Neue Kunden in China

Und Olympia? Alles besser? Werbung ist nach Regel 40 des IOC nur höchst eingeschränkt erlaubt. Trotzdem ist der große Geldsack mit der Aufschrift „Werbung“ zu verführerisch, als dass das IOC die Finger davon ließe. Trikot- und Bandenwerbung sind eingeschränkt. Aber was ist, wenn die Winterspiele in Beijing eine einzige Werbeveranstaltung sind und der kapitalistische Wolf nur einen Schafspelz übergelegt hat? Die freie Welt – und da passt dieser Begriff – hält China vor, mit den Spielen von der massiven Einschränkung der Menschenrechte abzulenken und dem IOC halten Kritiker vor, China diese Gelegenheit verschafft zu haben.

Vielleicht lächelt Thomas Bach diese Vorwürfe deshalb so unerschütterlich weg, weil das IOC noch ganz anderes im Schilde führt. Manchen Kritikern ist der Gedanke gekommen, dass einem Land mit 1,42 Milliarden Menschen, dass traditionell keine Wintersport-Nation ist, mit dem Rummel der Spiele die Hersteller von Skiern, Skianzügen, Helmen, Schlitten Snowboard-Brettern und was es alles an Gerätschaften zum Wintersport gibt, in die Arme getrieben werden.

Der größte Werbeauftritt aller Zeiten. Dank des stillen Arrangements des IOC kostet er nichts. Die mit einiger Wahrscheinlichkeit geschätzte Zahl von 300 Millionen neuen Kunden übertrifft Europas Möglichkeiten um ein Mehrfaches. Chinas Welt teilt sich ab jetzt beim Wintersport in Kunden und Nicht-Kunden. Es geht um Werbung. Es geht immer um Werbung. Werbung, die man nicht sieht, macht die Sache nicht besser. Wenn wir mit Hajo-Seppelt-Augen nach Beijing schauen, sieht ein Abfahrtsrennen, ein Skispringen, ein Snowboard-Wettbewerb nicht mehr so unschuldig aus. Dabei liebe ich Sport, auch als Zuschauer. Ich möchte nicht sagen: Künftig auch Olympia ohne mich. Dabei bin ich gegen ein Boykott.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

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