Leichtathletik-WM: Malaika Mihambo – "Ich visualisiere meinen Erfolg"
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Malaika Mihambo ist Deutschlands Star im Weitsprung und Titelanwärterin bei der Leichtathletik-WM. Vor dem Saisonhöhepunkt gibt sie persönliche Einblicke und erklärt, was Erfolg für sie bedeutet. Sie will ihren Erfolg aus den Jahren 2019 und 2022 wiederholen: Damals krönte sich Malaika Mihambo zur Weltmeisterin. Bei der Leichtathletik-WM in Tokio (13. bis 21. September) könnte sich das deutsche Weitsprung-Ass nun erneut diesen Titel sichern – und das an dem Ort, an dem sie sich vor vier Jahren zur Olympiasiegerin krönte. Trotzdem sie die beste Weitspringerin Deutschlands ist, tritt Mihambo im Vorfeld gewohnt bodenständig auf. Vor dem Wettkampf am 14. September (ab 13.40 Uhr deutscher Zeit) hat sie mit t-online über ihre Routinen, den vollen Terminkalender und den Saisonhöhepunkt in Japan gesprochen. t-online: Wie sah Ihr Morgen heute aus? Malaika Mihambo: Ich bin aufgewacht und erst einmal nach draußen in die Natur gegangen. Ich habe nicht so viele Meter gemacht, aber alles bewusst aufgenommen. Ich habe mir den Bach und die Tiere angeschaut und ein paar Pferde gestreichelt. Das war schön. Danach bin ich nach Hause gekommen und habe mein Porridge gefrühstückt und einen grünen Tee getrunken. Starten Sie öfter so in den Tag? Ich würde gerne öfter so starten, aber im Alltag ist es nicht immer so leicht. Routinen sind in meinem abwechslungsreichen Alltag nicht so leicht unterzubringen. Aktuell mache ich es aber gerne. Wie wichtig ist Ihnen Achtsamkeit im Alltag? Das ist mir wichtig, aber es gibt auch Phasen, in denen meine Achtsamkeit sehr wandlungsfähig ist. Ich kann einen achtsamen Spaziergang machen oder auch meditieren. Manchmal trinke ich achtsam meinen Tee, lese bewusst oder schaue mir meine Emotionen an und schreibe sie auf. Achtsamkeit darf auch variabel sein. Welche Rolle spielt sie in einer Phase vor einem wichtigen Wettkampf? Da ist Achtsamkeit sehr wichtig. Je intensiver der Beruf ist, desto intensiver zehrt er an einem. Es kann leicht passieren, dass man sich dann von sich selbst entfernt, ohne zu wissen, wie man sich fühlt. Bin ich gestresst? Traurig? Was brauche ich gerade? Es ist für mich wichtig, dass ich jeden Tag einen Check-in mache, wo ich gerade stehe. Wie der aussieht, ist eigentlich egal. Was bringt einem die schönste Meditation für eine Stunde, wenn man die restlichen 23 Stunden an sich selbst vorbeilebt? Nichts. Daher hilft es, viele kleine Momente am Tag zu haben, in denen man zu sich zurückkommt. Wie intensiv ist Ihr Alltag aktuell, wenige Wochen vor der Leichtathletik-WM? Ich habe einen harten Trainingsblock vor mir. Von der körperlichen und mentalen Seite her ist es anstrengend. Ich bin sehr viel gereist in den letzten Wochen. Wenn ich unterwegs bin, dann immer gleich drei oder vier Tage. Und die Zeit zwischen den Reisetagen ist immer sehr kurz. Pro Monat hatte ich auch nur ein Wochenende zu Hause. Da habe ich gar keine Chance, so richtig zu Hause anzukommen. Aber das ist mein Leben im Sommer, wenn die Saison läuft. Sie haben es in dieser Saison durch Fehlversuche auch wieder spannend im Wettkampf gemacht. Ist es Ihnen manchmal selbst zu dramatisch? Nein, ich war fest davon überzeugt, dass ich es schaffe. Natürlich ist es schön, wenn ich einen Wettkampf von vorne gestalten kann und gleich eine Weite springe, mit der ich sicher gewinne, aber das ist auch utopisch. Ganz ehrlich: Auch, wenn es mal nicht gelingen sollte, ist es kein Weltuntergang. Dafür bin ich lange genug dabei und hatte schon genügend Erfolg. Ich muss auch niemandem etwas beweisen, auch nicht mir selbst. Ich kann mit dem Druck gut umgehen und bin dadurch oft sogar noch konzentrierter. Können Sie das beschreiben? Wenn ich nur noch eine Chance habe, dann muss ich es hinkriegen und dann gelingt es mir auch in der Regel. Ich bin gelassen, weil ich oft noch mehr aus mir herausholen kann. Sie sind Europa- und Weltmeisterin geworden, haben sich zur Olympiasiegerin gekürt. Können Sie sich nach all Ihren Erfolgen noch immer über Titel freuen? Für mich stehen die Wettkämpfe immer für einen Weg, den ich in der Saison oder am Wettkampftag selbst gegangen bin. Von daher freue ich mich wirklich über jeden Titel. Jeder Titel steht für eine Geschichte aus meinem Leben, und da würde ich keinen missen wollen. Ich freu' mich dann auch, wenn ich daran zurückdenke. Die Wettkämpfe sind für mich viel größer als nur diese Momentaufnahme. Das Leistungssportleben sehe ich auch als innere Meisterschaft, als einen Weg, um mich weiterzuentwickeln. Mich selbst freier zu machen und mit dieser Freiheit und Leichtigkeit mein Leistungsvermögen zu steigern. Jeder erfolgreiche Wettkampf bestärkt mich, den Weg weiterzugehen. Was beschäftigt Sie in Verletzungszeiten? Ich möchte so schnell wie möglich wieder gesund werden. Bei einem Infekt während der Hallensaison heißt das: Wenn ich nicht schnell genug genese, kann ich die Saison vergessen oder muss sie abbrechen … Andererseits bin ich auch entspannt, weil ich es nicht erzwingen kann und je mehr ich mich stresse, desto weniger schnell werde ich heilen. Ich versuche mir viel Ruhe zu gönnen, die Heilung zu visualisieren und mit einem positiven Mindset ranzugehen. Die WM 2023 in Budapest haben Sie wegen eines Muskelfaserrisses verpasst. Wie dankbar sind Sie, in Tokio dabei zu sein? Ich bin sehr froh, dass ich gesund bin und keine Probleme habe. Ich hoffe, dass ich fit bin und eine gute Zeit haben werde. Erst recht in Tokio. Ich freue mich darauf, einen guten Wettkampf zu machen, und dass es mir gelingt, mein Potenzial zu entfalten. Ein gültiger Versuch oder gültige Versuche, bei denen ich mich optimal treffe, sind das Ziel. Ich weiß aber auch, dass ich bei Wettkämpfen nicht alles selbst in der Hand habe, auch wenn ich mein Bestes gebe. Es ändert auch nichts, ob ich Erste oder Letzte werde. Die Liebe zu mir selbst ist so groß, dass sich daran nichts verändert. Das macht mich glücklich. Das klingt nach einem Mantra. Ich konzentriere mich auf das, was in meiner Hand liegt. Ich schaue, wie ich mich körperlich bestmöglich vorbereiten kann. Gleichzeitig beschäftige ich mich mental auch schon mit Tokio und visualisiere zum Beispiel meinen Erfolg und den Glauben an mich selbst. Auch das Gefühl, dass ich jedes Hindernis überwinden kann. Ich tue auf mentaler und körperlicher Ebene alles, um mit einem guten Bauchgefühl nach Tokio zu reisen. Wird der mentale Aspekt Ihrer Meinung nach unterschätzt? Zum Teil wird das in der Sportwelt unterschätzt, ja. Ich bin der Meinung, dass mentales Training am Wettkampftag mindestens genauso entscheidend ist wie die Form. Wenn nicht sogar noch mehr. Ich habe für mich herausgefunden, dass es mir dadurch gelingen kann, einen guten Wettkampf zu machen, selbst wenn ich körperlich nicht in so guter Verfassung bin. Ihre Saisonbestleistung liegt aktuell bei 7,07 Metern. Was ist bei der WM durch den Formaufbau noch drin? Es gab Wettkämpfe, in denen mehr drin gewesen wäre als 7,07 Meter. Das ist ein guter Schritt. Ich bin schnell, da kann noch viel passieren. Bei der Deutschen Meisterschaft hatte ich noch Probleme mit dem Oberschenkel und war trotzdem so schnell wie selten. Von daher bin ich zuversichtlich. Ich hoffe, es gelingt mir, das in einen gültigen Sprung umzuwandeln. Was wäre der perfekte WM-Ausgang für Sie? Ich möchte hinterher von mir sagen können, dass ich mein Potenzial voll entfalten konnte und über mich hinausgewachsen bin. Was das dann am Ende in Weite und Medaillen ist, will ich nicht festmachen. Der Weltverband versucht, die Leichtathletik attraktiver zu gestalten. Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach der Entertainment-Faktor? Ich würde sagen, eine gute Balance wäre sinnvoll. Am Ende sollte nicht das Gefühl entstehen, dass ein Wettkampf nur noch ein Showevent ist. Gleichzeitig gilt: Warum sollten sich Leistung und Show ausschließen? Ich glaube, dass beides möglich ist. Man muss Dinge ausprobieren. Also Regulatorisches wie die Take-Off-Zone, die das klassische Brett ersetzt oder auch ein Showwettkampf in der Stadt mit Livemusik.