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P. Köster: Kabinenpredigt: Die Nationalelf begeistert nicht mehr – was Joachim Löw jetzt tun muss

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P. Köster: Kabinenpredigt: Die Nationalelf begeistert nicht mehr – was Joachim Löw jetzt tun muss

Will die Nationalelf wieder die Menschen begeistern, muss sich vor allem Bundestrainer Joachim Löw korrigieren. Ohne Begeisterung und Neugier wird er scheitern, sagt stern-Stimme Philipp Köster.

Der Wetterbericht verheißt für Sevilla an diesem Dienstag strahlenden Sonnenschein und eine Höchsttemperatur von 24 Grad. Was erstmal eine gute Nachricht für Oliver Bierhoff sein sollte, der ja neulich mit melancholischem Blick "dunkle Wolken" über der deutschen Nationalelf erblickt hatte. Was natürlich weniger meteorologisch als metaphorisch gemeint war. Der Manager der Nationalmannschaft wollte möglichst bildlich das Stimmungstief beschreiben​, in dem die Nationalelf seit der verkorksten WM in Russland hockt – und das, obwohl nach lang herausgezögertem Umbruch inzwischen eine stark verjüngte Truppe auf dem Rasen steht​ und beim anstehenden Gruppenfinale gegen Spanien in Sevilla schon ein Pünktchen reicht, um ins Viererfinale der Nations League einzuziehen​.

kurzbio Köster

Dieses Stimmungstief lässt sich inzwischen auch in Zahlen ausdrücken. Das bedeutungslose Freundschaftsspiel gegen Tschechien lockte gerade noch 5,42 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme, "ein Primetime-Minusrekord" ("Hamburger Morgenpost"), der sogar die gut abgehangene Trödelshow "Bares für Rares" im Ranking vorbeiziehen ließ. Zwar schauten ein paar Tage später gegen die Ukraine wieder mehr Menschen zu, dennoch bewies die maue Resonanz eines: Die goldenen Zeiten, in denen selbst bedeutungslose Länderspiele als stimmungsvolles TV-Lagerfeuer funktionierten, sind vorbei.

Riss zwischen Joachim Löw und Oliver Bierhoff

Manager Bierhoff hat das inzwischen erkannt, Bundestrainer Joachim Löw hingegen ignoriert die veränderte Wahrnehmung der Nationalelf tapfer. Als er auf die miese TV-Quote des Tschechien-Spiels angesprochen wurde, moderierte er die Frage schnurstracks ab, "solche Phasen" habe es doch immer schon gegeben. Es war das Statement eines Mannes, der sich ziemlich gekonnt gegen jede Form der Kritik abgehärtet hat.

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Lange entstand der Eindruck, Bierhoff trage den zunehmend präsidialen Habitus seines langjährigen Weggefährten loyal mit, auf die Gefahr hin, selbst abgehoben und entrückt zu wirken. Doch der Manager ist zu sehr Machtmensch, um sich noch länger von Löw abhängig zu machen. Und so war in den letzten Tagen sehr schön zu beobachten, wie er rhetorisch geschickt vom Bundestrainer abrückte. "Wir müssen nun auch die Stimmung ins Positive drehen", sprach Bierhoff. "Den Weg, den der Bundestrainer eingeschlagen hat, gehe ich bis einschließlich der EM mit."

Das war nur auf den ersten Blick ein Treuebekenntnis, auf den zweiten Blick war es die klare Botschaft: Für ein miserables Abschneiden beim Turnier im nächsten Jahr ist allein der Coach verantwortlich. Es ist in den vierzehn Jahren als Spitzenduo der erste wahrnehmbare Riss zwischen den beiden und wohl auch der Erkenntnis geschuldet, dass sich Löw in der Spätphase seiner Karriere wohl nicht mehr neu erfinden will.

Der Nationalelf fehlt es an Esprit

Bierhoff hingegen hat beim DFB noch viel vor, nicht nur, weil sein Renommierprojekt, die pompöse DFB-Akademie gerade erst gebaut wird. Und deshalb zeigt sich Bierhoff gerade ostentativ lernwillig und kooperativ und hatte zuletzt größere Verrenkungen unternommen, um die Mannschaft als volksnah zu präsentieren​. Vor dem Testspiel gegen die Türkei im Oktober hatte Manager Bierhoff fünf seiner Spieler sogar zu einer Aufzeichnung von "Wer wird Millionär?" geschleppt, in der Hoffnung, die Spieler würden sich im lockeren Plausch schon als Sportler zum Anfassen präsentieren. So richtig hatte das aber nicht geklappt, schon weil die Spieler allesamt im gedeckten Anzug des Ausstatters aufmarschierten und im Gespräch mit Günter Jauch vor allem eines vermissen ließen:

Inspiration.

Und damit ist auch viel größere Problem der Nationalelf umschrieben, das nachhaltig seit der WM 2018 die Stimmung versaut: Der Elf von Jogi Löw ist jenes spezielle Fluidum abhandengekommen, das aus hervorragenden Einzelkönnern eine wirkliche Mannschaft macht. Ein solcher Esprit entsteht nicht zufällig, sondern durch ein gemeinsames Ziel, durch besondere Charaktere oder auch durch eine besondere Idee, die alle Spieler zusammenschweißt. Es wäre am Bundestrainer, der Mannschaft das zu vermitteln. Allein, es gelingt ihm nicht mehr.

Was ein bedauerlicher Zustand ist, aber auch kein sonderlich überraschender. Mannschaften fallen nach Titelgewinnen oft zusammen wie ein Soufflé. Das große Ziel ist erreicht, der Fokus fehlt, Selbstzufriedenheit macht sich breit. Es wäre nun an Löw, neue Begeisterung zu verbreiten, ein neues Ziel auszurufen und dabei bereit zu sein, auch sich selbst in Frage zu stellen, auch um die jungen Spieler von der Last zu befreien, sich immer an der WM-Elf von 2014 messen lassen zu müssen.

Noch hat Löw Gelegenheit, sich zu korrigieren. Er könnte mal wieder signalisieren, welch große Freude ihm der Job macht. Er könnte Kritik von TV-Experten wie Lothar Matthäus als willkommene Herausforderung und nicht als Majestätsbeleidigung auffassen. Er könnte wieder Neugier ausstrahlen und Begeisterung angesichts der vielen hochtalentierten, jungen Spieler, die er gerade im Kader hat. Dann nämlich würden auch rasch die Stimmen verstummen, die unbedingt den Routinier Thomas Müller zurückholen wollen.

All das braucht es jetzt. Dann verziehen sich auch rasch die dunklen Wolken. Wie an diesem Dienstag Sevilla.

Das Spiel der Nationalmannschaft gegen Spanien in Sevilla startet um 20.45 Uhr. Das Erste überträgt live.


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