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Das Olympiadebüt zeigt: Die Supermacht des urkalifornischen Rollbrettsports heißt eher Japan als USA. Ein Crashkurs auf vier Rollen und sieben Lagen Ahornholz
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Ahorn Das Freizeit- und Sportgerät, um das es hier geht, besteht in aller Regel aus sieben dünnen Lagen fest verleimtem Ahorn-Sperrholz. Anders als seine sonst Gadget-affine Fangemeinde vermuten lässt, findet hier seit Langem keine „Innovation“ mehr statt. Im Gegenteil wurden Experimente mit Fiberglas und diversen Verbundstoffen bereits Ende der 1970er weitgehend abgebrochen. Dieser Ahorn-Purismus bewirkt, dass Skateboard-Label ihre Rohlinge von wenigen großen „Woodshops“ beziehen und sich die vertriebenen Boards kaum stofflich, sondern vor allem ästhetisch unterscheiden, nämlich in Grafik und Branding. Beim Zuschnitt der Boards gibt es zwei Grundformen: Wer „Popsicles“ (Bug und Heck fast identisch, gerade Seitenkanten) von „Shapeds“ (Bug meist spitzer als Heck, leicht geschwungene Seitenkanten) zu unterscheiden vermag, kann in etwaigen Fachdiskussionen mit dem Nachwuchs punkten – wobei freilich darauf zu achten ist, dass der Jargon das Brett selbst nicht etwa als „Board“, sondern als „Deck“, den Bug als „Nose“ und das Heck als „Tail“ bezeichnet.

B

Boygroups Auf dem Brett steht man alleine, doch ist Skateboarding kein „Individualsport“. Der „Flow“, das unbeschreibliche Tunnelgefühl, das noch Erwachsene dazu bringt, stundenlang auf einem Randstein herumzuhopsen, entsteht nur zwischen mehreren Menschen. Diejenigen, die man an einem Skate-Ort erwarten kann, nennt man „Crew“. Etwas anderes ist das „Team“: Im Skateboarding repräsentiert man gegebenenfalls nicht etwa den „1. Berliner Skateboardverein e. V.“, obwohl derselbe – Hallo Deutschland! – natürlich existiert. Sondern man wird von Marken in Werksteams berufen. „Auf Nike SB“ oder „auf Vans“ zu sein, entspricht dabei, für den FC Bayern zu spielen. Teamrider beispielsweise von „Radio“ oder „Koloss“ genießen hingegen einen Ruhm à la FC St. Pauli. Aus diversen historischen Gründen, die teils auch mit schlichtem Zufall zu tun haben, kamen Crews wie Teams lange Zeit als fast reine Boygroups daher. Aber das war beileibe nicht immer so – und ändert sich jüngst angenehmerweise.

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Graphics Die Grafiken der Bretter zeigen die Geschichte von Skateboarding: Bis etwa 1975 hat das um 1960 entstandene Skateboarding nur wenig mit dem zu tun, woran man heute denkt. Es ist eine neue Sportart mit der Königsdisziplin Slalom. So ähneln auch die schlichten Grafiken denjenigen von Skiern. Ab 1975 erfindet sich Skateboarding in den Wänden der mythischen kalifornischen Swimmingpools neu – und die Decks mutieren zu Subkulturtotems, angelehnt an den Totenschädel-Stil von Metal und Hardcore. Um 1990 verlegt sich dann das Fahren aus den Steilwänden auf Straßen und Plätze, nun regiert Hip-Hop Soundtrack und Motive. Und nach 2000, als neue Wettkampfformate von Skateboarding entstehen, ergeben sich Tendenzen zurück zu einer Sportgeräte-Optik – kulminierend in jenen National-Grafiken, die jetzt teils in Tokio zu sehen sind.

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Jargon Der Versuch, in einer wie auch immer gearteten Spezialsprache zu kommunizieren, ist mit dreierlei Schwierigkeiten behaftet. Erstens geht es dabei um Wissensfragen, zweitens darum, wie man etwas sagt – und drittens auch um Sprechpositionen. Was nun das Erste angeht, ist die Kenntnis fahrerischer Grundtechniken ein Einstieg: Ein „Slide“ liegt vor, wenn der Bauch, die Nose oder das Tail des Brettes an einem Hindernis entlangrutscht. Wird auf einer oder beiden Achsen auf einer Kante geglitten, nennt man das „Grind“ – und ein „Air“ ist ein Sprung aus einer Schräge oder Rundung. In Sachen Ausdrucksform ist zu beachten, dass Skateboard-bezogene Medienerzeugnisse nicht „veröffentlicht“ werden, sondern „gedroppt“ – was auch für Rundungen und Schrägen aller Art gilt, die man nicht „hinunterfährt“. Auch das Problem der Sprechpositionen lässt sich am hier in Rede stehenden Jargon sehr schön verdeutlichen: „Rollbrett“ darf nur sagen, wer Skateboard fahren kann, und zwar recht gut. Für andere ist es verboten – auch wenn ein berufenes Gegenüber das Wort verwendet, was nicht selten ist.

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Marken Wissen Sie, welchen Schuh-Sponsor Malaika Mihambo hat, die erfolgreichste deutsche Leichtathletin? Auch bei überdurchschnittlichem Sportinteresse wohl kaum: Man sieht Mihambos Sprüngen ja die Marke der Schuhe nicht an. Im Spitzenskateboarding ist das ganz anders. Unlängst schrieb J. Namdev Hardisty in seinem Buch New Skateboard Graphics, ein Profi wie Chris Cole könne kaum vom Label „Zero“ zu „Chocolate“ wechseln, denn dafür müsse er ganz anders fahren als bisher. In Grenzen lassen sich also am Fahrstil der Profis deren Sponsoren erkennen. Diese enorme „Markentiefe“ hat ihren Grund einmal darin, dass die Skateboardlabels jene Boygroups anhand einer jeweils hochspezifischen Idee des Fahrens zusammenstellen, die ihr eigentliches Produkt ist. Und der Job dieser Teams besteht schon seit der Durchsetzung des Videorekorders in den frühen 1980er Jahren darin, ebendiese Ideen tendenziell auch auf die Kundschaft zu übertragen: In den allgegenwärtigen Skateboardvideos wird der Fahrstil der Teams mit passender Bildsprache zu einem Werbe-Manifest verdichtet – das im unorganisierten Skateboarding aber zugleich als Lehrfilm dient. Kein Wunder, dass Skateboarding für viele Jugendmarketingmenschen eine Art Fetisch ist.

O

Olympia Als das IOC 2016 die Aufnahme von Skateboarding verkündete, fand die Szene das genugtuend bis abturnend – und der Rest der Welt irgendwie sensationell. Dabei ist Olympia-Skateboarding ein jahrezehntealtes Thema. Die Spur endet nicht 1996 in Atlanta, als ein Schaufahren auf einer Halfpipe Teil der Schlusszeremonie war. Bereits Mitte der 1970er hatte die amerikanische Presse über Skateboard-Slalom bei Olympia spekuliert – und in der Nullnummer der frühen Fachzeitschrift Skateboarder war schon 1964 von Olympia die Rede. Dass daraus lange nichts wurde, lag nicht nur daran, dass man Skateboards hartnäckig mit Grasrauchen oder Punkmusik assoziierte. Die unregulierte Praktik verwarf quasi alle zehn Jahre ihre „Disziplinen“ und erfand sich neue. Doch indirekt ist Skateboarding schon seit gut 20 Jahren olympisch: Die Halfpipes, auf denen seit den Winterspielen von Nagano 1998 Snowboard- und mittlerweile auch Kurzski-Medaillen vergeben werden, sind um 1980 im Skateboarding entstanden – wie auch das Mobiliar der „Slopestyle“-Winterdisziplinen auf das Skateboardfahren zurückgeht. Nachdem also schon bisher vier Skateboard-Derivate olympisch waren und in Tokio mit Wellenreiten und „BMX Park“ zwei weitere Verwandte hinzukamen, war es Zeit für das Original.

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Pop Die allgegenwärtige Rede vom „Poppen“ hat im Skateboarding keine sexuelle Konnotation. Es geht dabei um eine lautmalerische Umschreibung des Basismanövers „Ollie“ – des Abspringens aus der Horizontalen durch das explosive Kicken des Hecks. Wer also „Pop hat“ oder „fett poppt“, beherrscht nur diese Technik gut. Pop ist aber auch ein Schlüssel zum Verständnis von Skateboarding und seiner Kultur. In den sechs Jahrzehnten seiner Geschichte bewegt sich das Rollbrett in einer Schnittmenge zwischen Sport und Popkultur, mal mehr dem einen zuneigend und mal dem anderen. All die spektakulären Manöver, die jetzt bei Olympia zu sehen sind, wurden ohne Trainingswissenschaft und Sportverbände erfunden: durch Versuch und Fehlschlag, das Beobachten anderer – und das Enactment jener Sport- und Musik-Clips, mit denen die Marken reüssieren. Viele Profis zeigen sich fast nur in Videos. Auch in Zukunft wird der organisierte Wettkampf längst nicht der einzige Weg zu Ruhm und Karriere sein. Die Sportfunktionäre, die jetzt vielleicht glauben, auch Skateboarding werde sich nach Olympia um Trainingsgruppen und Quali-Punkte drehen, werden das lernen müssen.

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Soundtrack Welchen Sound Jagger Eaton bevorzugt, ist nicht ohne Weiteres bekannt. Wann der US-amerikanische Bronze-Gewinner im olympischen „Street“-Contest Musik hört, zeigte indes sein Finallauf: so ziemlich immer. Als er sich nämlich nach einem Sturz berappelte, kontrollierte er erst mal den Sitz seiner Kopfhörer. Die allermeisten Startberechtigten trugen während ihrer Läufe Stöpsel im Ohr und das Smartphone in der Hose. Was das Sportkommentariat erheiterte, ist mit der Geschichte des Skateboardfahrens höchst konsistent: Die Aktiven haben nicht nur schon immer gern Musik gehört, sondern die Musik ist in der Fahrpraxis sozusagen aufgehoben. Gar nicht wenige Skateboard-Frontfiguren unterhalten musikalische Zweitkarrieren. Nicht umsonst tragen im Pool- und Halfpipefahren – auf das die neben „Street“ zweite Olympiadisziplin „Park“ zurückgeht – Basismanöver Namen wie „Rock ’n’ Roll“ oder „Pogo“. Und unübersehbar geht, als ab 1990 auf den Straßen das zu entstehen beginnt, was heute als „Street“ firmiert, jener neue Stil derGrafiken nicht nur mit einer Verschiebung des Soundtracks zu Hip-Hop einher, sondern auch mit einer neuen, verspielteren Fahrweise. Insofern können wir nun begründet vermuten, was Eaton in den Stöpseln hatte.

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Wellenreiten Wer nichts über Skateboarding weiß, glaubt doch zwei Dinge sagen zu können: Erstens stamme es direkt vom Surfen ab. Und zweitens könnten es die Amis am besten. Nun wird die zweite Weisheit gerade von Olympia dementiert: An den Ergebnissen von Tokio gemessen heißt die Skateboard-Supermacht eher Japan als USA. Und dass zur ersten Gewissheit Fußnoten zu machen sind, lässt sich schon im Wortsinn erfahren: Wer einfach so vom Surf- auf das Skateboard – oder umgekehrt – umsteigen zu können glaubt, wird enttäuscht. Tatsächlich umfasste die Zeitspanne, in der Skateboard- von Surfmanövern inspiriert waren, nicht mehr als zwei oder drei Jahre Mitte der 1970er, als die Skateboards die Swimmingpools eroberten. Dann wuchs die Tochter der Mutter über den Kopf. Gerade die spektakulärsten Surfmanöver, die sich nun auch in Japan bewundern ließen – die Sprünge über die Kronen der Wellen –, wurden zuerst auf Skateboards vollführt. So ist schon seit den 1980ern das Wellenreiten eher ein „Skateboarding auf dem Wasser“ als Skateboarding ein „Surfing an Land“.

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Zufall Wir sehen Historie oft von ihrem Ergebnis her, sie scheint dann sinnvoller. Wie viel Konjunktiv aber in ihr wirkt, zeigt auch die Skateboard-Geschichte: Wären um 1975 die kalifornischen Sommer nicht so trocken gewesen, dass viele Schwimmbecken leer blieben, hätte der Urknall des heutigen Skateboarding in diesen nicht stattfinden können. Und wäre zugleich das US-Versicherungsrecht nicht so restriktiv gewesen, dass bestehende Zweckanlagen ihre Policen verloren und schließen mussten, hätte es Alternativen dazu gegeben, in fremde Vorgärten einzusteigen und den Pool zu verwüsten. So aber, wie es kam – das ist der Tenor der Skateboard-Beforschung –, wurde aus dem Rollbrettfahren ein wildes Faszinosum, aber auch für lange Zeit ein exklusiv jungshaftes Mutproben-Ding.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

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