Fußball
News melden
Nachrichten

Tabuthema: Macht Fußball Männer gewalttätiger? Was eine Expertin dazu sagt

0 5
Tabuthema: Macht Fußball Männer gewalttätiger? Was eine Expertin dazu sagt

Bier, Sport, Emotionen: Die EM lässt die Fälle von Gewalt gegen Frauen ansteigen, warnt "UN Women". Die Autorin und Opferschutz-Expertin Agota Lavoyer erklärt, woran das liegt – und warum es heikel ist, den Fußball dafür verantwortlich zu machen.

Die Zahlen sind alarmierend: Jeden zweiten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch ihren (Ex-) Partner. Wie das BKA kürzlich mitteilte, haben sich die Fälle von Partnerschaftsgewalt allein in den vergangenen fünf Jahren um 17,5 Prozent erhöht. Das Frauenrechts-Komitee der Vereinten Nation, "UN Women", warnt nun vor einem Anstieg an Gewalt gegen Frauen während der Fußball-Europameisterschaft der Männer. Studien aus England hätten gezeigt, dass etwa bei einem Sieg des englischen Nationalteams die Zahl der gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt um 26 Prozent stieg, bei einer Niederlage sogar um 38 Prozent.

Die Autorin und Sozialarbeiterin Agota Lavoyer schreibt in ihrem Buch "Jede_Frau" über die sogenannte Rape Culture und unseren Umgang mit sexualisierter Gewalt
Die Autorin und Sozialarbeiterin Agota Lavoyer schreibt in ihrem Buch "Jede_Frau" über die sogenannte Rape Culture und unseren Umgang mit sexualisierter Gewalt
© Raphaela Graf
Die Autorin und Sozialarbeiterin Agota Lavoyer ist Expertin für geschlechtsspezifische Gewalt, hat in der Schweiz unter anderem als Leiterin von Opferhilfe-Stellen gearbeitet. Dem stern erklärt sie, wie Fußballkultur zur Gewalt beitragen kann und warum es wichtig ist, die Krise nicht auf besoffene Fußball-Fans zu schieben.

Frau Lavoyer, warum spielen Fußballturniere wie die EM Ihrer Meinung nach eine Rolle bei der Zunahme von häuslicher Gewalt gegen Frauen?

Eine innere Anspannung und ein erhöhter Alkoholkonsum können bei ohnehin gewaltbereiten Männern dazu führen, dass sie eher auch Gewalt ausüben. Gleichzeitig gibt es Millionen von leidenschaftlichen Fußballfans, die auch Alkohol konsumieren, und die trotzdem ihre Partnerinnen nicht verprügeln. Häusliche Gewalt gab es schon vor der EM, es gibt sie während der EM und es wird sie nach der EM noch geben. 

Dass man nun im Kontext der EM wieder mehr über häusliche Gewalt spricht, ist grundsätzlich sehr begrüßenswert, denn nach wie vor wird geschlechtsspezifische Gewalt weder von der Gesellschaft noch von der Politik als das behandelt, was es ist: eine globale Krise, der mit allen Mitteln entgegengewirkt werden muss. 

Alkoholkonsum im Fußballkontext ist also ein Faktor, der Gewalt gegen Frauen begünstigt. Was ist es noch?

Staat will gegen häusliche Gewalt vorgehen: Fußfesseln und TrainingIm Fußballkontext kommt hinzu, dass Männer häufig unter sich sind und ihre sexistischen Sprüche und Handlungen oft unwidersprochen bleiben und sie gar bei ihren Kumpels damit punkten können. Dies macht die Handlungen stillschweigend denkbar und machbar. Gleichzeitig ist das nicht anders außerhalb von Fußballevents. Wichtig ist, dass wir gewaltbegünstigende Faktoren oder Auslöser von Gewalt nicht mit den Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt verwechseln. Denn damit entlasten wir diejenigen, die wir eigentlich anprangern wollen: die gewaltausübenden Männer. Es ist sehr heikel, wenn die Debatten dahingehend geführt werden, als seien Fußball und Alkohol die Ursachen für häusliche Gewalt. 

Und was sind die Ursachen dafür?

Gewalttätigkeit von Männern hat ihre Wurzeln in der Sozialisierung von Männern. Jungs wird von klein auf beigebracht, sich durchzusetzen, Macher zu sein, keine Gefühle zuzulassen, kein Nein gelten zu lassen, Grenzen zu überschreiten, sich das zu nehmen, was sie wollen und was ihnen "zusteht", notfalls mit Gewalt. 

Wie kann Sensibilisierung für das Thema aussehen?

"Jede_Frau. Über eine Gesellschaft, die sexualisierte Gewalt verharmlost und normalisiert" von Agota Lavoyer ist bei Yes Publishing erschienen. 300 Seiten, Hardcover, 22 Euro.   
"Jede_Frau. Über eine Gesellschaft, die sexualisierte Gewalt verharmlost und normalisiert" von Agota Lavoyer ist bei Yes Publishing erschienen. 300 Seiten, Hardcover, 22 Euro.
© PR
Wir müssen verstehen, dass geschlechtsspezifische Gewalt kein unverhinderbares Übel ist und Männer nicht per se gewalttätiger sind als Frauen, sondern dass Männer dahingehend sozialisiert werden. Solange wir Jungs beibringen, dass Dominanz, besonders über Frauen, eine entscheidende Qualität von Männlichkeit ist, werden sie zu Männern, die sich berechtigt fühlen, Frauen als ihren Besitz zu sehen, den sie sexualisieren und kontrollieren dürfen. Auch mit Gewalt. 

Da müssen wir ansetzen: Bei den patriarchalen Geschlechterstereotypen und Männlichkeitsvorstellungen. Zudem müssen wir auch mehr über die unsichtbareren Formen von häuslicher Gewalt reden: der psychischen Gewalt etwa oder der finanziellen Kontrolle durch den Partner. 

In Ihrem Buch "Jede_ Frau" gehen Sie speziell auf sexualisierte Gewalt ein. Welche Rolle spielen kulturelle Normen und Männlichkeitsbilder dabei?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt als Teil des "natürlichen" männlichen Verhaltens verstanden wird, statt als etwas, das strukturell und kulturell erzeugt und aufrechterhalten wird. Wenn Jungen mit dem Männlichkeitsbild aufwachsen, dass sie Sex brauchen und dass Frauen ihnen Sex schulden und dass das "Zieren" einer Frau eigentlich ein Ja ist, dann werden sie zu Männern, in deren Wertesystem ein Nein einer Frau gar nicht vorkommt. Zu Männern, die sich nehmen, was sie wollen, weil sie denken, dass ihnen Frauen und der Frauenkörper zusteht. 

Deutschland Dänemark Einzelkritik FS

Welche präventiven Maßnahmen könnten ergriffen werden, um das Risiko von Gewalttaten gegen Frauen speziell während der EM zu verringern?

Wenn es um die Gewalt bei den Events selber geht, leistet das 2019 gegründete "Netzwerk gegen Sexismus und Sexualisierte Gewalt" im Kontext Fußball immens wichtige Arbeit. Sie haben unter anderem ein Handlungskonzept zum Schutz vor Gewalt erarbeitet, in dem Vereinen, Verbänden, Fangruppen, Clubs aber auch dem Sicherheitspersonal und der Polizei aufgezeigt wird, welche Präventionsmaßnahmen an solchen Events umgesetzt werden müssen. Nicht zuletzt bedingt die Prävention die klare und offensiv kommunizierte Haltung, dass sexualisierte Gewalt in keinster Weise toleriert und Vorfälle konsequent geahndet werden. 

Wenn es um die Gewalt geht, die Fans zuhause ausüben, sehen die präventiven Maßnahmen während einer EM nicht anders aus, als sie auch vor oder nach der EM sind. Und zwar müssen wir in allen Bereichen des Lebens dafür sorgen, dass Frauen gleichgestellt sind, damit dieser Besitzanspruch von Männern gar nicht erst entsteht. Zudem muss häusliche Gewalt fixer Teil des Lehrplans von Schulen werden, wir müssen Geschlechterstereotype entkräften und Männer müssen bereit sind, ihre komplizenhaften Männerbünde zu verlassen. 

Comments

Комментарии для сайта Cackle
Загрузка...

More news:

Read on Sportsweek.org:

Andere Sportarten

Sponsored