RNZ-Zeitungsflirt in Neckarbischofsheim: Lesen und Verstehen sind zwei Paar Schuhe
Neckarbischofsheim. (kel) Für 14-, 15-Jährige sind die Eltern die Nachrichtenquelle Nummer 1. Nach dem Frühstück wird beredet, was aus dem Ort in der Zeitung stand, und zum Abendessen gibt es ein bisschen Weltpolitik. Facebook und Instagram spielen in dieser Altersgruppe kaum eine Rolle, aber auch die klassischen Printerzeugnisse werden eher als Medium der Erwachsenen wahrgenommen. Man muss ja nicht gleich wie Gemeinschaftskundelehrer Johannes Roß drei Zeitungen abonniert haben, aber dass in den großformatigen Zeitungsseiten jede Menge Informationen stecken, ist den Neuntklässler des Adolf-Schmitthenner-Gymnasiums klar. In den nächsten Wochen werden sie sich tiefer in diese Informationsfülle hineinknien. "Zeitungsflirt" heißt das Projekt, mit dem die Volksbank Neckartal und die Rhein-Neckar-Zeitung die Lese- und Medienkompetenz junger Leute stärken wollen. Im ASG-Klassenzimmer 203 startete die Runde mit einem "Kaffeeklatsch". Insgesamt sind 40 Klassen mit über 900 Schülern beteiligt.
In Neckarbischofsheim läuft der "Zeitungsflirt" zweigleisig: In Johannes Roß’ Gemeinschaftskunde geht es um die Funktion der Presse im gesellschaftlichen Kontext - und damit auch um mediale Dauerberieselung, um Fake News und "alternative Fakten". Im Deutschunterricht will Carolin Mörk parallel dazu journalistische Ausdrucksmöglichkeiten, vom nüchternen Sachbericht über Features bis zum Kommentar, abhandeln. Und natürlich wird dabei in den nächsten vier Wochen eifrig die Zeitung gelesen.
Dass bei Freiburg ein neunjähriger Junge von seiner Mutter sexuell versklavt wurde, wie am Montag auf der Titelseite zu lesen war, beschäftigte die ASG-Pennäler nachhaltig. Aber auch die jüngsten verbalen Ausfälle des US-Präsidenten Donald Trump, die aktuellen Fußballberichte aus der Bundesliga oder die Unfallserie auf der nahen Autobahn A 6 lieferten Stoff für die Tischgesprächen mit RNZ-Redakteur Günther Keller. Wie kommen derartige Meldungen in die Zeitung, wann sind Redaktionsschluss und Druckbeginn, unter welchen Kriterien werden Nachrichten ausgewählt und was fällt eventuell unter den Tisch? Das waren Fragen an den Zeitungsmann.
Mitgekommen ins Klassenzimmer waren Evelyn Emmert von der Marketingabteilung der Volksbank Neckartal und Dietmar Müller, der Neckarbischofsheimer Geschäftsstellenleiter des Geldinstituts. Sie beantworteten Fragen zu ihrem Haus, nach eventuellen Berufsaussichten für Schulabgänger und auch jene nach dem Hintergrund der Zusammenarbeit von Bank und Zeitung: Die regionale Verwurzelung beider spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Dass die 33 Gymnasiasten der 9b lesen können, ist klar. Aber können sie die Nachrichtenfülle auch einordnen, Wichtiges von Unwichtigem trennen, Konsequenzen eines Ereignisses erfassen und daraus ihre eigenen Schlüsse ziehen? Auch die Volksbank musste bei Bewerbern um Ausbildungsplätze schon feststellen, dass junge Menschen Probleme mit dem Verstehen und Interpretieren des Gelesenen haben und manchmal auch nicht so recht mitbekommen, was in der Gesellschaft um sie herum geschieht. Genau hier setzt der "Zeitungsflirt" an.
Evelyn Emmert ermunterte die Schüler, selbst zum Kugelschreiber zu greifen und eine Geschichte, eventuell aus dem Schulalltag, aus dem lokalen Umfeld oder aus dem Verein zu recherchieren und zu Papier zu bringen. Die Artikel werden dann in einer Sonderbeilage der RNZ im Frühjahr erscheinen. Und für die besten gibt es Preise.
Welche Folgen eine fundierte Recherche haben kann, veranschaulichte Johannes Roß mit dem Kinofilm "Spotlight", den die Schüler nach dem "Kaffeeklatsch" zu sehen bekamen. Journalisten der US-amerikanischen Zeitung "Boston Globe" hatten vor 15 Jahren den sexuellen Missbrauch von Kindern in der römisch-katholischen Kirche aufgedeckt. Die Bischöfe wollten den Skandal unter den Teppich kehren. Bis heute ist die Kirche mit der Aufarbeitung der Fälle beschäftigt.