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Kampfkunst | Tanz die Mordaxt

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Historisches Fechten war mal was für Nerds – nun wird es weltweit entdeckt und zelebriert

Sie halten ihre Ersatzflegel in der Hand und malen damit Achten in die Luft. Statt Eisenkette mit Eisengewichten lassen Männer und Frauen neongrüne und -rote, an einer Plastikkette befestigte Gummibälle über ihren Kopf kreisen – als sei der nachempfundene Dreschflegel eine Peitsche. Etwa zwei Dutzend haben sich im Sommer in einer Turnhalle in Berlin-Neukölln zum Training versammelt. Sie tragen fast alle Vereins-T-Shirts mit Namen wie „Twerchhau“ oder „Dreiwunder“. Manche bringen sich barfuß in Kampfposition. Ihre Übungswaffen haben sie sich vorsorglich aus Hundespielzeug und Baumarktutensilien nachgebaut. Die Originale sind eisern. Geht man in die benachbarte Halle, kann man sehen wie sich Paare in schwarzen Schutzmonturen mit langen, wenn auch stumpfen Klingen bekämpfen. Stahl auf Stahl. Historische Fechter sind das, viele von ihnen stammen aus Ostdeutschland, einige sind aus Hessen und Niedersachsen angereist. Die noch junge Szene wächst, Langschwert, Dolch und Stange sind nicht mehr nur Utensilien einsamer Nerds. Wer sich für die mittelalterliche Kampfkunst interessiert, der ist oft auch neugierig auf historische Quellen.

Mehr als Schwert-Gedengel

„Ich sehe mich nicht als Exotin“, sagt Sonja Heere. Ihr Sport ist ja eher maskulin, und man würde ihn ihr, einer zarten, schönen Frau, auch nicht sofort zutrauen. Aber wer sie mal in München beim Kampf erlebt hat, vergisst solche Zuschreibungen schnell. Seit neun Jahren betreibt sie historisches Fechten, ist Trainerin, gibt Seminare und steht dem Deutschen Dachverband Historischer Fechter vor. Er formierte sich vor drei Jahren als Lobby, mittlerweile zählt er 36 Gruppen- und 1.350 Einzelmitglieder. „Frauen gehören ganz selbstverständlich zur Szene dazu“, behauptet Heere. Doch ihr Anteil innerhalb der Gruppen schwankt, in manchen Vereinen kämpft keine einzige Frau, in anderen ist das Verhältnis ausgewogen. Im Moment sind nur 18 Prozent der historischen Fechter Frauen. „Steigerungsfähig ist das auf jeden Fall“, sagt Heere. Sie fand es anfangs „einfach cool“, ein Schwert in der Hand zu halten, so ist sie zu dem Sport gekommen, sagt Heere. „Dann habe ich herausgefunden, dass Fechten nicht nur Gedengel mit dem Schwert ist, sondern vielfältiger.“ Im Chemnitzer Schlossbergmuseum kann man sich ein Bild unterschiedlicher Facetten machen. Thore Wilkens, der Kurator der Ausstellung Kunst dye dich zyret („Kunst, die dich ziert“), die gerade zu sehen ist, empfängt im Foyer des Museums. Der hoch gewachsene Mann trägt schwarze Kniebundhosen, ein Ledergürtel betont die Taille, das schwarze Shirt spannt sich um den kräftigen Oberkörper. Wilkens ist Fechter – und studierter Germanist. Seine Bachelorarbeit schrieb er über historische Fechtbücher und seine Masterarbeit über ein Ringertraktat. Er möchte Quellenstudium mit Waffenhandhabung zusammenbringen, erklärt er.

Er führt durch die Räume, deutet auf Exponate. Neben Exemplaren der Fechtliteratur im Original werden hier auch Waffen der verschiedenen Gattungen gezeigt: Mordaxt, Langschwert, Scheiben- und Nierendolch, Kriegsmesser und Dusägge, Buckler, Rapier und Flamberg. „Man findet hier fast nur Gebrauchswaffen in sehr gut erhaltenem Zustand“, sagt Wilkens. In den Séparées werden die Waffen mit Fechtbüchern in Beziehung gesetzt, auf Videos werden Techniken veranschaulicht. „Dort hängt eine Mordaxt mit Originalschaftung“, sagt Wilkens und zeigt auf ein hellebardenähnliches Gerät, dessen zwei Meter langer Holzschaft in einen eisernen Axt-Hammer-Kopf mündet. „Wenn du die in die Hand nehmen würdest, weißt du ganz genau, was damit zu tun ist. Die alten Waffen laden dich zu bestimmten Bewegungsmustern ein.“ Er weist auf einen Dolch, dann auf eine Abbildung, auf der jemand einen anderen Dolch mit dem eigenen blockt und zugleich am Handgelenk hebelt. „Die Daumenstellung, die Details, da steht alles, was man wissen muss.“ Wilkens klingt nun ein bisschen so, als müsse jeder solche Details aufregend finden. „Diese Ausstellung ist von praktischen Kampfkünstlern für praktische Kampfkünstler gemacht“, erklärt Wilkens, während er durch den Renaissancesaal im ersten Stock führt. Er weist auf das Langschwert, das in einer Vitrine hängt, es wiegt 1,7 Kilo bei 120 Zentimetern. „Wenn man das schwingen würde, verschwindet die Masse in der Bewegung. Man fühlt es fast nicht mehr“, sagt er. Der historische Fechter, der im Solodrill mit seinem Sportgerät fast wie im Tanz verschmilzt, kann das nachempfinden.

Weiter, Hieb- und Stichgeräte hängen an den Wänden im ehemaligen Wohnzimmer des sächsischen Kurfürsten. Anders als es das Klischee vermuten lässt, schlugen die Menschen des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit nicht ungelenk mit Blankwaffen aufeinander ein. Man bediente sich wie selbstverständlich verschiedener Kampftechniken, die den asiatischen ähneln. Solche, die durch Bruce Lee oder Chuck Norris seit den 1970ern den Westen erobert haben, entdeckten Enthusiasten historischen Fechtens vor 20 Jahren wieder. Als seien sie experimentelle Archäologen, vermessen sie seither alte Schwerter, probieren Repliken aus und rekonstruieren anhand sogenannter Fechtbücher die Zweikampftechniken. Die Manuskripte lesen sich verrätselt. „Wer dier oberhaut ort dem traut“, heißt es etwa. Wer die Codes knackt, entfaltet ein Kampfsystem, fern des halb statischen Hin-und-Hers von Hollywood. Hochdynamisch läuft so ein Gefecht ab, geht in Sekundenschnelle vorbei und ein Kontrahent liegt am Boden – im Ernstfall klingendurchbohrt. Man kann durch das Drahtgeflecht der Schutzmaske wie durch ein Sieb den Trainingspartner ins Visier nehmen, und fühlt sich dabei aufgeputscht und doch gelassen. Man kann sehen, wie die Schwertspitze auf einen zuschießt und instinktiv parieren. Beim Klingenkreuzen sprühen Funken, der Druck des anderen wird spürbar. Drückt er zu sehr in eine Richtung, lenkt man sein Schwert in die andere, der Weg wird frei für einen schnellen Schlag auf den Kopf des anderen. Trifft das Schwert mit dumpfem Geräusch, kann man ihn mit einem Wurf kampfunfähig machen oder den raschen Rückzug antreten, damit man durch einen Nachschlag nicht doch noch vom Gegner getroffen wird. Nur einfrieren darf man nicht, muss schnell und flexibel reagieren.

Mittlerweile beschäftigen sich weltweit Gruppen mit der historischen Kampfkunst, die im späten Mittelalter ihre Blütezeit hatte. Moderne Fechter halten in New York oder Schweden Turniere ab. Es war auch die Digitalisierung, die seit Ende der 1990er Jahre die Anhänger historischen Fechtens zusammenbrachte und der Szene half, über das Keimstadium hinauszuwachsen. Fechtbücher verbreiteten sich im Internet, Foren wurden gegründet, Diskussionen wurden kultiviert. Mit Wiktenauer.com existiert ein eigenes Online-Lexikon mit Fechtbuchdatenbank – ein Kofferwort aus „Wiki“ und dem Namen des mittelalterlichen Fechtmeisters Johannes Liechtenauer. Die Facebook-Gruppe „The HEMA Alliance“ (Vereinigung historischer europäischer Kampfkünste) hat 13.000 Mitglieder.

„Die Anfangsjahre waren vom intensiven Austausch in Foren geprägt. Wir haben viel besprochen“, sagt Alexander Klenner, der um die 2000er Jahre vom Mittelaltermarkt-Reenactement zum alten Fechten und dem damals gegründeten Offenbacher Verein Zornhau kam. Klenner könnte ein Metal sein, lange strähnige Haare, stämmig, das Schwert in der Hand glaubt man ihm. Der intensive Austausch sei geblieben, sagt er, heute im Social Web und physisch. Klenner flog im Sommer nach China, um dort ein Seminar zum Gebrauch des zweihändigen Schwertes abzuhalten. Was reizt ihn daran? „Ein Dreisprung, den man sonst so nicht findet“, sagt er: „Sport, geschichtliche Recherche, Entdeckung von Neuem.“ Es gebe allerlei Gründe, warum Menschen zum Fechten kommen, sagt Klenner. Manche suchten bewusst den Schwertkampf, weil der weit von der Wirklichkeit entfernt sei. „Man kann unbesorgt eine Kampfkunst mit einem Schwert lernen, weil man weiß, dass man das in der Realität nicht einsetzen wird. Man macht die Kunst für die Kunst. Es geht nicht darum, um sein Leben zu kämpfen, auch wenn wir die effektivsten Interpretationen suchen.“ Besteht nicht auch die Gefahr, dass Waffen ästhetisiert werden?

Alt-Right schleicht sich ein

Thore Wilkens, Kurator der Chemnitzer Ausstellung, sagt: Um Verherrlichung gehe es in der Ausstellung nicht, sondern um Verstehen. „Gewalt wird heute entweder als Bestie dämonisiert oder verklärt und die Waffe als Träger ästhetischer Prozesse angesehen. Wenn wir aber die Mentalität einer Epoche studieren, müssen wir die Gewaltpraktik ansehen. Die Waffen waren für die Menschen Teil ihrer Identität. Sie haben sich über sie dargestellt, so wie heute Smartphones Statussymbole sind.“ Der Dolch als Distinktionsmerkmal? Man müsse die Gegenstände auf ihren Gebrauch hin analysieren, redet Wilkens weiter. Das gehe nur, wenn man die Praxis des Fechtens kenne.

Vor Verklärung und politischer Instrumentalisierung warnt auch Alexander Klenner. „Aus anderen Ländern habe ich gehört, dass die Szene Probleme mit der Alt-Right-Bewegung hat. Rechte versuchen, einen Mythos wie ‚Die Kampfkunst unserer Vorväter‘ aufzubauen. Es wird zu beobachten sein, wie wir das abwehren können.“ Auch Thore Wilkens betont die mögliche Gefahr eines Heldenkultes, wird aber grundsätzlicher. „Wir haben ein riesengroßes Problem mit Gewalt und lösen es dadurch, dass wir sie verdrängen. Wenn man sich aber diesen Gegenständen auf musealer Ebene nähert, deckt das die schleichenden Ideologien auf.“ Darin sieht er den Bezug zur Gegenwart. Er möchte mit seiner Ausstellung Teil einer Aufklärung sein, die eine Gesellschaft braucht.

Tobias Prüwer ist selber historischer Fechter und kämpft regelmäßig in Leipzig

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

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