„Zurück statt in die Zukunft“ – Das Aufweichen der Blood Rule
Der nachfolgende Artikel stammt von dem Juristen André Hascher von R-Haltenswert.
Er beschreibt sehr eindrücklich, warum ein Aufweichen der No-Blood-Rule eben doch ein großes Problem ist, nicht nur für die Pferde.
Wer den Artikel lieber als PDF haben möchte, findet ihn bei R-Haltenswert.
Seit Jahrzehnten wäre die dringend gebotene Regulation erlaubter Zäumungen im Springsport eine längst überfällige Aufgabe der zuständigen Dachverbände im Reitsport – genau wie die Umsetzung weiterer, ebenso dringend gebotener Standards mit Hinblick auf das Wohl des Sportpartners Pferd. Anstatt sich diesen längst überfälligen Reformen anzunehmen, die eigentlich zu den Kernaufgaben eines Dachverbandes im Pferdesport gehören sollten, wird nun ernsthaft erwogen, einen Mindeststandard – nämlich die sogenannte „Blutregel“ in der Teildisziplin Springen empfindlich abzuschwächen.
1) Was beinhaltete die sogenannte „Blutregel“ der FEI?
Die FEI hat Regelungen etabliert, die sichtbares Blut bei Pferden im Wettkampf als möglichen Anlass zur sofortigen Eliminierung (Disqualifikation) sahen. Entsprechend ist die zentrale Absicht der Blutregel: das Pferd vor körperlicher Belastung bzw. Fortführung eines Wettkampfs zu schützen, wenn bereits Blut sichtbar geworden ist – ein Zeichen dafür, dass Gewebe verletzt, belastet oder bereits geschädigt wurde. Ferner veröffentlichte die FEI selbst einen „Equine Welfare Strategy Action Plan“, in dem das Thema Tierwohl in allen relevanten Facetten – darunter auch Verletzungen, Ausrüstung, Stress – adressiert wird. Aus ethischen und tierschutzbezogenen Gründen liegt die Wichtigkeit dieser Regel aus sich heraus auf der Hand: Wenn Blut sichtbar wird, handelt es sich um ein objektives Zeichen von Gewebeschädigung, Verletzung oder zumindest akuter Reizung – etwa durch eine Schleimhautverletzung im Maul, eine Wunde durch Sporen oder ein zu starkes Gebiss- bzw. Zäumungssystem. Das Pferd hat damit nicht mehr den Zustand einer völlig unversehrten Wettkampfteilnahme.
Ein Pferd mit Blut muss nicht nur möglicherweise Schmerzen haben, sondern ist zumindest verletzt oder in einem geschädigten Zustand, der eine Belastung im Sinne des Wettkampfs ethisch fragwürdig macht. Eine solche Regelung ist konsequente Umsetzung eines einfachen Prinzips: Wettkampf darf nicht wichtiger sein als das Wohl des Pferdes. Wenn das Pferd verletzt ist oder eine Wunde vorhanden ist, darf nicht einfach weitergeritten werden – dies wäre aus Tierschutzgesichtspunkten unverantwortlich. Natürlich sind Blutungen bei Weitem nicht das einzige Zeichen, dass ein Pferd gerade in Mitleidenschaft gezogen wurde, aber zumindest ein eindeutiges und objektiv unzweideutig erkennbares. Hinzu kommen erhebliche Fälle von Quetschungen durch zu starke Handeinwirkung, auch diese müssten dringend lückenlos geahndet werden. Diesbezüglich war die bisherige Praxis ohnehin noch unzureichend, sodass es sich nachdrücklich verbietet, weitere offene Flanken mit Hinblick auf das Tierwohl zu schaffen, anstatt sie zu schließen.
Im Pferdesport muss sich vieles verbessern und viele Themengebiete sind durch kontroverse Sichtweisen nicht einfach zu regeln. Das geht oftmals viel zu langsam, da zunächst lange diskutiert und Mehrheiten gewonnen werden müssen. Im Rahmen von Blutungen sind aber die objektiven Anzeichen einer Abweichung von der gewünschten Norm so offenkundig, dass im Mindestmaß der Ausschluss eines blutenden Pferdes die Grenze des Tolerierbaren definieren sollte. Darüber hinaus profitiert der Reitsport von einer sozialen Akzeptanz und dies kann und wird nur so bleiben, wenn glaubwürdig ist, dass Pferde nicht als bloße Sportgeräte behandelt werden. Eine klare Regel, dass Blut bedeutet: Stoppen oder eliminieren, sendet ein Signal, dass das Sportorganisationsregime das Pferdewohl als oberste Maxime ernst nimmt. Weiterhin werden die Reiterinnen und Reiter, Trainer und Sportveranstalter durch die derzeit bestehende „Blutregel“ zu einer höheren Sorgfalt in Bezug auf Ausrüstung (Gebisse, Nasenriemen, Sporen), Training und Wettkampfvorbereitung motiviert – gerade vor dem Hintergrund, dass insbesondere moderne Spring- und Vielseitigkeitsparcours technisch und körperlich extrem anspruchsvoll sind und sich allmählich der Eindruck verstärkt, dass sich eine kleine Gruppe von Reitern, die noch mit Reitkunst und Können einen so extrem anspruchsvoll gestalteten Parcours meistern können, sich einer Vielzahl von Konkurrenten gegenüber sieht, die tatsächlich nur noch unter Zuhilfenahme extremer mechanischer Einwirkung auf Pferdemaul und Nasenrücken in der Lage sind, den Stangenwald überhaupt noch unfallfrei zu überwinden. Insgesamt eine traurige Entwicklung.
2) Geplante Änderung:
Aus aktuellen Veröffentlichungen geht hervor, dass die FEI einen Entwurf für Regeländerungen veröffentlicht hat, der im November zur Abstimmung stehen soll. Diese Änderungen beinhalten im Wesentlichen: Der bisherige Eliminationsgrund in der Teildisziplin Springen bei Blut soll in Teilen ersetzt werden durch ein „Recorded Warning“, dies bedeutet, dass in gewissen Fällen künftig ein Verwarnungsverfahren gelten soll, dass nicht zwingend zum Ausschluss führt. Für sichtbares Blut im oder um das Maul soll in „milden Fällen“ erlaubt sein, dass das Maul gespült oder gewischt wird und der Pferd-Reiter-Kombination eine Fortsetzung erlaubt wird – ohne Verwarnung, sofern der Veterinär zustimmt. Erst bei zwei Verwarnungen innerhalb von 12 Monaten käme eine Geldstrafe und eine Sperre.
3) Ethik und Tierschutz?
Wenn sichtbar Blut auftritt, signalisiert dies eine offenkundig bereits eingetretene Gewebeschädigung – warum also wird das Gewicht dieses Signals nun reduziert? Ist es ethisch vertretbar, einem Pferd mit erkennbarer Verletzung oder zumindest Blutung im Maul weiterhin einen Wettkampf zuzumuten und damit auch zu riskieren, dass sich die schon sichtbare Verletzung durch die weiter durchgeführte Höchstbelastung ernsthaft vertieft? Wenn die Regelung zulässt, dass das Pferd nach Spülung/Wischen des Mauls weitergeritten wird, wie wird intern kontrolliert, ob im Inneren des Mauls nicht größere Verletzungen vorliegen (z. B. Schleimhautläsionen, Zungenquetschungen, Rachenverletzungen)? Forschungen zeigen, dass schwerwiegende zäumungsbedingte Verletzungen oftmals nicht immer von außen sichtbar sind. Wird durch eine Abmilderung der Konsequenzen die Motivation vermindert, bereits im Vorfeld Ausrüstung und Training so zu gestalten, dass solche Verletzungen gar nicht erst entstehen? Wird damit nicht ein klares Signal gesendet: Wettkampf geht vor Pferdewohl – und wird damit das ethische Fundament, auf dem der Pferdesport seine gesellschaftliche Akzeptanz begründet hat, gefährdet? Wie wirkt sich eine solche Lockerung auf die Glaubwürdigkeit der FEI-Wohlfühl Rhetorik („the welfare of the horse is paramount“) aus, wenn sichtbar gewordene Verletzungen nicht mehr zwangsläufig zum Ausschluss führen? Wenn das Pferd bereits sichtbare Blutung zeigt und dennoch weitermacht – wer trägt letztendlich die Verantwortung, wenn sich die Verletzung verschlimmert? Der Reiter? Der Veterinär? Die Sportorganisation? Fazit: Eine Regel, die sichtbares Blut nicht mehr zwingend mit Eliminierung verbindet, schwächt die Schutzfunktion, die bis dato explizit dafür da war, Pferden in aussichtslosen oder verletzten Zuständen einen Wettkampfeinsatz zu verwehren. Das ist nicht nur ein sportrechtliches Detail, sondern eine fundamental ethische Frage.
4) Unser Appell
Die Pferdesportwelt befindet sich an einem Scheidepunkt: Einerseits ist der Wettkampfdruck größer denn je. Equipment und Technik werden komplexer und das Publikum hinterfragt zunehmend kritisch, wie Tiere im Spitzensport eingesetzt werden. Andererseits ist die FEI mit ihrem neuen „Equine Welfare Strategy Action Plan“ vor kurzem einen Schritt in Richtung verbessertem Tierwohl gegangen – was im Widerspruch steht zu einer Regellockerung, die das Gegenteil bewirken könnte. Eine Abschwächung der Blutregel in einem Moment, in dem der Sport seine gesellschaftliche Akzeptanz sichern muss, wäre ein riskantes Signal. Es geht nicht nur um Einzelfälle, sondern um Vertrauen: Vertrauen von Pferdebesitzern, Zuschauern, Sponsoren und der Gesellschaft insgesamt, dass Pferde nicht willkürlich oder fahrlässig als Sportgeräte behandelt werden. Was tun wir jetzt, um klarzumachen, dass die Pferde in diesem Sport nicht Verlierer sein dürfen? Unterstützen Sie, liebe Leser, Petitionen, Forderungen und Initiativen, die die Regeländerung kritisch begleiten und das Wohl der Pferde in den Mittelpunkt stellen. Vor diesem Hintergrund möchten wir auf folgenden Link hinweisen: Petition hier unterschreiben
Machen Sie sich bewusst: Jede Lockerung einer Schutzregel sendet ein Signal nach außen, das die gesamte Branche im Ansehen der Öffentlichkeit betrifft.
Der Beitrag „Zurück statt in die Zukunft“ – Das Aufweichen der Blood Rule erschien zuerst auf Dressur-Studien.

