CHIO 2025: Momenteindrücke aus Aachen und von der digitalen Front
Momenteindrücke aus Aachen und von der digitalen Front: von Licht, Schatten und vielen Grautönen
Die gute Nachricht zuerst: Der Belgier Justin Verboomen gewann die Kür und damit den Lindt-Preis. Mit seinem Pferd Zonic Plus zeigte er eine Vorstellung, die einfach nur schön anzusehen war: leicht, geschmeidig und harmonisch tanzte der erst neunjährige Hengst durch das Viereck. Wenn alle so reiten würden, hätten wir keine Probleme im Sport. Bitte mehr davon!
Die schlechte Nachricht: Es bleibt noch einiges zu tun, bis das Pferd im Sport wirklich an erster Stelle steht.
Samstagvormittag an den einsehbaren Abreiteplätzen vor dem Dressurstadion. Eine Reiterin aus Portugal wärmt ihren Schimmel auf und bereitet sich auf den Grand Prix Special vor: Ihr Pferd Irao schnaubt ab, trabt locker und gleichmäßig auf dem Viereck – ganz so, wie es sein soll.
Während ich weiter am Abreiteplatz zuschaue, reitet Rita Ralão Duarte mit Irao in die Prüfung ein. Am Ende reicht es für sie nur für Platz 27.
Etwas besser schneidet ihr Landsmann João Miguel Torrão ab: Er landet auf Platz 22. Doch vorher sorgte er für Aufregung am Abreiteplatz. Beim Einreiten ins Stadion folgt sein Pferdepfleger, trägt die Gerte des Reiters und wedelt damit hinter dem Pferd – das beginnt prompt zu piaffieren. Und genauso prompt ist eine Stewardess zur Stelle, die das mit einer knappen, scharfen Ansage sofort unterbindet. Gut so!
Szenenwechsel 1:
Auf dem großen Rasenplatz sind die Springreiter unterwegs. Viele reiten mit Schlaufzügeln, einige mit – aus Sicht der Dressurreiter – abenteuerlich anmutenden Gebisskonstruktionen. Manche kommen ganz ohne Hilfszügel oder außergewöhnliche Zäumungen aus.
In der Mitte des Platzes steht ein Steward, der mit Argusaugen besonders einen Reiter im Blick hat. Der sitzt auf einem Schimmel und „stellt“ ihn mal tief rund nach rechts, mal tief rund nach links. Die seltsame Zügelkonstruktion verläuft zwischen den Vorderbeinen und dem Gebiss des Pferdes, was auch immer das sein soll.
Zwischendurch hält der Reiter immer wieder an, lässt die Zügel locker, bevor er sein Pferd galoppieren lässt – oder sagen wir besser: vor sich hin hoppeln lässt. Der Schweif schlägt unaufhörlich von einer Seite zur anderen – eine einzige, deutliche Abwehrreaktion. Der Steward zuckt immer wieder zusammen, doch: zack, hört der Reiter wieder auf. Auch als Steward braucht es gute Nerven. Schließlich spricht er den Reiter an, doch der hatte offenbar ohnehin vor, aufzuhören.
Szenenwechsel 2:
Sonntagmorgen beäuge ich die Kür im Livestream. Positiv: Es sind mittlerweile mehr Pferde zu sehen, deren Trab nicht völlig exaltiert ist und deren Bewegungen natürlich und nicht andressiert wirken. Negativ: Die meisten Pferde sind wie „festgetackert“ ständig mit der Nase hinter der Senkrechten und die Hinterhand ist im Verhältnis zur Vorhand nicht aktiv genug – die Ausnahmen sind spärlich gesät.
Noch vor dem Einritt ins Viereck, aber schon im Stadion, verpasst Andreas Helgstrand seinem Jovian noch mal einen heftigen Links-rechts-Ruck, früher nannte sich das „Insterburger“. Jovian ist eng eingestellt, zeigt ein klapperndes Kampfkauen und unnatürlich exaltierte Vorhandbewegungen. Die Galopppirouetten wirken mühsam, der Takt geht immer wieder einmal verloren. Nur in den Momenten, wo Helgstrand seine überdeutliche Hilfengebung aussetzt, zeigt Jovian, was er könnte. Der Applaus des sonst so freundlichen Aachener Publikums bewegt sich zu Recht an der Schwelle des absoluten Minimums.
Schließlich, an drittletzter Position, reitet Isabell Werth mit Wendy ins Viereck. Die Rappstute zeigt fast ununterbrochen eine überdeutliche Maulaktivität. Ihre Reiterin lässt die Stute an oder vor der Senkrechten und stellt ihre Halsposition nicht „fest“, wie es manche andere Reiter handhaben. Die gefürchteten Wechsel gelingen und die Richter belohnen das schließlich mit dem zweiten Platz. Zuletzt hatte ich mir einen Ritt von Isabell Werth und Wendy bei der Kür in Paris angesehen und ihn – wenn auch nicht nach dem Maßstab der klassischen Reitlehre – dennoch als fließend empfunden. Vielleicht lag das auch an der sichtbaren Freude von Isabell Werth, nach so kurzer Zeit mit der Stute so weit gekommen zu sein? Der Anflug von Leichtigkeit scheint aber mittlerweile verschwunden zu sein und die deutsche Gründlichkeit hat wohl Einzug gehalten.
Szenenwechsel 3:
Beim CHIO in Aachen sind die Tore längst geschlossen, doch im Netz geht die Diskussion munter weiter. Von der Seitenlinie springt ein „Sportfan“ auf das virtuelle Spielfeld in Facebook, möchte einen Wettbewerb ausrichten: „Die Kritiker reiten gegen Isabell Werth“ und lobt 100.000 Euro aus. Wenig später steht eine Teilnehmerliste von Kritikerinnen, die doch bitte im Wettbewerb mit Isabell Werth mal zeigen sollen, was sie selbst so draufhaben. Es ist schon fast nicht frei von Komik, dass ausgerechnet ein Stall als Kritiker daran teilnehmen will, der so weit von der klassischen Reitlehre entfernt ist, wie es nur eben geht. Es wird ein Pferdewechsel diskutiert, ein möglicher Austragungsort – nur über die Hauptdarsteller, die Pferde, nicht. Wenn das Ego und nicht die Pferde im Vordergrund stehen, dann kommt so etwas dabei heraus.
Fazit:
Es tut sich ein wenig etwas – zugunsten der Pferde. Doch wenn ich in manches Pferdegesicht dort gesehen habe: Es muss sich schneller etwas verändern!
Noch ein Wort an die eingefleischten Sportfans: Kritiker zu diskreditieren, macht das Pferdeleid nicht geringer. Und das gibt es nach wie vor. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik bringt Vorteile – besonders für die Pferde.
Und an die Hardcore-Kritikerinnen, die zu Recht darauf verweisen, dass sich endlich etwas ändern muss: Verlasst euren Schreibtisch und geht zu einem Turnier. Begegnet den Reiterinnen und Reitern, seht, dass auf der anderen Seite auch Menschen dabei sind, die ihren Pferden gerecht werden wollen und nicht nur aufs Geld aus sind. Diese Menschen erreichen wir nicht, wenn wir ihnen generell Tierquälerei vorwerfen.
Wer den Pferden helfen will, muss deren Menschen erreichen. Das geht nur im Dialog. Nicht im Kampf. Selbst wenn die anderen die Einsichtsfähigkeit eines Steines zeigen: Steter Tropfen höhlt auch diese Steine.
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