Geometrics-Update: Was ist ein FC2RC-Verhältnis und warum brauchst du es an deinem Rad?
Geometrie-Nerds und angehende Geometrie-Nerds aufgepasst – unsere Geometrie-Datenbank Geometrics hat eine neue Zeile bekommen! In diesem Artikel erklären wir euch, was es mit dem FC2RC-Verhältnis auf sich hat und wie ihr den Wert für eure Geometrie-Analyse verwenden könnt! So viel sei vorweggesagt: Es geht um die Radlastverteilung!
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FC2RC – Was ist das?
FC2RC ist eine Abkürzung für ein Verhältnis, das ihr ab sofort in unserer Geometrics-Datenbank in den Geometrietabellen von Fahrrädern findet. Die Abkürzung steht für „Front-Center to Rear-Center“ – also das Verhältnis des Abstands von Vorderradachse zu Tretlager zum Abstand von Tretlager zu Hinterradachse.
Dieses Längenverhältnis gibt uns also rein statisch eine Auskunft über die relativen Längenverhältnisse des Bikes vom Krafteinleitungspunkt Tretlager zu unseren beiden Kontaktpunkten zum Boden. Das gibt Ausschluss darüber, wie viel unseres wirkenden Gewichts sich auf die Reifen verteilt. Je größer unser FC2RC-Wert wird, desto mehr Last haben wir auf dem Hinterrad und desto weniger auf dem Vorderrad – zumindest wenn wir den Lenker nicht aktiv belasten. Je kleiner der Wert, desto mehr Last haben wir automatisch auf dem Vorderrad.
FC2RC – Wie berechnet sich der Wert?
Die Berechnung dieses Verhältnisses ist vergleichsweise einfach. Standard in jeder Geometrietabelle sind der Radstand und die Kettenstrebenlänge, die wir für diese Berechnung verwenden:
(Radstand-Kettenstrebenlänge)/Kettenstrebenlänge = FC2RC
Da wir diese Werte für alle Bikes in Geometrics erfassen, ist FC2RC auch rückwirkend in allen Tabellen eingebunden.
FC2RC – Wie präzise ist der Wert?
Unsere Berechnung hat eine gewisse Unschärfe – nicht mathematisch, sondern da wir uns auf die Angaben des Herstellers verlassen müssen. Die Bemaßung eines Fahrrads ist alles andere als genormt, das bringt natürlich ein paar kleine Ungenauigkeiten mit sich:
- nicht jeder Hersteller gibt bei Verwendung von Flip-Chips alle Veränderungen an.
- Kettenstrebenlängen können als tatsächliche oder rein horizontale Längenabschnitte gemessen werden.
- Herstellerangaben können ungenau ausfallen – bewusst oder wegen Toleranzen.
- der Wert beschreibt nur ein statisches Verhältnis.
Kleine Änderungen, wie das Drehen eines Flip-Chips, können sich signifikant auf die Geometrie auswirken – vielfältig verstellbare Bikes wie das Orbea Rallon bieten so viele Möglichkeiten, dass wir es in Geometrics nicht mehr sinnvoll abbilden können. Aber es gibt auch Hersteller, die lediglich die Veränderung des Lenkwinkels angeben, wenn ein Winkelsteuersatz ab Werk verbaut ist. Mit dem flacheren Lenkwinkel verändert sich natürlich auch die Länge des Front-Centers.
Die Kettenstrebenlänge eines Bikes kann als realer Wert von Tretlager zu Hinterradachse oder aber als horizontale Komponente gemessen werden. Bei MTB-üblichen Tretlagerabsenkungen stellt das nur geringe Abweichung dar, sollte aber mit bedacht werden.
Herstellerangaben können auch manchmal falsch sein! Eines meiner letzten privaten Bikes hatte einen real gemessenen Lenkwinkel, der 1,5° steiler war als auf dem Papier angegeben. Ob hier bei der Qualitätssicherung ein Fehler passiert ist, oder der Hersteller bewusst eine falsche Angabe gemacht hat, ist schwer zu sagen – ebenso ist schwer zu sagen, ob die restliche Geometrie dann stimmt.
Zu guter Letzt beschreibt der Wert natürlich nur einen statischen Ausgangspunkt. Sobald wir auf dem Fahrrad sitzen und das Fahrwerk im Sag steht, können sich die Längenverhältnisse schon deutlich geändert haben. Besonders deutlich wird das bei Bikes mit hohem Drehpunkt. Gleiches Spiel haben wir im Gelände: steil bergab oder flache Trails – das Bike federt ein, die Verhältnisse ändern sich.
FC2RC – Was mache ich mit dem Wert?
Dazu will ich kurz eine Erfahrung mit euch teilen: Vor ein paar Jahren war ich Besitzer eines Pivot Switchblade (V1) und eines Banshee Legend 29 – beide Räder in XL, aber unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Einer der maßgeblichen Unterschiede war die Kettenstrebenlänge – 428 mm vs. 473 mm – und dennoch war der Wechsel zwischen den Bikes für mich immer sehr einfach – denn das FC2RC-Verhältnis war mit 1,83:1 zu 1,81:1 sehr nahe beieinander.
Was ich damit ausdrücken will?
Erstens: Um mit diesem Wert zu arbeiten, brauche ich immer Vergleichswerte. Ich habe eine lange Excel-Liste an Testrädern, privaten Bikes oder Rädern, die mich interessieren, in der ich mir diverse Verhältnisse berechne. Persönlich kann ich für meinen Fahrstil und meine Vorlieben ziemlich genau sagen, welches Verhältnis mir gefällt. Da ich gerne aufrecht im Rad stehe und nicht sehr tief über der Front hängen will, möchte ich ein hohes Cockpit fahren. Ich steuere das Bike viel über Input durch die Beine. Dann hilft mir eine gewisse Kettenstrebenlänge und ein damit einhergehender niedriger FC2RC-Wert dabei, automatisch eine höhere Last auf dem Vorderrad zu haben. Für mich hat sich die Bandbreite zwischen 1,8:1 und 1,85:1 als ideal herausgestellt, während ich ab 1,9:1 schon deutlich mehr um den Vorderrad-Grip kämpfen muss.
Zweitens: Die Kettenstrebenlänge ist immer relativ zu sehen. Das Verhältnis zu betrachten, ist oft hilfreich. Was bringt mir die rein absolute Betrachtung auch? Ich habe Freunde, für die 435 mm das Optimum ist und die spöttisch darüber lachen, wenn man gerne längere Kettenstreben fährt – aber warum überhaupt? Berechnet man sich das FC2RC bei den Bikes und der Rahmengröße, die sie fahren, und stellt das mit meinem Wunsch gegenüber, landet man häufig bei ähnlichen FC2RC-Werten. Merke also: Zwischen den Rahmengrößen gibt es oft sehr stark abweichende FC2RC-Werte, sofern ein Hersteller die Kettenstrebenlänge nicht an die Frontcenter-Länge anpasst. Relativ betrachtet sind kurze Kettenstreben an großen Rahmengrößen oder langen Bikes nicht für jedermann.
Was kann ich zudem aus dem FC2RC-Wert ziehen?
Welche Auswirkungen auf Fahrposition und Grip-Verteilung gibt es und wie kann ich das beheben? Ein Rad mit hohem FC2RC-Wert braucht mehr Druck auf dem Vorderrad, die fahrende Person muss hier also für eine höhere Last auf dem Vorderreifen sorgen als bei einem Rad mit geringerem FC2RC-Wert. Was passiert, wenn man das nicht macht? Zu wenig Druck auf dem Vorderrad wirkt sich vor allem in flachen Kurven aus und zeigt sich durch Untersteuern. Je steiler es wird, desto stärker zeigt der resultierende Vektor des Systemschwerpunktes nach vorne und desto mehr Druck haben wir automatisch auf dem Vorderrad. Untersteuern – nicht mehr relevant.
Bremstraktion – absolut relevant! Je kleiner der FC2RC-Wert, also je länger die Kettenstrebe, desto weniger Gewicht lastet im steilen Gelände dann am Hinterrad – das geht nicht mit jedem Reifen und jedem Hinterbau gut. Bergauf kann ein hoher FC2RC-Wert dafür sorgen, dass das Vorderrad steigt, wenn man im steilen Gelände unterwegs ist. Vor allem beim E-MTB ein signifikanter Faktor, wenn man nicht nur Forststraßen kurbeln will.
In einem gewissen Rahmen kann ich hier natürlich gegensteuern. Bei hohen FC2RC-Werten greife ich gerne zu längeren Vorbauten, um meine Körperposition leicht nach vorne zu bekommen. Bei langen Kettenstreben kann ich nicht unbedingt ein XC-Reifenprofil fahren. Dabei lernen wir auch – nicht jedes Einsatzgebiet kommt mit dem gleichen Verhältnis gut aus.
Suche ich mein nächstes Bike nach FC2RC aus?
Nein. FC2RC ist ein isolierter Wert, der nicht für alle ausschlaggebend ist. Ich nutze das Verhältnis eher als Showstopper. Viele Geometriewerte spielen bei mir in der Auswahl eines Bikes eine Rolle: Reach, Stack, Lenkwinkel, Sitzwinkel, etc. Für mich muss das Gesamtpaket stimmen. Das FC2RC-Verhältnis ist dann eher das Veto, die Stimme der Vernunft, die mir sagt: Das wird für dich nicht funktionieren. Damit fahre ich bei der Wahl meiner Bikes bisher hervorragend.
Meiner Erfahrung nach ist gerade im Grenzfall des FC2RC-Wertes in Relation zur persönlichen Vorliebe eine Testfahrt angebracht. Ich stelle für mich immer wieder fest, dass weniger steife Bikes mit einem tendenziell zu hohen Wert für mich immer noch gut funktionieren, während zu steife Bikes mein Traktions-Problem wesentlich stärker betonen.
FC2RC-Verhältnis – was hat sich die Industrie da schon wieder ausgedacht? Halt, stopp – das ist nur ein Längenverhältnis, das auch du an deinem Bike hast und kein neuer Standard. Eine Metrik, die gerade bei größeren Bikes stärker ins Gewicht fällt und dabei hilft, zu beziffern, wie die Radlastverteilung eines Mountainbikes ausfällt.
Welches FC2RC-Verhältnis hat dein Bike?