Interview mit Rick Zabel: „Was sollen wir mit einem Hausboot?“
Rick Zabel – deutscher Straßenmeister U23, Tour-Bestreiter, „Sohn von“ und mittlerweile einer der bekanntesten Fahrrad-Influencer Deutschlands. Im letzten Jahr beendete Rick seine aktive Rennrad-Karriere und ist in seinem Übergangsjahr, wie er es selber nennt, mit einem eigenen Youtube-Format am Start – und podcastet mit Jan Ullrich über Radsport. Wir haben ihn auf seinem Hausboot, das er sich 2024 gekauft hat, getroffen.
Rennrad-News.de: Hallo Rick! Ich höre „Ulle und Rick“ regelmäßig, du hast ja jetzt den Podcast – und damit wollte ich direkt mal einsteigen. In der ersten Folge hast du ein bisschen erzählt, wie krass das für dich war, dass Ulle dich dafür angefragt hat. Was bedeutet dir Jan Ullrich?
Jan Ullrich… Ich vergleiche halt immer so ein bisschen das Bild oder den Namen, den man im Kopf hat, wenn man das hört. Es ist natürlich so: Ich finde, man hört „Jan Ullrich“ und hat direkt diese Bilder von ihm im gelben Trikot bei der Tour in den 90ern im Kopf – dieser Kämpfer, dieser Goldjunge. Der ist einfach Legendenstatus in Deutschland, der über allem steht. Der einzige Deutsche, der jemals die Tour gewonnen hat – das ist er, und das wird er im Radsport auch immer bleiben.
Für mich ist Jan jetzt aber in erster Linie der Mensch. Ich hatte auch ganz lange dieses Legendenbild von ihm. Und wie das dann so ist – Jan ist einer der wenigen Menschen, bei denen das Sprichwort „never meet your idol“ nicht zutrifft. Jan ist da wirklich die Ausnahme. Wenn du ihn kennenlernst und mit ihm sprichst, vergisst du, dass er mal die Tour gewonnen hat. Der Mann hat das Herz am rechten Fleck, ist einfach ein netter Typ.
„Jan Ullrich ist einer der wenigen Menschen, bei denen das Sprichwort ’never meet your idol‘ nicht zutrifft“
Ich weiß, obwohl wir – unabhängig vom Podcast – seit einem Jahr intensiver zu tun haben: Er ist ein absoluter Herzensmensch, und das schätze ich sehr an ihm. Jan sagt mir immer offen, was er denkt, und er ist einfach jemand, den man lieb haben muss. Das geht gar nicht anders. Vor allem ist er einfach ein ganz netter, angenehmer Zeitgenosse.
Ich glaube, das Bild, das man im Kopf hat, wenn man „Jan Ullrich“ hört, und wie er wirklich ist, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Er ist so auf dem Boden geblieben, war leidenschaftlicher Rennfahrer und liebt den Sport total. Aber man könnte ihm ja auch nicht vorwerfen, wenn er sich dafür feiern würde, dass er der einzige Deutsche ist, der jemals die Tour gewonnen hat – das macht er aber gar nicht. Er hat 0,0 die Attitüde, dass er irgendwo hinkommt und sagt: „Ey Leute, küsst mir die Füße, ich hab die Tour gewonnen.“ Das hat er gar nicht. Er stellt sich mit „Hey, ich bin der Jan“ vor, eher schüchtern, zurückhaltend. Und ich denke: Warte mal, du könntest es dir eigentlich leisten, ein bisschen auf die Kacke zu hauen – aber das will er gar nicht.
Bleiben wir kurz in diesem Vergangenheitsbild. Du kennst Ulle ja wahrscheinlich auch über deinen Vater. Wie war das für dich, als du mit dem Radfahren angefangen hast? War es komisch, schon einen bekannten Vater im Radsport zu haben?
Es war mir völlig egal. Für mich waren das immer zwei Welten: das eine war der Profi-Radsport, am Wochenende mit meinem Papa zu Rennen fahren. Aber das, was ich gemacht habe, waren Rundstreckenrennen, NRW-Kriteriumsrennen. Das war für mich ganz weit weg vom Profi-Radsport. Das war wirklich: Fahrrad aus dem Kofferraum, kurz Warmfahren, Rennen fahren, Rennwurst essen, duschen, wieder eine Rennwurst essen und nach Hause. Das war Kreisliga-Niveau, im Fußballvergleich. Zwei komplett unterschiedliche Welten.
Ich habe das geliebt, Kurven zu fahren, Rundstrecke zu fahren. Ob ich da Zabel mit Nachnamen hieß oder nicht, war völlig egal. Klar habe ich gemerkt, dass ich besonders angekündigt wurde, dass andere Leute getuschelt haben, aber das war für mich gar kein Thema. Ich hatte einfach Bock, Rennen zu fahren.
„Für mich waren das immer zwei Welten: der Profi-Radsport und das, was ich gemacht habe – Rundstreckenrennen mit meinem Papa.“
Wenn ich mich recht erinnere: Du kennst Paul Ripke ja auch gut. Wir haben damals ein Interview mit ihm gemacht bei einer seiner Pari-Schwalbe-Ausfahrten. Hast du ihn eigentlich zum Rennradfahren gebracht?
Ich kann es mir nicht komplett auf die Fahne schreiben. Der Impuls kam schon von ihm. Wie bei vielen während Corona – er war lange in Amerika, hat sich ein Rad geholt und angefangen. Ich war dann für ihn sicher einer der ersten Kontaktpunkte. Er hat mich angerufen und normale Fragen gestellt, dass er gerne mit dem Sport anfangen würde. Ich habe ihm ein paar Tipps gegeben, wir sind zusammen gefahren, haben viel gemeinsam gemacht. Das war cool. Aber die intrinsische Motivation kam auf jeden Fall von ihm selbst.
Wir haben heute das Vergnügen, hier auf deinem Hausboot zu sein – was natürlich auch schon Geschichte hat. Wie kamst du auf die Idee, das Ding zu kaufen?
Ich würde sagen, es war eine Verkettung von witzigen oder irrwitzigen Möglichkeiten und Situationen. Die Geschichte war so: Für das YouTube-Format „Rick Needs a Job“, das ich jetzt mache, habe ich eine Pilotfolge gedreht – um später auf Partner zuzugehen und ihnen zu zeigen, wie das ungefähr aussehen soll. Das war im Februar 2024. Eine Folge war mit Viola, der besten Kunstradfahrerin Deutschlands, weil ich eine sportliche Folge haben wollte, die andere mit Fynn, weil ich auch was Künstlerisches wollte. Bei dem Videodreh habe ich Fynn (Kliemann, Anm. d. Red., vorheriger Besitzer des Hausboots) gefragt, wie es ihm geht. Er hat erzählt, dass er sein Leben aufgeräumt hat, sich von vielem getrennt hat, aus Firmen ausgestiegen ist und nur noch einen kleinen Kreis um sich herum möchte. Und dann meinte er: „Das Einzige, was ich noch halte, ist das Hausboot – aber eigentlich will ich das auch loswerden.“
Damals war das kein großes Thema. Danach bin ich zur UAE-Tour gefahren, aber ich hatte immer den Gedanken im Kopf. Während der ganzen UAE-Tour habe ich mir nochmal die Doku („Das Hausboot“ auf Netflix) und YouTube-Reportagen über das Hausboot angeschaut. Danach habe ich ihn angerufen und gefragt: „Wollen wir mal über das Hausboot sprechen?“Dann hat er gemerkt, dass ich ernsthaftes Interesse habe. Meine Frau meinte anfangs: „Du spinnst doch, was sollen wir mit dem Hausboot?“ Dann waren wir eine Nacht hier und als sie dann auch auf meiner Seite war, hat die Idee Form angenommen.
Damals wusste ich noch nicht, dass ich das YouTube-Format durchziehen würde, dass ich einen Podcast mit Ulle („Ulle und Rick“) machen würde, oder ein Buch schreibe. Die Idee war einfach: Ich höre mit Radsport auf, und das Hausboot wird ein cooles Projekt danach. Wir wollten die Vermietung hochfahren und es schön darstellen. Dass es jetzt eines von vielen Projekten ist, war damals nicht absehbar. Aber das ist die Geschichte dahinter.
Du hast gerade gesagt, du hast mit dem aktiven Radsport aufgehört. Wie kam es dazu? Hattest du in deiner letzten Saison 2024 schon das Gefühl, dass es reicht?
Den Entschluss habe ich eigentlich schon in der vorletzten Saison gefasst. In der Saison 2023 hatte ich im Sommer so ein Down – ich wollte da schon akut aufhören, von jetzt auf gleich. Ich habe mich im Team nicht mehr wohlgefühlt, keinen Spaß mehr gehabt. Ich habe an allem gezweifelt. Dann kam die Nachricht, dass Ackermann und Schwarzmann ins Team kommen – das hat mich nochmal motiviert, weiterzufahren meinen Vertrag zu erfüllen.
„Ich wollte alles genießen, alles rausholen – aber gleichzeitig habe ich im Hintergrund schon für 2025 gearbeitet.“
Ich hatte mir immer vorgenommen, bis 30 zu fahren, dann wollte ich reflektieren, wie lange ich das noch mache. Als ich dann 30 wurde, war klar: Jetzt ist Schluss. Ich bin also in die Saison 2024 mit dem Wissen gestartet, dass es meine letzte wird. Ich wollte alles genießen, alles rausholen – aber gleichzeitig habe ich im Hintergrund schon für 2025 gearbeitet, für das Jahr nach der Karriere.
Zum einen hatte ich durch Social Media ein Standbein aufgebaut, das mir super viel Spaß macht. Ich wollte herausfinden, wie es ist, Content Creator zu sein, wenn ich wirklich meine Energie da reinstecke. Zum anderen wollte ich ein selbstbestimmtes Leben führen. Ich liebe den Sport, aber die Strukturen haben mich gestört: ein Teammanager, ein Trainer, der über mein Leben entscheidet, die mich zu Rennen hinschicken, Trainingspläne, egal ob Weihnachten, Kindergeburtstage, aber wenn ich sechs Stunden Training am Tag habe, muss ich das machen.
Realistisch gesehen: Wenn ich ein Seriensieger gewesen wäre und wäre auf der Erfolgswelle geschwommen, vielleicht wäre das was anderes gewesen. Aber obwohl ich am Ende meiner Karriere meine besten Werte hatte – meinen Bestwert über fünf Minuten hatte ich 2024 – hat es nicht mehr gereicht für die Tour-Nominierung oder eigene Siege. Ich hatte einfach sukzessive das Gefühl, egal wie ich mich anstrenge: Die Weltspitze ist nochmal 10-15 % weiter. Gleichzeitig hatte ich mit Social Media Erfolg, das machte Spaß. Ich war aber gerade gefangen in einem Leben, in dem ich keinen Erfolg hatte, und das war dann so der Prozess dahinter.
Und daraus entstand dann „Rick Needs a Job“?
Die erste Idee war eigentlich eine Bucketlist. Ich habe meine Jugend geopfert für den Sport und das hole ich jetzt alles nach. Gravelrennen, Triathlon – das stand alles schon drauf. Aber da standen auch viele Partythemen, und ich merkte, dass mir da die Message fehlt. Ich habe gezweifelt, dass die Idee funktioniert, wenn ich jetzt einfach nur auf Mister Good Life mache.
Immer, wenn ich erzählt habe, dass ich mit dem Radsport aufhöre, kam immer die Frage: „Was machst du jetzt? Fällst du jetzt nicht in ein Loch?“ Und ich dachte: Genau das nehme ich als Cliffhanger. Ich sage: Ich bin 30, habe mit Profisport aufgehört, fange bei Null an – stimmt ja auch, habe kein Abi, kein Studium, keine Ausbildung – was jetzt? Und daraus wurde: „Rick Needs a Job.“ Ich probiere im Sabbatjahr jede Woche einen neuen Job aus und begleite dieses Übergangsjahr vom Profisportler in die neue Welt offen und ehrlich.
Gibt es denn einen Plan, was nach dem Transition-Jahr kommt?
Einen konkreten Plan nicht. Wir – also meine Crew Norbert, Tibor und ich – werden uns im September, genau hier, wo wir gerade sitzen, für fünf Tage einschließen. Dann besprechen wir, ob wir in dieser Konstellation weitermachen wollen, ob wir etwas dranhängen. Ich will jetzt nicht sagen, dass es ein „Rick Needs a Job 2“ geben wird – aber Content Creator zu sein, das macht mir schon am meisten Spaß.
Eine Sache wollten wir mit dem Format wirklich rausfinden: Ich habe ja nie ausgeschlossen, dass vielleicht Tätowierer oder jemand beim Ordnungsamt oder bei der Polizei wirklich ein Job ist, bei dem ich sage – das ist es! Es ist schon eine Findungsphase. Und es ist auch was passiert, was ich am Anfang nicht erwartet hätte: Als ich aufgehört habe, wollte ich erst einmal ganz viel Abstand vom Radsport. Es war wie eine Trennung. Ich habe kaum Rennen geschaut und war nicht darüber informiert, was los ist.
Aber durch das Format, durch die Folgen bei Canyon, als sportlicher Leiter bei Paris-Roubaix oder die aktuelle Giro-Folge, habe ich gemerkt: Ich sehe mich doch in irgendeiner Rolle im Radsport. Ich weiß noch nicht genau, welche. Aber zum Beispiel würde ich total gerne mal als Externer eine Doku über ein Team oder eine Person machen …
Sowas wie Tommi Schmitt gemacht hat?
Ja, genau! So wie die Mats Hummels-Doku von Tommi Schmitt. Das Pendant im Radsport dazu. Diese Reise hat mir gezeigt: Mein Herz liegt so tief im Radsport vergraben. Ich kann den Job nicht genau benennen, aber vielleicht ist es so etwas wie Botschafter für den Sport auf Social Media.
Wir machen noch drei, vier schnelle Fragen. Welcher Probejob hat dir bislang am meisten Spaß gemacht?
Ordnungsamt!
Okay! Warum?
Ich glaube, ich habe einen Hang dazu, in so einer Machtposition aufzugehen und Leute rumzubefehlen. Das fand ich nicht schlecht! (lacht)
Wie verfolgst du die wichtigsten Rennen? Monumente, Giro – schaust du das auch privat intensiv?
Ja, sehr intensiv! Das meinte ich vorhin schon – ich hätte nicht gedacht, dass ich wieder so reinkomme. Aber ich schaue die Rennen wirklich aus Interesse. Natürlich auch für den Podcast, aber es ist nicht so, dass ich mich zwingen müsste. Ich habe fast alle Etappen vom Giro live geschaut, bis auf drei, bei denen ich mir dann die Zusammenfassungen auf YouTube angeschaut habe. Also: Ich bin wieder sehr intensiv dran.
Wie wichtig sind dir heute noch Zahlen beim Radfahren – FTP, Wattwerte, Pace?
Für mich persönlich ist mir das mittlerweile komplett egal. Ich glaube, mein Wattmessgerät hat seit vier Monaten eine leere Batterie und ich habe sie nicht gewechselt. Das ist so ein Teil in mir, den ich als Profi zurückgelassen habe, nach Werten zu trainieren. Ich musste mich so lange analytisch mit allem auseinandersetzen. Jetzt geht es mir nur ums Gefühl beim Fahren. Ob ich 26 oder 31 km/h Schnitt fahre, ist mir völlig egal.
Deine persönlichen Top-3-Momente deiner aktiven Karriere?
2017 der Start in Düsseldorf bei der Tour de France – als Deutscher. Dann, drei Jahre später, die erste Tour zu Ende fahren in Paris. Und das Bergtrikot beim Giro für eine Etappe – das war ein großer Moment.
Du hattest in der ersten Folge mit Ulle und Rick erzählt, dass dein Vater dir früher kleine Hacks mitgegeben hat – wie vor dem Zielsprint als Dritter um die letzte Kurve zu fahren. Fallen dir noch zwei ähnliche Tipps ein, die dich weitergebracht haben?
Du musst nicht der Stärkste sein, sondern der Schlauste. Das stimmt total. Ich war nie der stärkste Fahrer, aber ich konnte viel mit Taktik und Positionierung rausholen. Das würde ich so unterschreiben. Auch kein Geheimnis, aber früher war das bei den Rennen so: Mein Opa oder Papa haben mir früher in der letzten Runde eine Cola gegeben – um nochmal zu kicken. Das war damals echt ein Vorteil, damals war man auch einfach mit der Ernährung noch nicht so weit, aber es war klar: da ist Zucker drin, da ist Koffein drin, das kann nicht schlecht sein vor dem Finale. Heute ist es ein Koffeingel, aber der Effekt war ähnlich.
Die nächste Frage kommt von unserem Mountainbike-Fotografen Moritz von MTB-News, der die Downhill-Worldcups fotografiert: Würdest du mal zum Downhill-Worldcup mitkommen und die Fotografen dort unterstützen?
Also, wenn die Frage wäre, dort selbst zu fahren – da würde ich mir in die Hose machen. Aber mal hinfahren, mir das anschauen – klar! Ich war noch nie da.
Allerletzte Frage: Warum macht dir Fahrradfahren Spaß?
Es ist einfach das schönste Gefühl, auf dem Rad zu sitzen. Egal, ob man mit Freunden fährt und sich dabei unterhält – gerade in der heutigen Zeit, wann bleibt das Handy wirklich mal in der Trikottasche? Man kann richtig schön reden. Es ist Quality-Me-Time, zusammen, wenn man sich für zwei Stunden verabredet und Rad fahren geht. Und das ist heute schon ein richtiges Commitment, Das hat für mich etwas total Verbindendes.
„Bei frischer Luft, Sonne – ich weiß nicht, was es Schöneres geben soll. Es ist der schönste Sport.“
Auch wenn man alleine fährt: Man hört einen Podcast, Musik oder fährt einfach nur so dahin – das ist total meditativ. Am Ende meiner Karriere hatte ich das Gefühl, ich kam von jeder Ausfahrt nach Hause und hatte drei neue Ideen im Notizbuch. Man kommt ins Überlegen, man fährt einfach so, folgt vielleicht der Route, dann bin ich total kreativ. Dann musste ich mir sofort alles aufschreiben, damit ich es nicht vergesse.
Ich bin auch ein Schönwetterfahrer. Wenn’s regnet, zieht es mich nicht raus. Aber bei frischer Luft, Sonne – ich weiß nicht, was es Schöneres geben soll. Es macht mir einfach am meisten Spaß. Es ist die schönste Sportart.
Perfektes Schlusswort. Danke dir für das Interview!
Verfolgt ihr Rick Zabel bei seinen aktuellen Aktivitäten?