Neues SRAM-Patent für Schaltung: Feiert der Umwerfer ein Comeback … im Kettenblatt?
In einem bereits 2019 eingereichten und nun öffentlich einsehbaren Patent beschreibt SRAM die Möglichkeit, einen über einen AXS-Akku angetriebenen 2-fach-Umwerfer an der Kurbel zu integrieren. Eine Umwerfer-Aufnahme am Rahmen würde damit wegfallen.
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Es ist kein Geheimnis, dass bei SRAM keine großen Umwerfer-Fans arbeiten. Im MTB-Bereich hat man diesen bereits erfolgreich beerdigt, am Gravel Bike erfreuen sich die 1-fach-Antriebe großer Beliebtheit. Sogar auf der Straße kommen 1-fach-Set-ups gelegentlich zum Einsatz.
Ein soeben veröffentlichtes SRAM-Patent aus dem Jahr 2019 könnte allerdings frischen Wind in die Schaltungsentwicklung bringen: Dieses bewegt den Umwerfer vom Rahmen direkt in die Kurbel. Damit fallen einige Design-Restriktionen am Rahmen weg, was Vorteile im Leichtbau oder der Aerodynamik bieten könnte. Im Patent-Text nennt SRAM zudem die nicht perfekte Ausrichtung des Umwerfers – die sogar durch den Rahmenflex unter Last weiter negativ beeinflusst werden können soll – und die generelle Schwierigkeit, unter Last zu schalten, als weitere Nachteile der bisherigen Umwerfer-Konstruktion. Zudem verweist der Text auf die nötigen und nicht immer gegebenen handwerklichen Fähigkeiten, einen Umwerfer korrekt einzustellen.
Umwerfer in die Kurbel integriert – wie geht das?
Völlig neu ist die Idee, statt eines Umwerfers am Rahmen die Schaltfunktion in die Kurbel zu integrieren, übriges nicht. Schon 2016 konnten wir die Vyro-Schaltkurbel erfolgreich testen. Hier bestanden die Kettenblätter aus Segmenten, die sich beim Schalten jeweils in die Kettenlinie bewegt und ein Schalten unter voller Last ermöglicht haben. Das System ist allerdings nie in Serie gegangen. Von SRAM selbst gab es auch bereits die Hammerschmidt-Kurbel – eine 2-fach-Kurbel mit eingebautem Getriebe. Ganz so innovativ ist die SRAM-Lösung tatsächlich nicht: Im Wesentlichen hält man am Umwerfer fest, platziert diesen jedoch zwischen den beiden Kettenblättern. Beim Pedalieren wird der Schaltmechanismus also mit der Kurbel mitbewegt.
Wenig verwunderlich setzt SRAM dabei auf eine elektronische Lösung. Das passt einerseits natürlich perfekt ins inzwischen stark ausgebaute AXS-Netzwerk der US-Amerikaner. Andererseits wäre es auch schwer, den sich immer mitdrehenden Schaltmechanismus über ein Kabel anzusteuern. Während ein Umwerfer aus einem Mechanismus besteht, der sich hin und her bewegt, benötigt die SRAM-Lösung zwei separate Mechanismen, die etwas komplexer ausfallen.
So gibt es im Patent genannten Beispiel einen Mechanismus zum Hochschalten: Dieser befindet sich auf der Außenseite des großen Kettenblatts und besteht aus mehreren Fortsätzen, die in größer werdenden Abständen zur Achse positioniert sind, um so die Differenz zwischen den Kettenblättern zu überbrücken. Beim Schalten bewegen sie sich durch Löcher im Kettenblatt nach innen und nehmen die Kette beim Einlaufen auf das Kettenblatt auf, wodurch sie sich nach außen auf das größere Kettenblatt bewegt. Theoretisch sollte man dadurch unter Last schalten können, da sich das Schaltelement ja im Bereich ohne Kette nach innen bewegt, während ein Umwerfer die unter Spannung stehende Kette anheben und rüberdrücken muss.
Etwas simpler wirkt die Lösung zum Runterschalten: Diese ist zweimal vorhanden, weshalb man pro Kurbelumdrehung auch zweimal die Chance zum Runterschalten hat. Generell gilt aber, dass SRAM sich auf die Anzahl der Mechanismen nicht festlegt und in beiden Fällen auch mehr oder weniger Schaltmöglichkeiten pro Umdrehung denkbar sind. Beim Runterschalten wird ein ebenfalls außen am großen Kettenblatt befestigter Arm in die Kettenlinie bewegt. Dieser hat eine Aussparung, um sich in die Zähne einzufügen, und wirft die Kette über eine schräge Fläche nach unten auf das kleine Kettenblatt.
Was können die Vor- und Nachteile sein?
Im Prinzip soll das System die am Anfang genannten Probleme eliminieren: Da der komplette Mechanismus in die Kurbel integriert wird, müssen Rahmen-Designer keinen Platz für einen Umwerfer mehr lassen und können den für Leichtbau und Steifigkeit wichtigen Tretlager-Bereich freier designen. Auch aerodynamisch könnten sich leichte Vorteile ergeben, zudem kann sich mehr Reifenfreiheit ergeben. Vor allem aber wird das System vermutlich als Ganzes ausgeliefert: Man muss also im Prinzip nur noch die Kurbel anschrauben, den Shifter verbinden und es sollte bereits alles perfekt funktionieren und korrekt eingestellt sein. SRAM macht sich damit auch frei von der Toleranz-Kette zwischen Kurbel, Tretlager, Rahmen und Umwerferaufnahme, sondern hat den ganzen Mechanismus in der eigenen Hand.
Im Patent werden zudem mehrere Möglichkeiten zum automatischen Schalten genannt: Da dieses vorn nun unabhängig der anliegenden Last funktionieren soll, kann man etwa eine Automatik aktivieren, die, wechselt man manuell hinten den Gang, automatisch das Kettenblatt passend wechselt, sodass sich immer die bestmögliche Kettenlinie ergibt. Oder man schaltet direkt komplett automatisch – ein Feature, das es an E-Bikes bereits gibt.
Natürlich benötigt es für das System spezielle Kettenblätter. Da diese aber wie gewohnt an der Kurbel verschraubt sind, dürften sie bei Verschleiß oder Beschädigung ersetzbar sein. Etwas anders sieht es mit der Kettenblatt-Größe aus: Der Mechanismus ist dieser ja angepasst, sodass man beides gemeinsam tauschen müsste, was komplex und teuer werden könnte. Störend könnte zudem sein, dass man, je nach Anzahl der Schaltmechanismen, nur an bestimmten Punkten während einer Kurbelumdrehung schalten kann und nicht mehr jederzeit.
Die von SRAM beschriebene Lösung dürfte sich vor allem für den Straßenbereich eignen: Zum einen sind Umwerfer hier noch sehr verbreitet, zum anderen handelt es sich um eine recht komplexe und vor Schlamm, Schotter und Schlägen nicht zu schützende Mechanik. Nicht ohne Grund sind auch Umwerfer im Gelände kaum noch zu finden. Allerdings schließt SRAM den Offroad-Einsatz keinesfalls aus.
Liegen also bald die ersten Kurbeln mit integriertem Umwerfer in den Auslagen? Wohl eher nicht. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass SRAM sich daran gemacht hat, die patentierte Lösung in die Realität umzusetzen. Eine spannende Lösung, die wir in Zukunft tatsächlich so oder so ähnlich in Produktform sehen könnten, ist es aber allemal.
Was sagst du zur Umwerfer-Revolution von SRAM?