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Kino | Julia und Julia

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Lesbische Liebe ist in Kenia ein Tabu. Wanuri Kahius Film „Rafiki“ zeigt sie als Coming-of-Age-Drama zweier Lokalpolitikertöchter
Julia und Julia

Kena, die Baseballcap sitzt schief über dem schmalen Mädchengesicht, ist das erste Mal mit der süßen Ziki und ihren regenbogenfarbenen Dreads allein. Und sagt nach wenigen Minuten: „Ich muss los.“ Denn Kena ahnt, was es bedeutet, in ihrer Heimat Kenia homosexuell zu sein. Welche Gefahren, welches Leid, welcher Kummer darin lauern. Ziki, die naiver, lebenslustiger, hoffnungsvoller ist, braucht dazu noch eine Weile.

Kena ist Zikis erste große Liebe, und umgekehrt. Die beiden jungen Frauen aus dem Vorort Nairobis kannten sich vom Sehen, zunächst sogar eher vom Wegsehen – Kenas Vater John konkurriert gegen Zikis Vater Peter um einen Posten im Bezirksparlament. Ausgerechnet. Ein bisschen ist es also wie bei Romeo und Julia, nur schlimmer: Es geht um zwei Julias.

Rund um Rafiki, den vierten Langfilm der kenianischen Regisseurin Wanuri Kahiu, gibt es viele Premieren: Er ist der erste kenianische Film, der je beim Filmfest von Cannes gezeigt wurde (2018 lief er in der Reihe „Un certain regard“). Er ist der erste kenianische Langfilm, der lesbische Liebe thematisiert, und eines der wenigen Werke aus einem afrikanischen Land überhaupt über Homosexualität.

Rafiki bedeutet „Freund“ – denn es geht in Kahius Liebesgeschichte um Freundschaften auf verschiedenen Ebenen: Nicht nur die Beziehung zwischen Kena und Ziki, und die zwischen den Mädchen und ihren Familien entwickelt sich parallel zu ihrer Bewusstwerdung, auch die Freundschaft zwischen Kena und Blacksta, ihrem besten Kumpel, mit dem sie durch dick und dünn geht, verändert sich. Die beiden spielen Fußball, fahren auf Blackstas Motorrad herum, und Kena zieht Blacksta mit seinen Affären auf. Für Blacksta ist Kena jedoch die Frau, die er später heiraten will – „wenn wir zusammen sind, musst du nicht arbeiten“, malt er ihr aus, ignorant dafür, dass ihr Lebenstraum anders aussieht: Mit ihren guten Schulnoten könnte Kena ein Stipendium bekommen, Medizin studieren, Ärztin werden, autark leben. Als Kenas und Zikis sich zögerlich entwickelndes Verhältnis deutlicher wird, muss Blacksta überlegen, auf wessen Seite er steht.

Denn die kenianische Öffentlichkeit verachtet Schwule und Lesben: Homosexuelle Handlungen zwischen Männern sind in Kenia offiziell verboten, Verbindungen zwischen Homosexuellen erfahren keinerlei staatliche Anerkennung, für Frauen gibt es kein Gesetz. Momentan läuft ein Verfahren zur Entkriminalisierung, das von einem kenianischen LGBT*-Aktivisten bis vor das „High Court of Kenya“ gebracht wurde – am 22. Februar will das wichtigste Gericht des Landes entscheiden, ob sich an der rechtlichen Situation der nationalen LGBT*-Gesellschaft etwas ändert. Die Aufführung von Kahius Film in Kenia war, als logische Konsequenz, verboten – aber die Regisseurin ging angesichts einer möglichen Kenia-Auswahl für die Oscar-Nominierung als „Bester fremdsprachiger Film“ erfolgreich gegen dieses Verbot vor und erwirkte einen klitzekleinen Kinostart.

Rafiki, dessen recht simple erzählerische Struktur manchmal ein wenig zu gradlinig und erwartbar daherkommt, überzeugt dennoch mit Leidenschaft und einem poetischen, visuellen Sinn für Pop: Die Figuren, ob Tomboy Kena, Femme Ziki, Sidekick Blacksta oder die etwas stereotypen Kieznachbarn und -nachbarinnen bewegen sich in einem grellbunten Umfeld voller (female) Rapmusik, authentischer Geräusche und leichter Atmosphäre, das Wanuri Kahiu im zweiten Teil ihres Films, in dem das Drama seinen brutalen Lauf nimmt, folgerichtig farbloser, stiller und dunkler werden lässt. Sie zeigt die verbotene Lovestory als hoffnungsloses Scheitern an den Traditionen, die unter anderem erst von den weißen Kolonialherren in die Gemeinschaft hineingetragen wurden: Vor allem der christliche Pfarrer der Gemeinde verweist in seiner blumigen Predigt auf „Gottes Gesetze“, die das „Beieinanderliegen“ gleichgeschlechtlicher Menschen verdammten. Dabei gibt es in den Bantu-Sprachen den Begriff „Ubuntu“, den auch Kahiu in ihrer Argumentation für die Aufführungserlaubnis ihres Film angeführt hatte – er bezeichnet die afrikanische Philosophie der Zusammengehörigkeit der Menschen: Wir sind alle gleich.

Doch nicht nur auf der symbolischen Ebene laufen Kena und Ziki immer wieder gegen die Wand – auch ein konkreter Ausbruchsversuch endet vorerst nur beim Nachbarschaftsimbiss von Mama Atim, die alles weiß und alles weitertratscht: ein modernes Echo der afrikanischen „oral history“. Mit Details wie diesem gelingt Kahiu neben den Diskursen zu Gerechtigkeit und Sexualität in ihrem Film ein umfassendes Gesellschaftsporträt. „Lass uns auf gar keinen Fall typische kenianische Mädchen sein“, befeuern sich die beiden Heldinnen schon früh in ihrer Freundschaftsgenese. Spätestens das macht Rafiki zu einem global verständlichen Coming-of-Age-Werk: Was Mädchen und Jungen in einem bestimmten Alter auf gar keinen Fall wollen, egal ob im Vorort Nairobis, der Upper West Side von Manhattan oder einem weißrussischen Kaff, ist, so zu sein wie alle anderen. Nur ist das Anderssein im Falle von Ziki und Kena weder pubertäres Ausbrechen noch (ausschließlich) gut gelauntes Ausprobieren. Es ist ein für sie fataler Zustand, den sie nicht ändern können. Und in dem doch so viel Hoffnung und Glück liegt. Ihre Heimat müsste das nur akzeptieren.

Info

Rafiki Wanuri Kahiu Kenia, Südafrika u. a. 2018, 83 Minuten

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

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