Handball
News melden
Nachrichten

Serie "Landsleute": Der Angriffsspieler: Eric Sindermann war Handballer, heute macht er Mode für Claudia Effenberg

0 7
Serie

Eric Sindermann hätte Bundesliga spielen können, doch die Wut stand ihm im Weg. Im Berghain begann seine zweite Karriere.

Erstmal steht da der Thron. Im Wintergarten, gleich hinter dem Wohnzimmer. Schwarzes Polster, mit Gold umrandet, eine Krone darüber. Dann steht er da selbst, Eric Sindermann. Als Aufsteller in Lebensgröße. Ebenbilder aus Karton. Ein Kabinett der Pappkameraden. Er hat sie anfertigen lassen. Für die Show zu Hause. Die Wände mit Laken verhängt, der Teppich schon Laufsteg genug. Nun stellt er sich dazu, Kamerapose, und muss erstmal lachen. Ohne Worte, weil seine Präsenz allein schon von seiner Gegenwart erzählt. Sindermann trägt, heute wie an den meisten Tagen, seine eigene Kollektion. Die graue Jogginghose, das weiße T-Shirt, die schwarze Bauchtasche dazu. Darauf sein Gesicht, schwarzweißer Druck, immer eng am Körper, als könnte er es andernfalls verlieren.

Eric Sindermann, vor 13 Jahren noch galt er als Handballtalent, ein möglicher Nationalspieler, eine Tormaschine. Heute ist der Modedesigner und hat sein eigenes Label gegründet, Dr. Sindsen, durfte mit Harald Glööckler arbeiten und auf der Fashion Week feiern, vor Kurzem hat er eine Currywurst auf den Markt gebracht. Und so hängt hier, zwischen den vielen Gesichtern, vor allem eine Frage im Raum. Wie, bitte schön, konnte es dazu kommen? Er lacht gleich noch mal. Und muss dann, wie beim Handball früher, weit ausholen.

Ich hatte ja, sagt er also, eine eher zerrüttete Karriere.

Vogelsang Info SindermannSindermann, schon als Kind immer in Bewegung, hat früh mit dem Handball begonnen. Eine Begabung, das sahen die Trainer sofort. Er hatte dieses Gefühl in den Fingern und bald auch die nötige Kraft in den Armen. Die Wucht in den Würfen, Wettkampfsportler. Seine Eltern schickten ihn auf die Werner-Seelenbinder-Schule in Hohenschönhausen, alte Medaillenschmiede der DDR. Er war dort, so erzählt er es selbst, erst mal Außenseiter. Das Opfer der anderen. Einer, der ausgelacht wurde, hässlich und dumm. Bis er die Faust als Antwort entdeckte, die Gewalt als schnellste Lösung. Da, achte Klasse, verprügelte er einen Mitschüler im Klassenraum. Aber erst draußen klatschte es richtig, dort gab es Applaus. Dort hatte er bald andere Freunde gefunden, natürlich die falschen.

Feinstes Ost-Berliner Perfekt

So erzählt er sie jetzt, seine Geschichte. Und weil er aus Karow kommt, sagt er hier, in diesem Rückblick aus dem Rückraum, natürlich auch: war jewesen. Feinstes Ost-Berliner Perfekt. Bretthartes Stadtrandidiom, immer weiter im Text.

Er wurde dann, da war er gerade 14 gewesen, nach Flensburg geholt, in den Nachwuchs des Bundesligisten, zog allein in den Norden, ein halbes Kind noch. Plötzlich in einer anderen Stadt, ein Fremder dort. Wohnung, so sagt er es, im Ausländerviertel. Ein Alien aus dem Osten. Ihm gelangen die Tore, der Anschluss aber gelang ihm nicht. So fuhr er, wann immer es ging; zurück nach Berlin. War mit Jungs unterwegs, die nachts mit Farbdosen in Gleise sprangen, Buchstaben an Wände sprühten, um ihr Revier zu markieren. Straßenleute, sagt Sindermann. Er trug ihre Uniform. Boxerschnitt, die Haare an den Seiten hart rasiert. Die Jacke von Cordon. Die Hosen von Picaldi. Ost-Proll, nennt er das. Schon von Weitem bedrohlich. Hier gehörte er dazu.

Durch die Gewalt, sagt er heute, habe ich Respekt bekommen. Die Anerkennung, die ich brauchte. Das Problem war nur, dass ich das irgendwann mit reingenommen habe, in den Handball.

Mit 16 stand Eric Sindermann in Berlin vor Gericht, Körperverletzung. Und kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Mit 17, letztes Jahr in der Jugend, hat er seinem Trainer ins Gesicht gespuckt. Und wurde daraufhin suspendiert.

Damit, sagt er, war ich verbrannt gewesen.

Er wechselte den Verein, noch mal eine andere Jugend. Wurde Torschützenkönig, aber nach einer Tätlichkeit erneut gesperrt. Ich konnte mich nicht benehmen, sagt er heute, nicht einfach mal ruhig bleiben.

Eric Sindermann, als Gesamtpaket kaum tragbar, war einer, der auch Handball mit der Faust spielte, immer für sich und selten für die Mannschaft, und doch so viel Talent besaß, dass es immer wieder Trainer gab, die es noch einmal versuchen wollten mit ihm. Nächste Station dann Hamm in Westfalen. Bundesliga, Zweijahresvertrag. Da, sagt er, hätte ich mich nur durchbeißen müssen, einfach mal richtig trainieren. Hamm, das war eine Riesenchance gewesen.Tegel Taxifahrer Vogelsang 10.27

Doch er nutzte sie nicht. Eric Sindermann, da griffen die alten Reflexe, er wurde die Straße nicht los. Er verprügelte dann einen LKW-Fahrer. Eine Schelle, die am nächsten Tag in der Zeitung stand. Die falsche Schlagzeile. Und weil er sich, ganz nebenbei und wieder einmal, auch noch mit dem Trainer überworfen hatte, war mit einem Schlag auch seine Zeit in Westfalen vorbei. 

Richtig dumm, sagt er.

So begann der Abstieg, die traurige Tour über die Dörfer. Der ungebremste Fall durch die Spielklassen, bis er in Thüringen aufschlug, 2009.

Bad Blankenburg, 7000 Einwohner, 100 Zuschauer vielleicht. Vierte Liga, sagt er, das war das Schlimmste. Seine vielleicht größte Niederlage. Von Blankenburg aus ist die Nationalmannschaft weit weg.

Dienste im Ausland. Katar

Eric Sindermann war gerade 22 Jahre alt und in eine Sackgasse geraten. Er hätte jetzt aufhören können. Aber er war noch nicht fertig, oder noch nicht fertig genug. Also begann er sich selbst anzubieten, seine Dienste im Ausland. Ganz andere Nummern, arabische Liga. Da, sagt er, habe ich angerufen und gefragt, ob ich mal zum Probetraining kommen darf. Meist haben die sofort aufgelegt, dann bin ich einfach selbst hingeflogen. Nach Katar.

Dort sollte nochmal alles besser werden. Oder anders zumindest. Geiles Wetter, 10.000 Euro im Monat. So hatte er sich das vorgestellt. Die Realität war eine andere. Wenn du da ein gutes Spiel machst, sagt er jetzt, bekommst du Geld. Wenn nicht, zerreißen sie deinen Vertrag. Und vielleicht, wenn es ganz schlecht läuft, nehmen sie dir auch den Pass weg.

Er ist auch deshalb weitergezogen. Eine Odyssee durch die Wüste, die Ebene, den Rand des Erträglichen. Zwei Jahre lang.

Eric Sindermann hat im Libanon gespielt und in der asiatischen Champions League. In Rumänien, in Norwegen und in Tunesien. Meist nicht länger als sechs Wochen. Ein Streuner, ein Söldner auch. Irgendwann, sagt er, hast du gar keinen Bezug mehr zu den Teams. Du bist die ganze Zeit auf der Suche. Nach dir selbst, nach dem Glück. Aber du findest es nicht, weil du nirgends zuhause bist. Immer nur zur Probe im Training. Ein Leben auf Bewährung.

In Marrakesch dann, mit vier anderen Spielern in einer Wohnung, war die Reise zu Ende.

Da, sagt er, war ich am Boden. Da war klar: Eric, jetzt ist genug. Eric, finito. Das war die Erkenntnis gewesen. Er ist dann wieder nach Berlin gegangen und hat eine Ausbildung angefangen. Groß- und Außenhandelskaufmann.

Für viele Leute, die meine Laufbahn verfolgt haben, sagt Sindermann jetzt, war das der Tiefpunkt. Für mich war das eine große Befreiung. Vom Sport und seinen Regeln. Vom Druck, den Talent erzeugen kann. Von den Hoffnungen, die zu Gewichten werden, gerade wenn man immer nur die Bank drückt.

Die Berghain-Karriere

Eric Sindermann, in seiner Geschichte geht es immer wieder um Türen. Sie erzählen von Hindernissen und Herausforderungen. Türen, in denen er schon mindestens einen Fuß hatte. Türen, gegen die er gerannt ist, weil er sie vorher selbst zugeschlagen hatte. Türen, vor denen er stand, um Klinken zu putzen. Und dann gibt es da noch die eigentlich härteste Tür, an der seine zweite Laufbahn begann.

Seine, wie er sagt, Berghain-Karriere.

Im Januar 2015 stand Sindermann irgendwann nachts vor dem Technoclub am Ostbahnhof, in einer Schlange, die kein Ende kennt, und sah mal wieder aus wie immer. Boxerschnitt und Jogginghose, Goldkette und Tanktop. Die Bauchtasche dazu, mittlerweile Markenzeichen.

Ins Berghain, sagt er, kommen ja eigentlich nur schwarz gekleidete Menschen. Und ich hatte in Clubs bisher nur Ablehnung erlebt. Hier aber haben sie mich rein gelassen. Rechts durch die Tür, an allen vorbei. Dahinter das Dröhnen unter zwanzig Meter hohen Decken, Körper in der Dunkelheit, das Stampfen der Bässe. Und Eric Sindermann war unmittelbar angekommen, zum ersten Mal seit Langem zu Hause. Im Berghain, sagt er, konnte ich so sein, wie ich will. Im Berghain, diesem Hochamt der Hemmungslosen, zwischen Ärzten auf Pille und Juristen in Trance, gehörte er plötzlich wieder dazu. Und irgendwann, sagt er, haben die Leute angefangen, meinen Style nachzumachen. Die fanden das cool, trugen den Ost-Proll als Abendgarderobe.

  Die Simpsons ­haben mich ­geprägt, sagt Eric Sindermann. Sie sind sympathisch, machen viele Fehler, aber am Ende geht es immer gut aus
Die Simpsons ­haben mich ­geprägt, sagt Eric Sindermann. Sie sind sympathisch, machen viele Fehler, aber am Ende geht es immer gut aus
© Philipp Wente /stern

Eric Sindermann, plötzlich mittendrin. So kam ihm die Idee, mehr daraus zu machen. Ey Leute, sagte er dann, hinein ins Wummern des Wochenendes, ich bringe meine eigene Bauchtasche raus. Ich werde jetzt Modedesigner. Ausrufezeichen. Da haben die anderen gelacht. Ja, ja, der Eric. Aber er meinte das ernst, machte seine Ausbildung fertig und brachte seine eigene Bauchtasche raus. Nun tatsächlich Designer. Dr. Sindsen, der Modearzt.

Seither sind drei Jahre vergangen, in denen Eric Sindermann mit seiner Marke gewachsen ist. An der Seite von Harald Glööckler, der ihm erst einen Namen gegeben und diesen Namen dann mit Strass besetzt hat. Und bald auch allein, mit dem Gesicht voran. Sein erstes T-Shirt hat sich 1000 Mal verkauft. 24,99 Euro das Stück. Durch Harald, sagt er, bin ich jetzt aber in einer anderen Preisklasse. Und trotzdem noch Lehrling. In der Mode wieder, was er früher mal war. Ein Talent, das sich beweisen muss. Eric Sindermann, er macht Homeshopping. Und Kleidung für Claudia Effenberg, war gerade in München mit ihr. Im kommenden Jahr möchte er mit DJ Tomekk auf Tour gehen. USA, geil. Er wird sich auch da wieder selbst ins Schaufenster stellen, mit dem Gesicht voran. Er ist auch da, wie früher auf dem Feld, völlig schmerzfrei. Sein Spiel, heute hilft ihm das. 

Ich war, sagt er jetzt noch, immer ein Angriffsspieler. Ein Egozentriker. Beim Handball geht das nicht, da machst du das Spiel kaputt. Aber in der Showbranche passt das wie Arsch auf Eimer.

Загрузка...

Comments

Комментарии для сайта Cackle
Загрузка...

More news:

Read on Sportsweek.org:

Andere Sportarten

Sponsored