Regel ist Regel?
Borussia Mönchengladbach hat 1:0 in Mainz gewonnen. Das war wichtig, weil nach der Heimniederlage im Pokal gegen St. Pauli schon wieder die Borussen-Angst umging. In der Redaktion von SEITENWAHL sowieso, aber auch beim ansonsten eher optimistisch veranlagten Verfasser dieses Artikels. Angst, dass der positive Lauf durch die Niederlage Schaden nimmt. Angst, dass die Mannschaft wieder in den Trott vom Ende der letzten oder dem Beginn der laufenden Saison verfällt. Angst, dass sich Polanski trotz der positiven Entwicklung der letzten Wochen doch nicht als nachhaltige Lösung auf der Trainerbank entpuppt.
Nach dem Spiel am Freitagabend ist diese Angst erst einmal wieder verflogen. Die Reaktion von Trainer und Mannschaft war eindeutig, nicht nur das Ergebnis stimmte, sondern auch die Leistung. Nach einem etwas abwartenden Beginn arbeitete sich die Mannschaft zunehmend in das Spiel hinein und übernahm eindeutig das Kommando. Als Schlüsselmaßnahmen im Vergleich zum vergangenen Dienstag erwies sich die Hereinnahme von Reitz und Castrop, die der Mannschaft den notwendigen kämpferischen Touch verpassten, der im Pokalspiel so schmerzlich vermisst wurde.
In der 17. Minute schoss Mainz dann ein Eigentor, das allerdings vom VAR postwendend wieder einkassiert wurde, weil der Ball auf dem Weg ins Tor die Fingerspitzen von Engelhardt touchierte. Die einhellige Reaktion aller Kommentatoren darauf: Das steht nun mal so in der Regel. Regel ist Regel. Offen gestanden: Auch meine Reaktion, gefolgt von der juristischen Erwägung, dass man halt mal eine vernünftige Regel formulieren müsste.
Eine Lektüre der Handregel später bin ich der Meinung, dass die Regel jedenfalls ihrem Wortlaut nach falsch angewendet wurde. In der Regel steht zum Handspiel bei Torerzielung sowohl bei IFAB als auch im Regelheft des DFB: „ein Vergehen liegt vor, wenn ein Spieler („…irrelevante Passagen gekürzt …“) ins gegnerische Tor trifft: direkt mit der Hand/dem Arm (auch wenn dies versehentlich geschieht) (gilt auch für den Torhüter),“ oder „unmittelbar nachdem er den Ball mit der Hand/dem Arm berührt hat (auch wenn dies versehentlich geschieht).“ Subsumieren wir mal: Was bedeutet „ins Tor treffen“? Die juristische Anwendung von Regeln kennt – oft als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, manchmal aber auch ausdrücklich die Figur der Kausalität. Ein Tatbestand ist nur dann erfüllt, wenn es zwischen einem Ereignis oder einer Handlung und einem Erfolg einen Ursachenzusammenhang gibt, wenn also das Ereignis / die Handlung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt. Umgekehrt ist ein Tatbestand dann nicht erfüllt, wenn der Erfolg auch ohne das Ereignis / die Handlung eingetreten wäre. Auf gestern angewandt muss man sich also fragen: Wäre der Ball auch ohne die Berührung von Engelhardt ins Tor gegangen? Die Antwort ist klar: Selbstverständlich wäre der reingegangen. Nichts anderes als einen solchen Kausalzusammenhang beschreibt der Satz in der Regel: ins gegnerische Tor trifft: direkt mit der Hand/dem Arm (auch wenn dies versehentlich geschieht). Eine wörtliche Auslegung dieses Satzes schließt jedenfalls ein Regelverständnis nicht aus, nach dem es kein strafbares Handspiel wäre, wenn der Ball auch ohne die Berührung mit der Hand unabweisbar ins Tor gegangen wäre. Ein schönes Gegenbeispiel gab es heute übrigens in Kaiserslautern zu sehen, wo den Gastgebern ein Tor aberkannt wurde, bei dem der Arm im Spiel war, der Ball aber seine Flugbahn deutlich änderte und ohne den Arm nicht im Tor gelandet wäre.
Nun werden meine juristischen Erwägungen vermutlich weder DFB noch FIFA sonderlich beschäftigen. Glücklicherweise galt das gestern auch für die Mannschaft, die von der Aberkennung des Tores völlig unbeeindruckt weiterspielte und deutlich mehr Stabilität ausstrahlte als die Mainzer. So ging es torlos in die Halbzeit.
Anfang des zweiten Durchgangs durften sich in einer Phase des offeneren Schlagabtauschs die beiden Torhüter beweisen, die beide jederzeit auf der Höhe des Geschehens waren. Insbesondere die „Legende des 1.FC Saarbrücken“, Daniel Batz erwischte auf Mainzer Seite einen Sahnetag. Das Tor für Borussia resultierte dann gewissermaßen aus ausgleichendem Glück – nach einem Eckball köpfte Tabakovic den Ball an da Costas Hintern, von wo der Ball ins Tor flog. Ein Tor, auch da waren sich im Nachgang alle einig, das man vor allem dann bekommt, wenn man Tabellenletzter ist. Auf das Tor folgte eine Drangphase der Gladbacher, die dem zweiten Tor deutlich näher war als die Mainzer dem Ausgleich, ehe mit der Einwechslung von Stöger für Reyna (der gut spielte) ein nicht zu übersehender Bruch im Spiel der Borussen eintrat. Der Auftritt von Stöger gab Rätsel auf. Querschläger vor der Abwehr, Fehlpässe im Mittelfeld und in der 94. Minute ein unsinniger Pass ins Niemandsland – das ist für einen Spieler seiner Qualität indiskutabel und taugt nicht als Bewerbung für mehr Spielzeit.
Mainz machte nun Druck auf den Ausgleich und kam zu Chancen, während Borussia kaum noch für Entlastung sorgen konnte. Zählbares kam dabei nicht heraus, glücklicherweise. Diese Phase meinte Eugen Polanski vermutlich, als er nach dem Spiel darauf hinwies, wie viel Arbeit noch vor ihm und der Mannschaft liegt, was alles noch nicht funktioniert und dass man sich diese Themen Schritt für Schritt erarbeiten muss. Eine angenehm realistische, bodenständige Einschätzung des Trainers.
Nach dem Spieltag ist Borussia Mönchengladbach im Mittelfeld der Tabelle angekommen, auf Augenhöhe mit Konkurrenten wie Freiburg, Köln oder Werder Bremen, knapp vor Union Berlin. Kein Anlass zur Euphorie, wohl aber einer zur Beruhigung der Nerven. Trotzdem, auch die anderen Teams unten drin fangen an zu punkten, Heidenheim, Augsburg und Wolfsburg haben das heute bewiesen. Insofern war der Sieg ein wichtiger.

