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Gradmesser im Hexenkessel

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Willkommen zurück in der Bundesliga, Schalke 04. Nach nur einem Jahr in Liga 2 ist dem 0fachen Bundesliga-Meister die direkte Rückkehr ins Oberhaus gelungen. Kein selbstverständlicher Kraftakt für einen Verein, der mit nur 16 Punkten und einem Torverhältnis von 25:86 beinahe tasmaniartig abgestiegen war und sich aufgrund der finanziellen Schieflage keine übergroßen Sprünge auf dem Transfermarkt erlauben konnte. Der Wiederaufstieg war aber auch keine solch große Sensation, wenn man auf die Gehaltsstrukturen in Liga 2 blickt. Es ist kein gutes Zeichen für fairen Wettbewerb, dass selbst ein Pleiteklub wie Schalke dem späteren Tabellendritten aus Hamburg den besten Torjäger der 2. Liga wegkaufen kann. Im Vergleich zu den übrigen Aufstiegsanwärtern aus Darmstadt und St. Pauli ist der finanzielle Wettbewerbsvorteil eines renommierten Bundesliga-Absteigers ähnlich enorm wie der des FC Bayern gegenüber anderen Erstligisten.

Trotzdem sah es im vergangenen Jahr lange Zeit nicht gut aus für die Schalker. Unter Dimitrios Grammozis dümpelte der Verein lange Zeit im (oberen) Mittelfeld der Liga herum. Die Wende kam erst mit Vereinslegende Mike Büskens, der von acht Partien sieben siegreich gestaltete und sein S04 zum zweiten Mal nach 1997 glückselig machte.

Da er sich aber stets nur als Interimscoach sah, musste ein neuer Coach her. Lange Zeit galt Daniel Farke als Favorit auf den Posten, ehe ihn sich ein anderer ambitionierter Bundesligist angelte. Positiv ausgedrückt fanden die Schalker eine kreative Alternativlösung, auf die nicht viele gekommen wären. Mit Frank Kramer verschaffen sie einem Trainer seine vierte Bewährungschance, der zuvor bereits in Düsseldorf, Fürth und Bielefeld krachend gescheitert ist.

Erfolgversprechender agierten die Knappen auf dem Spieler-Transfermarkt, wo Sportdirektor Rouven Schröder mit höchst bescheidenen Mitteln einige interessante Einkäufe getätigt hat.

Im defensiven Mittelfeld ist Alex Kral ein spannender Spieler. Der 24jährige verfügt als tschechischer Nationalspieler und EM-Viertelfinalist bereits über einige Erfahrung auf der 6er-Position. Auch wenn er sich zuletzt bei West Ham United nicht durchsetzen konnte, sollte Kral das Potenzial zum Führungsspieler im Schalker Mittelfeld mitbringen.

An seiner Seite in der Schaltzentrale kann sich Kramer zwischen einem Top-Talent und einem Routinier entscheiden. Tom Krauß ist deutscher U21-Nationalspieler, der sich aber zunächst noch an den Bundesliga-Alltag wird gewöhnen müssen. Danny Latza dagegen hat mit seinen 155 Bundesliga-Spielen – überwiegend bei Mainz 05 – jede Menge Erfahrung. Da es nach der Auftaktpleite zunächst einmal auf Kompaktheit ankommen wird, dürfte der Oldie am Samstag den Vorzug erhalten.

Routine dominiert auch in der Innenverteidigung, wo mit Maya Yoshida ein japanischer Nationalspieler für einen japanischen Nationalspieler verpflichtet wurde. Für Ko Itakura fehlte den Schalkern das nötige Kleingeld, sodass sie ihren besten Spieler der Vorsaison einem anderen ambitionierten Erstligisten überlassen mussten. Yoshida ist aber ein cleverer Ersatz, denn der 33jährige Kapitän der japanischen Nationalelf hat mit seiner großen internationalen Erfahrung das Zeug zum Abwehrchef und Führungsspieler.

Hinter ihm steht mit Alexander Schwolow ein Torhüter, der bis 2020 sehr solide für den SC Freiburg hielt. Dann wechselte er nach Berlin, wo er beim Big City Club zu einem der schwächsten Erstligakeeper mutierte. Dies setzte sich vergangenen Samstag fort, als er das 0:2 mit verschuldete und beim 1:3 unglücklich ins eigene Tor traf.

Der prominenteste Name unter den Neuzugängen ist aber Carl Henrik Jordan Larsson, dessen Vater Henrik eine schwedische Stürmerlegende ist. Auch sein Sohn hat mit 25 Jahren schon sein Talent unter Beweis gestellt. Nach 15 Toren in der Saison 2020/21 wurde er von einigen europäischen Topklubs gejagt. Er blieb bei Spartak Moskau und erlebte dort – begünstigt durch den russischen Angriffskrieg – ein schwaches Jahr, woran auch eine Leihe in die schwedische Liga zu AIK Solna nichts ändern konnte. Im Juni 2022 löste er seinen Vertrag bei Spartak auf und hielt sich seitdem privat fit, ehe ihn Schalke 04 vergangenen Freitag ablösefrei verpflichtete.

Ein spannender Coup, da sich Larsson zu einem echten Juwel entwickeln könnte. Die Frage wird sein, wie schnell er den Schalkern nach einem schwachen Jahr und ohne jede Saisonvorbereitung wird helfen können. Für die nächsten Wochen wird er vermutlich zunächst als Joker eingeplant werden müssen, wo auf ihn aufgrund seiner Torgefahr trotzdem achtzugeben ist.

Die Sturmbesetzung für kommenden Samstag ist eines der großen Fragezeichen in der Schalker Aufstellung. Es ist aber damit zu rechnen, dass Aufstiegsheld Simon Terodde ins Team zurückkehrt, der zuletzt an muskulären Problemen litt. In Liga 2 war er in den letzten Jahren so erfolgreich wie kein anderer und erzielte seit 2015 stets mindestens 24 Treffer. Bei seinen temporären Ausflügen in Liga 1 war er dagegen weniger erfolgreich und konnte sich weder in Stuttgart noch in Köln durchsetzen. Immerhin kam er dort aber auf 10 Tore in 58 Spielen und markierte u. a. im Januar 2018 den 2:1-Siegtreffer im rheinischen Derby.

Mit inzwischen 34 Jahren startet „Torodde“ jetzt seinen dritten und vermutlich letzten Anlauf im Fußball-Oberhaus und dürfte am Samstag den zuletzt glücklosen Neuzugang Sebastian Polter ersetzen. Dieser markierte in der Vorsaison zwar 10 Tore für den VfL Bochum, war aber selbst dort meist nur ein Mitläufer, dem beim Abschied nur wenige eine Träne hinterherweinten. 19 Tore in insgesamt 98 Bundesliga-Spielen sind zudem keine allzu erfreuliche Quote für einen Torjäger.

Auch Marius Bülter ist statistisch mit 9 Treffern in 59 Bundesligaspielen nicht so viel besser aufgestellt. Den letzten markierte er aber vorige Woche in Köln, weshalb er gute Chancen besitzt, für den gesperrten Dominick Drexler ins Team zu rücken. Bülter könnte neben Terodde einen Zweiersturm bilden – oder positionsgetreu zu Drexler die linke Außenbahn beackern.

Im Angriff wird bei Schalke vieles davon abhängen, ob Larsson an seine starken Zeiten anknüpfen kann und ob Terodde im dritten Anlauf endlich in Liga 1 durchstartet.

In der Defensive hat sich der Verein dagegen nahezu komplett neu aufgestellt, weshalb er umso schwieriger einzuschätzen sein wird. Am vergangenen Samstag standen nur vier Aufstiegshelden in der Startelf, was den holprigen Auftakt und das schwache Auftreten weit besser erklärt als die vermeintlich schwache Schiedsrichterleistung.

So unglücklich es gewesen ist, ausgerechnet bei der Bundesliga-Rückkehr drei VAR-Entscheidungen gegen sich zu erhalten: Zwei dieser Entscheidungen waren regeltechnisch alternativlos und haben einen eindeutigen Fehler des Feldschiedsrichters zurecht korrigiert. Unnötig war lediglich der Eingriff des Kölner Kellers beim Platzverweis, der zu hart ausfiel. So absurd wie von einigen Schalkern dargestellt, war aber selbst diese Entscheidung nicht, denn Drexlers Tritt auf Hectors Wade war mindestens ungeschickt und unbeholfen zu nennen.

Die Schalker würden sich einen Gefallen tun, lieber ihre eigene Leistung zu hinterfragen, denn 5:23 Torschüsse sind selbst in Unterzahl ein beschämendes Ergebnis gegen einen durchschnittlichen Ligakonkurrenten. Die leider immer mehr zum Profigeschäft gehörenden Jammereien, selbst bei teils eindeutig richtigen Schiedsrichter-Entscheidungen, bieten den Spielern ein willkommenes Alibi, von einigen Unzulänglichkeiten abzulenken.

Borussia dagegen wurde zuletzt meist durch erfreuliche Nachrichten abgelenkt. Die Vertragsverlängerungen von Jonas Hofmann und Alassane Plea bieten dem Verein deutlich mehr Ruhe und Planungssicherheit zumindest für die anstehende Spielzeit. Auch wenn die Vertragsdetails und die Höhen der Ausstiegsklauseln nicht bekannt sind: Der umstrittene Sportdirektor Roland Virkus hat mit diesen Maßnahmen an Profil gewonnen und einen ersten Beweis angetreten, dass das „Team Borussia“ auch ohne seinen Vorgänger weiter funktionieren kann.

Der Verein sollte aber nicht den Fehler machen, die aktuell bestehende Euphorie als selbstverständlich zu nehmen. Wer das Fußballgeschäft etwas länger verfolgt, der weiß, wie schnell sich der Wind wieder in die andere Richtung drehen kann. Daniel Farke hat auf der Pressekonferenz zurecht angemahnt, dass die Optionen gerade in der Offensive sehr überschaubar sind. Obwohl mit Lars Stindl nur ein Stürmer ausfällt, verbleiben derzeit nur Herrmann und Wolf sowie eine Fülle talentierter, aber unerfahrener Offensivkräfte auf der Bank. Für einen ambitionierten Verein wie Borussia ist das deutlich zu wenig. Von daher sollte es tatsächlich noch (mindestens) zwei Verstärkungen geben, um für potenzielle Ausfälle gewappnet zu sein.

Ein Transfer von Julian Weigl macht auf den ersten Blick wenig Sinn, da Borussia im defensiven Mittelfeld quantitativ wie qualitativ stark besetzt ist. Sollte sich aber eine Leihe mit Kaufoption in überschaubarer Höhe realisieren lassen, wäre nichts gegen einen Transfer von Farkes offensichtlichen Wunschspieler einzuwenden. Florian Neuhaus – und ggf. sogar Koné – könnte in diesem Fall wie zuletzt gegen Hoffenheim weiter vorne zum Einsatz kommen.

Defensiv hat Borussia durch die Rückkehr von Luca Netz und Marvin Friedrich wieder mehr Alternativen. Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass Farke die erfolgreiche Startelf vom letzten Samstag ändert. Dort spielte die Mannschaft eine hervorragende zweite Halbzeit. Wie so oft in den letzten Jahren gelang es ihr aber nicht, über 90 Minuten stark abzuliefern. Es bleibt also noch viel zu tun für Farke, der dies aber selbst erkannt und hoffentlich erfolgreiche Gegenmaßnahmen eingeleitet hat. Im Hexenkessel Schalke-Arena sollte sich Borussia keine so schläfrige Anfangsphase leisten. Bringt man den Gegner so ins Spiel könnte die entstehende Euphorie im Stadion später nur noch schwer bekämpft werden.

Die Partie auf Schalke wird von daher ein erster echter Gradmesser für die neue Borussia, die zu weiten Teilen immer noch aus denselben Spielern der erfolglosen letzten Jahre besteht. In den erfolgreicheren Jahren davor hat sich die Mannschaft meist dadurch ausgezeichnet, ihre spielerische Überlegenheit gegen nominell schwächere Gegner souverän zu nutzen. Wollen die Spieler tatsächlich zurück nach Europa, dann müssen sie diesen Anspruch wieder erfüllen und gerade solche Partien wie auf Schalke für sich entscheiden.

Mögliche Aufstellungen

Schalke: Schwolow – Brunner, Yoshida, Thiaw, Ouwejan – Latza, Kral – Mohr, Zalazar, Bülter – Terodde

Borussia: Sommer Scally, Itakura, Elvedi, Bensebaini – Kramer, Koné – Hofmann, Neuhaus, Plea – Thuram

 

SEITENWAHL-TIPPS

Claus-Dieter Mayer: In einem munteren Spiel setzt sich letztendlich die spielerische Klasse der Borussia durch und sorgt für einen 4:2-Auswärtssieg.

Uwe Pirl: Auch im zweiten Spiel ist nicht alles perfekt. Am Ende hat Gladbach aber einfach mehr Qualität und siegt 3:1 in Gelsenkirchen.

Thomas Häcki: Leidenschaft auf Schalke, Abgebrühtheit bei Gladbach. In einem engen Spiel setzt sich der Gast mit 2:1 durch.

Volkhard Patten: Borussia zeigt eine starke Auswärtsleistung, aber da der Kölner Keller die Fehlentscheidungen gegen Schalke vom letzten Wochenende kompensieren muss, verlieren wir mit 1:2.

Michael Oehm: Noch stottert der Motor bei beiden Teams, so dass schließlich ein 1:1 übrig bleibt, bei dem die Borussia ganz gut wegkommt.

Christian Spoo: Die Euphorie ist schon jetzt gefährlich groß. Nach dem 1:0-Sieg in Gelsenkirchen drehen die ersten durch und lassen sich Schnurrbärte stehen.

Michael Heinen: Die Euphorie rund um Mönchengladbach scheint unaufhaltsam zu wachsen. Wenn jetzt sogar schon das Spoorakel auf einen Auswärtssieg seiner Borussia tippt, wissen erfahrene Fans, dass der nächste Stimmungsdämpfer nicht mehr weit sein kann. In einer turbulenten Partie siegt Schalke mit 3:2 und zeigt Farke auf, das noch viel Arbeit auf ihn wartet.

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