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Heilbronn: Von "Spaziergängern" und Kriegsverbrechern

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Von Armin Guzy

Heilbronn. Warum unternimmt die Stadt Neudenau nichts gegen ein Soldatengrab auf ihrer Gemarkung, das seit Jahren als "Pilgerstätte" von Neonazis bekannt ist? Und welche Rolle spielen polizeibekannte Rechte bei den "Montagsspaziergängen" in der Region? Um diese beiden Fragen drehten sich die "Kaffeehausgespräche" der Heilbronner Initiative "Wehret den Anfängen", die diesmal im Museum "Altes Rathaus" in Leingarten geführt wurden. Recht spontan dazugekommen war auch Polizeipräsident Hans Becker. Er berichtete von einer wachsenden Zahl der "Spaziergänger" und bekannte: "Ich mache mir gerade sehr viele Sorgen um das Land und meine Kollegen."

Zunächst aber berichtete Michael Oschwald den gut 50 Zuhörern über die weithin sichtbare Grabstätte im Neudenauer Teilort Herbolzheim. Der Inschrift zufolge erinnert es an drei namentlich genannte deutsche Soldaten und einen "unbekannten SS-Mann", die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs "im Kampf um Herbolzheim" von den vorrückenden Amerikanern getötet worden sind. Den Recherchen zufolge gehörten jedoch alle vier Männer der 17. SS-Panzergrenadierdivision "Götz von Berlichingen" an, und somit einer Einheit, deren Soldaten nachweislich Kriegsgefangene und Zivilisten ermordet hat und der weitere Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.

Soldaten dieser Division sollen im August 1944 an der Zerstörung des französischen Dorfs Maillé beteiligt gewesen sein und 124 Menschen ermordet haben, darunter 43 Kinder. Das erst spät aufgearbeitete "Massaker von Maillé" gilt als zweitschwerstes Kriegsverbrechen deutscher Soldaten auf französischem Boden; nur in Oradour hatten SS-Soldaten einer anderen Einheit noch schlimmer unter Zivilisten gewütet.

Bemerkenswert ist, dass das 1958 von der Gemeinde angelegte Grab noch heute gepflegt wird. Ob von der Gemeinde selbst oder von Unbekannten, ist unklar. Die Frage der Initiative "Wehret den Anfängen" danach an die Verwaltung blieben, so war zu hören, bislang ebenso unbeantwortet wie Einladungen zu einer Diskussion darüber. Auf Nachfrage der RNZ teilte die Verwaltung am gestrigen Mittwoch mit, Bürgermeister Manfred Hebeiß sei im Urlaub und könne daher erst später antworten.

Doch nicht alleine das Gedenken an mutmaßliche Kriegsverbrecher und das "Wegducken" der Kommunalpolitiker irritiert die Initiative: Hinter einer Hecke am Grabmal ist eine Steinplatte eingelassen, auf der die Parole "Treue um Treue" zu lesen ist. Der Ursprungsstein wurde 1958 von der "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS" gesetzt und 1994 von der "Traditionsgemeinschaft ehemaliger Soldaten" erneuert.

"Es muss allen klar sein, welche Denklinien hier gepflegt werden", sagte Oschwald, und die Gemeinde schaue tatenlos zu. Dass hier mehrfach Kränze niedergelegt worden sind und sich Gruppen versammelt haben, ist auch der Polizei bekannt. Strafrechtlich relevant ist das indes nicht, auch nicht die markante "Eiserne Faust" des Götz’ von Berlichingen, die auf mindestens einem Kranz zu sehen gewesen sein soll. Vieles deutet nicht nur aus Sicht der Initiative darauf hin, das das Grab ein Symbolort für Gruppierungen der Neuen Rechte ist. Ein Beobachter einer solchen Zusammenkunft berichtet, er seie umringt und aggressiv angegangen worden. Zudem haben Unbekannte an einem nicht weit entfernt gelegenen Gedenkstein für getötete US-Soldaten, aufgestellt von deren Angehörigen, eine zweite Plakette angeschraubt, die an gefallene deutsche Soldaten erinnert. Autor Gunter Haug, einer der Initiatoren der "Kaffeehausgespräche", verdeutlichte die Auswirkung dieser Tafel: "Die Gedenkkultur wurde damit wesentlich verändert."

Im zweiten Teil der Veranstaltung berichtete Polizeipräsident Becker darüber, dass am Vortag mit insgesamt 25 "Spaziergängen" und 5700 Teilnehmern der bisherige Höchstwert in der Region erreicht wurde. Damit seien die "nur angeblich spontanen Spaziergänge" auch "in der Fläche" angekommen, auch "in ganz kleinen Gemeinden", und forderten die Polizei zunehmend. Im vergangenen Dezember waren erstmals knapp 1000 Teilnehmer gezählt worden, seither steigt ihre Zahl rasant, und die Schärfe der verbalen Auseinandersetzungen nehme zu: "Da entwickelt sich was", warnte Becker und merkte an, dass er es außerordentlich begrüße – "persönlich", wie er betonte –, dass sich Menschen gegen die Spaziergänger stellen.

Becker berichtete davon, dass man im Zuständigkeitsbereich des Heilbronner Polizeipräsidiums zwar noch keine Verhältnisse wie in Mannheim habe, dass es aber auch für hiesige Beamte zunehmend schwieriger werde, "mit den Leuten vernünftig ins Gespräch zu kommen"; vereinzelt habe es auch hier schon Handgreiflichkeiten gegeben. Die meisten Spaziergänge seien nicht angemeldet gewesen. Angemeldete, wie sie inzwischen regelmäßig in Brackenheim stattfinden, seien die Ausnahme.

Getragen würden die Protest gegen die Corona-Maßnahmen "im Wesentlichen bürgerlich". "Uns ist nicht bekannt, dass die uns bekannten Rechten oder Reichsbürger eine besonders aktive Rolle eingenommen haben", sagte Becker auf Nachfrage aus den Reihen der Zuhörern und betonte, die Polizei haben "einige Infos" und einen Überblick über die Szene, auch auf Social-Media-Kanälen. Viele der Mitlaufenden hätten aber "ein grundsätzliches Problem mit dem Staat", was ihm Sorge bereite. "Wir gucken nicht nur zu", versicherte Becker, bekannte aber auch, dass die derzeitige Entwicklung für seine Leute mitunter auch eine "psychische Herausforderung" sei.

Mehrere Zuhörer forderten indes ein schärferes Vorgehen der Polizei gegen die "Spaziergänger". Einer sagte, er habe "Millionen Diskussionen" mit Corona-Leugnern geführt und nun keine Lust mehr zu diskutieren. Daher überlege er, in Brackenheim eine Gegendemo anzumelden, sagte er – und wurde von mehreren Anwesenden darin bestärkt, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. "Ich bin dabei", rief einer aus der Versammlung.

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