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Heidelberg: Nachtschicht-Messerstecher-Prozess endet mit Freispruch (Update)

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		Heidelberg:  Nachtschicht-Messerstecher-Prozess endet mit Freispruch (Update)

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Nach den beiden lebensgefährlichen Messerstichen im Raucherbereich der Diskothek Nachtschicht ist der Angeklagte Hassan M. am Montag freigesprochen worden. Die Schwurgerichtskammer des Heidelberger Landgerichts ist der Auffassung, dass der heute 30-Jährige am frühen Morgen des 16. Dezember 2016 in Notwehr gehandelt hatte.

"Das ist jetzt schon mehr als fünf Jahre her – das war der meiststrapazierte Satz in diesem Verfahren", sagte der Vorsitzende Richter Jochen Herkle in seiner Urteilsbegründung. Er sprach damit die Aussagen der vielen Zeugen und ihre "verblassten Erinnerungen an dieses ohnehin unübersichtliche und dynamische Geschehen" an. "Wenn aber jemand so stark involviert war wie Sie, müsste er sich besser erinnern", sagte Herkle in Richtung der beiden Brüder, die im Prozess als Nebenkläger auftraten. Einer der Verletzten, heute 30 Jahre alt, hatte einen Messerstich in den Brustkorb abbekommen und noch in seiner polizeilichen Vernehmung den Angeklagten belastet. "Umso mehr waren wir überrascht, dass Sie sich heute an praktisch nichts mehr erinnern können. Offenbar wollten Sie vor Ihrer Gruppe nicht als Verräter dastehen." Und auch der zehn Jahre ältere Bruder habe dem Gericht "Wesentliches" verschwiegen – vor allem, dass das Cuttermesser, das die Staatsanwaltschaft lange für die Tatwaffe gehalten hatte, eigentlich ihm gehörte.

Die Kammer stützte ihr Urteil vor allem auf die Aussage des Angeklagten, der vom Tatort geflüchtet und vier Jahre lang untergetaucht war, angeblich aus Angst vor der Rache der Brüder und ihres Clans. "Die Aussage kam spät, war aber logisch konsistent, detailliert und widerspruchsfrei", sagte Herkle. Vor allem sei sie aber mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme in Einklang zu bringen.

Hassan M. war demnach in der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 2016 mit Freunden in der Nachtschicht. Als VIP-Gast des DJs wurde er nicht durchsucht, daher nahmen die Türsteher ihm auch sein Klappmesser nicht weg. Unheil drohte, nachdem einer aus Hassans Gruppe einen Freund der Brüder mit einem Glas attackiert hatte. "Er war sich sicher, dass dies eine Gegenreaktion der Gruppe hervorrufen wird", rekonstruierte Herkle die Geschehnisse. In der Tat wurden diese Befürchtungen kurz darauf bestätigt, als der ältere Bruder ein Glas auf dem Kopf eines Freundes von Hassan M. zerschmetterte. Er habe sich daraufhin in den Raucherbereich im Freien zurückgezogen, doch die Angreifer setzten nach.

Mehrmals traten die Angreifer Hassan M. in den Rücken. Er stürzte, zog sich an einem Absperrgitter hoch und sah, wie der jüngere Bruder förmlich auf ihn zuflog. "In Todesangst", so Herkle, habe er daraufhin sein Klappmesser gezogen und mit einem geraden Stich in den Oberkörper den Angriff abgewehrt. Als kurz darauf der ältere Bruder mit einem Cuttermesser auf M. losging, habe er wieder zugestochen, dieses Mal in den Bauch.

In beiden Fällen habe Hassan M. zwar tödliche Folgen seiner Messerstiche in Kauf genommen, so Herkle: "Die Taten waren aber durch die Notwehrlage gerechtfertigt." Daher sei der Angeklagte freizusprechen und für die Untersuchungshaft zu entschädigen. Damit wurde Hassan M. aber nicht in die Freiheit entlassen. Er muss noch eine Haftstrafe aus früheren Taten absitzen. Weil er am 16. Dezember 2016 ins Ausland geflohen war, hatte er gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Verteidiger Hans Böhme will nun erreichen, dass der 30-Jährige bald auf Bewährung raus darf.

Die Nebenklagevertreter Matthias Schiffer und sein Sohn Constantin werden hingegen prüfen, ob sie in Revision gehen. Matthias Schiffer ist mit dem Freispruch jedenfalls nicht zufrieden. "Die Frage, warum Hassan M. ein Klappmesser dabei hatte, hat keinen interessiert." Auch sein Mandant, der jüngere der beiden Brüder, muss unterdessen wieder ins Gefängnis. Er wurde an jedem Verhandlungstag von Justizwachtmeistern in Fußfesseln vorgeführt, da er derzeit eine Haftstrafe wegen Drogendelikten absitzt.

Update: Montag, 17. Januar 2022, 15.49 Uhr


Anklage-Vertreterin fordert Freispruch

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Im Prozess um die Messerstecherei vor der Nachtschicht fordern sowohl Oberstaatsanwältin Dorothee Acker-Skodinis als auch Verteidiger Hans Böhme einen Freispruch für den Angeklagten. Hassan M., heute 30 Jahre alt, habe zwar am frühen Morgen des 16. Dezember 2016 auf zwei Brüder eingestochen und diese dabei lebensgefährlich verletzt. Seine Aussage, dass er aus Notwehr gehandelt habe, sei nach Ende der Beweisaufnahme aber "nicht widerlegbar", sagte Acker-Skodinis am Montag.

Die Oberstaatsanwältin sprach von "einem regelrechten Gewaltexzess", an dem 15 bis 20 Personen beteiligt waren. "Es war ein heilloses Durcheinander", so Acker-Skodinis: "Und die Zeugenaussagen stimmen nicht überein." Jeder, der in dieser Nacht im Raucherbereich vor der Disco im Bergheimer Landfriedkomplex gewesen sei, habe einen anderen kleinen Ausschnitt des Geschehens beobachtet. Niemand habe aber beobachtet, wie Hassan M. zustach. Die Anklage habe sich vor allem auf die Aussage des jüngeren der verletzten Brüder, heute ebenfalls 30 Jahre alt, gestützt. "Doch vor Gericht konnte er sich plötzlich an nichts mehr erinnern", sagte Acker-Skodinis in ihrem Plädoyer: "Ob man ihm diese plötzliche Amnesie glauben kann, sei mal dahingestellt." Auch der ältere Bruder, inzwischen 40 Jahre alt, habe im Prozess nur die halbe Wahrheit erzählt. Dass das Cuttermesser, das die Polizei für die Tatwaffe hielt, in Wahrheit ihm gehörte, habe er zum Beispiel verschwiegen.

Durch eine Notwehrhandlung seien die Verletzungen seines Mandanten nicht zu erklären, betonte hingegen Rechtsanwalt Matthias Schiffer, der mit seinem Sohn Constantin die beiden verletzten Brüder in der Nebenklage vertritt und von dem Angeklagten auch Schmerzensgeld fordert. Der Stich ging nach seiner Ansicht eher in den hinteren Brustbereich des jüngeren Verletzten und wurde mit solch einer Wucht geführt, dass die achte Rippe mehrmals brach. Auch Constantin Schiffer glaubt nicht an Notwehr. Ein Überwachungsvideo aus dem Inneren der Nachtschicht zeige, wie Hassan M. kurz vor der Tat mehrmals in seine rechte Hosentasche greife – der Ort, an dem er sein mitgeführtes Klappmesser aufbewahrt habe. Die Stiche seien gezielt geführt worden, daher sei der Angeklagte wegen versuchten Totschlags zu verurteilen.

Fast vier Jahre lang war Hassan M. nach der blutigen Auseinandersetzung auf der Flucht. "Wenn jemand vom Tatort flieht, glaubt man reflexartig, dass er auch der Täter ist", sagte Verteidiger Hans Böhme. Im Fall seines Mandanten sei dies aber ein Irrglauben. Er fürchtete sich demnach vor der Blutrache der verletzten Brüder und ihrer "Rockergruppe". Im Falle einer Verurteilung des Angeklagten beantragt Böhme, dass ein unabhängiger Gutachter für Messerkampf den Fall überprüft. So lasse sich beweisen, dass die Stiche aus Notwehr gegen massive Angriffe geführt worden seien.

Hassan M. selbst will – mehr als fünf Jahre nach dem blutigen Disco-Besuch – das Geschehene endlich hinter sich lassen. "Ich hoffe, dass wir endlich Frieden haben", sagte er zu dem jüngeren Bruder, mit dem er einst befreundet war. Und er entschuldigte sich für die Verletzungen. "Das hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir für Euch leid. Es tut mir aber auch für mich leid", so Hassan M. Seit fünf Jahren durchlebe er einen "mentalen Marathon". Das Urteil wird am 17. Januar verkündet.

Update: Montag, 10. Januar 2022, 19.32 Uhr


Täter hat mehr Angst vor Blutrache als vor der Polizei

Von Jonas Labrenz

Heidelberg. Hassan M. hat sein Schweigen gebrochen. Der Angeklagte im Prozess um die Messerstiche vor der Diskothek Nachtschicht schilderte am Donnerstag aus seiner Perspektive die Tat vom 16. Dezember 2016 und seine Flucht: Wie er das Messer zückte, um nicht ins Koma getreten zu werden. Wie er nicht vor der Polizei, sondern vielmehr vor der Familie der Opfer floh. Wie er untertauchte – und ihm ohne jegliche ärztliche Versorgung die Zähne ausfielen. Hassan M. erzählte, wie er schließlich nach vier Jahren bei einem Treffen mit der Familie Frieden schloss und dabei alle vereinbarten, im Prozess zu schweigen. Doch es kam anders: Die beiden Brüder, die er mit dem Messer verletzt hatte, traten im Prozess als Nebenkläger auf und belasteten ihn schwer – also sagte nun auch Hassan M. aus.

Die Verstrickung in das kriminelle Milieu – fast alle an der Auseinandersetzung in der Nachtschicht Beteiligten kannten sich – beginnt mit dem Umzug auf den Emmertsgrund, erzählt Hassan M.: "Es ist eine andere Welt dort." Mit 17 zieht er von Handschuhsheim in den Bergstadtteil, freundet sich dort mit Männern an, mit denen er beim Stehlen im Supermarkt erwischt wird. Seine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann ist er daraufhin los, es folgen Alkohol- und Drogenprobleme: "Ich war frustriert, habe gekifft und getrunken." Nach einem Wohnungseinbruch entgeht er einer hohen Haftstrafe nur durch eine Entwöhnungstherapie. Mindestens zwei Jahre sei er "clean" gewesen, sagt Hassan M. heute. Aber das Gefängnis sieht er trotzdem schon in jungen Jahren von innen. Dort hatte er einen der Nebenkläger kennengelernt.

Die Tatnacht schildert Hassan M. anders, als sie in der Anklageschrift beschrieben ist. Darin wird ihm zweifacher versuchter Totschlag vorgeworfen, auf einen der Brüder soll er von hinten eingestochen haben. M. sagt, er habe aus Notwehr gehandelt. Nach Auseinandersetzungen im Inneren der Nachtschicht habe man ihn vor dem Club im Raucherbereich angegriffen. Er sei in den Rücken getreten worden, habe sich kaum auf den Beinen halten können. Als er sich umgedreht habe, "da habe ich eine ganze Horde vor mir gesehen". Ihm sei klar gewesen, was passiert, wenn er auf dem Boden liegt: Er sei früher selbst dabei gewesen, wenn sie Leute ins Koma getreten hätten.

Der jüngere Bruder soll in dieser Situation auf ihn zugekommen sein und mit der Faust ausgeholt haben. "Leider Gottes musste ich ihn dann mit dem Messer angreifen. Ich wusste mir nicht anders zu helfen", erklärt Hassan M. Der Stich ging in die Brust, der Nebenkläger sei daraufhin zurückgetaumelt, der Rest der Menschen auch zurückgewichen. Als dann der Bruder des Nebenklägers mit einer blutverschmierten Hand und einem Messer auf ihn zugekommen sei, habe er auch ihn angegriffen. "Er hat mir dann in die Augen geschaut, mich bei meinem Spitznamen genannt und gefragt: Hast Du mich abgestochen?", erinnert sich Hassan M. Der Stich verletzte den Darm. "Ich habe dann die Beine in die Hand genommen, habe am nächsten Tag das Messer in den Neckar geworfen und bin aus Heidelberg verschwunden."

"Ich weiß, dass eine Flucht wie ein Schuldeingeständnis aussieht", sagt Hassan M. vor Gericht. Es gebe aber auch andere Gründe. "Und ich habe so einen Grund. Ich habe es hier nicht mit Max Mustermann zu tun." Hassan M. habe gewusst, dass sie Jagd auf ihn machen würden, er habe sogar von einer Whatsapp-Gruppe gehört, die gegründet wurde, um ihn zu finden. 200 Personen seien in dieser Gruppe gewesen. Er floh also nicht primär vor der Polizei, sagt Hassan M., sondern vor dem Einfluss der Nebenkläger. "Es hieß in der Gruppe, wer mich sieht, soll mich abstechen." Und die Brüder hätten schließlich auch im Gefängnis Einfluss, behauptet Hassan M.

Nach vier Jahren Flucht stellt sich der heute 30-Jährige im Oktober 2020. Vorher, so erzählt er vor Gericht, habe er sich mit dem älteren der Brüder getroffen und einen Friedensvertrag ausgehandelt. Teil davon sei gewesen, dass keiner der Beteiligten vor Gericht aussagt. Gegen eine Entschuldigung und die Zahlung von 10.000 Euro sollte er dann nichts mehr von der Familie zu befürchten haben. Doch im Gefängnis, behauptet Hassan M., habe ihn der jüngere der beiden Brüder, der zu der Zeit auch dort einsaß, bedroht. Weil die Nebenkläger außerdem im Prozess gegen ihn aussagten, sei der "Vertrag" für ihn nun nicht mehr bindend, so Hassan M. Deshalb sage er jetzt aus – und belaste damit die Nebenkläger.

Eigentlich hätte der Prozess am Donnerstag enden sollen. Doch nach der Aussage des Angeklagten gibt es nun noch mindestens einen weiteren Verhandlungstag.

Update: Donnerstag, 9. Dezember 2021, 21.44 Uhr


Messerstecherei vor der Nachtschicht liegt zu lange zurück

Heidelberg. (hob) Die Erinnerungen sind verblasst. Schließlich ist es ziemlich genau fünf Jahre her, dass zwei Brüder vor der Disco Nachtschicht im Landfriedkomplex niedergestochen wurden. Und so konnten die drei ehemaligen Türsteher, die am zweiten Verhandlungstag als Zeugen vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts aussagen mussten, wenig Erhellendes zum Tatgeschehen beitragen.

Es war der zweite Tag im Prozess gegen Hassan M., der sich wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen verantworten muss. Dieses Mal fand die Verhandlung unter starken Sicherheitsvorkehrungen statt. Polizisten durchsuchten die Taschen der Besucher, diese mussten am Eingang ihre Personalausweise abgeben. Die durchsichtige Wand im Saal 6, mit der die Prozessbeteiligten vom Publikum getrennt werden können, war heruntergelassen. Aus Gründen des Infektionsschutzes, aber auch weil die Woche davor zu viele Angehörige der Nebenkläger und des Beschuldigten an die Balustrade gekommen waren, um mit dem Angeklagten Kontakt aufzunehmen.

Der 30-Jährige, der fast vier Jahre auf der Flucht war, bevor er sich im Oktober 2020 der Polizei stellte, schweigt weiter zu den Ereignissen in den frühen Morgenstunden des 16. Dezember 2016. Und die Erinnerungen des Sicherheitspersonals sind sehr vage. Er könne sich nur noch an das "Kerngeschehen" im Raucherbereich vor der Disco erinnern, betont einer der Türsteher. "Ich wollte den Streit schlichten und habe dann das Messer glitzern sehen", berichtet der 37-Jährige. "Vorsicht Messer!", habe er gerufen und dann zwei Schritte zurück gemacht. Im gleichen Moment seien die Streithähne aufeinander losgegangen. Konkrete Stichbewegungen habe er nicht gesehen, er könne sich auch nicht daran erinnern, wie das Messer ausgesehen habe. Auf einem Gruppenfoto, das in der Nachtschicht aufgenommen worden war, könne er aber den Angeklagten als Täter erkennen.

"Es war ein Riesentumult, es haben sich Leute eingemischt und sich geprügelt, die eigentlich mit der Sache gar nichts zu tun hatten", berichtet ein anderer Türsteher von den vorausgegangenen Ereignissen im Innenraum der Disco. Wer was wann und wo gemacht hat, kann aber auch er nicht mehr mit Sicherheit sagen. Gut kann er sich aber noch an einen der abgestochenen Brüder erinnern. Denn seine Bauchverletzung hatte er im Freien im Raucherbereich mehrere Minuten abgedrückt, bis der Rettungsdienst vor Ort war. "Es war dunkel, alles ging so schnell, es war stressig", erklärte der Zeuge. Viel mehr konnte er mit diesem langen zeitlichen Abstand nicht mehr zur Aufklärung der Tat beitragen.

Der Prozess wird am Mittwoch, 8. Dezember, fortgesetzt.

Update: Sonntag, 5. Dezember 2021, 19.24 Uhr


Jahrelang war der Angeklagte auf der Flucht

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Fast vier Jahre lang war Hassan M. auf der Flucht. Dann kontaktierte er seinen Rechtsanwalt Hans Böhme und stellte sich im Oktober 2020 der Polizei. Seit Donnerstag muss sich nun der heute 30-Jährige wegen einer Messerstecherei vor der Disco Nachtschicht im Bergheimer Landfried-Komplex verantworten. Das Tanzlokal gibt es schon lange nicht mehr, es ist seit Ende 2017 geschlossen.

Staatsanwalt Martin Grimm wirft Hassan M. versuchten Totschlag in zwei Fällen vor. Nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung im Inneren der Disco soll er draußen, im Raucherbereich, am frühen Morgen des 16. Dezembers 2016 mit einem Cuttermesser auf zwei Brüder eingestochen haben. Den Jüngeren der beiden, 30 Jahre alt, soll er von hinten in den Brustbereich gestochen und dabei die Lunge verletzt haben. Noch schwerer waren aber die Verletzungen des zehn Jahre älteren Bruders: Ihn traf das Messer im Unterbauch, wodurch der Dünndarm verletzt wurde. "Ich war 19,5 Stunden im Operationssaal, lag zwei Tage und zwei Nächte im Koma", berichtet der 40-Jährige, als ihn der Vorsitzende Richter Jochen Herkle befragt. Noch heute habe er Beschwerden, könne nicht mehr so hart arbeiten wie früher.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Heidelberger Landgericht mit den Vorfällen des 16. Dezembers 2016 beschäftigen muss. Auch die beiden Brüder, die nun als Nebenkläger auftreten, waren damals in die Auseinandersetzung von zwei Gruppen in der Nachtschicht verstrickt. Der Ältere wurde vor Jahren rechtskräftig verurteilt, weil er ein Glas auf dem Kopf eines Kontrahenten zertrümmert hatte. Ein Bekannter der beiden hatte zuvor ein Whiskyglas am Hals eines anderen Disco-Besuchers zerschmettert. Dieser verlor durch die klaffende Wunde, die die Scherbe hinterließ, mehrere Liter Blut. Das Urteil im Juni 2017: drei Jahre und neun Monate Haft wegen gefährlicher Körperverletzung. Den Vorwurf des versuchten Totschlags ließ die Schwurgerichtskammer trotz der Schwere der Verletzung fallen.

Warum der Streit zwischen den beiden Besuchergruppen eskalierte, blieb bei der Verhandlung vor vier Jahren unklar. Einige Zeugen berichteten damals, es habe sich um eine Auseinandersetzung rivalisierender Drogendealer gehandelt. Andere berichteten von Eifersucht. Der jüngere der beiden Brüder habe es nicht verkraftet, dass ein Bekannter mit seiner Ex-Freundin geflirtet habe. Fest steht, dass der aktuelle Angeklagte und die beiden Brüder früher befreundet waren. Er war häufiger bei ihnen zu Gast. "Wir haben zusammen gegessen und getrunken", erinnert sich der Jüngere. Sie seien sogar einmal gemeinsam im Gefängnis gewesen und hätten sich während der Haft gut verstanden. Doch ein anderer Bekannter habe Hassan M. in der Tatnacht gegen die Brüder aufgestachelt.

Dieser Bekannte, so vermuteten die Zeugen am Donnerstag, habe Hassan M. auch bei der Flucht geholfen und ihn außer Landes gebracht. Der Angeklagte selbst schweigt bislang zu den Vorwürfen. Noch während seiner Zeit im Untergrund soll er aber das ältere Opfer getroffen und sich bei ihm und seiner Familie entschuldigt haben. "Er hatte die Nase voll, davonzulaufen und wollte sich gerade machen, Verantwortung übernehmen", so der 40-jährige Zeuge. Und er habe die Entschuldigung wirklich ernst gemeint. Verteidiger Hans Böhme erklärte daraufhin aber, dass sein Mandant mit diesem Treffen die Tat nicht gestanden habe. "Er wollte sich nur für die entstandenen Unannehmlichkeiten entschuldigen."

Während der ältere Bruder seine Erinnerungen detailliert schilderte, behauptete der Jüngere, der derzeit ebenfalls wegen eines anderen Vorwurfs in Untersuchungshaft sitzt und in Fußfesseln vor Gericht erschien, er könne sich an nichts mehr erinnern. Für beide, davon ist die Rechtsmedizinerin Stefanie Rechtsteiner überzeugt, hätte die Nacht im Dezember 2016 aber noch viel schlimmer enden können. Die Stiche in die Brust und in den Bauch seien potenziell lebensgefährlich gewesen.

Die Verhandlung wird fortgesetzt. Das Urteil wird am 9. Dezember erwartet.

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