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RNZ-Corona-Podcast - Folge 76: Mehr als nur ein Blick in die Glaskugel?

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		RNZ-Corona-Podcast - Folge 76:  Mehr als nur ein Blick in die Glaskugel?

Von Benjamin Auber

Heidelberg. Dr. Jan Fuhrmann lehrt am Institut für Angewandte Mathematik an der Universität Heidelberg. Seine Forschungsinteressen orientieren sich an der Modellierung biologischer Systeme und der mathematischen Epidemiologie.

Herr Fuhrmann, wagen Sie eine Prognose? Werden wir in einem Jahr ohne Maske in die Theater gehen können, weil Covid-19 eingedämmt ist?

Solche Vorhersagen lassen sich mit den Mitteln der mathematischen Epidemiologie kaum treffen, vor allem für das menschliche Verhalten in Bezug auf politische Entscheidungen. Bei so langen Zeiträumen können sich Begebenheiten auch sprunghaft ändern, wie jetzt womöglich bei der Omikron-Variante droht.

Warum dachten im Sommer die wenigsten an eine vierte Welle?

Aber nicht die Wissenschaftler. In den Zahlen des Sommers konnte man schon deutlich ablesen, dass es zu einem vierten Anstieg kommen wird, obwohl sich die Delta-Welle hinter der ausklingenden Alpha-Welle etwas versteckt hat. Es ist auch schon fast sicher, dass wir im nächsten Winter wieder ansteigende Zahlen haben werden. Die Frage ist nur, ob damit dann tatsächlich noch ein medizinisches Problem besteht.

Geben Sie uns einen Einblick, welche Parameter sind in Ihren Untersuchungen geeignet, um eine Welle vorherzusagen?

Fakten, die sich auf das Virus beziehen, sind relativ feste Größen, die bei einem Modell wichtig sind. Das könnte die Inkubationszeit sein, von Ansteckung bis zu Symptomen, oder alternativ die Latenzzeit, von Ansteckung bis man selbst ansteckend wird. Für neue Varianten müssen wir das aber immer wieder anpassen. Auch das Alter der Personen muss berücksichtigt werden, während das Geschlecht bei Corona eher vernachlässigt werden kann.

Bald müsste fast jeder mit dem Virus in Kontakt gekommen sein, oder wie es Jens Spahn formulierte: "geimpft, genesen oder gestorben". Sind wir dann durch?

Wir werden bald nicht mehr viele Personen haben, die nicht in Kontakt mit dem Virus oder einem Impfstoff getreten sind. Aber leider ist es eben nicht so, dass man dauerhaft immun gegen das Virus ist und es zu Mehrfachansteckungen kommen kann. Das ist besonders präsent bei der Omikron-Variante in Südafrika oder in Brasilien, als in einigen Bereichen eine Antikörper-Prävalenz von über 75 Prozent vorherrschte und es dennoch zu Reinfektionen kam.

Sind dann nur Kontaktbeschränkungen die einzig wirkungsvolle Waffe im Kampf gegen das Coronavirus?

Für eine ansteckende Krankheit ist das der wirksamste Ansatz. Ist aber nur als mittelfristige Lösung geeignet, um die Infektionszahlen akut zu senken. Die Impfungen sind der entscheidende Faktor, um die Kontaktbeschränkungen, die vor allem im Winter nötig werden, irgendwann abzulösen und das Virus dann zu einer einfachen Erkältung zu erklären.

Können Sie erläutern, warum das exponentielle Wachstum meist noch unterschätzt wird?

Das liegt in der Natur des menschlichen Gehirns, es denkt gerne linear. Der Seerosenteich wird gern als Erklärung genutzt. Wenn sich die Anzahl der Seerosenblätter auf einem Teich bis zum 20. Tag täglich verdoppelt haben und der Teich dann zur Hälfte bedeckt ist: Wann wird der Teich dann ganz bedeckt sein?

Nach der Pandemie-Erfahrung müsste das am 21. Tag sein...

Richtig. Die intuitive Antwort wäre, dass erst nach weiteren 20 Tagen der Teich vollständig bedeckt ist. Diese Vorstellung von exponentiellem Wachstum fällt uns Menschen einfach schwer, sodass wir Gefahren erst viel zu spät erkennen. Die Tücke sind leicht ansteigende Infektionszahlen, die dann explodieren können.

Verfügen wir überhaupt über geeignete Daten, um die Corona-Lage richtig einschätzen zu können?

Gerade bei Corona haben wir eine enorme Datenfülle und auch noch weltweit den Zugang dazu. Darüber kann man sich kaum beschweren, denn keine andere Krankheit ist so gut erfasst wie Covid-19. Was aber besser werden muss, ist die Geschwindigkeit, wie Daten übermittelt werden. Bei Hospitalisierungen herrscht ein eklatanter Meldeverzug, ebenso bei Todesfällen, was Veränderungen in der Fallsterblichkeit oder bei Krankenhauseinweisungen erst verspätet erkennen lässt.

Fehlt uns bei allem das Tempo?

Nicht unbedingt. Das Divi-Intensivregister ist mittlerweile so gut, dass man mit den Zu- oder Abgängen genau ablesen kann, wie die Lage auf den Intensivstationen aussieht. Diese gute Datenlage würden wir uns auch für andere Bereiche wünschen. Beispielsweise sehen wir jetzt, dass die Fallzahlen stagnieren bzw. leicht zurückgehen, und wir sehen auch bei den Intensivbelegungen bereits eine Verlangsamung des Anstiegs, obwohl sich stagnierende Fallzahlen erst zwei Wochen später auf den Intensivstationen niederschlagen sollten – wenn die gemeldeten Zahlen tatsächlich stimmen.

Helfen Schreckensszenarien dabei, um die Pandemie einzudämmen, weil sich die Menschen dann vorsichtiger verhalten?

Das Konzept als Wissenschaftler soll nicht sein, den Teufel an die Wand zu malen. Es ist vielmehr ein Blick darauf, was passieren könnte, wenn alle Parameter genauso blieben, und zwar an der derzeitigen Situation orientiert. Oder in einem Szenario, wenn Kontakte bis zu einem gewissen Prozentsatz eingeschränkt werden. Spätestens wenn schwere Verläufe oder Todesfälle im privaten Umfeld vorkommen, tritt automatisch eine Verhaltensänderung bei den Menschen ein. Wir versuchen zu beschreiben, was ist und was sein könnte. Was dann daraus schlussgefolgert wird, ist dann nicht mehr unsere Aufgabe.

Was sagen Sie zu denen, die dann sagen: "Ihre Vorhersage ist ja gar nicht eingetroffen"?

Dann sage ich zu denen, dass sie genauer lesen sollen, was in den Vorhersagen steht. Szenarien sind vor allem über Wenn-Dann-Bedingungen aufgebaut. Das kritisch zu hinterfragen, ist richtig, aber ärgerlich, wenn absichtlich Fakten verdreht werden.

Denken Mathematiker anders über Pandemien nach als gewöhnliche Menschen?

Ich sehe mich ganz gern auch als gewöhnlichen Menschen an. Was man aber schon hat, ist eine andere Wahrnehmung der Zahlen. Als Mathematiker hatten wir mit der Delta-Variante schon Ende August diesen Jahres eine genaue Vorstellung davon, was kommen wird. Bezogen auf die jetzige Situation mit einem hohen Paniklevel in der Bevölkerung sehen wir, dass es in absehbarer Zukunft besser werden und wir nicht mehr weit von dem Peak entfernt seien dürften. Den Intensivstationen stehen aber trotzdem leider noch sehr harte Wochen bevor.

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