Fußball
News melden
Nachrichten

Eppelheim: Mulahos Familie war gut integriert und wurde plötzlich abgeschoben

0 14

		Eppelheim:  Mulahos Familie war gut integriert und wurde plötzlich abgeschoben

Von Lukas Werthenbach

Eppelheim. Es ist eine dieser Abschiebungen, die die Ehrenamtlichen der Eppelheimer Flüchtlingshilfe besonders verzweifeln lassen: Die heute 34-jährige Mulaho hatte in ihrer Heimat Somalia ein Bombenattentat knapp überlebt, sie flüchtete mit ihren drei Kindern, kam zunächst nach Polen und gelangte wenig später nach Eppelheim. Hier gilt die studierte Ökonomin nach über drei Jahren als integriert, sie und ihre Kinder sprechen gut Deutsch. Doch jetzt stand nachts plötzlich die Polizei vor der Tür in der städtischen "Anschlussunterbringung" in der Rudolf-Diesel-Straße – und leitete die Abschiebung nach Polen ein.

Nun ist die Familie in einem Flüchtlingscamp in Warschau untergebracht. Ob sie von dort womöglich sogar zurück nach Somalia abgeschoben wird, ist noch unklar. Für die Flüchtlingshelfer Hildegard Lacroix und Wolfram Schmittel ist dies nicht nur ein kaum zu ertragendes Schicksal, sondern sie kritisieren auch das Vorgehen der zuständigen Behörden scharf. Denn diese hatten wenige Stunden vor der Abschiebung die Entscheidung noch offen gelassen (siehe unten).

"Mulaho ist damals mit ihrem Mann und den Kindern aus Somalias Hauptstadt Mogadischu geflüchtet, nachdem sie dort für eine Nicht-Regierungsorganisation gearbeitet hatte und die Terrormiliz ,al-Shabaab’ sie sozusagen auf dem Kieker hatte", berichtet Schmittel. Mit Kollegen sei sie damals im Auto unterwegs gewesen und gerade bei einem Halt ausgestiegen – da sei das Fahrzeug explodiert: Eine Person starb, eine weitere wurde schwer verletzt. So will Mulaho auch nicht, dass ihr vollständiger Namen oder ein Foto von ihr veröffentlicht werden.

Die Familie war bereits auf der Flucht, als die jüngste Tochter Sarah 2017 in Kenia zur Welt kam. Von dort ging es weiter in die Türkei, wo man ein Visum für Polen beantragen konnte. "In der Türkei mussten sie aber monatelang warten und trennten sich", erzählt Flüchtlingshelferin Lacroix: Ihr Ehemann kehrte in die Heimat zurück. Mulaho aber wollte auf keinen Fall wieder nach Somalia: Sie fürchtete das dort weit verbreitete Ritual der Beschneidung von Frauen für ihre zwei Töchter, die jetzt acht und vier Jahre alt sind. "Es hat sehr lange gedauert, bis sie über all das Erlebte geredet hat", so Lacroix. Inzwischen telefonierten Mulaho und ihr Mann täglich, er wolle auch immer noch nach Deutschland kommen.

Schlepper brachten die Mutter mit ihren drei Kindern Salma, Salman und Sarah weiter bis nach Polen. Und an dieser Stelle wird das europäische Migrationsrecht wichtig: Das "Dublin III-Verfahren" verpflichtet Asylsuchende dazu, ihren Asylantrag stets in dem Land zu stellen, in dem sie erstmals den Boden der Europäischen Union (EU) betreten haben: im Fall von Mulaho und ihren Kindern also in Polen. "Die Familie wollte aber nach Deutschland und dorthin kam sie über Umwege auch", weiß Lacroix. Und als sie im Sommer 2018 nach ihrer Ankunft in Eppelheim einen Asylantrag stellten, wurde dieser als "unzulässig" eingestuft. Im Sommer 2021 wurde die Klage gegen die Abschiebung vom Verwaltungsgericht Karlsruhe abgewiesen. Wenige Wochen später wurde die Abschiebung der Familie nach Polen angeordnet.

Doch die Ehrenamtlichen gingen einen Schritt weiter: Sie wandten sich mit einer sogenannten Eingabe an die Härtefallkommission beim Landesministerium für Justiz und Migration. Die Kommission lehnte es jedoch ab, sich mit der Eingabe zu befassen, da das Dublin-Verfahren derzeit noch laufe.

So sei hier auch nicht entscheidend gewesen, dass etwa die Theodor-Heuss-Schule und der Kindergarten St. Elisabeth in Eppelheim schriftlich die gute Entwicklung der Kinder bestätigten. Ebenfalls nicht beachtet worden sei die Tatsache, dass Mulaho ein Praktikum in der Eppelheimer Kindertagesstätte "Sonnenblume" mit sehr guter Bewertung abgeschlossen und so ein Angebot für eine Ausbildung zur Erzieherin im Jahr 2022 erhalten hatte. Anfang November wurde nun ein ärztliches Attest einer anerkannten Sachverständigen zur Begutachtung von Traumafolgen beim zuständigen Regierungspräsidium eingereicht.

Doch auch dieser laut Lacroix "sehr aussagekräftige Befund" interessierte bei den deutschen Behörden offenbar nicht mehr. Am 18. November um 2.30 Uhr nachts kamen sechs Polizeibeamte zu der Familie in die Rudolf-Diesel-Straße. Sie wurde nach Warschau gebracht, weg von ihren Freunden und in ein völlig fremdes Umfeld. Nach mehreren Tagen der Ungewissheit und Funkstille hatte Lacroix nun Kontakt mit der Familie: "Es geht ihr sehr schlecht", so die Ehrenamtliche.


Trauma-Attest: Helfer kritisieren Behörden

Ärger um Kommunikation im Vorfeld der Abschiebung

 "Kann man einer Familie mit diesen Erfahrungen zumuten, nach drei Jahren in Deutschland hier alles aufzugeben, und sie in ein anderes fremdes Land schicken?", fragen Hildegard Lacroix und Wolfram Schmittel, Vertreter der Ehrenamtlichen von der Eppelheimer Flüchtlingshilfe (vgl. Artikel links). Doch im Fall von Mulaho und ihren Kindern treiben sie noch weitere Beobachtungen um: Wenige Stunden vor der Abschiebung vermittelte das Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) den Flüchtlingshelfern den Eindruck, die Prüfung über ein mögliches Abschiebungshindernis sei zumindest offen. Zudem bot das RP an, nach Zusendung einer Vollmacht weitere Auskünfte zu erteilen. Dabei stand die Abschiebung unmittelbar bevor, wie sich nun zeigte. Ein von Mulahos Anwältin fristgerecht eingereichtes Attest einer Traumapraxis des Karlsruher "Menschenrechtszentrums" wurde nicht anerkannt.

Therapie in fremder Sprache?

"Was muss ein Attest enthalten, damit es eine Abschiebung verhindert?", fragen Lacroix und Schmittel ebenso wie mit Blick auf den jetzigen Aufenthaltsort der Familie in Polen: "Wie ist eine psychologische Behandlung von Traumata in einer völlig fremden Sprache möglich?"

"Eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen" sehen die Flüchtlingshelfer für das rätselhafte Vorgehen der Behörden: "Entweder das RP und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kommunizieren aneinander vorbei, oder man hat uns bewusst in Sicherheit gewogen und so ausgetrickst, um die Abschiebung schnell abzuwickeln." Die Polizei erklärte auf RNZ-Anfrage, dass sie den Auftrag des RP für diese Abschiebung genau eine Woche vorher – also am 11. November – erhalten habe. Und damit auch sechs Tage vor Versand der Empfangsbestätigung seitens des RP, das damit die Prüfung des möglichen Abschiebehindernisses beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) signalisierte.

RP-Sprecherin Irene Feilhauer sagt wiederum auf Nachfrage, dass "die betreffende Person bereits in Polen einen Asylantrag gestellt hat". Daher sei es um eine "Überstellung nach Polen" gegangen: "ein sogenanntes Dublin-Verfahren". Lacroix und Schmittel können das nach eigener Aussage nicht verifizieren. Im Urteil des Verwaltungsgerichts vom Juni 2021 heißt es indes, Mulaho habe im Juli 2018 beim Bamf einen Asylantrag gestellt.

Sprecherin Feilhauer erklärt, das RP habe das Attest bereits am gleichen Tag ans Bamf weitergeleitet, an dem es dieses von Mulahos Anwältin erhalten habe – also zwei Tage vor der Anordnung der Abschiebung durch das RP an die Polizei und neun Tage vor deren Durchführung. "Das Bamf hat am gleichen Tag das Attest geprüft", erklärt das RP: "Laut Bamf stellt die Diagnose kein Abschiebungshindernis dar und die Erkrankung kann in Polen behandelt werden."

Behörden verteidigen Vorgehen

Entsprechend sei in der Kommunikation der Behörden nichts schiefgelaufen, erklärte Feilhauer. Und die Befürchtungen der Flüchtlingshelfer über ein "Austricksen" werden "entschieden zurückgewiesen". Mangels einer "Vertretungsvollmacht" auf Seiten der Ehrenamtlichen hätten weder Bamf noch RP "personenbezogene Auskünfte an die Eppelheimer Flüchtlingshilfe" erteilen dürfen, so Feilhauer. Dazu die Flüchtlingshelfer: "Die Vollmacht wurde am 17. November erbeten, am 18. November war die Abschiebung durchgeführt." Die RP-Sprecherin betont derweil: "Es war zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, jemanden auf eine ,falsche Fährte’ zu locken." Zudem sei "zu keinem Zeitpunkt bestätigt" worden, "dass keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen stattfinden".

 

Загрузка...

Comments

Комментарии для сайта Cackle
Загрузка...

More news:

BC Erlbach 1919 e.V.

Read on Sportsweek.org:

Andere Sportarten

Sponsored