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Heidelberg: "Über die seelischen Lücken wird zu wenig gesprochen"

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Von Anica Edinger

Heidelberg. Wechsel nach über 20 Jahren: In den offenen AWO Kinder- und Jugendhäusern "Treff" in Wieblingen und "Röhre" im Pfaffengrund gibt es Veränderungen. Ute Hildenbrand übergibt die Jugendhausleitung an Alexej Kapis. So ganz verlässt Hildenbrand die AWO aber nicht – sie widmet sich nun der Fachbereichsleitung der AWO-Kitas. Ein Gespräch mit der scheidenden Jugendbeauftragten und dem "Neuen" bei der AWO über Kindheit und Jugend in Pandemie-Zeiten, über die mangelnde Wertschätzung der Leistung von Kindern und Jugendlichen – und über die Bedeutung von Geburtstagen.

Sie sind der "Neue" für die Jugend bei der AWO, Herr Kapis, haben Sie Angst vor erneuten Einschränkungen für die Kinder- und Jugendarbeit?

Kapis: Ja und nein – ich bin zuversichtlich, dass wir wie in der Vergangenheit, auch bei neuen Einschränkungen, wieder innovative Lösungen finden. Wir werden immer unsere Kinder und Jugendlichen im Blick behalten.

Wie haben Sie denn die beiden Lockdowns in Ihren Treffs gestaltet?

Hildenbrand: Wir haben sofort am ersten Schließtag ein Notfalltelefon eingerichtet. Kinder, Jugendliche und auch Eltern konnten sich melden, wenn es Probleme gab. Außerdem konnte man auch Eins-zu-eins-Termine mit Mitarbeitern buchen, wenn man Gesprächsbedarf hatte. Das war sehr wertvoll und wurde stark genutzt.

Kapis: Wir haben auch sehr schnell digitale Angebote auf die Beine gestellt, haben mit den Kindern digital gebastelt und mit Jugendlichen digital Gesellschaftsspiele gespielt. Das wurde sehr gut angenommen. Mit den ersten Lockerungen haben wir dann versucht, Bewegungsangebote zur Gesundheitsförderung anzubieten. Denn auch in diesem Bereich fiel ja einiges der Pandemie zum Opfer.

Worüber haben sich ihre Kinder und Jugendlichen denn am meisten gefreut, als sie wieder öffnen durften?

Kapis: Über Ferienprojekte, Kursangebote und Kindergeburtstage!

Sie veranstalten auch Kindergeburtstage? Wie kam es denn dazu?

Hildenbrand: Ich habe einmal mit einem Mädchen gesprochen, das sehr traurig war. Sie wurde nie zu Geburtstagen eingeladen, weil sie selbst nie gefeiert hat. Das muss man sich mal vorstellen: Ein neunjähriges Kind, das bereits aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Wir haben uns also im Team zusammengesetzt und überlegt, wie wir dem Mädchen helfen können. So entstand die Idee, im Treff in Wieblingen Kindergeburtstage auszurichten und zu feiern.

Und das Mädchen konnte ihren Geburtstag feiern!

Hildenbrand: Ja. Sie kam danach zu mir und sagte: "Das war der schönste Tag in meinem Leben." Das macht diese Arbeit hier aus, das trägt die Mitarbeiter und das hat mich all die Jahre getragen. Wir reagieren bedarfsorientiert – auch das macht die offene Kinder- und Jugendarbeit der AWO aus.

Aus Ihrer Erfahrung: Was ist es sonst, das Kinder und Jugendliche jetzt, nach den Lockdowns und den vielen Einschränkungen, brauchen?

Hildenbrand: Wertschätzung für das, was sie gemeistert haben! Denn das war und ist noch immer schlicht großartig. Kinder und Jugendliche haben sich bei uns immer vorbildlich an alle Regeln gehalten. Die Maskenpflicht hier im Treff wurde nie hinterfragt und es gab noch nie Übertretungen.

Kapis: Es ist wichtig, diese unglaublichen Dinge, die die Gesellschaft in den vergangenen fast zwei Jahren erlebt hat, nun auch zu verarbeiten. Und insbesondere für Kinder und Jugendliche war das eine sehr einschneidende Zeit und Erfahrung.

Hildenbrand: Sie haben sich durch das Homeschooling gequält, haben so viel Energie verbraucht wie nie zuvor in der Schule, weil alles neu war. Sie haben ihre Lehrer scheitern sehen, konnten sich im Privaten kaum sozialisieren. Im Umgang mit Kindern und Jugendlichen wurden meiner Ansicht nach viele Fehler gemacht.

Welche denn?

Hildenbrand: Kinder und Jugendliche wurden von der Gesellschaft und Politik überhaupt nicht mehr als Kinder und Jugendliche wahrgenommen, sondern nur noch als Schülerinnen und Schüler. Es hat sich keiner darüber Gedanken gemacht, dass sie außer Bildung auch Bedürfnisse haben. Es wurde nur noch ihre Funktion betrachtet. Wir haben versucht, sie in unseren Treffs als junge Menschen in den Fokus zu stellen, wo sie sein durften, was sie sonst in ihrer Freizeit auch sind. Das war sehr wertvoll. Über diese seelischen Lücken, die die Pandemie bisher hinterlassen hat, darüber wird viel zu wenig gesprochen. Das alles hat etwas gemacht mit unseren Kindern.

Was genau meinen Sie damit?

Hildenbrand: Nun ja, wir hatten im Treff weinende Kinder, die hier ihren Geburtstag geplant hatten und ihn wegen des Lockdowns nicht feiern durften – 2020 und dann 2021 noch einmal. Einmal hat ein Junge zu mir gesagt: "Vielleicht kann ich nie wieder Geburtstag feiern." Dabei sind Geburtstage, Feiertage wie Ostern und Weihnachten oder die Ferien gerade im Kindesalter einschneidende, wichtige Erlebnisse, das ist für Kinder und Jugendliche ein Stück weit, was das Leben lebenswert macht. Und das ist total ins Wanken gekommen. Ebenso bei pubertierenden Jugendlichen. Das erste Date, der erste Kuss: Das alles war während der Lockdowns kaum möglich. Der Pubertätsprozess wurde quasi eingefroren.

Kapis: Jetzt ist seit einiger Zeit zwar wieder fast alles möglich. Aber auch damit mussten viele sich erst einmal wieder arrangieren. Sich wieder rauszuholen aus dem digitalen Alltag, vom Homeschooling in den Präsenzunterricht zu wechseln, zurückzukehren in die analoge Welt: Das war für viele auch schwierig. Nun geht es möglicherweise bald wieder zurück – keine Konstanz, keine Zuverlässigkeit.

In Heidelberg wurde in letzter Zeit, mit Beginn der ersten Lockerung der Corona-Maßnahmen im Sommer 2020, viel gestritten über feiernde und randalierende Jugendliche, über Freiräume und mehr Angebote für diese Gruppe. Was halten Sie von diesen Diskussionen?

Hildenbrand: Wenn man schon im ersten Lockdown Sonderlösungen für die offene Kinder- und Jugendarbeit zugelassen hätte, hätte man den einen oder anderen Wildwuchs besser eindämmen können. Mir ist eines in diesem Zusammenhang besonders wichtig: Die, die im Sommer auf der Neckarwiese randaliert haben, das ist nicht die Jugend. Das sind Einzelne, für deren Verhalten nicht alle verantwortlich gemacht werden dürfen.

Kapis: Tatsächlich erleben wir unsere Jugendlichen als sehr engagiert und an der gesellschaftlichen Teilhabe interessiert. Aktuell haben unsere Jugendlichen sich etwa in der Armutswoche, beim Verein "Zeichen gegen Mobbin" sowie durch ehrenamtliche Tätigkeit im Kinderbereich engagiert.

Kitas kämpfen aktuell mit massivem Personalmangel. Wie sieht das bei Ihnen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit aus?

Kapis: Auch wir haben in den letzten Jahren viele sehr wertvolle Mitarbeiter verloren. Leute, die wir sehr gerne behalten hätten.

Wieso ist das nicht gelungen?

Hildenbrand: Tatsächlich ziehen viele aus Heidelberg wegen des angespannten Wohnungsmarktes wieder weg. Die Preise in der Stadt sind einfach zu hoch – und selbst in der Umgebung ist häufig nichts mehr wirklich Bezahlbares zu finden. Das war in den letzten Jahren eines der Hauptthemen.

Apropos Hauptthemen: Was wird Sie als neuen Leiter für die offene Kinder- und Jugendarbeit der AWO in den kommenden Jahren am meisten beschäftigen?

Kapis: Ich bin Theater- und Zirkuspädagoge und würde dem Treff diesen Stempel gerne aufdrücken. Einen Zirkus der Generationen in Kooperation mit dem AWO Seniorenzentrum könnte ich mir etwa vorstellen. Auch die Vernetzung mit anderen Jugendhäusern und -projekten wollen wir verstärken und Kooperationen ausbauen.

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